preisraetsel (PDF, 1 MB )

J6
k u lt u r b e u t e l
ver.di publik 05 · 2015
··········································
k u lt u r b e u t e l
ver.di publik 05 · 2015
k i n o ·······························································································································································
Jetzt wird’s
persönlich
······································································································
Freundschaft – 626 Freundinnen und Freunde versammelt die amerikanische Fotografin Tanja Hollander
auf ihrer Facebook-Seite. Über drei Jahre hat sie damit
verbracht, alle Facebook-Freunde zu besuchen und zu
fotografieren. Ihre Arbeit, die jetzt gleich einer Tapete
in der Ausstellung Freundschaft im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden zu sehen ist, hat sie „Are you
really my friend?“, „Bist du wirklich mein Freund?“
genannt. Dies ist auch die große Frage dieser Ausstellung: Wann ist ein Freund ein Freund? Oder: Wann ist
Freundschaft wirklich Freundschaft?
In Die Yes Men – Jetzt wird’s persönlich wird die Arbeit der beiden Polit-AktionsKünstler Jacques Servin und Igor Vamos nun schon zum dritten Mal in einem Film
dokumentiert. Wieder ist der Zuschauer hautnah dabei, wenn die yes Men und ihre
Unterstützer skrupellose Umweltverschmutzer, neoliberale Krisen-Gewinnler und
verantwortungslose Profiteure mit Humor und viel Schauspieltalent in Verlegenheit
bringen. So stürzt der Aktienkurs des Chemie-Riesen Dow um drei Prozent ab, als
ein angeblicher Firmensprecher im Fernsehen verkündet, das Unternehmen werde
endlich die Verantwortung für das Bhopal-Unglück von 1984, immer noch die
schlimmste Chemie-Katastrophe der Geschichte, übernehmen.
Wie zu erwarten, gibt es auf diese Frage nicht nur
eine Antwort. Und je nach eigener Haltung fallen die
Antworten immer auch ein bisschen anders aus. Bevor
man nämlich die fünf großen Ausstellungsräume
betritt, aktiviert man erst mal einen Chip mit seinem
persönlichen Besucher/innenprofil. Dafür muss man
Fragen wie „Schließt Sex Freundschaft aus?“ beantworten. Es ist eine der Fragen, die sicherlich nicht alle
mit „natürlich nicht“ beantworten werden. Und so
mäandert man durch diese Ausstellung, vorbei an
Staats-, Brief-, Tier-, Facebook- und einigen anderen
Freundschaften, und ist immer wieder erstaunt darüber, wie sich die Begleittexte zu einzelnen Facetten
des Themas ändern, wenn man sein Profil abruft.
Der Abschluss der yes-Men-Trilogie entwickelt aber, verglichen zu den ersten beiden Filmen, eine ganz neue Qualität: Erstmals stehen nicht die politischen Aktionen
der beiden Protagonisten allein im Zentrum, sondern auch ihr Privatleben wird
beleuchtet. So wird Servin über dem zeitfressenden Aktivismus von seinem Lebensgefährten verlassen, während Vamos Vater wird und sich zwischenzeitlich ins Privatleben zurückzieht. Auch die darüber entstehenden Spannungen zwischen den
beiden werden nicht ausgespart.
Botschaft verkündet: Politisches und gesellschaftliches Engagement ist nicht nur nötig und anstrengend,
nervtötend und frustrierend, sondern kann trotzdem eine Menge Spaß machen.
Thomas Winkler
Die Yes Men – Jetzt wird’s persönlich –UsA/d/f/nl/dÄ 2015, r: lAUrA nix, 91 Min,
kinostArt: 20. AUgUst 2015
···················································································································································································································
lienstadthaus gegen eine todschicke
Eigentumswohnung über den Dächern
von Manhattan
zu tauschen.
Zwischendrin genießen beide seine sturen Fahrstunden für sie,
die verwöhnte
Frau in der Krise.
Wenn die zwei doch nicht zusammenkommen, bricht es uns Zuschauern aber
nicht das Herz. Denn sie haben sich gegenseitig Lektionen darin erteilt, vom
Mitmenschen zu lernen. Ein Spielfilm,
der nicht auf einem Roman basiert, son-
dern auf einem Artikel der Us-Politikkolumnistin Katha Pollitt.
