Dossier für Lehrpersonen_Der Kontinent

Material für Lehrkräfte zur Ausstellung
INHALT
Übersicht zur Ausstellung Der Kontinent Morgenthaler
Veranstaltungen
Angebot für Schulen, Kindergärten und Gruppen
Ausstellungsinformation
Einführungstexte an der Wand
Bildauswahl
Infoblatt zum Museumsbesuch
Seh-Kiste und Projektraum enter
Anregungen für den Ausstellungsbesuch
Mit Vor- und Nachbereitung
Impressum
Thun, September 2015
Texte zur Ausstellung: Susanna Lerch
Anregungen und Angebote Kunstvermittlung: Sara Smidt, Rut Reinhard
Kontakt
Sara Smidt, Kunstvermittlung
[email protected], Tel.: 033 225 86 10
2
3
5
7
9
17
22
24
25
26
ÜBERSICHT ZUR AUSSTELLUNG
DER KONTINENT MORGENTHALER
Eine Künstlerfamilie und ihr Freundeskreis
Kunstmuseum Thun, 5. September – 22. November 2015
Das Kunstmuseum Thun zeigt mit der Ausstellung Der Kontinent Morgenthaler. Eine Künstlerfamilie und
ihr Freundeskreis das Schaffen und das grosse Beziehungsnetz der aus dem Bernbiet stammenden Künstlerfamilie. Die Ausstellung verbindet drei Generationen der Familie und spannt den Bogen von der Malerei
über die Literatur, die Musik und angewandte Kunst bis hin zur Wissenschaft.
Die aus dem Bernbiet stammende Künstlerfamilie Morgenthaler lebte im frühen 20. Jahrhundert inmitten
eines grossen Beziehungsnetzes, in dem sich wichtige künstlerische und geistige Strömungen der Zeit begegneten und gegenseitig beeinflussten. Ausgehend vom Maler Ernst Morgenthaler, er gehört zu den wichtigsten figurativen Malern der Schweizer Kunst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und seiner Frau
Sasha Morgenthaler-von Sinner, die mit ihren Sasha-Puppen weltberühmt wurde, zeigt die Ausstellung Der
Kontinent Morgenthaler ein generationenübergreifendes und lebendiges Familien- und Künstlerfreundschaftsgeflecht.
Zu den wichtigsten Protagonisten der Ausstellung gehören neben Ernst und Sasha Morgenthaler der Psychiater Walter Morgenthaler. Mit seiner Publikation über Adolf Wölfli und als Begründer der Sammlung des
heutigen Psychiatriemuseums Bern, steht er am Anfang des kunsthistorischen Diskurses über die Art Brut.
Deren Vetter Hans Morgenthaler, genannt Hamo, Dichter und Schriftsteller, zählt zu den Wegbereitern der
modernen Poesie in der Schweiz. Die beiden Söhne Niklaus und Fritz führten abenteuerliche Leben: Der ältere Sohn Niklaus war Architekt. Sein Bruder Fritz Jongleur, begabter Maler und erfolgreicher Psychoanalytiker, ist einer der Begründer der Ethnopsychoanalyse. Und schliesslich sind auch deren Söhne aus der jungen
Generation Jan und Marco Morgenthaler sowie dessen Frau Manù Hophàn in der Ausstellung vertreten.
Durch den grossen Freundeskreis der Familie wird in der Ausstellung der Bogen von der Malerei über die
Literatur, Musik, angewandte Kunst bis in die Wissenschaft gespannt. Erstmals dokumentiert und illustriert
sie so die engen Verbindungen und den Austausch unter den einzelnen Mitgliedern sowie ihrem grossen
Freundeskreis. Denn beides, das familiäre und das künstlerische Netzwerk, trugen zum Entstehen der jeweiligen Lebenswerke bei. Zum engen Bekanntenkreis gehörten Persönlichkeiten wie die Maler Cuno Amiet,
Paul Klee und Johann von Tscharner, die Bildhauer Karl Geiser und Hermann Hubacher, die Schriftsteller
Hermann Hesse und Robert Walser, der Komponist Othmar Schoeck und Arthur Honegger und der Physiker
Wolfgang Pauli.
3
Die Ausstellung im Kunstmuseum Thun ist in Zusammenarbeit mit dem Künstler und Co-Kurator Pascal Barbe entstanden und umfasst etwa 150 Werke, eine grosse Zahl von Briefen, Büchern und historischen Fotografien. Mehr als die Hälfte der Exponate sind Leihgaben und stammen aus dem Nachlass Ernst und Sasha
Morgenthaler, aus Privatsammlungen, Schweizer Museen und Institutionen (u.a. Zentrum Paul Klee, Bern,
Landesmuseum Zürich, Stiftung Pestalozzianum Zürich, Fotostiftung Winterthur, Schweizerische Nationalbibliothek, Fondazione Hermann Hesse, Stiftung Psychiatrie-Museum Bern, Museum für Gestaltung Zürich).
Mit all dem veranschaulicht sie die intensiven Künstlerbeziehungen innerhalb der Familie Morgenthaler und
ihre rhizomartigen Verbindungen und Verzweigungen, die stets neue Kristallisationskerne bildeten.
Katalog
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog (D). Herausgegeben vom Kunstmuseum Thun, Helen Hirsch und Pascal
Barbe
Kunstmuseum Thun und Verlag Scheidegger & Spiess.
Mit einem Vorwort von Helen Hirsch und Beiträgen von Pascal Barbe, Steffan Biffiger, Regina Bucher, Sophie
Cailleux, Lucas Marco Gisi, Anna Lehinger, Katrin Luchsinger, Jan Morgenthaler, Maya Nadig, Roger Perret
und Eva Wiederkehr Sladeczek
Gestaltet von Grafikbüro Bonbon, Zürich
4
VERANSTALTUNGEN
Vernissage: Freitag, 4. September, ab 18.30 Uhr
19.00 Uhr, Begrüssung und Einführung: Roman Gimmel, Vorsteher Bildung Sport und Kultur;
Helen Hirsch, Direktorin Kunstmuseum Thun und Pascal Barbe, Co-Kurator
Kindervernissage für Kinder ab 5 Jahren: 18.45 – 19.45 Uhr, mit Prisca Beuchat, Kunstvermittlerin
Öffentliche Führungen
Mittwoch, 9. September, 18.15 Uhr, mit Susanna Lerch, Dr. phil., wissenschaftliche Mitarbeiterin
Sonntag, 27. September, 11.15 Uhr, mit Anja Seiler, wissenschaftliche Mitarbeiterin
Mittwoch, 14. Oktober, 18.15 Uhr, mit Helen Hirsch, Direktorin
Mittwoch, 4. November, 18.15 Uhr, mit Katrin Sperry, wissenschaftliche Assistentin
Sonderführung mit Steffan Biffiger
Mittwoch, 28. Oktober, 18.15 Uhr, mit Steffan Biffiger, Kunsthistoriker, Nachlassverwalter von Ernst Morgenthaler
Der kuriose Dichter Hans Morgenthaler.
Eine Lesung mit Roger Perret
Sonntag, 18. Oktober, 11.15 – 12.15 Uhr
Der früh verstorbene Hans Morgenthaler (1890–1928) gehört zu den bekanntesten „Poètes maudits“ in der
Schweizer Literatur des 20. Jahrhunderts. Krankheit, Verzweiflung, Galgenhumor und ein antibürgerlicher
Ton prägen das Schaffen des lungenkranken Autors. „Hamo I., roi des fous?“ (Hans Morgenthaler). Roger
Perret liest und kommentiert ausgewählte Prosa, Gedichte, Aphorismen und Briefe dieses ungewöhnlichen Dichters.
Anmeldung erwünscht: [email protected] / T +41 (0)33 225 84 20 / CHF 12.– / 10.–
Suppentheater
Der Kontinent Morgenthaler für Klein und Gross
Sonntag, 13. September, 10.30 – 12 Uhr
Sonntag, 1. November, 10.30 – 12 Uhr
Objekttheater zum Mitmachen mit Prisca Beuchat, Kunstvermittlerin
Anmeldung erwünscht: [email protected], T +41 (0)33 225 84 20 / CHF 5. –
Kulturnacht
Samstag, 24. Oktober, 17 und 18 Uhr
Figurentheater für Klein und Gross mit Prisca Beuchat
Erzählcafé: Geschichten rund um Sasha-Puppen und Kinderzeichnungen
Sonntag, 8. November, 15 Uhr,
mit Anna Lehninger, Spezialistin für Kinderzeichnungen, Universität Zürich, Heidi Brand, Spielzeugmuseum
Thun, Sara Smidt, Kunstvermittlerin
5
Kinderworkshop und Führung mit Gebärdendolmetscherin
Sonntag, 15. November
10.30 – 12.00 Uhr Workshop für Kinder, mit Franziska Keusen, Kunstvermittlerin
10.45 – 11.45 Uhr Führung für Erwachsene, mit Anja Seiler, wissenschaftliche Mitarbeiterin
und Janet Fiebelkorn, Gebärdendolmetscherin
Partner: IGGH Bern
Finissage und Sonderführung mit Jan Morgenthaler
Sonntag, 22. November, 11.15 – 12.15 Uhr
Jan Morgenthaler (*1956 in Zürich), der Enkel von Sasha Morgenthaler, wird zum Abschluss der
Ausstellung als Familienmitglied durch die Ausstellung führen. Zurzeit arbeitet Jan Morgenthaler als Publizist, Autor und Kurator im Bereich Theater, Film und Bildende Künste in Zürich und in
Esfahan (Iran).
Anmeldung erwünscht: [email protected] / T +41 (0)33 225 84 20
ALLGEMEINE INFORMATIONEN
Kunstmuseum Thun, Hofstettenstrasse 14, CH-3602 Thun
T +41 (0)33 225 84 20, F +41 (0)33 225 89 06, www.kunstmuseumthun.ch, [email protected]
Di – So 10 –17 Uhr, Mi 10 – 19 Uhr, Mo geschlossen.
