1/4 BIELMEIERS WELT Eine Research-Publikation der DZ BANK AG Kollateralschaden Was hat die Europäische Zentralbank (EZB) in den letzten Jahren nicht alles getan, um einer möglichen Deflation vorzubeugen und den Euroländern Strukturreformen zu erleichtern? Man hat die Zinsen auf 0% gesenkt - also den Zins de facto abgeschafft - und den Einlagezins bis auf -0,4% gesenkt. Zuletzt wurde auch noch ein großes Anleihekaufprogramm gestartet, bei dem pro Monat 80 Milliarden Euro an Staatsanleihen, Unternehmensanleihen und weiteren Bonds gekauft werden. Die Folge sind negative bzw. sehr niedrige Renditen für die Staatsanleihen der Euro-Länder und ein massiver Liquiditätsüberhang im Bankensystem. Zumindest für die Reformbereitschaft der Staaten setzt die Politik der EZB die falschen Anreize. So lag, unter gewissen Annahmen, die Zinsersparnis seit 2012 in Spanien bei 21 Milliarden Euro, in Italien bei 53, in Frankreich bei sieben und in Deutschland bei vergleichbaren geringen neun Milliarden Euro. Damit wird klar ersichtlich, dass die Länder mit dem größten Reformstau am stärksten von der EZB-Politik profitieren und es damit die EZB vermutlich selbst ist, die die Reformbereitschaft merklich mindert. Aber nehmen wir für einen Moment an, dass all die getroffenen Maßnahmen der letzten Jahre tatsächlich dazu beitragen, die Strukturprobleme in einigen Ländern zu lösen sowie den Euro mittelfristig zu stabilisieren und zu erhalten. Doch wie wirkt sich die EZB-Politik auf das deutsche Wirtschaftssystem aus? Zum einen profitiert natürlich auch die deutsche Wirtschaft von den niedrigen Zinsen und dem schwachen Euro. Dies gilt insbesondere, da die deutschen Unternehmen sich in den vergangenen Jahren strukturell weiterentwickelt haben und somit das günstige monetäre Umfeld auf einen fruchtbaren Boden fällt. Somit stützt die EZB-Politik aktuell das Wirtschaftswachstum in Deutschland. Regelmäßige Kommentare zu den aktuellen Themen finden Sie auch unter www.bielmeiersblog.dzbank.de VOLKSWIRTSCHAFT Special 11.4.2016 INHALT IMPRESSUM 4 DZ BANK RESEARCH BIELMEIERS WELT – KOLLATERALSCHADEN Langsam werden aber auch die negativen Effekte der EZB-Politik sichtbar. Hierfür ist vor allem Deutschland anfällig. So ist das deutsche Bankensystem mit der starken Bedeutung der Sparkassen und Genossenschaftsbanken im Vergleich zu den Bankensystemen der anderen Euro-Länder sehr kleinteilig. Diese regional verwurzelten Systeme haben in der Vergangenheit entscheidend zur Stabilität der deutschen Wirtschaft beigetragen. Gerade diese beiden Bankengruppen sind durch die aktuelle Niedrigzinspolitik gefährdet, da notwendige Strukturbeiträge durch die flache Zinsstruktur wegfallen bzw. Negativzinsen am kurzen Ende nicht weitergegeben werden können. Selbst die oberste Bankenaufseherin der EZB, Frau Nouy, hat auf die Gefahr der zunehmenden Ertragsschwäche der deutschen Banken hingewiesen. Mit der Schwächung des deutschen Bankensystems wird perspektivisch auch das deutsche System der Unternehmensfinanzierung gefährdet. Die Unternehmensfinanzierung in Deutschland hängt sehr stark von der Kreditvergabe der Banken ab, da die deutschen mittelständischen Unternehmen in der Regel nicht oder nur bedingt kapitalmarktfähig sind. Wenn die Risikobereitschaft der deutschen Banken jedoch durch die abnehmende Ertragskraft gemindert wird, kann sich dies mittelfristig nachteilig auf die Finanzierungsbedingungen auswirken. Zudem besteht das Risiko, dass die Kreditzinsen steigen, um den Kostendruck auf diese Weise auszugleichen. Somit könnte also das Niedrigzinsumfeld in Deutschland das bislang sehr risikotragfähige Bankensystem schädigen und schwächen. Dies könnte sich wiederum nachteilig auf die Finanzierungsbedingungen für den Mittelstand auswirken und damit zu einer deutlichen Schwächung des deutschen Wirtschaftssystems führen. Aber nicht nur bei den Banken und Unternehmen kann die derzeitige EZB-Politik zu einer Schwächung der aktuellen Struktur führen. Auch die privaten Haushalte dürften negativ betroffen sein, wenn sich die EZB Politik mittelfristig nicht wieder normalisiert. So besitzen die deutschen Haushalte im Vergleich zum Durchschnitt der restlichen Euroländer ein relativ hohes Geldvermögen und relativ wenig Immobilien. Diese Vermögensstruktur ist besonders anfällig gegenüber niedrigen Renditen, da der Ertrag des Vermögens unmittelbar sinkt. In Deutschland ist zudem die Risikobereitschaft bei der Vermögensanlage nicht sehr ausgeprägt. Entsprechend werden die niedrigen Renditen auch nicht durch eine höhere Aktienquote kompensiert. Zudem wird die mit der Reform der Rentenversicherungen eingeführte staatliche Förderung der private Altersvorsorge mit den niedrigen Renditen ad absurdum geführt, da der Zinseszinseffekt bei der Kapitalanlage wegfällt. Damit ist das zu erwartende zusätzliche Vermögen bei Rentenbeginn viel kleiner als ursprünglich erwartet. Ferner bauen sich durch