Jutta Vahrson
UsA 2014, r: isAbel coixet. d: pAtriciA
clArkson, ben kingsley, sAritA choUdhUry, JAke weber, 90 Min., kinostArt:
6. AUgUst
Taxi Teheran – Ein Sammeltaxi unterwegs irgendwo in Teheran. Am Steuer
sitzt der Filmemacher selbst, unter seinen Fahrgästen finden sich die unterschiedlichsten Typen: Ein Fundamentalist und eine Lehrerin streiten über die
Todesstrafe, ein Cineast vertreibt verbotene Arthaus-Filme, eine Anwältin ver-
tritt eine Hungerstreikende im Gefängnis. Dem oppositionellen Filmemacher
gelingt es auf
sehr kreative
Weise, sich über
sein Berufsverbot hinwegzusetzen. Mit einfachen Mittel
und nahezu dokumentarisch erzählt er vom schwierigen Alltag in einer Diktatur. Es ist im
Hinblick auf die aktuelle Debatte über
den Islam der richtige Film zur richtigen
Zeit, ein starkes Bekenntnis zur Freiheit
der Kunst. Die wichtigste Rolle spielt
Panahis kesse Nichte, auch sie ist sein
Fahrgast. Das Mädchen soll mit einer
Kleinkamera einen Kurzfilm für ein
Schulprojekt drehen, natürlich nach islamischen Regeln, was bedeutet: keine
politischen und wirtschaftlichen Themen, schon gar keine kritischen Töne.
Taxi Teheran vermittelt mitnichten ein
optimistisches Bild der iranischen Gesellschaft, aber dank subtilem Humor
und leisem Zynismus verströmt die
Studie eine wohltuende Leichtigkeit.
Kirsten Liese
irAn 2014. r: JAfAr pAnAhi. d: JAfAr
pAnAhi U.A., 82 Min., Verleih: weltkino,
kinostArt: 23. JUli
F O T O S : P R O M O ; V E R L E I H ; N A T E “ I G O R ” S M I T H _ D E S I G N B y P U B L I C S O C I E T y ; M A R E K K R U S Z E W S K I © V G B I L D - K U N S T, B O N N 2 0 1 5 ; G U N T H E R L I T T W I N S K I T E L L E
· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · m u lt i m e d i a · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·
www.selbstversorger.de – Obst und
Gemüse einlagern oder sogar selbst anbauen, Brennholz oder Saatgut selbst
erzeugen – welche Vorteile es haben
kann, sich selbst zu versorgen, wie man
daran Freude hat und was es dafür
braucht, darüber informiert die Webseite www.selbstversorger.de. Im Mittelpunkt steht der eigene – oder auch
gemeinschaftlich organisierte – Nutzgarten: Man erfährt, wie man ihn plant
und anlegt, wie man den Boden bearbeitet und wie man den Jahreszeiten
entsprechend gärtnert. Sogar das Herstellen eigenen Saatguts findet Berück···········································
Der Streik der Postbediensteten
eskalierte Ende Juni, weil das
Unternehmen den Arbeitskampf zu
unterlaufen versuchte. Dagegen protestierten sogar spd-Länderminister.
Was war passiert?
r Die Post ließ Sendungen durch
„Freiwillige“ am Sonntag zustellen
a Die Post drohte, die Streikenden
auszusperren
z Die Post ließ größere Sendungen
durch Amazon ausliefern
Arbeitsministerin Andrea Nahles
hat viele Ideen, doch nicht immer
sind sie zu Ende gedacht. Von welcher
ihrer Ideen waren so wenige angetan,
dass das Projekt offiziell zurückgezogen
wurde?
t von der Mütterrente
c vom weitgehenden Verbot von
Paternostern
b von der Bekämpfung des
Missbrauchs bei der Zeitarbeit
sichtigung. Doch auch für jene, die
selbst nichts anbauen und ernten können, bietet die übersichtliche Webseite
viele Anregungen und Anleitungen,
etwa zum Einmachen und Einfrieren,
Einlegen, Trocknen und Räuchern oder
auch zum Lagern. Da hinter all dem ein
Buchverlag
steht, wird man
sehr häufig auf
passende Sachbücher hingewiesen. Und
viele Tipps für
geeignete Werk-
zeuge und Behältnisse sind direkt mit
Kaufangeboten im integrierten OnlineShop verknüpft. Gleichwohl ermöglicht
die sehr informative und eher unaufdringlich wirkende Website einen guten
Einstieg in die Selbstversorgung.
