Die Perspektivlosigkeit zwingt sie in die Resignation

sonntagszeitung.ch | 14. Februar 2016
Die Perspektivlosigkeit zw
Die grüne Aargauer Regierungsrätin Susanne Hochuli hat Eritrea besucht. In ihrer Reportage
Nein, so habe ich mir das Nordkorea Afrikas nicht vorgestellt. Ein
Konzert am Samstagnachmittag
im Cinema Roma in Asmara. Der
Auftritt der älteren eritreischen
Sänger führt uns vor Augen, wie
sehr wir selber eine perfekte oder
perfektionistische Welt gewohnt
sind. Mal funktioniert das Mikrofon nicht, mal muss der Sänger den
Musikern Anweisung geben, weil
sie für seinen Gesang zu schnell
spielen, und die Bühne ist so
schlecht ausgeleuchtet, dass das
Gesicht des Singenden nicht zu sehen ist. Aber den Leuten gefällts,
und immer wieder kommen Frauen, Kinder, Männer auf die Bühne
und tanzen mit.
Um mir selbst vor Ort einen
Eindruck dieses viel diskutierten
Landes zu machen, bin ich, zeitweise begleitet von meiner Tochter, für zwei Wochen nach Eritrea
gereist. Wir haben mit der einheimischen Bevölkerung gesprochen,
mit Mitarbeitern von Entwicklungsprojekten und mit Regierungsvertretern. Wir konnten
Schulen und Spitäler besuchen; sogar zu einer Modeschau wurden
wir eingeladen. Ja, wir haben vieles gesehen, aber zu wenig, um uns
abschliessende Meinungen zu bilden. Doch darum ging es nicht.
Sogar nachts können wir mit
Menschen in Kontakt treten
Die Kathedrale dominiert die
Hauptstrasse von Asmara, auf der
jeden Abend die Passeggiata stattfindet: flanierende Menschen, die
sich auch durch den dreitägigen
Stromausfall nicht vom Sehen und
Gesehenwerden abhalten lassen.
Am ersten Abend der grossen Dunkelheit sind wir bei einer deutschen
Professorin in einem Aussenquartier von Asmara zum Essen eingeladen, die sich für die AnästhesieAusbildung am Orotta-Spital und
im College engagiert. Traudel, mit
langjährigen beruflichen Kenntnissen aus anderen afrikanischen
Ländern, erzählt viel Gutes, meint
aber: «Nur freier sollte das Land
nun für die Menschen werden.»
Nach dem Essen beschliessen
meine Tochter Kaja und ich, zu
Fuss ins Hotel zu gehen, und suchen im Dunkeln den Weg Richtung Stadtzentrum. Ohne Pfadi-
Asmara: «Ein Konzert mit viel Improvisation führte uns im Cinema Roma vor Augen, wie sehr wir an eine perfektionistische Welt gewohnt sind»
Erfahrung können wir uns nicht
an den Sternen orientieren, und so
fragen wir ein uns entgegenkommendes kleines Licht nach dem
Weg. Der Mann kehrt um und begleitet uns, bis wir uns beim Cinema Roma wieder zurechtfinden.
Sogar in stockdunkler Nacht fällt
es uns leicht, in Kontakt mit den
Menschen zu treten. Die Eritreerinnen und Eritreer sind zwar zurückhaltend und drängen sich nie
auf. Merken sie aber, dass Interesse da ist, sind sie herzlich, freundlich, hilfsbereit und offen. Nur über
Politik reden sie nicht gerne mit
Bundesrat
unter Druck: Breite
Koalition verlangt
Neuausrichtung
der Eritrea-Politik
Aussenminister Didier Burkhalter soll
mit dem Regime ein Rückkehrabkommen
für eritreische ­Asylbewerber aushandeln
uns. Über Gefängnisse schon gar
nicht. «Even the walls have ears»,
sagt uns einer, der seinem Land sehr
positiv gegenübersteht.
