Kundenbindung im Aftersales

Connected Car? Connected Customer!
Kundenbindung im Aftersales
Connected Car rückt Automobilhersteller näher an ihre Kunden. Es ist deshalb elementater Teil eines ­digitalen
Customer Relationship Management mit Fokus auf die Phase Ownership.
Tante Emma wusste, dass die kleine Laura besonders gern die
Karamellbonbons mochte und deshalb sehr nachdrücklich den
Einkaufsweg von Mama regelmäßig in ihren Laden lenkte. Für
die Mutter der fünfköpfigen Familie hielt Tanta Emma immer
die richtige Kombination aus Nahrungsmitteln, Getränken
und sonstigem Bedarf des täglichen Lebens bereit – dazu stets
einen guten Rat für die Erziehung oder einen Tipp für die
Behandlung kleiner Wehwehchen. Rundum gut bedient schaute Laura’s Mama dann auch nicht auf den letzten Cent, den sie
eventuell im Discounter in der Stadt hätte sparen können.
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Detecon Management Report dmr • Special Automotive 2015
Der zunehmende Zwang zur Wirtschaftlichkeit für die
­Bedienung von Massenmärkten hat die Tante-Emma-Läden
verschwinden lassen. „Economies of Scale“ gewannen die
Oberhand. Aber das Grundprinzip der optimalen Kundenbetreuung als Basis für die Kundenbindung und damit die
­Loyalität ist geblieben:
>
>
>
>
dem richtigen Kunden
zum richtigen Zeitpunkt
das richtige Angebot
auf die richtige Art und Weise machen.
Herausforderungen im Aftersales der Automobilindustrie
Übersetzt in moderne CRM-Konzepte bedeutet das:
> Treffsichere Segmentierung von Kunden
> Prediktion des voraussichtlichen Zeitpunktes für das Ent-
stehen eines Bedarfes
> auf den individuellen Bedarf zugeschnittene, als „passend“ empfundene Angebote
> über den geeigneten – gegebenenfalls individuell ­präferierten – Kommunikationskanal.
Wie lässt sich dieses Konzept mit Hilfe von innovativer
Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) sinnvoll umsetzen?
Automobilhersteller standen bislang vor dem Dilemma, Informationen über ihre Kunden nur in den Anbahnungsphasen
und bis zur Fahrzeugübergabe zu erhalten. Die Mehrzahl der
Kundeninteraktionen erfolgte beim Händler und anschließend in der Werkstatt. Da die Händler und Werkstätten in der
Regel rechtlich selbständige Unternehmen sind, deren Unternehmenswert in maßgeblichem Umfang durch den – loyalen –
Kundenstamm bestimmt wird, ist nicht verwunderlich, dass der
Austausch des Wissens um den Kunden und seine Bedarfe mit
dem Hersteller oftmals recht spärlich erfolgt. Insbesondere bei
Fahrern älterer Fahrzeuge verlor sich die Spur des Kunden zunehmend, und spätestens beim Kundenwechsel im Zuge eines
Gebrauchtwagenverkaufs riss der Faden zum Hersteller vollständig ab. Bislang waren Automobilherstellern also weitgehend
die Hände gebunden, um Kunden auch in der Phase „Fahrzeugnutzung/Service“ („Ownership“) aktiv an sich zu binden
und durch geeignete Kommunikationsmaßnahmen ihre
Loyalität über den kompletten Lifecycle zu sichern. Dabei
ist L
­ oyalität für die Hersteller nicht nur getreu dem M
­ otto
„nach dem Kauf ist vor dem Kauf“ existenziell, sondern
auch für das ­margenträchtige Ersatzteilgeschäft während der
Nutzungsphase selbst. Mit zunehmendem Fahrzeugalter
steigt der Teilebedarf, aber leider bislang auch umgekehrt
­proportional die Loyalität: Die Treue zur Markenwerkstatt
sinkt mit dem Fahrzeugalter rapide ab, ohne dass der H
­ ersteller
hierauf mit gezielter Kundenansprache reagieren kann.
Welche Lösungen bietet Connected Car?
Connected Car bietet dem Hersteller nun die Möglichkeit,
auch nach der Fahrzeugübergabe mit dem Kunden in K
­ ontakt
zu bleiben, alles über die Wartungs- und Reparaturbedarfe
zu erfahren und im Falle des Halterwechsels sogar den neuen
Kunden – des Gebrauchtfahrzeugs – kennen zu lernen.
Susi hat sich bei ihrem neuen Auto für die eingebauten Connected-Car-Dienste entschieden. Ihr „digitaler Co-Pilot“
unterstützt sie während der Fahrt, sie bekommt die aktuellsten Hinweise online und auch ihr Nachwuchs freut sich
dank automobilem Hotspot über die „allways on“ Entertainment-Funktionalitäten. Die Warnmeldung in ihrem Display
„Fehler E404.03“ bekommt sie dank ihrer App erläutert: „Der
Luftmassenmesser hat unplausible Werte geliefert. Es kann
zu Leistungsabfall des Motors kommen. Bitte innerhalb der
nächsten 100 km Werkstatt aufsuchen.“ Sie ist beruhigt, dass
sie zunächst noch mit ihren Kindern zur Oma fahren kann.