Henry Steinhau
www.wasserwege.eu – Ob per Segeloder Motorboot, ob paddelnd, rudernd
oder tretend, ob mit eigenen Wasserfahrzeugen oder als Passagier – bevor
man auf’s Wasser geht, muss man wissen, wo welche Wasserwege überhaupt
„schiffbar“ sind. Genau diese Frage stellt
die Webseite Wasserwege.eu in den
Mittelpunkt und beantwortet sie ebenso
gründlich wie pragmatisch. Für knapp
30 Länder Europas erhält man zahlreiche
Wasserwegbeschreibungen, die jeweils
nach dem gleichen Schema aufbereitet
sind. Im Kopf finden sich Steckbrief-ähnliche Angaben
zum „Profil“ des
Gewässers, wozu die Länge des
Wasserwegs und
dessen Schwierigkeitsgrad zählen, die landseiti-
ge Infrastruktur oder auch die Frequentierung durch Boote oder Schiffe sowie
etwaige Voraussetzungen wie beispielsweise ein Boots-Führerschein. Darunter
erläutern und illustrieren weitere Texte
und Fotos die Natur oder die geografischen Gegebenheiten, anliegende Orte
und Weiteres. Die Rubrik „Aktuelles“
verzeichnet nützliche Meldungen, etwa
zu Schleusenschließungen und -öffnungen oder zu aktuellen Baumaßnahmen.
Nicht zuletzt finden sich Links zu einem
Bootsvermieterverzeichnis und Last
Minute-Wasserreiseangeboten.
Henry Steinhau
p r e i s r ät s e l ·····················································································································································
Und in Frankreich stand Umweltministerin Ségolène Royal
blamiert da, obwohl sie im Kern einer
sinnvollen Idee folgte. Nach zwei
Tagen entschuldigte sie sich bei ihren
Landsleuten für
ö den Vorschlag, einen Tag pro Woche
vegetarisch zu essen
f ihren Aufruf, kein Nutella mehr zu
essen, da es viel Palmöl enthalte.
Dessen Anbau zerstört die Regenwälder
g die Forderung, die Hälfte der
französischen Atomkraftwerke
abzuschalten
Da machen es die Roboter
offenbar besser. Einer heißt
Myon, und er beeindruckte mit
seinen Leistungen
d als Linienrichter bei der FrauenFußball-WM
y als Hotel-Butler der Queen bei deren
Deutschlandbesuch
s als experimenteller Darsteller bei
Auch für Kinder gibt es ein Profil, allerdings eines für
alle. Kindgerecht wird versucht, den jungen Besucher/
innen zu verdeutlichen, dass die Freundschaft zu Tieren möglicherweise keine beiderseitige ist. Schließlich
könnten sich Haustiere ihre Freunde ja nicht aussuchen. Sie werden gekauft, man bekommt sie geschenkt und sie müssen sich dann zwangsläufig befreunden. Das eigene Kind will davon nichts wissen.
Selbstverständlich sei der Kater zuhause der beste
Freund, der schnurre doch immer.
Viel Zeit kann man vor allem vor dem großen „Atlas
der Freundschaft“ verbringen, eine riesige, ausgeleuchtete Karte. Im Zentrum dehnt sich dort die
Freundschaft auf weiter Flur aus. Zur Liebe muss man
bereits einige Berge und Klippen nehmen, während
der Sex einem Gipfelsturm gleichkommt, zu dessen
Füßen zum einen der kleine „Baggersee“ und zum anderen der üppige „Fjord des Eros“ liegt. Der Atlas ist
ganz sicher einer der Höhepunkte dieser Themenausstellung, die man – wenn auch noch mit offenen Fragen – ganz und gar befriedigt wieder verlässt.