Zu Wochenbeginn besuchen
wir die Asmara Evangelical School
for the Deaf. Meddhin Johannes
ist Direktor der Schule für gehörlose Kinder. Der 48-Jährige hat Eritrea erlebt, als es noch eine äthiopische Provinz war. Er war früher
oft in Europa. Seine beiden Kinder
sind im National Service (NS). Er
hofft, dass sie nie illegal ins Ausland fliehen, weil er weiss, dass sie
dort keine Chance haben. Er hat
die Trostlosigkeit junger Asylsuchender in Deutschland selber gesehen.
Sein Sohn mache den NS im
Ministerium für Migration. Was
daran so schlimm sei, fragen wir
Meddhin. «Das Problem? Der NS
lässt keine Zukunft zu», sagt Medd­
hin. Die Zukunft, das heisst, eine
eigene Familie gründen zu können, da die Familie in der eritreischen Kultur etwas vom Wichtigsten ist. Und eine Familie kann sich
keiner im NS leisten. Wir wenden
ein, dass die Regierung doch beschlossen habe, den Sold von
500 Nakfa auf mindestens 2000
zu erhöhen – ein stattliches Salär
­– und den Dienst auf 18 Monate
zu beschränken. «Ja», sagt Medd­
hin und zuckt mit den Schultern.
Auch auf der Strasse fehlt der Glaube an die Versprechungen der Regierung. «Wir haben das gehört,
wir werden sehen», hören wir oft.
Es ist diese Perspektivlosigkeit,
welche die Menschen in die Resignation zwingt. Niemand stellt das
Grundprinzip der allgemeinen
Dienstpflicht infrage, wohl aber
deren Ausrichtung, die weder
Rücksicht auf persönliche Fähig-
Bern Nach der von der grünen Aar-
meabkommen für Eritreer auszuhandeln». Dieses soll die Einhaltung der Menschenrechte garantieren und Rückkehrer vor Verfolgung schützen.
politik weit über das rechte Lager
hinaus.
Neben Pfister und Vertretern
der Gruppe Hochuli will auch
FDP-Chef Philipp Müller, dass der
Bundesrat prüft, ob Eritreer zurückgeschickt werden könnten. Die
SVP und ihr Eritrea-Reiseteilnehmer Thomas Aeschi stehen mit ihrer Forderung nach einer Neubeurteilung längst nicht mehr alleine da.
Der Druck auf eine Neubeurteilung der Eritreapolitik ist auch
deshalb so gross, weil die Eritreafrage die grösste Hypothek für das
Schweizer Asylwesen geworden
ist. Während in Syrien oder Af­
ghanistan eine klar erkennbare Krisensituation herrscht, ist in Eritrea
kein Bürgerkrieg ausgebrochen.
Und trotzdem ist es das wichtigste Herkunftsland von Asylsuchenden. 2015 reichten 9966 Eritreer
in der Schweiz ein Gesuch ein –
3043 mehr als 2014. Eritreer
­machten ein Viertel aller Gesuche
aus.
Meldungen über Eritreer, die
legal in ihre Heimat zurückkehr-
gauer Regierungsrätin Susanne
Hochuli angeführten Eritreareise
wird der Druck auf eine neue Eritreapolitik des Bundesrates immer
grösser. Eine Koalition von
Politikern von ganz rechts bis in
die Mitte fordert jetzt eine «Neubeurteilung der Asylpraxis». Am
weitesten geht der designierte
CVP-Präsident Gerhard Pfister. Er
verlangt, dass anstelle der zögerlichen SP-Asylministerin Simonetta Sommaruga Aussenminister Didier Burkhalter (FDP) das Dossier
in die Hand nimmt. Er soll mit dem
Regime in Eritrea ein Rückkehrabkommen für eritreische Asyl­
bewerber aushandeln.