Feiertage siehe www.kunstmuseumthun.ch
Eintritt:
CHF 14. –/12.–. Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre gratis, für Gruppen ist vorab eine Anmeldung
erforderlich. Sonderführungen auf Anfrage unter: Tel. +41 (0)33 225 84 20 oder [email protected]
6
ANGEBOT FÜR SCHULEN, KINDERGÄRTEN UND GRUPPEN
DER KONTINENT MORGENTHALER
Eine Künstlerfamilie und ihr Freundeskreis
Kunstmuseum Thun, 5. September – 22. November 2015
Der Kontinent Morgenthaler entwirft eine reichhaltige Kulturlandschaft, die sich um das Künstlerpaar Ernst
und Sasha Morgenthaler gruppiert. Ernst Morgenthaler (1887 ̶ 1962) wächst in einer kunstfernen Umgebung
im bäuerlichen Kleindietwil im Emmental auf bis er 10-jährig nach Bern kommt. Erst mit 27 Jahren verfolgt er
seinen Weg als Künstler. In einer Zeit, als abstrakte Kunst aufkommt, hält er am Figürlichen fest. Er malt, was
er in seiner unmittelbaren Umgebung beobachten kann: seine Kinder, Landschaften oder sich selber. Dabei
gelingt es ihm spezielle Stimmungen zu erzeugen.
Sasha wurde durch ihre Sasha-Puppen berühmt, die in ihrer Vielfalt und Menschlichkeit ein durch Diskriminierungen und Leid im zweiten Weltkrieg geschärftes Menschenbild verkörpern. Die Ausstellung bezieht die
Künstlerfreunde Cuno Amiet, Karl Geiser und Paul Klee mit ein und führt mit Marco und Jan Morgenthaler,
Manu Hophan sowie Pascal Barbe bis in die Gegenwart. Die Ausstellung gibt ebenfalls Einblicke in Literatur –
das Paar war mit Hermann Hesse sowie Robert Walser befreundet und der Dichter Hans Morgenthaler war
Cousin von Ernst. Mit den Kindern Niklaus, Barbara und Fritz blieb die Familie kreativ. Ein eigener Abschnitt
widmet sich Kinderzeichnungen.
PROJEKTRAUM ENTER MIT SEH-KISTE
Um die kreative Auseinandersetzung mit der vielschichtigen Ausstellung zu vertiefen, ist der Projektraum
enter der richtige Ort. Dort gibt es extra entwickelte gestalterische Anregungen mit Material aus der SehKiste sowie eine Sammlung von Sasha-Puppen und ihren Geschichten. Hier finden Sie mit Ihrer (halben)
Klasse Platz aktiv zu sein. Bitte melden Sie sich an.
EINFÜHRUNG FÜR LEHRKRÄFTE
Mittwoch, 9. September, 17.30 – 18.30 Uhr, mit Rut Reinhard, Kunstvermittlerin
Einführung in die Ausstellung und Vorstellung des kreativen Materials im Projektraum enter.
Gratis, Anmeldung erwünscht.
SPECIAL: OBJEKTTHEATER ZUM MITMACHEN
Prisca Beuchat entwickelt vor ausgewählten Originalen in der Ausstellung Szenen mit Sasha-Puppen und
Objekten, die das Beziehungsnetz der Familie Morgenthaler am Küchentisch mit Suppentopf lebendig machen. Da kommt zum Beispiel Paul Klee auf eine Buchstabensuppe vorbei. Das rote Buch von C.G. Jung dient
als Kochbuch für Träume. Max Bill dreht sich um seine eigene Form. Ernst Morgenthaler begegnet dem Fettauge. Sasha Morgenthaler schöpft aus dem Vollen. Im Anschluss an die rund halbstündige Aufführung ist
7
das Publikum eingeladen selber mit Sasha-Puppen theatralische Szenen in Auseinandersetzung mit den
ausgestellten Werken zu skizzieren und lernt so auf originelle Art und Weise die Ausstellung kennen.
Der Ansatz eignet sich für Klein und Gross.
Termine nach Vereinbarung: Di ganztags oder Donnerstag vormittag
Kosten: CHF 100.- für 2 Lektionen
RUNDGÄNGE FÜR SCHULEN
Kreative Ausstellungsbesuche für jede Stufe: stufengerecht – aktiv – hintergründig
Kosten: CHF 100.- für 2 Lektionen
ALLGEMEINE INFORMATIONEN
Anmeldung Angebote Kunstvermittlung: Sara Smidt, Kunstvermittlung Kunstmuseum Thun
T 033 225 86 10 (Mo, Di), [email protected]
Der Eintritt in die Ausstellung ist für Schulklassen gratis.
Lehrkräfte ohne Kunstvermittlung sind gebeten ihre Klasse vor dem Besuch anzumelden: T 033 225 84 20.
Öffnungszeiten: Di – So 10 – 17 Uhr, Schulklassen können sich auch für den Montagvormittag ohne Mehrkosten
anmelden. Anmeldefrist: mindestens 2 Wochen vor dem Termin.
Beachten Sie auch unsere Schulangebote im Thun-Panorama.
8
AUSSTELLUNGSINFORMATIONEN
EINLEITUNG
Vor 50 Jahren, im Jahr 1965, veranstaltet das Schloss Schadau eine Ausstellung mit den Puppen von Sasha
Morgenthaler. Der ungewöhnliche Erfolg bringt die Künstlerin auf den Gedanken, den Nachlass ihres Mannes Ernst Morgenthaler und denjenigen ihres gemeinsamen Freundes Karl Geiser der Stadt Thun zur Aufbewahrung zu übergeben; gleichzeitig macht sie dem Kunstmuseum eine grosszügige Schenkung von Werken
ihres Mannes und von Geiser.
Für Thun ist das Angebot eine Fügung des Schicksals, durch die Besitz und Bedeutung der Kunstsammlung
in der verfolgten Linie erweitert werden kann: Ernst Morgenthaler als Maler und Karl Geiser als Bildhauer
vertreten im engeren Sinn ihrer Herkunft den im besonderem Mass gepflegten Kreis bernischen Kunstschaffens und sind darüber hinaus zwei markante Künstlerpersönlichkeiten ihrer Generation, die schon früh zu
allgemein schweizerischer Bedeutung gelangten.
Mit einem Fokus auf den Kreis figurativer bildender Kunstschaffenden um Ernst und Sasha Morgenthaler, die
mit vielseitigen Bezügen neben modernen Entwicklungen stehen, eröffnet die Ausstellung durch ihre gattungsübergreifende Anlage einen spannenden Blick auf die Vergangenheit. Im Schaffen der Kinder Niklaus,
Fritz und Barbara und der Enkel Jan und Marco Morgenthaler, sowie dessen Frau Manù Hophan und dem CoKurator Pascal Barbe zeigt sich das Wirken jener Generation als schöpferische Kontinuität bis in die Gegenwart.
1
ERNST MORGENTHALER (1887–1962)
Ernst Morgenthaler wird in Kleindietwil im Emmental geboren. Er absolviert das Gymnasium in Bern und findet erst nach Umwegen 1914 bei Cuno Amiet auf der Oschwand seinen Zugang zur Welt der Kunst. Hier lernt
er auch Sasha von Sinner kennen, die er nach einem Studienaufenthalt in München 1916 heiratet. Sie wohnen
in Genf und in Oberhofen am Thunersee und ab 1920 in Zürich, wo sich ein Kreis von Malern und Bildhauern
bernischer Herkunft gebildet hat. Von 1929–1932 ist Morgenthaler in Meudon bei Paris als Maler tätig, danach in Zürich-Höngg, wo das Paar 1931 vom befreundeten Glarner Architekten Hans Leuzinger ein AtelierHaus bauen lässt.
Ernst Morgenthaler unternimmt zahlreiche Reisen nach Nordafrika und Südfrankreich und nimmt rege am
kulturellen Leben in Zürich teil, wo sich ab dem Ersten Weltkrieg und in den Jahren danach aufgrund der wirtschaftlichen, politischen und geistigen Zusammenbrüche viele Künstler sammelten. Morgenthaler befreundet sich hier unter anderem mit dem Schriftsteller Hermann Hesse, dem Maler Johann von Tscharner, den
Bildhauern Hermann Hubacher und Karl Geiser, dem Musiker Othmar Schoeck und Kunstliebhabern und sammlern wie Georg Reinhard. Die Berührung mit diesen in ihrem Bildungs- und Werdegang verschiedenen
Menschen fördert ihn sowohl intellektuell als auch künstlerisch. Von 1951–1953 ist er Präsident der Eidgenössischen Kunstkommission. 1952 erhält er den Kunstpreis der Stadt Zürich.
In Morgenthalers Schaffen verbindet sich die bäuerliche Vorstellungswelt seiner Herkunft mit der Bildungswelt und dem intellektuellen Reichtum der Stadt. In seinen Werken zeigt sich eine menschlich stark anteilnehmende und immer wieder auch eine sozialkritische Komponente. Besonders berühren auch seine Kin9
derbildnisse: Angefangen bei seinen eigenen Kindern, die er im familiären Umfeld zeigt, entstehen intime
Welten kindlicher Versunkenheit. Daneben malt er eindrucksvolle Porträts, vor allem von ihm Nahestehenden, die er sich jedoch oft mühsam abringen muss. Von seiner stets suchenden, sich selbst und seiner Malerei gegenüber kritisch beobachtenden Haltung zeugen auch seine Selbstporträts. In ihnen zeigt sich Morgenthaler nicht für den Betrachter zurechtgemacht, sondern in einer subjektiven ehrlichen Aussage. Ein ganz
besonderes künstlerisches Reich hat er in Nachtbildern und Mondlandschaften geschaffen.
2
SASHA MORGENTHALER-VON SINNER (1893–1975)
Sasha, eigentlich Mary Madeleine Sascha Morgenthaler-von Sinner, stammt aus einem Berner Patriziergeschlecht. Ihre Kindheit und Jugend verbringt sie im Gut „Schlössli“ in Bern. Paul Klees Fürsprache verdankt
sie es, dass sie als Sechzehnjährige das Literaturgymnasium verlassen und vier Jahre die Kunstakademie in
Genf besuchen kann. 1914 setzt sie ihr Studium bei Cuno Amiet auf der Oschwand fort. Dort begegnet sie
Ernst Morgenthaler. Es folgt ein Aufenthalt in München, wo sie bei Klee und in der Hollósy-Malschule Unterricht nimmt. Sie kommt auch mit den Künstlern des Blauen Reiters in Kontakt und verkehrt im StefanGeorge-Kreis. 1916, nach der Rückkehr in die Schweiz, heiratet Sasha von Sinner Ernst Morgenthaler. 1918
wird Niklaus, 1919 Fritz und 1924 Barbara geboren. In den 1920er Jahren sitzt sie dem befreundeten Bildhauer
Karl Geiser mehrfach Modell und ist teilweise mit ihm liiert. In dieser auch künstlerischen Beziehung vertieft
sie ihr plastisches Wissen, was wesentlich zur späteren Entwicklung der Sasha-Puppen beiträgt. 1934 macht
sie in Basel eine Ausbildung zur Hebamme und arbeitet mehrere Jahre in diesem Beruf. Im Zweiten Weltkrieg
beteiligt sie sich an den „Hülfstrupps“ des Schweizerischen Zivilen Frauenhilfsdienstes und wird schliesslich
Leiterin sämtlicher Hülfstrupp-Organisationen.