Petra Welzel
deUtsches hygiene-MUseUM, lingnerplAtz 1, dresden,
bis 1. noVeMber 2015, di-so 10-18 Uhr
···················································································································································································································
Das Ergebnis ist eine mitunter holprige, aber schlussendlich doch faszinierende Mixtur aus PropagandaFilm und Polit-Biografie. Die ebenso aufrüttelt wie nachdenklich stimmt, vor allem aber eine wichtige
Learning to Drive: Fahrstunden fürs
Leben – Konstruiert wie eine Liebeskomödie, eine Irreführung. Wir beobachten abwechselnd das Leben einer top
bezahlten Literaturkritikerin mit Ehekummer (Patricia Clarkson) und das eines legal eingewanderten Sikh-Akademikers als Taxifahrer und Fahrlehrer
(Ben Kingsley). Ähnliche Themen – Maloche, Kohle, Gefühle – betreffen beide
ganz unterschiedlich. Er lebt als Single
in einer Mietskellerwohnung in Queens,
die ihm als privates Auffanglager für
verzweifelte, weil weniger legale Landsleute dient. Sie ist durch Scheidungsungerechtigkeiten gezwungen, ihr Fami-
a u s s t e l l u n g ·······················································································
ein freUnd, ein
gUter freUnd …
Wie weit können ein Anzug aus zweiter Hand, ein paar gefälschte Visitenkarten
und Pressemitteilungen einen bringen? Kurzfristig zumindest in die Vorstandsetagen großer Konzerne, von dort in die Abendnachrichten und die Schlagzeilen, aber,
wenn es blöd läuft, auch ins Gefängnis. Das ist das Risiko, wenn man versucht,
die Mächtigen bloßzustellen, wie es den yes Men, der weltweit bekanntesten
Spaßguerilla-Truppe, seit gut 15 Jahren immer wieder gelingt.
Während sie also nun zum Klimagipfel nach Kopenhagen reisen oder in Uganda die
Folgen der Erderwärmung studieren, erzählen Servin und Vamos aus dem Off von
gescheiterten Beziehungen und einsamen Nächten, Frustrationen und Ängsten, die
ein Leben als Polit-Aktivist mit sich bringt.
J7
My Square Lady an der Komischen
Oper in Berlin
Es war eine Premiere in der
Us-Hauptstadt: Das Weiße Haus
ganz bunt! Am 26. Juni ließ Us-Präsident Obama seinen Amtssitz in den
Farben des Regenbogens erleuchten.
Was war der Anlass?
j das jährliche Sommerfest
p das Urteil des Obersten Gerichts, das
landesweit die Homo-Ehe erlaubte
k das Coming-Out von Pentagon-Chef
Ashton Carter
Kurz zuvor hatte Obama im
Kongress einen wichtigen
Erfolg errungen. Die Abgeordneten
gaben ihm mit dem sogenannten
„Fast Track“-Gesetz
h weitgehende Vollmacht, Freihandelsabkommen wie ttip auszuhandeln
ä die Möglichkeit, schnelle Eisenbahnverbindungen zu bauen
l das Recht, verdiente Immigranten
beschleunigt einzubürgern
Junge Gewerkschaftsmitglieder
brauchen gute Ideen, um andere
Beschäftigte zu überzeugen, sich für
ihre Interessen stark zu machen.
ver.di hat die gute Idee, sie dafür zu
coachen – und zwar mit
e einer Smartphone-App namens
„Arsch hoch“
w Fortbildungen in den
Sommermonaten
i der Trainingsreihe „Empower!“
In Deutschland sind wir sooo
umweltbewusst – und machen
doch mehr Müll als andere Europäer
– über 600 Kilogramm pro Kopf und
Jahr. Das liegt auch daran, dass pro Tag
bei uns
i 16 Millionen Pappbecher
weggeworfen werden
m 16 Millionen Matratzen entsorgt
werden
u 16 Millionen Kilo Katzenstreu in der
Tonne landen
Wir verlosen
unter allen richtigen Einsendungen
3x Dominique Manottis Krimi
Abpfiff aus dem Argument Verlag.
Die Kennbuchstaben der richtigen
Lösungen, ergeben, neu sortiert,
eine gesunde sommerliche
Erfrischung.
Bitte schicken Sie eine Postkarte
mit dem Lösungswort bis zum
15. September 2015 (Datum des
Poststempels) an: ver.di publik
Preisrätsel, 10112 Berlin.
