1 Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Medienkulturwissenschaft Eingereicht bei: Jun.-Prof. Dr. Friedemann Vogel Wintersemester 2014/2015 Eingereicht von: Luisa Igney „Kann der Verzicht auf Inversion in Nebensätzen als Mangel der gesprochenen Sprache bezeichnet werden?“ Ich schreibe einfach mal drauf los, weil sonst finde ich nie einen Anfang. Bereits das Tippen dieses Satzes löst Unbehagen in mir aus. Ich überlege, ob ich mein Thema tatsächlich so einleiten sollte. Mehrmals lösche ich die erste Zeile, um sie dann erneut einzutippen. Letztendlich entschließe ich mich meinen Gedanken vorerst freien Lauf zu lassen, setze einen Punkt und mache ein Leerzeichen. Direkt wird mein Unbehagen bestätigt: Das Rechtschreibprogramm unterstreicht den zweiten Teil des Satzes grün. Ein Grammatikfehler. Wenn selbst das Rechtschreibprogramm meines Computers diesen Fehler erkennt, wieso kommt es dann insbesondere in der mündlichen Sprache immer häufiger zum Verzicht auf Verbendstellung in Nebensätzen? Ist Bequemlichkeit der Grund? Kann das Unwissen der Sprecher dafür verantwortlich gemacht werden? Oder handelt es sich wohlmöglich um eine neue Entwicklung unserer Sprache? Basierend auf diesen Fragestellungen werde ich mich zunächst ganz grundlegend mit dem Phänomen der Hauptsatzstellung nach subordinierenden Konjunktionen auseinandersetzen, um dann im weiteren Verlauf des Essays zu diskutieren, wie sich der Gebrauch solcher weil-Sätze einstufen lässt. Dabei werde ich mich hauptsächlich auf drei Autoren beziehen und auf der Grundlage ihrer Überlegungen eine kurze Einstufung vornehmen. Im letzten Teil sollen mögliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Schriftsprache erläutert werden. Das Phänomen: Hauptsatzstellung nach „weil“ Wie der deutsche Sprachwissenschaftler Rudi Keller in seinem Aufsatz über Sprachwandel deutlich macht, gehören weil, obwohl und wobei zu den subordinierenden Konjunktionen. Dies bedeutet, dass sie einen Haupt- und einen Nebensatz miteinander verbinden.1 Der zweite Teil meines einleitenden Satzes ist somit ein Nebensatz, was bedeutet, dass das 1 Rudi Keller, „Sprachwandel“, S. 5. 2 Prädikat den grammatikalischen Regeln zufolge am Satzende stehen muss.2 Demnach müsste mein Satz korrekterweise „Ich schreibe einfach mal drauf los, weil ich sonst nie einen Anfang finde“ lauten. Obwohl die Regeln der Grammatik in dieser Hinsicht eindeutig zu sein scheinen, lässt sich der Verzicht auf Inversion in Nebensätzen in der gesprochenen Sprache zunehmend beobachten. Erklären lässt sich dieses Phänomen Bastian Sick zufolge damit, dass das Wort weil häufig ausgesprochen wird bevor sich der Sprecher über das Ende des angefangenen Satzes bewusst ist. In solchen Situationen wird auf einen Hauptsatz ausgewichen, da dieser sich einfacher und schneller formulieren lässt. Statt also den grammatikalischen Regeln zu folgen, tut der Sprecher so als hätte er denn gesagt und hängt aus Bequemlichkeit einen Hauptsatz an. Denn ist im Vergleich zu weil, obwohl und wobei eine koordinierende Konjunktion und verbindet zwei Hauptsätze miteinander.3 Inwiefern diese Vernachlässigung der Inversion und somit die scheinbar voranschreitende Abschaffung des Nebensatzes hinter subordinierenden Konjunktionen als Mangel der gesprochenen Sprache betrachtet werden kann, möchte ich auf den folgenden Seiten diskutieren. Verwahrlosung der Sprache oder langfristige, grammatikalische Entwicklung? „Sprache lebt von Veränderung und Vielfalt, nicht durch Verwässerung und Wildwuchs.“4 Doch wo liegt die Grenze zwischen diesen Begriffen? Wann spricht man von Veränderung und Vielfalt? Wann ist eher von Verwässerung und Wildwuchs die Rede? Gibt es überhaupt eine solche Grenze oder spielt hier lediglich die persönliche Auffassung eine Rolle? Seinen Kritikern zufolge trifft Sick in seinen Werken und Kolumnen zwar einen Ton, der die Leser anspricht, allerdings handelt es sich bei seinen Urteilen eher um vorschnelle Vereinfachungen.5 Mit den Worten „sowohl als auch“6 antwortet er auf die Frage, ob es sich bei dem Verzicht auf Inversion in Nebensätzen um einen grammatikalischen Fehler oder um eine neue Erscheinungsform in der deutschen Sprache handelt. Eine eindeutige Aussage trifft Sick meiner Meinung nach damit nicht. Aus seiner Ablehnung gegenüber gewissen neuen Erscheinungsformen in der deutschen Sprache Bastian Sick, „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“, S. 157-160. Ebenda. 