Sasha Morgenthaler gibt nach der Heirat zugunsten ihres Mannes das Malen auf, da sie vor ihren eigenen
Ansprüchen nicht besteht und der Ansicht ist, es könne nur einen Maler in der Familie geben. Sie selbst verlegt sich auf kunstgewerbliche Tätigkeiten, entwickelt darin jedoch eine wahre Meisterschaft und entfaltet
ihr ganzes künstlerisches Talent. Zunächst fertigt sie Stofftiere für ihre Kinder, die sowohl schmiegsam und
robust als auch erkenn- und benennbar sein müssen. Das Anrührende dieser Tiere entsteht jedoch nicht
allein aus ihrem „Naturalismus“, sondern aus einer zur Vollendung gebrachten scheinbaren Unvollkommenheit in der Herstellung. Die Hand der Schöpferin ist in den genähten Stichen spür- und sichtbar. Sie ist Teil
des Werks, vergleichbar mit einem Pinselstrich, und weist, wie die gebrauchten Stoffe, Spuren des Lebens
auf. All das verleiht diesen Spielsachen eine Verletzlichkeit, die wiederum eine besondere Zuneigung im Kind
zu erwecken vermögen.
Daneben modelliert Sasha Morgenthaler kleine Figuren, Tiere und Kinder, aus Gips und Ton und entwirft
erste Puppen. Ende der 1930er Jahre beginnt sie, Mannequins für die grossen Zürcher Modehäuser, die Basler Mustermesse und die völkerkundliche Sammlung der Zürcher Hochschule zu schaffen. Hier geht sie von
Erfindung zu Erfindung. Doch der Drang zum immer Neuen, der auch von den auftraggebenden Firmen gefordert wird, verhindert das reife Ausarbeiten einer Idee, was Sasha Morgenthaler schliesslich dazu bringt,
die Kreation der Kleiderpuppen endgültig aufzugeben. In den 1940er Jahren entwickelt sie die weltberühmten
Sasha-Puppen, von denen sie von nun an in einem eingespielten Team pro Jahr etwa 200 Stück herstellt und
vertreibt. Ab 1965 werden die Puppen nach zahlreichen Versuchen einer preiswerteren Produktion auch
serienmässig hergestellt.
10
3
HANDPUPPEN VON PAUL KLEE
Die ersten Handpuppen Klees entstehen 1916 auf Wunsch seines Sohnes Felix. Dieser lernt auf dem Flohmarkt in München das Kasperltheater kennen, während sein Vater nach preiswerten Bilderrahmen sucht. Bis
1925 entstehen etwa 50 Figuren, von denen heute noch 30 erhalten sind.
Die Köpfe der ersten Figuren stellt Klee hauptsächlich aus Gips her, später verwendet er die unterschiedlichsten Materialien aus seiner häuslichen Umgebung. Die Gewänder werden aus Stoffresten und abgelegten Kleidern gefertigt. Zum Repertoire der ersten Handpuppen gehören der Kasperl und seine Frau Gretl, der
Sepperl, sein Busenfreund, der Teufel, der Polizist und der Herr Tod. Für diese Figuren näht Sasha von Sinner während ihrer Zeit in München die Kleider.
Die Handpuppen Klees sind in mehrfacher Hinsicht Zwittergeschöpfe: Sie sind private Bastelarbeiten und
stehen doch im Zusammenhang mit Klees komplexem Werk. Sie entstehen auf der Grenze zwischen Spielzeug und Kunstwerk und dem Dialog zwischen Vater und Sohn. Über die Jahre bezieht Felix immer neue
Ideen aus der volkstümlichen Welt des Puppentheaters und sein Vater nimmt diese bereitwillig auf, um ihnen
auf seine Weise Gestalt zu verleihen.
Bald gehen Klees Erfindungen jedoch über das Jahrmarktspersonal hinaus und entfalten aus dem Spiel mit
Materialien, literarischen und Theater-Figuren und nicht zuletzt in Anspielung auf Personen seines privaten
und beruflichen Umfeldes ein skurriles Eigenleben. So ist zum Beispiel der Gekrönte Dichter eine Anspielung
auf die Münchner Literaturszene. Die Puppen weisen also bald weit über die Welt des Kindes und Heranwachsenden hinaus und gehören ihm doch ganz, bereichern seine Spielfreude, seine Fantasie und sein eigenes komisches Talent.
4
MARIONETTEN VON SOPHIE TAEUBER-ARP
Sophie Taeuber-Arps Marionetten entstehen 1918, also fast zur gleichen Zeit wie Klees erste Handpuppen,
jedoch als Auftragsarbeit und vor dem Hintergrund der Dada-Bewegung und den Tanz-Aufführungen im
Cabaret Voltaire in Zürich. Bis heute gelten die Figuren überall auf der Welt als einzigartige Beispiele moderner, nicht Puppen nachempfundener Marionetten.
Sie schafft ihre Kreationen für das tragikomische Märchen König Hirsch von Carlo Gozzi in einer Neufassung
von René Morax. Es ist eine von der Psychoanalyse aktualisierte Version des Stücks: Freud Analytikus, dessen Widersacher Dr. Ödipus Complex ist, wird von der Urlibido in einen Papagei verwandelt. Es werden also
parodistisch Themen aus Jungs Buch Wandlungen und Symbole der Libido (1912) und aus seinem Konflikt mit
Freud aufgegriffen. Schauplatz des Stücks ist der Wald nahe dem Burghölzli. Aufgeführt wird es 1918 vom
schweizerischen Marionettentheater an der Werkbundausstellung in Zürich.
Die siebzehn Figurinen sind sowohl in ihrer Erscheinung, als auch in der Durchdachtheit ihrer Bewegungsmöglichkeit besonders. Stark stilisiert, aus einfachen plastischen Elementen aufgebaut, gelang es TaeuberArp dennoch, den Charakter jeder Figur herauszuarbeiten. Die fertigen Marionetten sind glatt bemalt und mit
Stoffen, Perlen oder Weissblechornamenten geschmückt, jedoch ohne den Bewegungsmechanismus zu
verhüllen. Im Gesamtwerk der Künstlerin sind sie jedoch ein Einzelexperiment geblieben.
11
Deren Schaffen ist zu dieser Zeit von der Denkweise bestimmt, zu vereinfachen, auf die Grundelemente zurückzugehen und dann, dem gegebenen Problem entsprechend, neu zu konstruieren. Das erinnert an das
Programm der geometrischen Abstraktion, wie es die Künstler der später als Konkrete Kunst bezeichneten
Richtung um den Maler und Plastiker Max Bill vertreten.
Sasha Morgenthaler und Sophie Taeuber-Arp werden sich trotz der Verschiedenheit ihres Schaffens gekannt haben und begegnet sein, da Taeuber-Arp und ihr Mann Hans Arp häufig bei Morgenthalers Nachbarn
Max Bill zu Gast waren. In dessen Haus ereignete sich auch Sophie Taeuber-Arps tragischer Unfalltod im
Jahre 1943.
5
KARL GEISER (1898–1957)
Karl Geiser mietet 1918, ein Jahr nach der Matura in Bern, dort sein erstes Atelier. Bereits im folgenden Jahr
erhält er ein Eidgenössisches Stipendium, das ihm einen Aufenthalt in Berlin ermöglicht. Dort begegnet er
den Werken des deutschen Expressionismus, der russischen Konstruktiven und der Dadaisten, wodurch ihm
aber vor allem klar wird, was er alles nicht will. Geiser sucht den Realitätsbezug und sieht sein Ideal in der
klassischen Kunst verwirklicht. Hier sucht er auch die Aufgaben für seine Plastik: im menschlichen Körper, in
der Gewandfigur, im Bildniskopf und später in der Bewegung, wobei er danach strebt, Idealität mit strenger,
unbestechlicher Naturbeobachtung zu verbinden.
1922 lässt er sich in Zürich nieder, wo er Ernst und Sasha Morgenthaler kennenlernt, die ihm den Zugang zur
Zürcher Gesellschaft eröffnen.
Geiser realisiert im Laufe seines Lebens mehrere grosse öffentliche Aufträge und schafft Werke von nationaler Bedeutung. Dazu gehören die monumentale Figurengruppe vor dem Kirchenfeldgymnasium in Bern
(1926–1938), in Zürich der Schreitende Löwe (1934–1939) vor dem Verwaltungsgebäude Walche und das
Denkmal der Arbeit (1952–1957) auf dem Helvetiaplatz und der nackte David (1944–1957) vor der Kantonsschule in Solothurn. Wegen seiner hohen Ansprüche an sich selbst, werden sie jedoch für ihn oft zu quälenden, langwierigen und auch finanziell belastenden Aufgaben.
Bei seinem ersten Parisaufenthalt 1926 beginnt er zu skizzieren und zu zeichnen. Es sind momenthafte, unprätentiös notierte Eindrücke des vielfältigen Volkslebens. Über die Jahre verdichten sie sich zu einer
Comédie humaine, die er zehn Jahre später, Louis Aragons Voten folgend, mit seiner Leica-Kamera fortsetzt.
Ab 1944 erhält Geiser mehrere grosse öffentliche Aufträge. Doch dieser Erfolg wird für ihn zur Last. Nicht nur
der David, auch das Denkmal der Arbeit, das ihn zunächst beflügelt, da er die Möglichkeit sieht, seine Vorstellung vom «Neuen Realismus» in einer Grossplastik verwirklichen zu können. Wiederholt reist er nach
Venedig an die Biennale, doch dann lässt ihn diese internationale Kunstschau meist kalt. Dagegen zieht ihn
das tägliche Leben in den venezianischen Arbeiterquartieren an. Unablässig fotografiert und zeichnet er: die
in Gruppen zusammenstehenden Frauen, die in den Gassen spielenden Kindern, Grossmütter mit Enkeln
oder die heimkehrenden Arbeiter.
Voller Tatendrank kehrt er zurück, verfällt aber angesichts der Last der unerledigten Aufträge immer häufiger in eine Depression. Die David-Figur treibt ihn schliesslich in verzweifelte Gehetztheit und fast zur totalen
Erschöpfung. Geiser wird am 5. April 1957 in seinem Atelier tot aufgefunden. Alle Umstände deuten darauf
hin, dass er sich das Leben genommen hat.