Weil Vertreter von Susanne
Hochulis Gruppe von Verhandlungsbereitschaft des eritreischen
Regimes über Menschenrechtsfragen und Straffreiheit für Rückkehrer berichten und einen Migrationsdialog verlangen, sieht Gerhard
Pfister jetzt «Bewegung in der Eritreafrage». Nun müsse Didier
Burkhalter nach Eritrea reisen und
dort versuchen, «ein Rückübernah-
Entwicklungshilfe in Eritrea
als Gegenleistung
Als Gegenleistung für eine Rücknahme der Eritreer soll die Schweiz
vor Ort wieder Entwicklungshilfe
leisten. So könnten Asylsuchende
zurückgebracht und der Zustrom
verkleinert werden. Diese Koppelung von Menschenrechtsgarantien, Rückübernahmeabkommen
und Entwicklungshilfe entspricht
der Strategie Deutschlands gegenüber Eritrea.
Solche und ähnliche Forderungen gab es in den letzten Monaten
schon mehrmals. Die Asylbehörden des Bundes und Bundesrätin
Simonetta Sommaruga selbst erteilten ihnen aber auch noch diese Woche eine Absage, weil die Situation in Eritrea so unklar sei, dass
nicht einmal ein verlässlicher Dialog möglich sei. Jetzt aber geht der
Ruf nach einer neuen Eritrea-
Foto: Visum
keiten und Kompetenzen noch auf
Wünsche und Motivationen
nimmt. Und die keine Zukunft zulässt, keine Möglichkeit gibt, den
Kern der eritreischen Kultur, die
Familie, für sich selber zu leben.
Wie zynisch müssen da Worte
eines Schweizer Politikers wirken,
der öffentlich sagt, er wolle in Eritrea nachschauen, ob man den NS
wirklich in einer Hotellobby abhalten könne. Ja, man kann. Nur:
Für diese Information muss man
nicht nach Eritrea reisen. Und es
beklagt sich auch keiner, der im NS
an einer Hotelréception arbeitet,
Susanne Hochuli, grüne Regierungsrätin, Aargau
Gerhard Pfister, CVP-Präsident,
Zug
Schweiz
7
wingt sie in die Resignation
e beschreibt sie ein Land, in dem die Menschen über alles reden – nur nicht gerne über Politik
tric Hospital. Aber auch der erste
Eindruck beim Ankommen lässt
vermuten, dass viel mehr Geld in
die akutsomatischen Spitäler in­
vestiert wird als in die Psychiatrie.
Ebenso sind die Health Stations
und Centers auf dem Land in un­
seren Augen armselig eingerichtet
und spartanisch ausgerüstet. Aber
der Unterschied ist deutlich: In
St. Mary’s holt sich niemand Lor­
beeren. Die einzige psychiatrische
Klinik des Landes ist nicht nur
armselig, sondern verwahrlost.
Ohne Frieden mit Äthiopien
stehen Junge «unter Waffe»
Markt für Gebrauchsgegenstände, Relikte aus dem Befreiungskampf gegen Äthiopien und Kinder unterwegs über die Arbeit. Es ist der Zustand
von «no future, no familiy», der
jungen Menschen die Perspektive
nimmt und sie resignieren lässt.
Später in der Woche treffen wir
Gesundheitsministerin Amina
Nurhussien. Sie erzählt uns, dass
die Regierung für kranke Men­
schen sorgt, auch finanziell. Übers
ganze Land seien 280 Health Sta­
tions, die Basis der Gesundheits­
versorgung in Eritrea, verteilt.
Nurses beraten und behandeln die
Menschen dort. Die meisten Be­
handlungen würden vor Ort ge­
macht, schwierigere Fälle weiter­
geschickt in die Spitäler, zuerst in
die regionalen und, falls nötig, zum
Beispiel ins Orotta Hospital in As­
mara. Mir fällt auf, dass Ministe­
ten oder sich dort unbehelligt auf­
hielten, senken die Aufnahme­
bereitschaft der Schweizerinnen
und Schweizer zudem. Für Unmut
sorgt ausserdem das offensichtli­
che Integrationsproblem: Gegen
neun von zehn hier ansässigen Eri­
treern beziehen Sozialhilfe.
ebenfalls das Schweizer Staatsse­
kretariat für Migration (SEM) in
einem Bericht, der im Juni 2015
publiziert wurde. Laut diesem er­
warten die Rückkehrer willkürli­
che Bestrafungen.