4 Ebenda, S. 199. 5 Meinunger, „Sick of Sick?“, S. 10. 6 Bastian Sick, „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“, S. 157-160. 2 3 3 macht er kein Geheimnis: „Es ist eine neue Entwicklung, die mit den Regeln der Grammatik bricht.“7 Versucht man eine differenziertere Antwort auf die Frage der Einstufung des Phänomens zu erlangen, so findet man meines Erachtens bei André Meinunger besser nachvollziehbare Ansätze. „Überlegungen, dass nunmehr nicht nur englische Wörter in die deutsche Sprache gelangen und sie amerikanisieren, sondern dass nun auch der deutsche Satzbau vom transatlantischen Bruder der deutschen Grammatik unterwandert wird“8, tragen dem Autor zufolge maßstäblich zur sich immer weiter verbreitenden Angst vor dem Sprachverfall bei.9 Bei genauerer Untersuchung dieser Erscheinung lässt sich allerdings feststellen, dass die Sprecher trotz Verwendung der weil-Konstruktion über ein ausgeprägtes Sprachgefühl verfügen und somit immer gewisse grammatikalische Regeln einhalten. Es würde deshalb nie so weit kommen, dass mit der Konjunktion weil nur noch Hauptsätze eingeleitet werden. Laut Meinunger gibt es allerdings Satzkonstruktionen, die sich ohne Inversion besser anhören und teilweise einen vollkommen anderen Sinn ergeben.10 Demnach ist das Einleiten von Hauptsätzen mit weil, was Studien zufolge keine neue Erscheinung ist, in manchen Situationen sogar sinnvoller. Die Hauptsatzstellung nach subordinierenden Konjunktionen lässt sich somit weder als Mangel der Sprache, noch als eine revolutionäre Entwicklung der Grammatik einstufen.11 Diese Überlegungen erscheinen mir weitaus plausibler als die Sicks. Ich stimme Meinunger zu, dass an bestimmten Stellen die Verwendung einer Hauptsatzkonstruktion angemessener ist. Doch ungeachtet dieser Erkenntnis sind mir seine Argumente noch nicht hinreichend. Blickt man in die Vergangenheit, so lässt sich feststellen, „dass das Wörtchen weil eine lange und bewegte Geschichte hinter sich hat[.]“12 Diese Herangehensweise scheint mich zu einer noch präziseren Antwort auf meine Frage führen zu können. Während wîle im Mittelhochdeutschen noch ein Substantiv war und Zeitdauer bedeutete, entwickelte sich daraus im Laufe der Jahrhunderte die Konjunktion weil mit temporaler Bedeutung. Schließlich erfolgte eine Transformation zur Konjunktion weil mit kausaler Bedeutung, wie wir sie heute kennen. Folgt man Kellers Argumentation, so befinden wir uns nun erneut in einem Transformationsprozess, welcher aus der kausalen eine 7 Ebenda. André Meinunger, „Sick of Sick?“, S. 87. 9 Als Beispiel wird an dieser Stelle das englische „because I am happy“ genannt, das bei uns mittlerweile auch mit „weil ich bin froh“ übersetzt wird. 10 Zur Veranschaulichung dienen hier die Sätze „Kommt er, weil er es versprochen hat?“ und „Kommt er, weil er hat es versprochen?“, bei denen der Bedeutungsunterschied sehr deutlich erkennbar ist. 11 Der gesamte Absatz bezieht sich auf folgende Quelle: André Meinunger, „Sick of Sick?“, S. 86-90. 12 Rudi Keller, „Sprachwandel“, S. 5. 8 4 epistemische Konjunktion entstehen lässt. Somit antwortet man nicht mehr auf die Frage warum etwas so ist, sondern auf die Frage woher man etwas weiß.13 Basierend auf diesen Informationen lässt sich festhalten, dass es sich bei dem Verzicht auf Verbendstellung in Nebensätzen „nicht um einen Prozess der Verwahrlosung der Sprache, sondern um eine langfristige Entwicklung“14 handelt. Sowohl mithilfe Meinungers Aussage, die Hauptsatzstellung nach weil ist in bestimmten Situationen angemessener15, als auch anhand der Darstellung der Geschichte des Wortes weil durch Keller16 lässt sich diese Einstufung begründen. Ausblick: Mögliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Schriftsprache „[G]esprochene Sprache [sollte] nicht in denselben Maßstäben gemessen werden […] wie Schriftsprache.