Der Fehlercode wird vom Fahrzeug auch an das Backend des
Herstellers gesendet und dort zu einem Lead für die zuständige Werkstatt aufbereitet. Die Werkstatt erhält die Information über den aufgetretenen Fehlercode, das dazugehörige
Fahrzeug und den Kunden. So kann der Händler Susi noch
am selben Tag über ihren präferierten Kommunikationskanal WhatsApp kontaktieren und ihr drei mögliche Termine
für einen Werkstattbesuch anbieten. Natürlich nachmittags,
weil Susi bekannterweise am Vormittag als Tagesmutter voll
und ganz für die Kinder da sein will.
Peter kauft über eine Internet-Plattform einen ­
günstigen
Gebrauchtwagen. Der Vorbesitzer erläutert ihm, dass das
kleine unscheinbare Kästchen im Fahrerfußraum mit dem
Bluetooth-Symbol eine Connected-Car-Nachrüst-Lösung ist,
die über die OBD2-Schnittstelle („Diagnose-Stecker“) mit
der Fahrzeugelektronik kommuniziert. Neugierig über die
digitale Zusatzfunktion seines neuen „Gebrauchten“ meldet
er sich im Kundenportal des Herstellers an und kann nun
auch die heruntergeladene App als „digitalen Co-Piloten“
nutzen. Peter freut sich über die Fahrtenbuch-Funktion: So
kann er mit wenig Aufwand seine Steuerrückerstattung erhöhen. Sein zuständiger Markenhändler wird über die Registrierung informiert und dank des an das Backend übermittelten Kilometerstandes hat das Rätselraten, wann der
nächste Servicetermin fällig ist, ein Ende. Der H
­ ändler –
Einverständnis vorausgesetzt – kann Peter auf den fälligen
Service ansprechen und ihm als preissensitiven ­Kunden ein
entsprechend besonders günstiges Angebot machen. Und der
Hersteller kann in Kenntnis des schmalen Geldbeutels von
Peter mittels geeigneten Newslettern oder gezielten PushNotifications in der Connected Car App nach Auftreten von
bestimmten Fehlern auf seine preisgünstige Ersatzteil-Zweitlinie „Günstige Originale“ hinweisen. So kann Peter beim Aufsuchen einer freien Werkstatt zumindest bei wichtigen
­Ersatzteilen für die Qualität der Originalteile weiterhin bei der
­Stange gehalten werden.
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Abbildung 1: Customer Lifecycle in der Automobilindustrie
Ownership
> 4 Years
Retention/
Re-Purchase
Awareness
Ownership
2- 4 Years
Customer
Lifecycle
Ownership
0 - 2 Years
Sales
Pre-Sales
Quelle: Detecon
Digitale Potenziale von Connected Car für Customer
­Relationship Management
Die digitalen Möglichkeiten von Connected Car helfen dem
Automobilhersteller in allen vier Dimensionen von CRM:
> Durch das Bekanntsein des Kunden über den kompletten
Fahrzeugzyklus – auch bei Halterwechsel – bekommt der Hersteller durch Connected Car erstmals die Möglichkeit, auch
in der Nutzungsphase in direkter Kommunikation mit dem
Kunden zu bleiben. Das Zusammenspiel von Hersteller und
Händlern wird hierdurch noch enger. Die Sammlung von
Daten über das Fahrzeug sowie – das entsprechende Einverständnis des Fahrers vorausgesetzt – über das Fahrverhalten
seines Nutzers liefert wertvolle Erkenntnisse über die individuellen Bedarfe des Fahrzeugs und seines Fahrers. Diese Daten
eignen sich dafür, mittels Big Data und Customer-AnalyticsFunktionen auch in anonymisierter Form ausgewertet und
für eine noch zielgerichtetere Segmentierung verwendet zu
­werden.
> Dank der online-Übermittlung des aktuellen Kilometerstandes sowie generierter Service-oder Fehlermeldungen ist der
Zeitpunkt von fälligen Wartungen oder erforderlichen Reparaturen nicht länger ein Ratespiel. Gerade bei älteren Fahrzeugen
oder nach Halterwechsel mit einhergehendem anderen Fahrverhalten – Viel-/Wenig-Fahrer, Stadtverkehr vs. Autobahn –
liegen nun exakte Bedarfe in Echtzeit vor.
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> Dies gilt nicht nur für den Zeitpunkt, sondern auch für den
Bedarf an sich. Die Service- oder Fehlermeldungen geben dem
fachkundigen Serviceberater in der Werkstatt exakte Angaben
über durchzuführende Arbeiten und erforderliche Ersatzteile.