Laut dem SEM sind in die
Schweiz reisende eritreische Mi­
granten vorwiegend zwischen 15
und 30 Jahre alte Personen, die
vom obligatorischen unbegrenz­
ten Nationaldienst desertierten be­
ziehungsweise den Dienst verwei­
gert hätten. Eritreer erhielten in
der Schweiz nicht Asyl wegen der
wirtschaftlichen Situation im Her­
kunftsland, sondern aufgrund der
politisch motivierten Bestrafung
bei einer Desertion. Die Rede ist
von «Folter und anderer grausa­
mer, unmenschlicher oder ernied­
rigender Behandlung oder Strafe».
Hochuli hat Bundesrätin Som­
maruga einen Brief mit verschie­
denen Forderungen geschickt, auf
die sich die Reisegruppe geeinigt
hat. Sommarugas Justizministeri­
um und das Aussen­departement
prüfen diese nun. Denis von Burg,
Uneinigkeit über die Situation
in Eritrea
Angezweifelt wird auch immer
wieder, dass die Menschen in Eri­
trea verfolgt und von Folter be­
droht seien. Justizministerin Som­
maruga bezeichnete Eritrea letz­
ten Sommer als eine «Diktatur, ein
Unrechts- und Willkürstaat». Für
sie ist es undenkbar, Menschen da­
hin zurückzuschicken. Andere
meinen, dass Eritreer sehr wohl
unbehelligt in ihre Heimat zurück­
kehren könnten.
Für Aufsehen gesorgt hatte ein
Bericht der dänischen Einwande­
rungsbehörden. Darin hiess es, Eri­
treer würden kaum politisch ver­
folgt. Später widersprachen auch
dänische Experten diesem Urteil.
Zu einem anderen Schluss kommt
Die Geschichte
digital aufbereitet
dok.sonntagszeitung.ch
rin Nurhussien sehr gut Auskunft
geben kann über das Gesundheits­
system, die Ausbildung, das gros­
se Problem der fehlenden mensch­
lichen Ressourcen – nur 300 Ärz­
Pascal Tischhauser
te stehen den Menschen in Eritrea
zur Verfügung. Aber Fragen über
die Entlöhnung der Ärzte weicht
sie aus. «Jeder Staatsangestellte hat
einen guten Lohn», sagt sie. Auf
die Frage, wie das Gesundheitssys­
tem finanziert werde, meint sie la­
chend: «Don’t worry, alles ist gut
organisiert.»
Was für ein Kontrast zum
St. Mary’s Psychiatric Hospital. Es
ist ein trauriger Ort auf Erden. Ein
kaputter Drahtzaun fasst das stei­
nige und trostlose Gelände ein, auf
dem verschiedene heruntergekom­
mene Gebäude stehen. Eingesperrt
Foto: Visum, ZVG
ist niemand, das Tor ist offen und
der Zaun so defekt, dass alle ab­
hauen könnten, wenn sie wollten.
Es gibt andere Wege, um Men­
schen immobil zu machen.
260 Betten gross ist die Klinik, im
Moment hätten sie aber nur Kapa­
zitäten für 200 Patienten und Pa­
tientinnen, erklärt Dr. Elizabeth
Aklilu Ghebrehiwet, die einzige
Psychiaterin in einem Land mit
3,5 Millionen Einwohnern.
Auch in Eritrea ist die Psychia­
trie stigmatisiert, das zeigt sich an
der vom Stadtzentrum abgelege­
nen Lage des St. Mary’s Psychia­
Das Schlimmste an der Begegnung
ist der Kampf, den Dr. Ghebrehi­
wet mit sich selber führt. Ich spü­
re, wie sie sich schämt, mir zu zei­
gen, was für sie selber so schwie­
rig zu ertragen ist. Tag für Tag. Jah­
relang. Sie, die weiss, was gute
Psychiatrie ist, und diese nicht um­
setzen kann. Sie vertraut mir, und
dafür bin ich ihr dankbar. Dann
führt mich Dr. Ghebrehiwet durch
diesen traurigen Ort auf Erden.