“17 Wie bereits ausgeführt, hat der Verzicht auf Inversion in Nebensätzen tatsächlich einen weitreichenden Einfluss auf die mündliche Sprache. Sicks Befürchtung, Grammatikwerke könnten sich anpassen und die Einleitung von Hauptsätzen mit subordinierenden Konjunktionen könnte zulässig werden18, ist demnach nicht unbegründet. Es findet ein Wandel statt. Doch anders als Sick zu befürchten vermag ist es ein Wandel der gesprochenen Sprache, nicht der Schriftsprache. „Die mündliche Form der Sprache hat mehr Mittel, Differenzierung auszudrücken: man kann verschieden betonen, Pausen einlegen usw..[sic!] Und das tut die Sprache auch: Alle Sprecher, die weilSätze mit Hauptsatzstellung bilden, legen eine kurze, aber nachweisbare und von vielen auch gefühlte Pause nach weil ein. […] Da solche Sprechpausen in der Schriftsprache fehlen oder unsystematisch gehandhabt werden, bedient man sich am besten eines eindeutigen Wortes: denn.“19 Bei der Hauptsatzstellung nach weil handelt es sich somit um ein Phänomen, das typisch für die mündliche Sprache ist. Dies bedeutet, dass es sich vermutlich nicht flächendeckend in der Schriftsprache durchsetzen wird und somit keine Gefahr für diese darstellt. Grund für diese Vermutung ist neben dem erwähnten Fehlen der Sprechpausen in der Schriftsprache auch das Vorhandensein einer deutschen Standartvarietät. Diese hat unser Sprachwertsystem stark beeinflusst. Verwendet man regionale Varietäten und Konstruktionen wie die hier thematisierten weil-Sätze in „öffentlichen, offiziellen und 13 Ebenda. Ebenda, S. 6. 15 André Meinunger, „Sick of Sick?“, S. 89. 16 Rudi Keller, „Sprachwandel“, S. 5. 17 Winifred V. Davies, „Die Geschichte vom ,schlechten‘ Deutsch“, S. 55. 18 Bastian Sick, „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“, S. 157-160. 19 André Meinunger, „Sick of Sick?“, S. 89-90. 14 5 formellen Domänen“20, so wird man Winifred V. Davies zufolge oftmals dafür verpönt.21 Es kann also davon ausgegangen werden, dass in der Schriftsprache auch weiterhin Wert auf die Verwendung von Inversion in Nebensätzen gelegt wird. „Die deutsche Sprache ist in ihren syntaktischen Grundfesten nicht so leicht zu erschüttern.“22 Kein Mangel der gesprochenen Sprache Bei der Verwendung von weil mit Hauptsatzstellung handelt es sich um ein Phänomen, das hauptsächlich in der mündlichen Sprache auftritt. Dass es sich deshalb um einen Mangel der gesprochenen Sprache handelt, würde ich allerdings bestreiten. Es sollte nicht von Verwahrlosung der Sprache, sondern vielmehr von einer neuen Entwicklung jener ausgegangen werden. „[D]en richtigen Sprachgebrauch gibt es nicht. Es gibt nur verschiedene Arten von Sprachgebrauch, die als funktionale Stile in bestimmten Kommunikationssituationen kommunikativ angemessen sind und/ oder [sic!] aufgrund sozialer Normen erwartet werden.“23 Es ist zu erwarten, dass der Verzicht auf Inversion „zur akzeptierten Norm werden wird.“24 Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Nebensatz nach weil, obwohl und wobei nun vollkommen abgeschafft wird. Genauso wie es Konstruktionen gibt, in denen es sinnvoller scheint weil mit Hauptsatzstellung zu verwenden, wird es meiner Meinung nach auch immer Nebensätze geben, bei denen niemand auf die Idee kommen würde auf die Verbendstellung zu verzichten. Winifred V. Davies, „Die Geschichte vom ,schlechten‘ Deutsch“, S. 53. Ebenda, S. 52-55. 22 André Meinunger, „Sick of Sick?“, S. 90. 23 Barbara Sandig, „Muster in spontaner Sprechsprache“, S. 53. 24 Rudi Keller, „Sprachwandel“, S. 5. 20 21 6 Literaturverzeichnis Davies, Winifred V., „Die Geschichte vom ,schlechten‘ Deutsch“, in: Der Deutschunterricht. Beiträge zu seiner Praxis und wissenschaftlichen Grundlagen. 3/2007, S. 52-55 Keller, Rudi, Sprachwandel. BDÜ: 2000. Faszination Sprache – Herausforderung Übersetzung. Publiziert: 13.07.2004. www.phil-fak.uniduesseldorf.de/uploads/media/Sprachwandel.pdf, Stand: 12.02.2015 Meinunger, André, Sick of Sick? Ein Streifzug durch die Sprache als Antwort auf den «Zwiebelfisch». Berlin: Kulturverlag Kadmos 2008 Sandig, Babara, „Zur historischen Kontinuität normativ diskriminierter syntaktischer Muster in spontaner Sprechsprache“, in: Deutsche Sprache. Zeitschrift für Theorie, Praxis und Dokumentation. 1/1973, S. 37-57 Sick, Bastian, Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Neues aus dem Irrgarten der deutschen Sprache. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2005
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