12
6
NIKLAUS MORGENTHALER (1918–2001)
Niklaus Morgenthaler (Glaïs) ist ein innovativer, sozial engagierter Architekt und Gesellschaftsbeobachter.
Architektur ist für ihn immer und ohne Ausnahme das Gestalten von Lebensformen. Dies zeigt sich in mehreren seiner Bauprojekte. In der Zeit als Partner im Architekturbüro Atelier 5 entsteht zwischen 1955–1961 die
Siedlung Halen bei Bern, die aus heutiger Sicht ein Pionierwerk der Schweizer Siedlungsarchitektur ist und
für verdichtetes, familienfreundliches Bauen steht. Indem Morgenthaler die Kinder dieser Siedlung auffordert, die Hydranten bunt anzumalen, zeigt, wie er anhand seiner architektonischen Denkweise mit dem Lebensraum umgeht. Die Kinder gehen der Aufforderung mit viel Spass nach. Als bei der nächsten Feuerwehrübung die Ortsfeuerwehr die farbigen Hydranten nicht mehr findet, werden diese nach Reglement wieder
grau gestrichen. Für Morgenthaler ist das ein Vorgehen, das er als „Perfektion im Unwesentlichen“ bezeichnet. Ihm ist die „kreative Unordnung“ wichtig sowie das „Ernste spielerisch und das Spielerische ernst“ zu
nehmen. Dieser Gedanke leitet ihn auch als Architekt bei seinen Arbeiten in Chicago, wo er von 1964–1971 als
Partner der Architektengemeinschaft CAPA und als Architekturprofessor unter anderem damit beschäftigt
ist, Verbesserungsvorschläge für die Ghettos von Chicago zu bearbeiten. Nach seiner Rückkehr 1971 in die
Schweiz wird er Direktor der Schule für Gestaltung in Basel. In Biel kuratiert er 1986 die 8. Schweizer Plastikausstellung, in der er den Fotografien von Karl Geiser, dem Freund seiner Eltern, eine Sonderschau widmet.
7
FRITZ MORGENTHALER (1914–1984)
1946, nach seinem Medizinstudium, geht Fritz Morgenthaler, der zuerst Jongleur werden will, als Arzt nach
Jugoslawien. Innerhalb von sechs Wochen soll er die jugoslawische Sprache erlernt haben. Dort lernt er Paul
Parin und seine Frau Goldy Parin-Matthèy kennen. Anfang der 1950er Jahre eröffnet er zusammen mit ihnen
eine psychoanalytische Praxis in Zürich. Morgenthaler hat die Konzepte des österreichischen Tiefenpsychologen Sigmund Freud weiterentwickelt und legt eine andere Gewichtung in der Traumanalyse. Gemeinsam
mit dem Ehepaar Parin unternimmt Morgenthaler mehrere Forschungsreisen nach Westafrika und verfasst
unter anderem das Buch Die Weissen denken zuviel (1960). Sie gelten heute als Begründer der Ethnopsychoanalyse, einer Anwendung der psychoanalytischen Therapie auf ganze Volksgruppen. Doch Morgenthaler ist
nicht nur Psychoanalytiker, sondern auch Maler. Auf seinen unzähligen Reisen entstehen viele kleine Arbeiten wie Papua Neu-Guinea (1973) auf Papier, aber auch grössere Malereien wie Die weissen Stühle (1975)
sind im Werkkomplex von Morgenthaler zu finden.
8
BARBARA CAMERON-MORGENTHALER (*1924)
Barbara Cameron-Morgenthaler absolviert einen Schreinerkurs an der Gewerbeschule in Zürich, bevor sie
ein Entomologie-Studium (Insektenkunde) an der ETH beginnt. Dies hat ihr Patenonkel, der Botaniker und
Bienenforscher Otto Morgenthaler in die Wege geleitet. Nach dem Krieg arbeitet sie unter anderem als
Flüchtlingsbetreuerin für das Rote Kreuz. Ihre humanitäre Arbeit für verschiedene Organisationen führt sie in
viele Länder, unter anderem nach Italien, Jugoslawien, Bosnien, Israel, Marokko und in die USA. 1947/48 erwirbt sie mehrere Sprach- und Übersetzerdiplome. Im Laufe ihres Lebens erlernt sie durch ihre Tätigkeiten
13
und Reisen 14 Sprachen. In Tanger begegnet sie ihrem zweiten Ehemann Don Cameron, einem australischen
Fernsehpionier. 1956 wandert sie nach Australien aus und heiratet ihn. In den 1940er Jahren lernt sie einige
Monate bei einem Zürcher Fotografen und arbeitet zwei Jahre als freischaffende Fotografin. Im australischen Warrandyte in der Nähe Melbourne führt sie ihre Arbeit fort: Sie fotografiert Kinder beim Spielen und
erschafft so sehr natürliche Porträts, auch ihre eigenen Kinder und Enkel porträtiert sie.
9
HANS MORGENTHALER (1890–1928)
Hans Morgenthaler (Hamo) ist heute als Schriftsteller bekannt. Er absolviert nach dem Gymnasium ein Studium der Botanik, Zoologie und Geologie. Nach einem dreijährigen beruflichen Aufenthalt in Thailand kehrt er
1920 seelisch und körperlich krank in die Schweiz zurück. Eine schwere Malaria wird von einer unheilbaren
Tuberkulose abgelöst. Diese zwingt ihn zu mehreren Kuraufenthalten in Arosa, Davos und in Montana. Er lebt
fortan als freier Schriftsteller und Vortragsreisender, schliesst Freundschaften, verfasst Rezensionen und
Feuilletons, zeichnet und malt. Sein literarisches Werk ist geprägt von einer Form, die er selbst „Stimmungsbilder“ nennt. Sie erlaubt ihm, persönliche Erfahrungen, Erlebnisse und Beobachtungen ohne formalen
Zwang aneinanderzureihen. Morgenthalers Spezialität sind knappe Prosatexte von stark subjektiver Färbung. Sie erschrecken oder amüsieren, gehen aber immer unter die Haut und ihnen verdankt Hamo heute
unter anderem seinen festen Platz in der Schweizer Literaturszene. Mit nur 38 Jahren stirbt der Dichter in
Bern.
10
KINDER- UND JUGENDZEICHNUNGEN
Das Archiv der Kinder- und Jugendzeichnung (AdKJ) wird 1932 als internationales Institut zum Studium der
Jugendzeichnung (IIJ) in Zürich gegründet. Mit über 50‘000 Zeichnungen, vor allem des 20. Jahrhunderts, aus
dem Schulunterricht und Wettbewerben ist es heute eine der umfangreichsten Sammlungen in Europa.
Ein in der Schweiz beliebter und bekannter Zeichenwettbewerb ist der für den Pestalozzi-Kalender, der ab
den 1920er Jahren lanciert wird. An ihm beteiligen sich zwischen 1928 und 1937 auch die Kinder Niklaus, Fritz
und Barbara Morgenthaler. 1930 erhält Niklaus einen Preis mit seiner Zeichnung des Eiffelturms.
Die zeichnerische Tätigkeit in Künstlerfamilien ist aber auch auf andere Weise belegt, so in den von Sasha
Morgenthaler 1937 gestalteten Tierquartetten. Bekanntlich sind die Kinder von Ernst und Sasha Morgenthaler an der Produktion der Quartette beteiligt, indem sie die vorgedruckten Konturen kolorieren.
Ernst Morgenthaler berichtet in einem Brief vom 4. Oktober 1956 von einem Besuch der Jubiläumsausstellung des Pestalozzi-Kalenders: „Ich bin dann noch, statt in die Klee-Ausstellung, in die Schulwarte gegangen,
wo 1000 Kinderzeichnungen beieinander hängen. Es hat mir Spass gemacht, zwei von Glaïs, eine von Fritz
und eine (die kindlichste von allen) von Barbara anzutreffen. Barbara zeichnete das Sekundar-Schulhaus. Sie
war acht Jahre alt.“
14
11
WALTER MORGENTHALER UND SEINE SAMMLUNG
Der Psychiater Walter Morgenthaler (1882–1965) befasst sich in seiner Zeit als Oberarzt der Berner Irren-,
Heil- und Pflegeanstalt Waldau mit damals neuen Behandlungskonzepten und mit psychodiagnostischen
Ansätzen. Die gestalterischen Arbeiten von den Patientinnen und Patienten erachtet er als wichtige Elemente für die psychiatrische Beurteilung von Krankheitsbildern. Mit diesem Thema beschäftigt er sich auch in
seiner 1918 erschienen Habilitationsschrift Übergänge zwischen Zeichnen und Schreiben bei Geisteskranken. Ab 1914 durchforstet er in der Waldau 8000 Krankengeschichten auf der Suche nach Material für seine
These. Dies ergänzt er durch Werke von Patienten aus anderen Kliniken. Auf diese Weise entsteht eine erste
Sammlung von Patientenarbeiten, die er bis zum Tod von Adolf Wölfli (1864–1930) weiterführt. Dank Morgenthalers Sammeltätigkeit gibt es bleibende Spuren der Menschen in der Waldau in Form von Zeichnungen,
Objekten und Schriften. Heute umfasst die „Sammlung Morgenthaler“ rund 5‘000 bildnerische Werke sowie
viele Arbeiten aus Holz, Stoff, Ton, Metall und anderen Materialien.
12
AUFBRUCH IN DIE MODERNE
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist von einem Unbehagen in der Kultur (Freud, 1930) geprägt. Dadaisten
und Surrealisten rebellieren mit ihrer Kunst gegen die Gesellschaft und ihre Normen, andere Künstlerbewegungen wie die Konkreten oder „Das Neue Leben“ wollen über ästhetische Werte erzieherisch wirken, wieder andere wie Kandinsky hoffen auf einen Sieg des Geistigen über den Materialismus.
Auf dem Hintergrund wegbereitender Kunstströmungen oder Gedankenwelten wie u.a. dem Almanach „Der
Blaue Reiter“ oder „Das Rote Buch“ von C.G. Jung pflegen Ernst und Sasha Morgenthaler und ihr Freundeskreis das Figürliche als Tradition. Doch auch sie antworten wach auf das Zeitgeschehen, nicht nur in ihrer
Kunst, die zwar nicht als avantgardistisch, aber vielleicht als humanistisch bezeichnet werden kann.
