ICTswitzerland Stellungnahme URG

Frau Bundesrätin
Simonetta Sommaruga
Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements
Bern, 30. März 2016
Stellungnahme ICTswitzerland
Vernehmlassung zur Änderung des Bundesgesetzes über das Urheberrecht und
verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG)
Sehr geehrte Frau Bundesrätin
Sehr geehrte Damen und Herren
Die Dachorganisation ICTswitzerland nimmt die Gelegenheit wahr, sich zur geplanten Änderung des
Urheberrechtsgesetzes (URG) zu äussern. Gerne unterbreiten wir Ihnen nachfolgend unsere Stellungnahme.
ICTswitzerland ist die Dachorganisation der Verbände sowie der Anbieter- und Anwenderunternehmen von
Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT). 25 Grossunternehmen und 21 ICT-Verbände sind an
den Dachverband angeschlossen (Mitgliederliste: http://ictswitzerland.ch/organisation/mitglieder/).
ICTswitzerland vertritt die gemeinsamen Interessen der ICT-Wirtschaft gegenüber der Öffentlichkeit und den
Behörden, bezweckt die Förderung und Weiterentwicklung der Branche, fördert die führende Position der
Schweiz im Bereich Forschung und Entwicklung und den Nachwuchs von qualifizierten ICT-Fachkräften.
ICTswitzerland hat Verständnis für das Anliegen der Urheberrechtsindustrie, ihre Rechte im Internet wirksam
durchzusetzen. Die Gesetzesvorlage setzt mit dem Schwerpunkt auf die Verpflichtung der Anbieter digitaler
Dienstleistungen jedoch einen falschen Fokus. Access Provider, Hosting Provider sowie Anbieter des Web 2.0
sind in erster Linie unverzichtbare Dienstleister und keine neue Gefahrenquelle. Sie haben kein Interesse
daran, dass ihre Dienstleistungen für rechtswidrige Zwecke missbraucht werden.
Mit der geplanten Teilrevision bezweckt der Bundesrat die Modernisierung des Urheberrechts. Dieses Ziel
wird mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf deutlich verfehlt. Die Vorlage dient vorwiegend der Sicherung
bestehender Geschäftsmodelle, indem sie auf Rechtsdurchsetzung pocht und deren Lasten auf die Anbieter
digitaler Dienstleistungen schiebt. Anreize für innovative neue Angebote, mit denen die Nutzer attraktive
Alternativen zu Piraterie-Angeboten erhalten würden, sucht man indes vergebens. Dies obwohl die
Entwicklungen der letzten Jahre gezeigt haben, dass neue Distributionsmodelle wie Streami ng rasant wachsen
und von Konsumenten auch angenommen werden.
Der vorliegende Gesetzesentwurf würde zu einem enormen Mehraufwand für die Provider führen, ohne das
Ziel, eine bessere Bekämpfung der Internetpiraterie, zu erreichen. ICTswitzerland weist die Vorlage deshalb
zurück. Im Folgenden äussert sich der Dachverband zu ausgewählten Punkten, welche für die ICT-Wirtschaft
besonders kritisch sind.
ICTs witzerland | Aa rbergergasse 30 | CH-3011 Bern | Tel. +41 31 311 62 45
offi [email protected] | ictswitzerland.ch
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Rechtsunsicherheit: Systemfremde, unklare Terminologie
Gemäss dem erläuternden Bericht möchte der Bundesrat im URG Provider im weitesten Sinn erfassen, mit den
Unterkategorien Access Provider und Hosting Provider. Trotzdem wird im URG die systemfremde und
überschiessende Terminologie „Anbieterinnen abgeleiteter Kommunikationsdienste“ verwendet, wie sie im
kürzlich vom Parlament verabschiedeten BÜPF eingeführt wurde. Gemäss Art. 2 lit. c BÜPF sind mit
„Anbieterinnen abgeleiteter Kommunikationsdienste“ Anbieterinnen jeglicher Dienste gemeint, die gestützt
auf Fernmeldedienste (IP-basiert) Ein- oder Mehrwegkommunikation ermöglichen. Cloud Storage Dienste, die
das Hochladen von Dokumenten für den privaten Gebrauch ermöglichen, könnten ebenso betroffen sein wie
auch reine Server Hosting Dienste, VoIP-Telefonie und Messaging Dienste. Der Begriff ist potenziell uferlos. Wo
die Grenze liegt, weiss derzeit niemand genau.
Mit dem vorliegenden Entwurf würden die Dienstanbieterinnen verpflichtet werden, Massnahmen zur
Bekämpfung der Urheberrechtspiraterie zu treffen. Diese sind mit potenziell hohen Kosten verbunden und bei
deren Missachtung können Anbieterinnen haftbar gemacht werden. Die vorgeschlagenen Massnahmen
können – insbesondere auch für junge Unternehmen und sogenannte Web 2.0 Anbieter, die aufgrund der
verwendeten Terminologie potenziell mitbetroffen wären – innovationshemmend wirken und erschweren den
Markteintritt.