Letztes Lösungswort: selektor
Gewonnen haben: J. Stelte
(Oberursel), D. Zahn
(Saalfeld/Saale) K. Steinberg
(Löwenberger Land).
Herzlichen Glückwunsch!
Gehorsam – Ob Judentum, Christentum oder Islam, alle drei Religionen
basieren auf der Geschichte von Abraham, dessen Glaube so groß und fest
ist, dass er sogar bereit dazu ist, seinen einzigen, lange ersehnten Sohn für
diesen Glauben zu opfern. Es ist mutig,
in Zeiten, in denen selbsternannte
Gotteskrieger tödliche Attentate auf
unschuldige Menschen verüben, eine
Ausstellung über dieses alttestamentarische Thema mit dem zunächst provokanten Titel Gehorsam zu zeigen. Aber
diese sehr einfühlsame Installation des
Filmemachers Peter Greenaway und
der Multimediakünstlerin Saskia Bod-
deke über 15 Räume führt ihre Betrachter/innen durch die Geschichte und
teils auch Gegenwart, um zu zeigen,
wo zu gehorchen von Nutzen ist und
wo falsch verstandener Gehorsam
beginnt. Im Epilog bindet ein kleiner
Junge, unterstützt von einem älteren
Mann, seine Schnürsenkel. Von hier an
begleitet einen
die immer gleiche Musik durch
Räume, die
nicht unterschiedlicher sein
könnten. Jeder
Raum ist aber
auf eine besondere Art sinnlich erlebbar. Und kein Raum lässt daran zweifeln, dass das menschliche Drama
Abrahams für vermeintlich höhere
Motive missbraucht wurde und wird.
Petra Welzel
Jüdisches MUseUM berlin, lindenstr.
9-14, bis 13. septeMber, Mo 10-22 Uhr,
di-so 10-20 Uhr
Erwin Wurm. Fichte – Der Currybus
ist wie gemacht für die Stadt Wolfsburg. Ein alter Bulli, curryfarben, hoch
glänzend zwar, aber irgendwie aus
dem Leim gehend, steht er in der Vw Stadt vor dem Kunstmuseum, als wür-
de er zu einer Verballhornung des
Volkswagen einladen. Aber in der großen Ausstellungshalle bekommt dann
auch ein Mercedes sein Fett weg. Ein
übergroßes menschliches Bündel ist
auf das Dach einer schwarzen SternLimousine gekracht mit den entsprechenden Folgen. Willkommen in Erwin
Wurms deutschem Tannenwald! Die Ausstellung des
österreichischen
Bildhauers findet in der Reihe
Künstlerprojekte
statt, und Erwin Wurm konnte offenbar nicht anders, als in der Autostadt
neben des Deutschen liebsten Stücks
auch noch den deutschen Wald gegen
den Strich zu bürsten. Deshalb hängen
jetzt im Museum die Fichten verkehrt
herum von der Decke und andere
Waldgeister pflastern den Parcours.
So wandert man durch ein modernes
Kuriositätenkabinett, in dem das nicht
Normale zum Individuellen wird. Und
in diesem Wald lässt sich dann tatsächlich sagen: Die Gedanken sind frei.
Petra Welzel
kUnstMUseUM wolfsbUrg, hollerplAtz
1, bis 13. septeMber 2015, di-so 11-18 Uhr
··········································· b u c h ·······························································································································································
Hassan Blasim: Der Verrückte vom
Freiheitsplatz – Halbwüchsige, die
stehlen und vergewaltigen. Militärpolizisten und Staatssicherheitsleute, die
ihre Mitbürger schikanieren. Verzweifelte Flüchtlinge ohne Hoffnung auf eine
anständige Unterkunft. Der 42-jährige
irakische Autor Hassan Blasim erzählt in
seinen neuen Kurzgeschichten von
Menschen in einer erbarmungslosen
Welt und von einem Land, das sich seit
35 Jahren im Krieg befindet. Seine Heimat Irak ist geprägt von einer langen,
bitteren Vergangenheit aus Gewalt und Unterdrückung.