Der Blaue Reiter
Der Almanach Der Blaue Reiter, herausgegeben von Wassily Kandinsky und Franz Marc, erscheint im Mai
1912. Er ist die wohl bedeutendste programmatische Schrift zur Kunst des 20. Jahrhunderts mit dem Ziel,
nicht nur die Malerei, sondern die Künste überhaupt zu erneuern.
Der Almanach vereint die neuen künstlerischen Bestrebungen Deutschlands, Frankreichs und Russlands und
Werke antiker und mittelalterlicher Kunst, aber auch Wegbereiter der Moderne, russische Volksbilderbogen
sowie afrikanische und ozeanische Kunst und Zeichnungen von Kindern und Laien. Durch diese Vielfalt demonstriert der Almanach ein antiakademisches, weltoffenes, internationales und tolerantes Konzept. In den
Textbeiträgen nehmen Maler, Komponisten und Kritiker verschiedener Nationen zu den Zielen der neuen
Kunst Stellung. Doch die nachhaltige Wirkung des Almanachs entsteht erst im Rahmen der umfassenden
Aktivitäten der „Redaktion“ und der Künstler, die sich am Blauen Reiter und seinen Ausstellungen beteiligen.
Zum näheren Kreis gehören neben Kandinsky und Marc auch Paul Klee, August Macke, Alfred Kubin, Heinrich Campendonk und später Gabriele Münter und Alexander Jawlensky.
13
15
DAS „ROTE BUCH“ VON C. G. JUNG
C.G. Jung ist nicht nur an der Entstehung der modernen Psychologie, Psychotherapie und Psychiatrie beteiligt, er gilt auch weithin als wichtige Gestalt des modernen westlichen Denkens. Seine grösste Wirkung entfaltet er jedoch nicht in seinen eigenen Fachkreisen, sondern in der Kunst, in den Geistes- und Kulturwissenschaften sowie im Film und in der Alltagskultur. Rund 50 Jahre nach seinem Tod, im Jahr 2009, erscheint sein
Rotes Buch, das zwischen 1913 und 1930 entstanden ist. Es enthält den Kern seines gesamten späteren
Schaffens und ist damit auch der Schlüssel zu dessen Entstehung.
Vor dem Hintergrund seiner bisherigen beruflichen Erfahrung und einer intensiven Beschäftigung mit der
Mythologie begibt sich Jung 1913 in ein Selbstexperiment, das sich insgesamt als eine Art Schöpfungsgeschichte und als Prozess erweist. Das Ziel ist die Bildung eines neuen, umfassenderen Selbst. Aus diesen
Erfahrungen und dem aufgezeichneten Material entwickelt Jung später die Vorstellung vom Individuationsprozess.
Das Rote Buch ist wie eine mittelalterliche illuminierte Handschrift gestaltet. Die Bilder sind unter anderem
von der symbolistischen Bewegung in der Kunst beeinflusst, aber auch unverkennbar inspiriert von den
Fresken und Mosaiken von Ravenna, die Jung 1910 auf einer Fahrradtour durch Norditalien besichtigt hat.
In der Ausstellung darf weder fotografiert noch gefilmt werden.
16
EINFÜHRUNGSTEXTE AN DER WAND
DER KONTINENT MORGENTHALER. EINE KÜNSTLERFAMILIE UND IHR FREUNDESKREIS
Die aus dem Bernbiet stammende Künstlerfamilie Morgenthaler ist Ausgangs- und Bezugspunkt der Ausstellung. Sie lebt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts inmitten eines grossen Freundeskreises, zu dem unter
anderem Persönlichkeiten wie Paul Klee, Cuno Amiet, Hermann Hesse, Robert Walser, Karl Geiser, Othmar
Schoeck und Wolfgang Pauli gehören.
Beginnend mit einem Stammbaum entfaltet sich der Kontinent im Gang durch die Räume. Diese sind den
Familienmitgliedern, den Freunden, einer Kunstgattung oder einem Thema gewidmet. Der Kontinent reicht
von der Malerei und Literatur, der Musik und der angewandten Kunst bis hin zur Wissenschaft und vermittelt
sowohl einen Einblick in das individuelle Schaffen und Wirken als auch in das dichte Beziehungsnetz.
ERNST MORGENTHALER
Ernst Morgenthaler gehört in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den wichtigsten figurativen Malern
der Schweiz. Die Bedeutung seiner Bilder liegt in der Betonung des subjektiv Erlebnishaften, in ihrer differenzierten Farbigkeit, dem Geheimnisvollen in der Stimmung, dem Skizzenhaften sowie der eigentümlichen
Vermischung von Malerei und Zeichnung, mit der er einen neuen Zug in die Schweizer Malerei bringt. Seine
Motive wählt er aus dem eigenen Lebensbereich und der heimatlichen Landschaft. Diese deutet er poetisch,
bringt sie aber auch hintergründig und visionär zur Darstellung. Im Grunde kann er nur malen, was er selber
sieht und erlebt oder wovon er ergriffen ist.
«Kunst kommt nicht von Können. Sie ist von Anfang an da und heisst Ergriffenheit.» Ernst Morgenthaler,
1954
SASHA MORGENTHALER
Sasha Morgenthalers künstlerische Ausbildung ist das Fundament für ihre gestalterische Professionalität.
Neben ihrer Rolle als starke und eigenständige Gefährtin von Ernst Morgenthaler, ist sie Mutter von drei
Kindern, Hebamme und während dem Zweiten Weltkrieg Betreuerin von Flüchtlingen. Aus all diesen Erfahrungen entsteht ihr Lebenswerk, auch ihre weltberühmten Puppen, deren lebendiger Ausdruck aus dem
Spiel der Asymmetrie in den Proportionen entsteht.
«Ich versuchte, meine Träume zu realisieren und bin seither davon erfüllt, menschliche Puppen herzustellen,
die Kinder lieb haben können, weil sie einen eigenen Ausdruck haben.» Sasha Morgenthaler
17
MARIONETTEN UND HANDPUPPEN
Sasha Morgenthaler lernt Paul Klee im Alter von neun Jahren kennen. Klee fand über das Musizieren Eingang
ins Haus von Sinner. Er erkennt die schöpferische Begabung des kleinen Mädchens und setzt sich später
mehrfach für ihre künstlerische Ausbildung ein. So kommt Sasha Morgenthaler 1916 nach München, wo sie
die Hollósy-Kunstschule besucht und bei Klee Privatstunden nimmt. Durch diese langjährige Bekanntschaft
ergibt sich aber auch eine besondere Beziehung: Klee vertraut Sasha Morgenthaler nicht nur die Abschrift
seines detaillierten Œuvrekatalogs an, sondern auch das Nähen der Kleider seiner ersten Handpuppen.
KARL GEISER
Der gebürtige Berner Karl Geiser ist einer der bedeutendsten Schweizer Bildhauer des 20. Jahrhunderts.
Neben dem plastischen Werk gestaltet er über 5000 Skizzen, Zeichnungen und Radierungen sowie 6000
Fotografien. Seine Auffassung vom Bildhauer ist die eines elementaren Handwerkers, dessen Tätigkeit seit
Jahrtausenden gleich geblieben ist. Dank dieser Einfachheit gehört der Plastiker für ihn zum werktätigen
Volk.
Geiser tritt um 1923 ins Leben der Familie Morgenthaler. Er ist ein impulsiver Mensch der fasziniert, aber
auch erschreckt. Für alle drei wird diese Bekanntschaft zu einer schicksalhaften Begegnung: Sasha Morgenthaler erhält wesentliche Impulse für ihr plastisches Schaffen, kritisiert und unterstützt umgekehrt Geiser
in seiner künstlerischen Arbeit, während Ernst Morgenthaler sich wiederholt für den schwierigen Freund bei
Auftraggebern und Mäzenen einsetzt. Geiser gehört zur Familie, und obwohl die Ehe von Ernst und Sasha
fast an ihrer Liebesbeziehung zu Geiser zerbricht, bleibt doch eine lebenslange Freundschaft bestehen.
NIKLAUS, FRITZ UND BARBARA MORGENTHALER
Verbindende Elemente in den Biografien der Kinder von Ernst und Sasha Morgenthaler sind eine Affinität zur
Kunst und – abenteuerliche – Reisen.
Der älteste Sohn Niklaus (Glaïs) wird Architekt, lebt und arbeitet in den 1960er-Jahren in Amerika und ist
nach seiner Rückkehr bis 1983 Direktor der Schule für Gestaltung Basel. 1986 kuratiert er in Biel die 8.
Schweizer Plastikausstellung, in der er den Fotografien von Karl Geiser in einer Sonderschau einen speziellen Saal widmet.
Sein Bruder Fritz studiert Medizin und arbeitet als Arzt zu Titos Zeiten in Jugoslawien, wo er Paul Parin und
Goldy Parin-Matthèy kennenlernt. 1952 eröffnet er mit ihnen eine Gruppenpraxis am Utoquai in Zürich, zuerst
als Neurologe, dann als Psychoanalytiker. Die drei gelten als Begründer der Ethnopsychoanalyse und unternehmen gemeinsam mehrere Forschungsreisen nach Westafrika. Fritz ist, vor allem auf ausgedehnten Reisen, zunehmend als Maler tätig.
Ihre Schwester Barbara studiert Insektenkunde an der ETH Zürich und wird nach verschiedenen humanitären Einsätzen in Europa Dolmetscherin. Sie reist nach Israel, lebt einige Zeit in den USA und ein Jahr in Marokko bevor sie 1956 nach Australien auswandert, wo sie den Fernsehpionier Don Cameron heiratet. Etwa
mit 20 Jahren lernt sie bei einem Fotografen in Zürich und spezialisiert sich später auf Schnappschüsse von
Kindern.
18
ERZÄHLENDE MALER UND ZEICHNENDE DICHTER
HERMANN HESSE
Mit dem Schriftsteller und Dichter Hermann Hesse macht Ernst Morgenthaler um 1919 Bekanntschaft. In den
Jahren des Zweiten Weltkriegs intensiviert sich die Beziehung der beiden, was zu einer längeren Begegnung
nach Kriegsende führt. 1945 malt Morgenthaler während sechs Wochen in täglichen Porträt-Sitzungen acht
Ölbilder von Hesse. Die gemeinsam verbrachte Zeit und die vielen Gespräche schaffen eine grosse Nähe und
Verbundenheit, die über die Zeit und die Distanz – Tessin/Zürich – hinweg tragend bleibt und sich im Briefwechsel der beiden niederschlägt.