Der Betroffenenkreis ist klar und abschliessend zu definieren – und zwar nicht über eine Verordnung zu einem
Gesetz wie dem BÜPF, welches komplett andere Zwecke und Ziele als das URG verfolgt. Generell ist es aus
Sicht des Dachverbandes wichtig, die Definition der Player zentral zu rege ln und nicht in Verordnungen zu
verschiedenen Gesetzen (URG, FMG, BÜPF, etc.). Der aktuelle Flickteppich führt zu Rechtsunsicherheit und
schadet dem Wirtschaftsstandort Schweiz. Der umständliche Begriff „Anbieterinnen abgeleiteter
Kommunikationsdienste“ sollte auf keinen Fall Eingang in das URG finden.
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Aufwändige, nicht zielführende Take Down Regelung
Art. 66b Abs. 1 sieht eine umgehende Entfernung / Sperrung („Take Down“) von Inhalten durch die
Dienstanbieterinnen vor, wenn diese eine entsprechende Mitteilung / Aufforderung (Notice) eines Dritten
erhalten. Für die Notice bestehen dabei keine Vorgaben zum Mindestinhalt (z.B. Absender, Zusicherung des
Absenders als Inhaber der Urheberechte, Begründung der Unzulässigkeit). Das Instrument des unmittelbaren
Take Down im URG lädt geradezu zum Missbrauch ein. Es dürfte auch von Personen angewandt werden, die
sich aus anderen Gründen an Inhalten stören (etwa wegen behaupteter Verletzung von Persönlichkeitsrechten
oder wegen unlauterem Wettbewerb). Auch die für den Kunden vorgesehene Möglichkeit, gegen den Take
Down Widerspruch (Art. 66b Abs. 3) einzulegen, vermag den Nachteil einer bereits erfolgten Sperrung nicht zu
beseitigen. Bis die Sperrung aufgehoben und die beanstandeten Inhalte wieder online sind, wird unbestimmt
viel Zeit verstreichen. In dieser Zeit kann ein nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen.
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Umgekehrt nutzt dem Rechteinhaber der unmittelbare Take Down nicht viel, wenn dieser bei einem
Widerspruch des Inhaltsanbieters genauso unmittelbar wieder aufgehoben werden muss. Denn nach einer
Entsperrung bleibt der fragliche Inhalt verfügbar, bis die Angelegenheit zwischen den betroffenen Personen
oder durch ein Gericht geklärt ist. Der Rechteinhaber kann somit auch bei einer offensichtlichen
Rechtsverletzung nicht darauf zählen, dass die Sperrung bis zur Erledigung der Auseinandersetzung anhält.
Äusserst problematisch bei Art. 66 Abs. 3 ist zudem, dass mit dem Widerspruch die Bekanntgabe der Identität
des Inhaltanbieters an den Absender der Beanstandung einhergehen soll. Für Internetnutzer gibt es durchaus
gute datenschutz- und persönlichkeitsrechtsmotivierte Gründe, anonym zu bleiben, was die Identifizierung für
viele Anbieterinnen abgeleiteter Kommunikationsdienste verunmöglicht. Darüber hinaus generiert die
Vermittlung zwischen den beiden erheblichen administrativen Aufwand bei den Dienstanbieterinnen. Dies ist
insbesondere für junge Unternehmen investitionshemmend und kann den Markteintritt erschweren.
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Impraktikable Stay Down Verpflichtung
Viel zu weit geht die nicht praktikable Stay Down Verpflichtung in Art. 66b Abs. 4. Diese basiert auf der Doktrin
der deutschen Störerhaftung, die dem Schweizer Recht fremd ist. Anbieterinnen digitaler Dienste sind keine
„Störer“, sie erbringen in erster Linie unverzichtbare Dienstleistungen.
Die Einführung entsprechender Verfahren wäre unverhältnismässig teuer und für kleinere Anbieterinnen
digitaler Dienste nicht umsetzbar. Die Stay Down Regelung würde die Anbieterinnen dazu zwingen, die Inhalte
ihrer Kunden laufend zu überwachen. Ein solches Vorgehen ist dem Vertrauensverhältnis mit dem Kunden
abträglich. Anbieterinnen sind im Umgang mit den Daten der Kunden zur Vertraulichkeit verpflichtet und sind
– insbesondere aus datenschutz- und persönlichkeitsrechtlichen Gründen sowie gemäss vertraglichen
Verpflichtungen – nicht berechtigt, auf deren gespeicherte Daten zuzugreifen. Letztlich würden durch diese
Regelung die in der Schweiz domizilierten Dienstanbieterinnen benachteiligt werden. Kunden drohen zu
ausländischen Dienstanbieterinnen abzuwandern, die keinen vergleichbaren gesetzlichen Pflichten
unterliegen. Die vorgeschlagene Lösung bringt somit einen unnötigen Aufwand für Anbieterinnen, ohne dass
sie den Rechteinhabern nützt.
Anbieterinnen mit Sitz in der Schweiz können sich – oder sind vielmehr gezwungen – durch einen Anschluss an
eine anerkannte Selbstregulierungsorganisation von der Stay Down Verpflichtung befreien (Art. 66c Abs. 1).