Blasim beobachtet Gemüsehändler, Taschendiebe und
Zigarettenverkäufer. Er schildert makabere Morde in heruntergekommenen
Vierteln und Religionskriege. Sein Stil ist
trocken, schonungslos und dokumentarisch. Blasim, der 2004 nach Finnland
emigrierte, dreht seine Kurzgeschichten
gelegentlich auch ins Surreale und
überzeugt mit subtilem Charme. Er ist
ein bitterböser, hellwacher Chronist des
irakischen Chaos. Nachhaltige Hoffnung
hat er nicht, denn „der brüchige Friede,
der zurzeit herrscht, ist nichts als ein
schlafender Vulkan“.
Günter Keil
kUnstMAnn VerlAg, 256 seiten, übersetzt Von hArtMUt fÄhndrich, 19.95 €
Dominique Manotti: Abpfiff – Glauben wir wirklich, im Milliardengeschäft
„globaler Fußball“ gehe es außerhalb
der fifA seriös zu? Glauben wir wirklich,
nur im Radsport werde gedopt und Turbo-Offensive im Fußball funktioniere mit
Traubenzucker? Nach Dominique Manottis rasantem Krimi wären wir naiv, das
weiterhin zu glauben. Im glänzend
recherchierten Plot der preisgekrönten
Königin des französischen Polizeikrimis
muss ihr scharfsinniger Pariser Drogenfahnder Daquin tief in einen Sumpf aus
korrupter Kommunalpolitik, brutalem
Fußballgeschäft und lukrativem Drogenhandel steigen, um den Mord an einem
Kollegen aufzuklären. Die Romane der
Historikerin und Ex-Journalistin sind mit
ihrem glasklaren, unsentimentalen und
temporeichen Stil ein Spiegelbild unserer
gewalthaltigen Wirklichkeit; kurze, harte
Sätze treiben die Spannung voran, kein
Wort ist zuviel. Nahezu schmerzhafte
Unmittelbarkeit gelingt ihr durch konsequentes Präsens.
Manotti seziert
kühl die Machenschaften spätkapitalistischen
Raubrittertums,
ihr Commissaire
ermittelt illusionslos, aber nicht depressiv, genießt die
französische Küche, seinen Liebhaber
und weiß, dass die Glieder der Krake
nachwachsen, wenn man ihr einige abtrennt. Wer Manottis Meisterwerk schon
auf dem Weg in die Ferien atemlos verschlingt, kann sich mit bislang fünf
weiteren Übersetzungen ihrer Krimis
trösten.
Ulla Lessmann
AriAdne kriMinAlroMAn iM ArgUMent
VerlAg, 230 s., übersetzt Von AndreA
stephAni, 17 €
Blachut/Klages/Kuhn (Hg.): Reflexionen des beschädigten Lebens? –
„Angesichts der großen Lücken, die
sowohl in den Häuserreihen als auch in
den Familien klafften, war es kaum
möglich, das Vergangene vollständig zu
verdrängen“, schreibt Sarah Kordecki in
ihrem Beitrag für diesen Sammelband
über das deutsche Nachkriegskino. Ihre
kluge Untersuchung von weniger bekannten Heimatfilmen der 1950er Jahre
unter dem Titel Heile Welt ohne Vergangenheit? bringt überraschende
Ergebnisse. In einem Genre, das als
Verdrängungsfilm gilt, spürt sie das
Unheimliche auf. Sie zeigt, wie das
Schweigen und Verschweigen durchbrochen wird, indem das Thema einer
alten Schuld der Vätergeneration immer
wieder neu behandelt wird. Auf indirekte, anspielungsreiche Weise werden so
die Themen Kriegsschuld, Vertreibung
und Massenvernichtung behandelt, die
die Zuschauer mit ihren Erfahrungen
ergänzten. Dagegen blieben Filme, die
die Frage der Schuld direkt behandelten,wie Morituri (1947/48) von Eugen
york, der erste
deutsche Spielfilm zum Thema
Holocaust, erfolglos.