«Mir war es immer ein Vergnügen, dass jeder von uns beiden das Handwerk des andern als Hobby und Nebenbelustigung betreibt.» Hermann Hesse, 1960
ROBERT WALSER
Den Dichter Robert Walser lernt Ernst Morgenthaler 1922 durch den gemeinsamen Freund, den Bildhauer
Hermann Hubacher kennen: Walser wird nach einer Lesung in Zürich bei Morgenthalers einquartiert, der als
Gastgeber für den erkrankten Hubacher einspringt. Statt des Nachtlagers verlangt Walser nach der Lesung
jedoch zuerst nach einer Kneipe, woraus eine durchzechte Nacht wird. Anschliessend folgt ein zweiwöchiger
Aufenthalt Walsers im Hause Morgenthalers und eine lebenslange freundschaftliche Verbundenheit.
HANS MORGENTHALER (HAMO)
Während Walsers Aufenthalt im Haus von Ernst und Sasha trifft auch dessen Cousin Hans Morgenthaler
(Hamo) auf den zwölf Jahre älteren Dichterkollegen und fühlt sich durch diese Begegnung angeregt.
Hamo, Botaniker und Geologe, veröffentlicht 1916 und 1921 erste Texte, die ihn als eigenwilligen Berg- und
Reiseschriftsteller bekannt machen. Seine später entstandene Prosa und vor allem seine Gedichte haben
jedoch einen anderen Ton. Geprägt von seinem ruhelosen Leben, Krankheit, Geldnöten und den Schwierigkeiten in seinen Beziehungen zu Frauen entsteht ab 1926 eine Poesie, die durch ihre ungekünstelte und direkte Sprache aufs Ganze geht und in ihrer Radikalität weit über ihre Zeit hinaus modern ist.
UNGEBROCHENE SCHÖPFERKRAFT
Künstler und Dichter waren schon seit dem 18. und 19. Jahrhundert von der lebendigen Schöpferkraft der
Kindheit fasziniert. Doch erst in der frühen Moderne führt die Suche nach einer Alternative zur Wirklichkeitsnachahmung in der Kunst und die diversen Reformbewegungen zu einer ernsthaften Auseinandersetzung
mit der Kinderzeichnung.
Die technische Unbeholfenheit bei gleichzeitiger Unbekümmertheit, das Spielerische und Ursprüngliche
verliehen ihr im Auge professioneller Künstler ihren besonderen Reiz. So wurde die Kinderzeichnung trotz
des potentiellen Vorwurfs der Inkompetenz und Infantilität zur mehr oder weniger sichtbaren Quelle der
Inspiration.
Künstler aber auch Reformpädagogen, die ein „Neues Zeichnen“ etablierten, legten Anfang des 20. Jahrhunderts Sammlungen von Kinderzeichnungen an. Paul Klee entdeckte im Oktober 1902 bei einem Besuch in
19
seinem Elternhaus in Bern einige Zeichnungen aus seiner frühen Kindheit. Einige davon übernahm er in seinen Werkkatalog und ordnete sie damit als Kunstwerke ein.
«Es gibt nämlich auch noch Uranfänge von Kunst, wie man sie eher im ethnographischen Museum findet
oder daheim in seiner Kinderstube […],die Kinder können‘s auch, und das ist durchaus nicht vernichtend für
die jüngsten Bestrebungen, sondern es steckt viel positive Weisheit in diesem Umstand. […] Parallele Erscheinungen sind in den Zeichnungen Geisteskranker […].» Paul Klee, 1912
ART BRUT – EINE ROHE, UNVERBRAUCHTE KUNST
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts legt der Psychiater Walter Morgenthaler auf der Basis seiner diagnostischen
Interessen eine Sammlung von Zeichnungen und Objekten von Patientinnen und Patienten der „Irren-, Heilund Pflegeanstalt Waldau“ an. 1921 publiziert er eine Studie über Adolf Wölfli, mit dem Titel Ein Geisteskranker als Künstler. Zusammen mit der Publikation des österreichischen Psychiaters und Kunsthistorikers Hans
Prinzhorn, die Bildnerei der Geisteskranken von 1922, steht sie am Anfang der Rezeptionsgeschichte der
Werke psychisch Kranker. Wie bei der Kinderzeichnung ist es auch hier das Direkte und Ungeübte aber auch
das Unzensurierte, das die modernen Künstler fasziniert. Der französische Künstler Jean Dubuffet bezeichnet sie als Art brut, und denkt dabei an eine rohe, unverbrauchte Kunst.
ERNEUERUNG DER TRADITION
Das 20. Jahrhundert ist von zwei Weltkriegen, wissenschaftlichen Umbrüchen und technologischen Fortschritten geprägt. In den ersten Jahrzehnten revolutioniert sich auch die Kunst. Auch Ernst und Sasha Morgenthaler kommen 1916 in München in Kontakt mit der damaligen Avantgarde. Doch sie bleiben dem Figürlichen treu und später sammelt sich um sie ein Kreis von gleichgesinnten Malern und Bildhauern.
EIN STETIG GRÖSSER WERDENDER FREUNDESKREIS
Um 1920 feiern sowohl Ernst als auch Sasha Morgenthaler erste Erfolge: Sasha mit einer Ausstellung ihrer
Stofftiere im Kunstverein Winterthur, Ernst mit Bilderverkäufen an der Eröffnungsausstellung der Kunsthalle
Bern. Er knüpft Kontakte zu den dort ausstellenden Künstlern und nimmt am kulturellen Betrieb in Schloss
Bremgarten bei Bern teil, wo er neben weiteren bildenden Künstlern unter anderem auch die Musiker Othmar Schoeck und Fritz Brun sowie den Schriftsteller Hermann Hesse kennenlernt.
Dennoch zieht er 1920, angezogen von der künstlerischen Aufbruchsstimmung, mit seiner Familie nach Zürich, wo er einer eigentlichen Exklave von ‹ausgewanderten› Bildhauern und Malern bernischer Herkunft
begegnet, darunter auch Hermann Haller, Hermann Hubacher, Karl Geiser und Fritz Pauli.
Es entsteht ein Beziehungsnetz von lebenslangen Freundschaften, das sich mit den Jahren stets erweitert,
nicht zuletzt im ausserordentlichen Ambiente des offenen Künstlerhauses, das Ernst und Sasha Morgenthaler auch später in ihrem Atelierhaus in Höngg leben und pflegen.
20
«DAS ABENTEUER GEHT WEITER.» PASCAL BARBE, 2015
Die Werke von Pascal Barbe, Jan und Marco Morgenthaler und Manù Hophan stehen Ende der Ausstellung
als Zeichen der künstlerischen und freundschaftlichen Kontinuität des Kontinent Morgenthaler. Sie entstanden aus der Geschichte und sind zugleich Ausgangspunkt für etwas Neues.
21
BILDAUSWAHL
Der Kontinent Morgenthaler. Eine Künstlerfamilie und ihr Freundeskreis
Kunstmuseum Thun, 5. September – 22. November 2015
Ernst Morgenthaler
Ein Stück vom Paradies, 1952
Ernst Morgenthaler
Gläis und Fritz, 1924
Oil on canvas
129 x 91 cm
Kunstmuseum Thun
Tempera on canvas
121 x 101 cm
Kunstmuseum Thun
Photo: Christian Helmle
Ernst Morgenthaler
Paradies-Triptychon, Mittelteil,
1959
Tempera on canvas
200 x 200 cm
Nachlass Morgenthaler Thun
Photo: Christian Helmle
Ruth Kottmann vor ihrem von
Ernst Morgenthaler gemalten
Porträt, 1947
Ernst Morgenthaler
Sasha lesend im Korbstuhl, 1917
Oil on cardboard
89.5 x 68.4 cm
Kunstmuseum Thun
Photo: Christian Helmle
Ernst Morgenthaler
Mondnacht Sardinien, 1961
Photgraphy
9 x 13 cm
Tempera on canvas
45.9 x 38 cm
Kunstmuseum Thun
Nachlass Morgenthaler Thun
Photo: Christian Helmle
22
Sasha Morgenthaler
Schaufensterpuppe, o.D.
Sasha Morgenthaler
Schaufensterpuppe, o.D.
Doll
110 cm high
Nachlass Morgenthaler Thun
Doll
ca. 110 cm high
Nachlass Morgenthaler Thun
Photo: Christian Helmle
Photo: Christian Helmle
Dolls and wire figures of Sasha
Morgenthaler, without date
Fritz Morgenthaler
Die weissen Stühle, 1975
Photography
23.7 x 17.8 cm
Nachlass Morgenthaler Thun
Oil on canvas
96 x 151 cm
Nachlass Morgenthaler Höngg
Photo: Fernand Rausser
Karl Geiser
Denkmal Abbé Bovet, o.D.
Adolf Wölfli
Without title, around 1916
Group of sculptures
founding
30 x 30 x 13.5 cm
Nachlass Morgenthaler Thun
Pencil and coloured pencil on
paper
51.2 x 68
Kunstmuseum Thun
Photo: Christian Helmle
Photo: Christian Helmle
Das Bildmaterial darf nur mit angegebenden Bildunterschriften und -nachweisen verwendet werden.
Die Bilder sind auf der Homepage unter Medien abrufbar.
23
INFOBLATT ZUM MUSEUMSBESUCH
Liebe Lehrkräfte
Herzlich willkommen im Kunstmuseum Thun!
Vor Ihrem Besuch möchten wir Sie mit den üblichen Verhaltensregeln vertraut machen.
Die Bildende Kunst hat im letzten Jahrzehnt einen Wandel durchgemacht. Die Techniken der Künstler_innen
haben sich geändert, beziehungsweise sie wurden ergänzt: Künstler_innen bedienen sich heutzutage vermehrt neuer Medien wie beispielsweise Videotechnik oder Rauminstallationen. So hat sich auch der Betrieb
eines Museums den neuen Arbeitsweisen angepasst. Der Zugang zu den Werken ist zum Teil viel direkter
geworden. Wo man früher vor einem an der Wand hängenden Bild stand, ist man heute oft Teil eines Werkes.
Auch die Unterrichtsmethoden haben sich verändert. Die Schüler_innen nehmen heutzutage aktiv und sogar
interaktiv teil, sie bewegen sich, sie experimentieren, sie sollen die Inhalte „begreifen“ und umfassend erfahren.
Wir legen Wert darauf, dass die Schüler_innen das ganze Museum erfahren und erkunden dürfen. Deshalb ist
es wichtig, dass sich die Kinder frei bewegen können. Dabei gilt es, den nötigen Respekt gegenüber dem
Museum, den ausgestellten Werken und den Besuchern zu wahren.
Bitte beachten Sie, dass ab einer Gruppengrösse von 20 Personen eine zusätzliche Begleitperson erforderlich ist.