Ruhig und gefasst geht sie mit mir
durch die Stationen, erklärt, grüsst
Patienten, wechselt ein paar Wor­
te, berührt sie, so respektvoll und
fürsorglich, wie es nur ein Engel
tun kann, dem das Geld fehlt, um
das Bessere zu tun. «Wir versuchen
zu ändern, was wir können.»
Bis zu seiner Unabhängigkeit
gehörte Eritrea zum Nachbarland
Äthiopien. Nach jahrzehntelan­
gen Auseinandersetzungen wur­
de 1993 der unabhängige Staat Eri­
trea ausgerufen. Nach einer kur­
zen Aufbauphase voller Hoffnun­
gen brach 1998 ein Grenzkrieg mit
Äthiopien aus, der offiziell 2000
mit dem Friedensvertrag von Al­
gier beendet wurde. Der genaue
Grenzverlauf zwischen beiden
Staaten ist immer noch umstritten,
und die Lage zwischen Eritrea und
Äthiopien bleibt angespannt.
Vor einigen Tagen treffen wir
Yemane Ghebreab, Berater des Prä­
sidenten und Head of Political Af­
fairs der People’s Front for Demo­
cracy and Justice, ein weltgewand­
ter und sehr gewiefter Mann. Er
erklärt uns, wie vermutet mit Char­
me, die Situation Eritreas am Horn
von Afrika und erläutert die
Schwierigkeiten mit Äthiopien, die
dazu führten, dass der NS zeitlich
eben unbegrenzt sei, weil man nur
eine kleine, dafür professionelle
Armee wolle. Ohne echten Frie­
den mit Äthiopien stünden die jun­
gen Leute «unter Waffe», auch
wenn sie nur 6 Monate militärisch
geschult und danach zivil einge­
setzt würden. Der NS sei neu auf
18 Monate begrenzt, und der Lohn
steige. Man habe bei dieser Sache
sicher gewisse Fehler gemacht, die
wolle man nun auch korrigieren,
sagt Ghebreab, dessen Verspre­
chungen auf der Strasse noch nicht
angekommen sind.
Warum denn so viele junge
Menschen nach Europa fliehen
würden, wollen wir wissen. Er ant­
wortet mit einer Gegenfrage:
«Warum gibt es keine legale Mi­
gration nach Europa, damit unse­
re jungen Leute bei euch studieren
können?» Die Diskussion ist offen
und lang, viele Punkte werden an­
gesprochen. «Nein», sagt Ghe­
breab, Rückkehrer, auch wenn sie
desertiert seien, würden nicht be­
straft, obwohl das Gesetz dies ei­
gentlich vorsehe. Wäre es möglich,
Beobachter nach Eritrea zu sen­
den, die dies überprüfen könnten?
«Ja», sagt Ghebreab, auch über das
könne man reden. Man könne über
alles reden, aber es brauche zuerst
einen richtigen Dialog. Wenigs­
tens für diesen Dialog scheint es in
der Regierung einen Konsens zu
geben.
Für eine Diskussion zwischen
zwei Staaten, die unterschiedlich
betroffen sind von der Migrations­
bewegung aus Eritrea in die
Schweiz. Dem einen Land läuft die
Zukunft davon, im anderen gibt es
für die Ankommenden keine Zu­
kunft, die diesen Namen verdient.
Im Gegenteil: Die im eigenen Land
erlebte Perspektivlosigkeit setzt
sich fort. Begleitet von Ausgren­
zung, feindlichen Blicken und dem
Druck, wirtschaftlich erfolgreich
sein zu müssen – schliesslich ist
man im Land der Möglichkeiten
angekommen. Nur: Die Schweiz
ist nicht das Land der Tellerwä­
scher-Karrieren. Und die Solidari­
tät der Hiesigen bröckelt.
Nein, so habe ich mir das Nord­
korea Afrikas nicht vorgestellt.
Und das Bild der Schweiz in Eri­
trea auch nicht.