Bettina Klix
nAchkriegskino
in deUtschlAnd
zwischen 1945 Und1962, edition text +
kritik, München, 2015, 357 s., zAhlreiche AbbildUngen, 39 €
··········································· musik······························································································································································
Alune Wade & Harld López-Nussa:
Havana – Paris – Dakar – Warum
fasziniert die afrokubanische Musik die
Westafrikaner so sehr? Sie hören darin
Echos ihrer eigenen afrikanischen Kultur, die durch die Nachfahren afrikanischer Sklaven in der neuen Welt vielfältigste Verästelungen hervorgebracht
hat. Der glänzend aufgelegte senegalesische Bassist und Sänger Alune Wade
zeigt im transatlantischen
Bündnis mit dem
brillanten kubanischen Pianisten Harold López-Nussa, wie
groß und bereichernd die musikalische Schnittmenge
ist, aus der sich schöpfen lässt. In ihrem
ersten gemeinsamen Projekt erkunden
sie ein weiträumiges Terrain aus Rumba,
Cha-Cha-Cha, kapverdischer Morna,
arabischem Raï-Klassiker und SongPerlen aus der Feder von Afro-Stars wie
Manu Dibango und Salif Keita. Zu ihrer
vor Spielfreude überschäumenden
Quintett-Formation stoßen illustre Gäste wie die kapverdische Sängerin Sara
Tavares, der österreichische Gitarrist
Wolfgang Muthspiel, der marokkanische Percussionist Aziz Sahmaoui und
Mitglieder vom kubanischen Orquesta
Aragón. Die perfekte Sommer-cd –
leichtfüßig und unbeschwert, aber nicht
ohne Tiefgang.
Peter Rixen
cd, world VillAge / hArMoniA MUndi
Boy: We Were Here – Eigentlich ist es
doch ganz einfach, einen Hit zu landen.
Man braucht bloß gute Songs mit berückenden Melodien und dann noch jemanden, der singen kann wie ein Engel.
Ja, so einfach ist das manchmal, genau
so jedenfalls haben Boy vor vier Jahren
mit ihrem Debütalbum Mutual Friends
eine phantastische Erfolgsgeschichte
geschrieben. Ohne Skandal, ohne Medienhype und ohne sich dem Zeitgeist
an den Hals zu werfen, einfach nur mit
Hilfe von guter Musik wurde das Hamburger Duo sogar im Ausland bekannt.
Nun, mit ihrem zweiten Werk We Were
Here werden Valeska Steiner und Sonja
Glass, da muss
man kein Prophet sein, diese
Erfolgsgeschichte nahtlos fortsetzen: Denn
schlauerweise
haben die beiden nichts verändert. Der mit dezenter
Elektronik ausgepolsterte, aber jederzeit
watteweiche Sound zwischen Folk und
Pop wirkt, als sei er in der Lage, Steine
zum Schmelzen zu bringen. Noch besser: Die Songs und ihre Melodien
scheinen in ihrer makellosen Schönheit
tatsächlich direkt aus dem Himmel
gefallen zu sein.
Thomas Winkler
cd, grönlAnd/ roUgh trAde
Gabi Delgado: 2 – Als wäre die Zeit
stehen geblieben. Oder besser: Als
würde die Zeit immer noch genau in
jenem abgehackten Takt vergehen,
mit dem die Deutsch-AmerikanischeFreundschaft einst ein ganzes Land
schockierte. 34 Jahre nach Tanz den
Mussolini legt dAf-Sänger Gabi Delgado-López mit 2 nicht nur vom Umfang
her ein Monster von Platte vor. Eine
Doppel-cd mit insgesamt 32 Tracks mit
exakt derselben elektronischen Marschmusik, die damals das Techno-Zeitalter
vorherahnte. Über gnadenlos stumpf
pumpenden Beats wechseln sich S/MFantasien ab mit einem Loblied auf den
Erdbeerkuchen. Mal fordert er eine
„neue deutsche Clubmusik“ ein, befiehlt dann martialisch „Zerstör die Disco“, analysiert mit wenigen schneidigen
Sätzen „die Lage der Nation“ und stellt
schließlich fest: „Sex und Drogen und
Liebe machen glücklich.“ Erstaunlich ist,
dass Delgados bisweilen indifferentes
Spiel mit faschistischer Ästhetik,
sexualisierten
Metaphern und
Party als Religionsersatz immer
noch zu verunsichern und irritieren versteht. Und das ist immer noch
das Größte, was Kunst leisten kann.
Thomas Winkler
cd, obliVion/spV