Wir bitten Sie also, Ihre Klassen auf folgende Grundregeln aufmerksam zu machen und während Ihrem Museumsbesuch auf Ihre Einhaltung zu achten:
•
•
•
•
•
Objekte nur mit den Augen abtasten (die ausgestellten Werke sind nicht immer geschützt. Ausnah
men werden vermerkt).
Sich in den Museumsräumen bedächtig bewegen statt rennen (die alten Böden schwingen)
Merci für die Rücksicht auf andere Museumsbesucher
Die Wände, Türen, Fussböden und Sitzgelegenheiten nicht mit Kaugummi, Fussspuren oder
anderem „verzieren“.
Essen und Trinken nur auf der Terrasse oder im Park.
Herzlichen Dank für Ihren Beitrag, dass die Kunst im Kunstmuseum Thun möglichst direkt erfahrbar bleibt.
Wir danken für Ihr Verständnis und wünschen einen erlebnisreichen und interessanten Museumsbesuch.
Das Team Kunstvermittlung
24
DIE SEH-KISTE IM KUNSTMUSEUM
Während der Ausstellung Der Kontinent Morgenthaler ist die Seh-Kiste im Projektraum enter platziert und
enthält für die Ausstellung entwickelte Materialien, die im folgenden Kapitel erläutert werden. Die permanent
vorhandenen Aufträge und Materialien können ausserdem verwendet werden.
Die Seh-Kiste macht das Kunstmuseum zum Lieblingsort für grosse und kleine Kinder. Sie kann von Schulen,
Kindergärten, Eltern, Götti, Grosi oder Hans und Käthi benutzt werden. Gruppen ab 5 Personen sind gebeten
sich anzumelden. Wir reservieren die Seh-Kiste gerne.
Die Seh-Kiste lässt sich spontan benutzen. Einfach Kreiden, Farbquadrate, Formen oder andere Überraschungen herausnehmen und los geht’s!
Sie finden darin alle Materialien, die für die Aufgaben in den Entdeckungen im Quadrat oder für das Schulangebot (wenn nichts anderes vermerkt) gebraucht werden. Die Sehkiste wird für jede Ausstellung mit passenden Materialien ausgestattet.
Neugierige und Forscher können sich aber auch von Vorschlägen zur Entdeckung der Ausstellung inspirieren lassen, die im Karteikasten der Seh-Kiste zu finden sind.
Gruppenleiter_innen können sich auf www.kunstmuseumthun.ch über die Aufgaben in der Dokumentation
für Lehrkräfte informieren und ihren Besuch vorbereiten. Vorschläge zur Verwendung gibt es bei der Einführung für Lehrkräfte am ersten Mittwoch nach der Eröffnung einer neuen Ausstellung.
Reservation: +41 (0)33 225 84 20 / [email protected]
Öffnungszeiten: Di – So 10 – 17 Uhr
PROJEKTRAUM ENTER
Ausser der Seh-Kiste enthält der Projektraum enter eine Sammlung von Sasha-Puppen mit denen gespielt
werden darf.
Wir sammeln Sasha-Puppen und Erinnerungen
Haben auch Sie mit einer Sasha-Puppe gespielt oder kennen Anekdoten rund um Sasha-Puppen?
Dann melden Sie sich bei uns. Wir freuen uns auf Ihre Geschichte und stellen sie im Projektraum enter
aus.
25
ANREGUNGEN FÜR DEN AUSSTELLUNGSBESUCH
MIT VOR- ODER NACHBEREITUNG
Das angegebene Material findet sich in der Seh-Kiste im Projektraum enter.
Die Familie
Einstieg, Raum mit Stammbaum
Material: Stammbaum und Material im 1. Raum der in der Ausstellung
Ernst Morgenthaler
Sasha lesend im Korbstuhl, 1917
SASHA, EIGENTLICH MARY MADELEINE SASCHA MORGENTHALER-VON SINNER (1893–1975)
Kindheit und Jugend in Bern, Freundschaft mit Paul Klee durch das Elternhaus,
Ausbildung an der Kunstakademie in Genf, 1914 bei Cuno Amiet auf der Oschwand, wo sie Ernst Morgenthaler begegnet. Studienaufenthalt in München, bei
Klee und in der Hollósy-Malschule, 1916 Rückkehr in die Schweiz und Heirat mit
Ernst Morgenthaler, 1918 Geburt von Niklaus, 1919 Geburt von Fritz, Übersiedlung
von Oberhofen bei Thun nach Wollishofen. 1924 Geburt von Barbara. 1929 Umzug
nach Meudon bei Paris, ab 1932 eigenes Atelier-Haus in Zürich-Höngg. Sitzt Karl Geiser mehrfach Modell und
wird von ihm porträtiert. Ist zeitweise liiert mit ihm. 1934 Ausbildung zur Hebamme in Basel, arbeitet mehrere
Jahre auf dem Beruf. Entwirft Kinderspielsachen und erste Puppen. Im Zweiten Weltkrieg beteiligt sie sich an
den «Hülfstrupps» des Schweizerischen Zivilen Frauenhilfsdienstes und wird schliesslich Leiterin sämtlicher
Hülfstrupp-Organisationen. In den 1940er-Jahren entwickelt sie die weltberühmten Sasha-Puppen, von denen sie – zusammen mit einem eingespielten Team – pro Jahr etwa 200 herstellt und vertreibt. Ab 1965 auch
serienmässig hergestellte Puppen, nach zahlreichen Versuchen, sie preiswerter zu produzieren.
Ernst Morgenthaler
Selbstporträt, 1925
ERNST MORGENTHALER (1887–1962)
Kindheit und Jugend in Kleindietwil, Kanton Bern, und in der Stadt Bern. 1914 bei
Cuno Amiet auf der Oschwand, wo er Sasha von Sinner kennenlernt, Studienaufenthalt in München, Unterricht bei Paul Klee, 1916 Heirat mit Sasha von Sinner,
Wohnsitz in Genf. Ab 1920 in Zürich als Maler tätig. 1929–1932 in Meudon bei Paris,
dann Zürich-Höngg. Zahlreiche Reisen nach Nordafrika und Südfrankreich. Morgenthaler nimmt am kulturel-
26
len Leben in Zürich rege teil und befreundet sich mit Schriftstellern, Malern, Bildhauern, Musikern und Kunstliebhabern. Er ist in den wichtigsten Schweizer Museen und in mehreren Privatsammlungen vertreten. Im
Sommer 1945 verbringt er sechs Wochen in Montagnola, um Hesse zu porträtieren (später noch einmal
1959). Jahrzehntelanger Briefwechsel mit Hesse. 1951–1953 Präsident der Eidgenössischen Kunstkommission. 1952 Kunstpreis der Stadt Zürich, aktive Ausstellungstätigkeit, mehrere eigene Publikationen.
Die Schülerinnen und Schüler lernen Ernst und Sasha Morgenthaler als Künstlerpaar kennen.
Ihr seid bei Morgenthalers zu Hause eingeladen. Was erzählt ihr am nächsten Tag zu Hause, wie es bei Morgenthalers war? Nehmt alle Bilder und Materialien im ersten Raum wahr und verknüpft eure Eindrücke.
Paradies
Ernst Morgenthaler: Raum 1
Material: Zeichenmaterial
Ernst Morgenthaler
Ein Stück vom Paradies, 1952
In diesem Laufgitter sehen wir David, den Sohn von Barbara (Tochter von Sasha
und Ernst). Er lebte bei seinen Grosseltern bis er 6 Jahre alt war, da seine Mutter
sehr viel reiste. Heute lebt er in Australien, seine Mutter ist 91-jährig.
Bei einem Ausstellungsrundgang erzählte David, wie sehr ihn seine Kleinkindzeit
in Zürich Höngg prägte, da es im Hause Morgenthaler immer sehr gastfreundlich
zu und her ging. Für ihn war es tatsächlich ein kleines Paradies.
Und doch scheint es auch im Paradies Grenzen und Tod zu geben: Hier das Laufgitter oder im anderen Bild auf dem rechten Teil der Jäger mit dem toten Tier.
Ernst Morgenthaler
Paradies-Triptychon, Mittelteil, 1959
Die Schülerinnen und Schüler malen ihr eigenes Paradiesbild. Was ist aus dem
Paradies nicht wegzudenken? Dies ist auch eine gute Vorbereitung für den Ausstellungsbesuch. Die Bilder können mitgebracht werden, so dass eine Diskussion
über Paradies und seine Darstellung vor den beiden Morgenthaler-Bildern entstehen kann. Was sind Klischees, was ist wem persönlich wichtig? Wieso brauchen
27
wir überhaupt eine Vorstellung vom Paradies?
Grössere Schüler können die Form des Triptychon aufnehmen und auch ein Gemeinschaftswerk angehen –
als Nachbereitung des Besuchs.
Variante für Kleinere als Sprachübung: Reihum wird eine Paradiesgeschichte erzählt, die Elemente der Bilder
in Ernst Morgenthalers Raum enthält. Es kann von Bild zu Bild gesprungen werden.
Variante: Das Paradiesbild erscheint den Kindern im Traum und sie hören die Musik die das weisse Kind den
Tieren vorspielt. Was kommt diesen Tieren beim Lauschen in den Sinn?
Nachtbilder
Ernst Morgenthaler: Raum 2
Material: Schreibmaterial
Ernst Morgenthaler
Eine Mondnacht in Sizilien, 1961
Eine Besonderheit sind die Abend- und Nachtbilder Morgenthalers. In ihnen erfasst
der Maler eine besondere Stimmung, die zur Form eines Gedichts passt.
Die Schülerinnen und Schüler dichten frei oder halten sich an die Form des Elfchens.
Dazu gibt es auch eine Auftragskarte in der Seh-Kiste.
Das Elfchen:
1. Zeile
1 Wort
Ein Thema, ein Gegenstand, eine
Farbe, ein Geruch, eine Stimmung,…
2. Zeile
2 Wörter
Was macht das Wort aus Zeile 1?
3. Zeile
3 Wörter
Wo oder wie ist das Wort aus Zeile 1?
4. Zeile
4 Wörter
Was meinst du?
5. Zeile
1 Wort
Fazit: Was kommt dabei heraus?
Figuren
Sasha Morgenthaler, Raum 2
Material: Knete, Unterlagen
Sasha Morgenthaler ist als Künstlerin ausgebildet. Mehr über ihr Leben und ihr Schaffen erfahren Sie in einem Film, der im Gang beim Projektraum enter zu sehen ist. Da ihr
28
Mann malte und sie ihre eigenen Bilder immer nur noch durch seine Augen sah, besann sie sich auf ihre Stärke als Bildhauerin, wie die Figuren und Tiere zeigen.
