Neue Weiterbildungsordnung für Ärzte und die Konsequenzen für Geriatrie und die medizinische Versorgung einer älter werdenden Gesellschaft Die neue Weiterbildungsordnung, die in diesem Jahr von der Delegiertenversammlung am Deutschen Ärztetag verabschiedet worden ist, hat zu erheblichen Kontroversen im Gebiet der Inneren Medizin und speziell im Bereich der Geriatrie geführt. Wir meinen dass sich aus der neuen Weiterbildungsordnung erhebliche Konsequenzen für die künftige Versorgung aber auch für die Harmonisierung der Berufsordnung auf europäischer Ebene ergeben. Es wäre äußerst problematisch für die aktuelle Versorgung aber auch für die Aus- und Weiterbildung und damit zukünftige Versorgung, wenn die vorgelegte Weiterbildungsordnung in Kraft treten würde, da damit die Geriatrie zu einer Zusatzbezeichnung degradiert wird, die ohne adäquate strukturierte Ausbildung vermittelt werden kann. Dies entspricht in keiner Weise der aktuellen und auch zukünftigen Bedeutung dieses Zweigs der Medizin vor dem Hintergrund der bekannten Demographie. Neue Weiterbildungsordnung und Geriatrie Die bis zum Mai diesen Jahres gültige Weiterbildungsordnung für Ärzte sah vor, dass die Geriatrie als sogenannte „fakultative Weiterbildung" mit einer üblichen Weiterbildungszeit von 2 Jahren und den weiteren formalen und inhaltlichen Voraussetzungen einem typischen Teilgebiet entsprach. Der Unterschied zu einem echten Teilgebiet war die Öffnung der Teilgebietsbezeichnung für diverse Gebiete, d. h. der Verzicht auf die Exklusivität, an ein einzelnes Gebiet angebunden zu sein. So konnte die fakultative Weiterbildung klinische Geriatrie nicht nur im Gebiet der Inneren Medizin, wenngleich dort vorzugsweise, sondern auch in der Allgemeinmedizin, Neurologie und in der Psychiatrie erworben werden. Faktisch war sowohl die Weiterbildung als auch die Berechtigung zur Weiterbildung zu über 90% an die Innere Medizin gekoppelt. Mit dieser Situation konnte man leben. Die geschilderte Regelung der fakultativen Weiterbildung klinische Geriatrie galt bundesweit mit einer Ausnahme. In Brandenburg war die klinische Geriatrie mit Ihrer Einführung seit 1995 voll anerkanntes Teilgebiet der Inneren Medizin. In der aktuell durch die Delegierten des Deutschen Ärztetages verabschiedeten Weiterbildungsordnung wird die Innere Medizin in ihrer bisherigen Form aufgegeben, ebenso die Allgemeinmedizin, die nunmehr als integraler Bestandteil der Inneren Medizin auftaucht und gewissermaßen den hausärztlich tätigen Internisten abbilden soll. Die Allgemeinmediziner als personenstärkste Gruppe in der Selbstverwaltung der Ärzte haben dieses Modell stark befördert und es damit zusammen mit einigen anderen Befürwortern in der Weiterbildungsordnung verankert. Die klassische Innere Medizin, berufspolitisch vertreten durch den Bund Berufsverband Deutscher Internisten (BDI), hat erheblichen aber erfolglosen Protest vorgebracht und prüft derzeit eine rechtliche Verhinderung der neuen Weiterbildungsordnung, auch wenn sie durch die jeweiligen Länder in Kraft gesetzt würde. (1, 2) 1 Speziell die Geriatrie aber ist durch die neue Weiterbildungsordnung in ihrem Bestand so stark gefährdet, dass man davon ausgehen muss, dass eine adäquate geriatrische Weiterbildung und damit die Sicherung des Nachwuchses auf absehbare Zeit zerstört sein wird. Dies dürfte erhebliche Konsequenzen für eines der mittlerweile bettenstärksten klinischen Fachgebiete in vielen Bundesländern haben. Klinische Geriatrie wird, wie der Name bereits sagt, in Krankenhäusern und nicht in der niedergelassenen Praxis ausgeübt und weitergebildet, wobei auch nicht übersehen werden darf, dass diese mittlerweile auch in Niedersachsen bewährten klinischen Abteilungen zu einer