die gegebene Kapitalgarantie der Einlagen bei dem aktuellen Renditenniveau hohe Risiken auf der Anlageseite und den hierfür zuständigen Kapitalsammelstellen auf. All diese negativen Effekte werden erst langsam sichtbar. Je länger die aktuelle EZB-Politik aber anhält, desto deutlicher werden die Folgen sichtbar sein. Zudem werden die langfristigen Effekte auch nicht mehr umkehrbar sein, sondern Rentner von morgen belasten. Wenn die EZB mit der aktuellen Niedrigzinspolitik fortfährt, dürften also alle Sektoren in Deutschland nachhaltig negativ betroffen sein. Damit könnten das Wachstumspotential und der relative Wohlstand in Deutschland sinken. Zudem könnte es zu deutlichen politischen Verwerfungen kommen - insgesamt also eine sehr ungünstige Entwicklung für Deutschland. 2/4 SPECIAL 8.4.2016 DZ BANK RESEARCH BIELMEIERS WELT – KOLLATERALSCHADEN Die Unternehmen, privaten Haushalte und Banken könnten sich natürlich anpassen, denn die deutsche Wirtschaft ist ein leistungsfähiges und stabiles System. Der Grund für die Geldpolitik liegt eigentlich nicht in Deutschland, sondern in den Ländern des Euroraums, die sich bislang den notwendigen Reformen verschlossen haben. Somit wären die Schäden im deutschen Wirtschaftssystem ein Kollateralschaden, den man in Kauf nehmen müsste, um den Euroraum insgesamt zusammenzuhalten. Damit kommt man aber zu Grundproblem des Euroraums. Die Gründungsväter des Euro gingen davon aus, dass der gemeinsame Währungsraum zu einer strukturellen Annäherung der Länder führt. Diese Annahme war bislang leider nicht richtig. Vielmehr gibt es eigentlich immer weniger Anreize für die Staaten mit Reformdefiziten, die notwendigen Reformen auch tatsächlich anzugehen. Die EZBPolitik ist auf den Erhalt des Euro ausgerichtet und orientiert sich in der Regel am „Mittelwert“ im Euroraum. Wenn sich Deutschland mit seiner strukturellen Stärke aber immer weiter weg vom Mittelwert wegbewegt, wird die EZB-Politik immer weniger passend für die deutsche Wirtschaft sein. Bislang haben die Vorteile des Euro die Nachteile überwogen. Wenn jedoch die aktuelle Geldpolitik noch länger fortgesetzt wird, dürften die Nachteile immer stärkere Bedeutung erlangen. Insbesondere Deutschland wäre von den Nachteilen betroffen. Die unausgewogene und wenig zielgerichtete Geldpolitik ist dabei im Grunde Folge einer anhaltenden strukturellen Divergenz im Euroraum. Dabei orientiert sich die Geldpolitik zunehmend an den strukturell schwächsten Ländern, da diese zwischenzeitlich die Mehrheit bilden. Für die deutsche Regierung stellt sich damit aber absehbar die Frage, ob man die offensichtliche Schwächung bzw. Schädigung des deutschen Wirtschaftssystems in Kauf nimmt, um den Euro zu sichern oder ob man die nationalen Interessen stärker in den Vordergrund rückt. Erschwert wird die Diskussion und Entscheidung durch die - ordnungspolitisch völlig richtige - Unabhängigkeit der EZB. Durch die vollständige Unabhängigkeit der EZB wird eine offene Diskussion über die oben beschriebenen Probleme kaum möglich sein, da sich die EZB einer solchen Diskussion mit Hinweis auf ihre Unabhängigkeit immer verweigern kann. Damit bleibt der deutschen Regierung nur eine Diskussion auf europäischen Level über die institutionellen Regeln für die EZB. Eine offensichtliche Lösung der Probleme wäre eine Gewichtung der Stimmen der nationalen Zentralbanken in den Entscheidungsgremien der EZB. Das Interesse an einer solchen Änderung dürfte verständlicherweise bei den anderen Ländern aber relativ gering sein. Es gäbe also Lösungen, allerdings sollten die Probleme der Währungsunion nun aber offen diskutiert werden, um ein ungewolltes Zusammenbrechen des Euroraums zu verhindern. Hierbei wäre eine Initiative der deutschen Regierung notwendig. Die verfassungsmäßige Legitimation hätte sie, verpflichten sich doch Minister und Bundeskanzler in ihrem Amtseid, Schaden von Deutschland abzuwenden. 3/4 SPECIAL 8.4.2016 DZ BANK RESEARCH BIELMEIERS WELT – KOLLATERALSCHADEN 4/4 SPECIAL 8.4.2016 IMPRESSUM DISCLAIMER Herausgeber: DZ BANK AG Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank, Frankfurt am Main, Platz der Republik, 60265 Frankfurt am Main Telefon: 069 7447-01 Telefax: 069 7447-1685 Homepage: www.dzbank.de E-Mail: [email protected] Vertreten durch den Vorstand: Wolfgang Kirsch (Vorstandsvorsitzender), Lars Hille, Wolfgang Köhler, Dr. Cornelius Riese, Thomas Ullrich, Frank Westhoff, Stefan Zeidler Verantwortlich: Stefan Bielmeier, Leiter Research und Volkswirtschaft Verantwortlich: Dr. Michael Holstein, Leiter Volkswirtschaft Aufsichtsratsvorsitzender: Helmut Gottschalk Sitz: Eingetragen als Aktiengesellschaft in Frankfurt am Main, Amtsgericht Frankfurt am Main, Handelsregister HRB 45651 Aufsicht: Die DZ BANK wird durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und die Europäische Zentralbank (EZB) beaufsichtigt. 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