Eritrea-Forderungen an Bundesrätin Sommaruga
Deutschland verhandelt auf Ministerstufe
Auf Initiative der grünen Aargauer Regierungsrätin Susanne Hochuli
­reiste in den letzten Tagen eine Gruppe Parlamentarier nach Eritrea.
Während die Grüne ganze zwei Wochen im Land verbrachte, weilten
die meisten der mitgereisten Nationalräte nur einige Tage dort.
­Zwischenzeitlich mit dabei waren neben Thomas Aeschi (SVP) auch
auch Claude Béglé (CVP), Christian Wasserfallen (FDP) und Yvonne
Feri (SP).
Wer aus Eritrea nach Deutschland
flieht, hat allerbeste Chancen, bleiben zu dürfen. 97 Prozent aller Anträge auf Asyl oder Flüchtlingsschutz werden aktuell anerkannt.
Aus keinem anderen afrikanischen
Land kommen mehr Menschen
nach Deutschland. Im vergangenen Jahr waren es 25 000.
Schon seit 2007 zahlt Deutschland ­
keine Entwicklungshilfe
mehr an Eritrea. Das soll sich nun
ändern. Der zuständige Berliner
Minister, Gerd Müller (CSU), war im
Dezember auf Staatsbesuch am
Horn von Afrika. Offizielles Ziel der
Reise war, Möglichkeiten zur Bekämpfung der Fluchtursachen auszuloten.
Dabei bot er dem Land Hilfeleistungen an – im Gegenzug zu geforderten Menschenrechtsverbesserungen. Minister Müller bekannte, dass er selbst ebenfalls
sein Land verlassen würde, wäre
er ein Bürger von Eritrea. Nicht so
sehr wegen der fehlenden Men-
Die Reisegruppe einigte sich letzten Freitag auf die folgenden zentralen
Forderungen, welche Susanne Hochuli in einem Brief an Justizministerin
Simonetta Sommaruga formulierte:
– Es solle eine hochrangige Fact Findig Mission nach Eritrea geschickt
werden: «Es ist zu prüfen, ob Staatssekretär Mario Gattiker Sonder­
botschafter Eduard Gnesa oder sogar Bundesrätin Sommaruga selbst
oder Aussenminister Didier Burkhalter nach Eritrea reisen sollte.»
– Auch eine «ständige Vertretung», also beispielsweise die Errichtung
­einer Botschaft in Eritreas Hauptstadt Asmara, solle geprüft werden.
Ziel müsse die Verbesserung der Beziehungen zu Eritrea sein. Hochuli
spricht von einem «Dialog auf Augenhöhe».
– Es solle ein Entwicklungshilfe-Schwerpunktprogramm im Land lanciert
werden.
– Ziel eines Migrationsdialogs soll der Abschluss einer Migrationspartnerschaft sein.
Zudem hat Regierungsrätin Susanne Hochuli Bundesrätin Simonetta
­Sommaruga um ein G
­ espräch angefragt, in dem die Forderungen der Reisegruppe erörtert werden sollen.
schenrechte, sondern als ein sogenannter Wirtschaftsflüchtling.
Der Minister wörtlich: «Flucht ist
die einzige Möglichkeit, dem Elend
zu entkommen.»
Welche Gründe die Flüchtlinge
jeweils geltend machen, wird in
Deutschland statistisch nicht
­erfasst. Eritrea gilt als repressive
Diktatur mit – gemäss UNOBericht – «umfassenden und systematischen Menschenrechts­ver­
letzungen».
Die deutsche Bundesregierung
spricht allerdings auch über die
fehlenden Zukunftsperspektiven
in Eritrea: «Die Menschen verlassen das Land wegen der desolaten wirtschaftlichen Lage.»
Im Ranking der Herkunftsländer
von Flüchtlingen in Deutschland
liegt das vergleichsweise kleine
Land Eritrea mit nur 6,3 Millionen
Einwohnern derzeit an siebter
­Stelle. Deutlich angeführt wird diese Liste von Syrien, dem Irak und
Afghanistan.
Werner Thies