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Bilder eines Jahrhunderts – Südtirol, Tirol, Trentino von 1900 bis heute. Pressetext des Museumsvereins Bruneck
Bilder eines Jahrhunderts
Südtirol, Tirol, Trentino von 1900 bis heute
Aus der Sammlung Dr. Josef Kreuzer
„Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“ lautete der Wahlspruch der Wiener Secession von 1898.
Dabei handelt es sich um ein passendes Motto auch für die Kunst des 20. und frühen 21.
Jahrhunderts in Südtirol, Tirol, und Trentino, die sich besonders durch Vielgestaltigkeit, eine rasche
Abfolge von Tendenzen und unterschiedlichste persönliche Ausprägungen auszeichnet.
Die Sammlung Dr. Josef Kreuzer, aus deren 1.400 Werken das Stadtmuseum Bruneck einen
repräsentativen Querschnitt mit Beispielen von 53 Künstlern zeigt, kann als eindrucksvoller Beleg
dafür gelten. Der Bogen spannt sich von Jugendstil, Futurismus, Kinetismus, Expressionismus und
Neuer Sachlichkeit bis zu Abstraktion und den konzeptuellen Ansätzen von heute. Anschaulich
präsentiert werden diese unterschiedlichen Stilepochen dabei durch Werke von Albin Egger-Lienz,
Fortunato Depero, Erika Giovanna Klien und Fausto Melotti bis zu Max Weiler, Oswald Oberhuber,
Heinz Gappmayr und Esther Stocker. Letztlich ist die Ausstellung eine „Hommage an die kreative
Vielfalt“. Dabei waren Freiheit und Vielfalt vor allem im Europa des 20. Jahrhunderts nicht immer
selbstverständlich.
Ende des 19. Jahrhunderts schließen sich auch diverse Tiroler Künstler dem Aufbruch der „Jugend“
an und kehren dem historisch-akademisch geprägten Kunstbetrieb den Rücken zu. Zwischen
impressionistischer Lichtmalerei und flächig dekorativem Jugendstil, finden Künstler wie Leo Putz,
Max von Esterle oder Umberto Moggioli zu dieser Zeit ihren ganz eigenen Stil.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nähern sich viele Künstler und Künstlerinnen über
verschiedene zunächst experimentelle Strömungen wie dem Expressionismus, Kinetismus oder
Dadaismus dem Futurismus. Wenige Jahre später entwickelt sich daraus der sogenannte „Zweite
Futurismus“, dessen Anhänger sich nun wiederum stark surrealistischen Tendenzen zuwenden. Ein
namhafter Vertreter und zugleich vielseitiger Künstler war Fortunato Depero, der wie viele andere
Künstler seiner Generation die Grenzen der verschiedenen Künste aufzulösen versucht und
gleichzeitig für die Werbeindustrie und im Kunstgewerbe arbeitet. Aus einer nationalistischen
Überzeugung heraus, aber auch im Glauben, der Krieg reinige eine kranke, dekadente Gesellschaft,
widmet er dem 1. Weltkrieg diverse seiner Werke.
Die Arbeiten von Erika Giovanna Klien hingegen stehen für den Ausbruch der Frauen aus
traditionellen Rollenbildern und Konventionen in den 1920er Jahren. Eine Zeichnung von Max
Spielmann wiederum zeigt eine der unzähligen entsetzlichen Szenen des 2. Weltkriegs. Stellt Paul
Flora den an den Katastrophen endscheidend mitschuldigen Militarismus des 20. Jahrhunderts zur
Schau, so prangert Franz Pichler letztlich die pervertierte Macht der katholischen Kirche an.
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Bilder eines Jahrhunderts – Südtirol, Tirol, Trentino von 1900 bis heute. Pressetext des Museumsvereins Bruneck
Künstler wie Werner Scholz und Tullio Garbari nehmen hingegen häufig auf den allgemeinen, von
alten Traditionen geprägten Tiroler bzw. Trentiner Lebensraum Bezug.
In der schwierigen Zeit nach Kriegsende und den darauf folgenden Jahrzehnten gibt es ein starkes
Nebeneinander von künstlerischen Positionen. Prägend bleiben die Anregungen des
Expressionismus, aber auch Realistisches, Phantastisches, Abstraktes, Visionäres kennzeichnet die
Verschiedenheit der Werke, wobei ganz unterschiedliche persönliche Lösungen bzw. sehr individuelle
künstlerische Wege bestimmend sind. In diesem Kontext positionieren sich besonders künstlerische
Standpunkte von Einzelpersönlichkeiten wie Peter Fellin, Hans Ebensperger, Willy Valier oder Karl
Plattner.
Zusätzlich setzt eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Natur ein, die sich in einer durchwegs
expressiven Formensprache äußert. Die Zugänge der jeweiligen Künstler und deren Zwiegespräche
mit der Natur sind sehr unterschiedlich. Nicht die Form in einem klassischen Sinne, sondern die
Landschaft und der Gegenstand in einer stark spirituellen und oft vereinfachten Form sind
kennzeichnend.
1976 schafft eine Gruppe von sechs Trentiner Künstlern unter der Leitung von Aldo Schmid und Luigi
Senesi das theoretische Manifest „Astrazione Oggettiva“. Die geometrischen Formen werden zu
Merkmalen einer Zeit, in welcher die theoretische Praxis sich gegen die Gestik und Spontaneität der
Kunst durchsetzt.
Die Auswahl der Positionen im 21. Jahrhundert präsentiert sich auf markante Weise: Aktionen,
Konzepte, die Auseinandersetzung mit der computerbestimmten Welt, der Rückbezug auf
persönliche Befindlichkeiten, die Konzentration auf eine radikalisierte geometrische Oberfläche,
klassische Malerei und demgegenüber eine Entladung von Kraft in einer durchlöcherten
Aluminiumscheibe. Es sind dies Momente von einem Blick auf eine undurchschaubar gewordene
Welt. Gleichzeitig ist der Betrachter gefordert sich verstärkt mit den Ideen des Kunstwerks
auseinanderzusetzen: Er wird zum Entdecker.
Insgesamt besticht der Blick auf die unterschiedlichen künstlerischen Auseinandersetzungen durch
die Komplexität der Formensprache und die unendliche Vielfalt an Interpretationsmöglichkeiten.
Kurator: Dr. Carl Kraus
Ausstellungstexte: Dr. Eva Gratl, Dr. Roberto Festi, Dr. Carl Kraus
Stadtmuseum Bruneck
Eröffnung: Freitag, den 30. Oktober 2015 um 19.00 Uhr
Ausstellungsdauer: 31.10. – 06.12.2015
Öffnungszeiten: Di-Fr: 15-18 Uhr & Sa-So: 10-12 Uhr
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