Hierdurch können unangenehme Wartezeiten oder Verzögerungen in der Werkstatt vermieden werden, weil der Händler
den genauen Servicebedarf bereits kennt, bevor der Kunde mit
seinem Fahrzeug in die Werkstatt kommt. Eventuelle Nachbestellungen von Ersatzteilen, deren Notwendigkeit sonst erst
bei der Wagenannahme erkannt wird, können bereits im Vorfeld getätigt werden. In der Vergangenheit gab es vielfach massive Beschwerden der Händler über die Qualität der von Herstellern generierten und an sie weitergeleiteten Leads. Durch
Connected Car werden die Leads im Moment der Generierung auch gleich in hoher Qualität qualifiziert: Der Bedarf ist
exakt beschrieben und der Kunde hat – durch die Nutzung der
Connected-Car-Funktionalitäten – Interesse an einer kontinuierlichen Beziehung zum Hersteller und seinem Partnernetzwerk geäußert.
> Und schließlich eröffnet Connected Car neue Kommunikationskanäle: zum einen durch die Head-Unit, die der
Kunde als Kommunikationsschnittstelle mit seinem Auto
– als Repräsentant der Marke – intensiv nutzt. Hier können
in geeigneter und wohl dosierter Form auch KampagnenInhalte angezeigt werden. Zum anderen wird die Connected
Car App zum ständigen Wegbegleiter des Fahrers und ist auf
dem mobilen Endgerät insbesondere für jüngere Zielgrup-
Abbildung 2: Architektur einer Connected-Car-Lösung mit Händler-Integration
Connected Car
Architecture
Händler/Werkstatt
ConCar App
Head Unit im Auto
Vehicle
Backend
Customer Portal
CRM
Hersteller
DMS
Quelle: Detecon
pen das Medium schlechthin. Ein besonderer Vorteil dieser
beiden Connected-Car-Kanäle für die Kundenansprache ist
der unmittelbare Zusammenhang mit der Produkt- beziehungsweise Dienste-Nutzung: Die Kommunikation kann
in dem Moment erfolgen, in dem der Kunde mit dem Produkt Auto oder den Connected-Car-Diensten seine Erfahrungen macht. Diese „Nähe“ kann genutzt werden, damit
die zu vermittelnden Botschaften viel unmittelbarer und
intensiver „ankommen“, als wenn irgendwann am Tag eine
E-Mail oder eine Broschüre in den Briefkasten flattert.
Der Kunde steht im Mittelpunkt, nicht die Technologie
Das immense Potenzial von Connected Car für das Kundenbeziehungsmanagement entfaltet sich allerdings nur dann in
vollem Umfang, wenn die Nutzer mitmachen. Kunden müssen die Connected-Car-Dienste nutzen, um die gewünschten
Daten zu generieren und die laufende Interaktion mit dem
Hersteller aufrecht zu erhalten. Die Funktionen der Connected-Car-Lösungen müssen – ob fest mit der Hardware des
Autos verbunden oder in Form einer mobilen App – einen
konkreten Nutzen für die Fahrer haben und einen greifbaren
Mehrwert bieten. Ideal ist eine Kombination von rationalem
Nutzen, beispielsweise Funktionen für die Effizienzsteigerung
wie eine spritsparende Fahrweise oder mehr Komfort durch
die Fahrunterstützung des „digitalen Co-Piloten“, mit emotionalen Komponenten, die Kunden begeistern. Beispiele hierfür
sind die Einbindung sozialer Aktivitäten (Social Network Inte-
gration) oder Spaß-Komponenten (Gamification). Nur wenn
die Kunden einen Nutzen erkennen, werden sie bereit sein,
mit der dafür üblichen „Währung“ zu bezahlen – der Bereitstellung ihrer Daten.
Connected-Car-Lösungen haben ihren Ursprung in den Entwicklungsabteilungen der Fahrzeughersteller und wurden
häufig auf Basis des technisch Machbaren konzipiert. Die
­
zentrale Frage nach dem, was der Kunde tatsächlich will und
braucht, blieb häufig im Hintergrund. Detecon bringt seine
ausgeprägte Expertise im Bereich CRM, Sales und Service in
Connected-Car-Projekte ein, um den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. So wird Connected Car zu Connected
­Customer und entfaltet sein volles Potenzial.
Übrigens freut sich Laura noch heute, wenn nach dem Service Check auf dem Beifahrersitz nicht nur das ausgefüllte
Serviceheft liegt, ­sondern auch eine kleine Tüte mit Karamellbonbons …
Dr. Jürgen Padberg ist Partner im Bereich Automotive und Leiter der Global
Practice CRM, Sales & Service. Er begleitet Klienten in der digitalen Transformation, um mit Hilfe innovativer Technologien neue Wege der Kundenkommunikation und „Customer Experience“ zu gestalten.
Andreas Seel ist Managing Consultant und Experte für Connected Car. Er ist
Mitglied des Connected Car Solution Center und berät Automobilfirmen und
deren Zulieferer zu technischen und wirtschaftlichen Fragestellungen.
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