Veränderung, d. h. "Geriatrisierung" unserer klinischen Medizin und unserer Krankenhausabteilungen geführt haben. All diese auch politisch gewünschten und aufgrund der Demographie notwendigen Wirkungen auf das Gesundheitswesen werden mit der neuen Weiterbildungsordnung nicht fortführbar sein sondern sich wieder zurückbilden. Weiters muss gesagt werden, dass die vorgelegte Weiterbildungsordnung den europäischen Harmonisierungsbestrebungen für die ärztliche Weiterbildung völlig zuwider läuft (3, 4) Erstaunlicherweise wird die „entgeriatrisierte" neue Weiterbildungsordnung in einer Zeit vorgelegt in der die Altersmedizin nunmehr auch Eingang in die Approbationsordnung und damit auch in die Ausbildung unserer Medizinstudenten gefunden hat. Die soeben in Kraft getretene Approbationsordnung sieht vor, dass ab dem Studienjahr 2004 die Altersmedizin im Studium gelehrt werden muss. Derzeit sind die Fakultäten damit beschäftigt, das entsprechende Fachwissen curricular in die Vorlesungen und Seminare einzubauen; wobei die fehlenden universitären geriatrischen Einrichtungen sich jetzt als Problem erweisen. Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie legt deshalb derzeit einen Musterlehrplan auf. Wie soll jedoch die allenthalben bemängelte akademische Repräsentanz und Lehrkapazität in Altersmedizin verbessert werden, wenn gleichzeitig Geriatrie als klinisches Fach zerstört wird (5, 6)? Nunmehr liegt die Handlungsentscheidung bei der Politik. Die Landesregierungen sind bei der länderwirksamen Inkraftsetzung der Weiterbildungsordnung nicht nur in Hinsicht einer formaljuristischen Prüfung gefordert, sondern natürlich auch hinsichtlich einer Prüfung mit Blick auf mögliche Konsequenzen für die medizinische Versorgung im Landesgebiet. Kolb 1) Lüttje 2) Meyer zu Schwabedissen 3) 2 Korrespondenzadressen: 1) Prof. Dr. med. Dr. rer. physiol. Gerald F. Kolb Chefarzt Med. Klinik, Fachbereich Geriatrie St. Bonifatius Hospital Lingen Akademisches Lehrkrankenhaus der Med. Hochschule Hannover Wilhelmstr. 13 49808 Lingen (Ems) Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) Präsident elect, Vizepräsident Dachverband wissenschaftlich gerontologischer Gesellschaften (DVGG) 2) Chefarzt Dr. med. Dieter Lüttje Städt. Kliniken Natruper Holz Klinik für Geriatrie Sedanstraße 115 49090 Osnabrück Sektionsvorsitzender für Geriatrie im Berufsverband Deutscher Internisten (BDI), Weiterbildungsbeauftragter der Regionalarbeitsgemeinschaft Klinisch-Geriatrischer Einrichtungen Niedersachen-Bremen. Vorstand Bundesarbeitsgemeinschaft Klinisch-Geriatrischer Einrichtungen Deutschland Sekretär der Sektion Geriatrie der European Union of Medical Specialists (Europ. Kommission für Harmonisierung der ärztliche Weiterbildung) 3) Chefarzt Dr. med. Hubertus Meyer zu Schwabedissen Medizinische Klinik IV (Geriatrie) Städt. Klinikum Braunschweig Gliesmaroder Str. 29 38106 Braunschweig Vorsitzender Regionalarbeitsgemeinschaft Klinisch-Geriatrischer Einrichtungen Niedersachsen und Bremen Literatur: 1. Muster-Weiterbildungsordnung des Gebietes Innere und Allgemeinmedizin mit Stellungnahme des Berufsverbandes Deutscher Internisten, BDI e. V. 2. Kolb G. Mitteilungen der DGG. Bericht über die letzte Sitzung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Euro J Ger 2002; 4: 150 3. Duursma S. A .... Teaching and training for geriatric medicine in the European Union. Euro J Ger 2002; 4: 59-67 4. Lüttje D. Geriatrie in Europa - und Deutschland (Editorial). Euro J Ger 2002; 4: 57 5. Kolb G. Aus- und Weiterbildung im Fach Geriatrie (Editorial). Euro J Ger 2002; 4: 58 6. Pils K, Kolb G. Geriatric medicine in European universities. Euro J Ger 2000; 2: 109-113 3
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