Die Schülerinnen und Schüler formen aus Knete eine Figur oder ein Tier – vielleicht aus dem vorher gezeichneten Paradies? Bitte auf Unterlagen kneten. Die kleinen Skulpturen werden zuletzt gemeinsam gruppiert, so
dass eine kleine Ausstellung entsteht, zum Beispiel im enter-Raum auf einem der Tische.
Auf der Veranda (Raum 5) sind Skulpturen von Karl Geiser ausgestellt, ein sehr guter Freund Morgenthalers.
Der gleiche Auftrag kann auch dort verfolgt werden.
Zu Karl Geiser gibt es hier einen Text von Ernst Morgenthaler:
Rede Ernst Morgenthalers zu Karl Geiser: http://retro.seals.ch/cntmng?pid=wbw-002:1958:45::68
Vielfalt
Sasha Morgenthaler, Raum 2
Material: Schreibmaterial
«Über 1000 Kinder sah ich auf die Welt kommen, was später auch zum Puppenmachen beitrug.» (Interview mit Sasha Morgenthaler vom 31. Oktober 1973, Typoskript Nachlass Morgenthaler Thun.)
«Die vielen Eindrücke von Menschen aus fremden Ländern sind mein Erinnerungsmaterial, mit
dem ich arbeite, denn ich kann meinen Puppen nur das geben, was ich selbst erlebt habe.»
(Sasha Morgenthaler, Ausstellungsbroschüre mit Texten von Maria Netter und Sasha Morgenthaler, Zürich 1988.)
Sasha Morgenthaler reiste viel, half im 2. Weltkrieg Flüchtlinge zu versorgen und sorgte für ein gastfreundliches Haus. Ausserdem machte sie noch eine Ausbildung zur Hebamme, um zum Familieneinkommen beizutragen. Bereits früh produzierte sie Spielzeug für ihre drei Kinder, da sie kein schönes Spielzeug zu kaufen
fand, das leistbar war. All dies prägte sie, als sie anfing, nach dem Krieg Puppen herzustellen.
Als Einstieg kann die Vielfalt in der eigenen Klasse thematisiert werden: Wer kommt woher? Wo sind die Kinder bereits gereist?
29
Eine ungeheure Vielfalt an lebendig wirkenden Wesen versammelt sich hier in der Vitrine. Was haben sie einander zu erzählen? Jeweils zwei Schülerinnen oder Schüler suchen sich zwei Puppen aus und führen einen
Dialog, bei dem sie jeweils aus ihren Leben erzählen (also dem Leben der Puppen). Sie tragen einander die
Dialoge vor.
Variante: Dies kann auch mit den Sasha-Puppen aus dem enter-Raum direkt vorgespielt werden, die allerdings industriell hergestellt sind und nicht mehr gar so vielfältig. Doch sie können in die Hand genommen
werden - diejenigen, die im offenen Regal sitzen. Bitte nicht die aus der Vitrine verwenden.
Autobiografie
Sasha Morgenthaler, Raum 2
Material: Zeichenmaterial
Sasha Morgenthaler zeichnete auch viel – bereits als Kind. Daher sorgte der
Freund ihrer Familie Paul Klee, dass sie 16-jährig die Kunstakademie in Genf
besuchen durfte. Erst 1964 wählte sie aus der Erinnerung einige Momente
aus ihrem Leben, zeichnete ein Bild und verfasste einen Text dazu.
Die Schülerinnen und Schüler wählen einen Tag aus ihrem Leben, einen Moment, eine wichtige Erinnerung
und zeichnen und schreiben. Werden diese speziellen Tage im Klassenzimmer aufgehängt ergibt das einen
vielfältigen Erfahrungsfundus.
Fingerpuppen
Paul Klee, Raum 3
Material: Stoff für Fingerpuppen, Anleitung
Paul Klee
Handpuppen
Paul Klee gestaltete Handpuppen für seinen Sohn Felix. Einige der Kleider
nähte Sasha.
fortgeführt werden.
30
Im Projektraum enter gibt es Stoff und eine Anleitung, um Fingerpuppen
herzustellen. Anschliessend können sie im Theater lebendig werden und ein
kleine Szene aufführen. Das Projekt kann ausführlicher im Klassenzimmer
Gedicht
diverse Räume
Material: Schreibmaterial
Paul Klee
Anfang eines Gedichts, 1938
Dieses Bild kann als Anregung zum Weiterdichten verstanden werden. Nur
der Beginn steht fest: so fang es heimlich an…
Johann Sebastian Bach komponierte dieses Liebeslied. Einen Einblick gibt
ein Filmchen auf YouTube:
https://www.youtube.com/watch?v=htbpChpcxUA
oder https://www.youtube.com/watch?v=9nz59Ff9sWA
Willst du dein Herz mir schenken,
So fang es heimlich an,
Dass unser beider Denken
Niemand erraten kann.
Die Liebe muss bei beiden
Allzeit verschwiegen sein,
Drum schliess die grössten Freuden
In deinem Herzen ein.
Begehre keine Blicke
Von meiner Liebe nicht,
Der Neid hat viele Stricke
Auf unser Tun gericht.
Du musst die Brust verschliessen,
Halt deine Neigung ein.
Die Lust, die wir geniessen,
Muss ein Geheimnis sein.
Behutsam sei und schweige
Und traue keiner Wand,
Lieb' innerlich und zeige
Dich aussen unbekannt.
Kein' Argwohn musst du geben,
Verstellung nötig ist.
Genug, dass du, mein Leben,
Der Treu' versichert bist.
Zu frei sein, sich ergehen,
Hat oft Gefahr gebracht.
Man muss sich wohl verstehen,
Weil ein falsch Auge wacht.
Du musst den Spruch bedenken,
Den ich zuvor getan:
Willst du dein Herz mir schenken,
So fang es heimlich an
31
Porträts und Selbstbildnisse
diverse Räume
Material: Zeichenmaterial, Spiegel
Immer wieder spielen Porträts und Selbstbildnisse eine Rolle in der Ausstellung, sei es von der Familie Morgenthaler oder auch den Freunden. Es gibt vielfältige Möglichkeiten das Thema zu bearbeiten. Es gibt in der
Seh-Kiste unterschiedliche Aufträge zum Thema.
Vor ausgewählten Porträts können zunächst Gespräche über die dargestellten Menschen entstehen.
Wie du mir, so ich dir
Setzt euch einander genau gegenüber, am besten an einen Tisch. Beide haben ein Blatt Papier und einen Stift
vor sich liegen. Schaut euch an und zeichnet, ohne auf das Blatt zu schauen!
Eure fertige Zeichnung könnt ihr mit Farbstiften oder Kreide weitergestalten, mit Augen!
Zeichne dich blind
Nimm ein Blatt Papier und ein Bleistift. Nun schliesst du die Augen. Mit der einen Hand tastest du nun langsam über dein Gesicht. Zeichne gleichzeitig mit deiner anderen Hand, Konturen, Vorsprünge und Rundungen
deiner Gesichtslandschaft als Linien und Flächen. Vielleicht kannst du sogar die Beschaffenheit deiner Haut
mit Bleistift und Papier ausdrücken? Öffne die Augen erst, wenn du fertig bist!
Zeichne dich sehend
Stelle den Spiegel so hin, dass du dein Gesicht gut darin sehen kannst. Lege dir ein Papier und ein Stift
zurecht.
1. Versuch:Schau während des Zeichnens nur in den Spiegel, nie auf das Papier.
2. Versuch: Schau in den Spiegel, merke dir die Linien und Formen, schau auf das Zeichenpapier und
zeichne sie. Hin und Her… Spiegel, Papier, Spiegel, Papier,
Symmetrisch oder Asymmetrisch?
Schau dich im Spiegel genau an. Vergleiche deine beiden Gesichtshälften. Was fällt dir auf? Sind deine
beiden Augen vollkommen gleich geformt? Haben sie dieselbe Färbung? Ist die linke Backe genau
gleich rund wie die rechte? Haben die beiden Augenbrauen genau den gleichen Schwung? Ist der rechte Mundwinkel auf derselben Höhe wie der linke?
Zeichne ein Selbstportrait von dir, bei dem du deine Erkenntnisse berücksichtigst.
Schau auch die Sasha-Puppen genau an. Du wirst sehen, dass beide Körperhälften nie ganz gleich
sind. So wirken sie so lebendig und menschlich.
Möchtest du noch mehr wissen zur (A)-symmetrie von Gesichtern? In der Seh-Kiste findest du eine
Mappe dazu.
32
Puppen
Grosser Saal, Bereich 10
Material: Puppen und Zeichenmaterial
Im letzten Bereich des grossen Saal sind Kinderzeichnungen ausgestellt, unter anderem Puppen.
Der folgende Auftrag kann mit der Erinnerung arbeiten oder es werden Sasha-Puppen aus dem Projektraum
enter verwendet.
Ich und meine Puppe
Hast du eine Puppe mit der du gerne spielst oder ein Kuscheltier, das du besonders lieb hast?
Zeichne ein Bild von deiner liebsten Puppe oder deinem liebsten Kuscheltier, mit oder ohne dich auf
dem Bild.
Als Anregung findest du in der Seh-Kiste Karten mit Bildern von berühmten Künstlerinnen und Künstlern, die zum Thema „ Kind mit Puppe“ tolle Bilder gemalt haben.
Wir würden uns freuen, dein Bild hier ausstellen zu dürfen! Schreibe Namen und Adresse gut leserlich
auf die Rückseite. Wir werden es dir Ende Jahr zurückschicken.
Literatur
Raum 9
Material: Texte aus der Seh-Kiste
Ein Raum ist den Schriftstellerfreundschaften gewidmet. Der Dichter Hans Morgenthaler war ein Cousin von
Ernst. Befreundet waren die Morgenthalers unter anderem mit Robert Walser und Hermann Hesse, von denen Zeugnisse in der Ausstellung zu sehen sind.
In der Seh-Kiste findest du Karten mit kurzen Texten von Schriftstellern und Künstlern, die in der Ausstellung „ Der Kontinent Morgenthaler“ eine Rolle spielen. Suche dir einen Text aus, der dich besonders anspricht.
Nimm ein Blatt Papier, Farbkreiden oder Stifte und lass dich vom Text zu einem Bild anregen.
Variante:
Suche in der Ausstellung nach Bildern, die zu den Texten passen.
33