Eine staatlich beaufsichtigte Selbstregulierung ist jedoch mit wesentlich höheren Kosten verbunden als die
heute erfolgreich praktizierte Selbstregulierung der Provider. Den Anbieterinnen mit Sitz im Ausland, die
aufgrund bestimmter Dienste durchaus auch in den Anwendungsbereich des Schweizer Urheberrechts
gelangen können, bleibt der Anschluss an eine staatlich beaufsichtigte Selbstregulierung verschlossen. Damit
werden sie automatisch mit Anbietern „deren Geschäftsmodell auf der Förderung systematischer
Urheberrechtsverletzungen aufbaut“ gleichgesetzt und in fragwürdiger Weise diskriminiert (Art. 8 und 27 BV
sowie Prinzip der Inländerbehandlung nach Art. XVII Allgemeines Abkommen über den Dienstleistungshandel
der WTO [GATS]). Der unbestimmte Rechtsbegriff „deren Geschäftsmodell auf der Förderung systematischer
Urheberrechtsverletzungen aufbaut“ führt zu einer grossen Bandbreite an Rechtsunsicherheiten. Diese
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können jungen Unternehmen den Aufbau neuer Geschäftskonzepte oder den Markteintritt erheblich
erschweren. Zudem besteht die Gefahr, dass Anbieterinnen aus dem Ausland ihre Dienste in der Schweiz nicht
mehr anbieten würden.
Der Umfang der Stay Down Verpflichtungen wird nicht näher umschrieben. Dies birgt immense
unternehmerische Unsicherheiten insbesondere bei den potenziell betroffenen Web 2.0 Anbieterinnen. Je
nach Umfang der Pflichten wird der Betrieb eines sozialen Netzwerkes, eines Videoportals oder eines
Musikdienstes, wie in beispielsweise Soundcloud erbringt, wirtschaftlich schnell unattraktiv oder
verunmöglicht. Die Stay Down Pflicht würde somit die Schweiz als Standort und Zielmarkt für neue digitale
Geschäftsmodelle entscheidend schwächen.
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Haftbefreiung
Werden die Vorgaben des unmittelbaren Take Down der beanstandeten Inhalte und der ebenso raschen
Wiederbereitstellung bei Widerspruch erfüllt, verspricht Art. 66k den Dienstanbieterinnen Haftungsbefreiung.
Die Freistellung von der Haftung für Urheberrechtsverletzungen durch Kunden bzw. „Inhaltsanbieter“ klingt
auf den ersten Blick gut, steht jedoch im Vergleich zu den Regelungen in der E-Commerce Richtlinie
(200/31/EG) zurück. Insbesondere fehlt eine explizite Entbindung der Pflicht, proaktiv nach möglichen
Rechtsverletzungen durch Inhaltanbieter forschen zu müssen. Angesichts der potenziellen Vielfalt der Inhalte
wäre dies für viele Dienstanbieterinnen nicht möglich und vor dem Hintergrund der Informationsfreiheit auch
nicht wünschenswert.
Die Regel ist zudem zu starr und könnte das Haftungsrisiko der Anbieter sogar erhöhen, denn sie schafft einen
Sorgfaltsstandard scheinbar ohne gerichtlichen Ermessensspielraum. Nicht geklärt ist beispielsweise, ob eine
Dienstanbieterin die Haftungsfreistellung verliert, wenn eine unklare Notice eines potenziellen Recht einhabers
eine Entfernung gar nicht ermöglicht hat.
Generell wäre eine horizontale Haftungsprivilegierung, wie dies etwa in der E-Commerce Richtlinie gemacht
wird, einer spezialgesetzlichen und auf das Urheberrecht beschränkten Regelung vorzuziehen.
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Kostenabwälzung auf die Dienstanbieterinnen
Die Anbieterinnen digitaler Dienste werden immer mehr zur Mitwirkung bei der Erreichung staatlicher
Regulierungsziele im Internet verpflichtet, ohne dass sie hierfür angemessen entschädigt werden. Nach der
Revision des BÜPF ist das vorgeschlagene URG nun ein weiteres Beispiel. Entschädigungen sind lediglich für
Access Provider vorgesehen. Für alle anderen Dienstanbieterinnen, die von den Take Down und Stay Down
Massnahmen sowie vom Vermittlungsaufwand zwischen den Parteien betroffen sind, sind keine
Entschädigungen vorgesehen. Wenn die Anbieterinnen zu aufwendigen Massnahmen verpflichtet werden, um
den Rechteinhabern die Durchsetzung von Urheberrechten im Internet zu erleichtern, sind sie dafür
angemessen zu entschädigen.
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Sperrungen durch Access Provider nur in Ausnahmefällen
Der URG-Entwurf sieht gemäss Empfehlungen der AGUR 12 (vom Bundesrat eingesetzte Arbeitsgruppe zum
Urheberrecht) die Einführung von Sperrmassnahmen bei Access Providern vor. Die AGUR 12 anerkannte
jedoch, dass Sperrmassnahmen durch Access Provider nur als letztes Mittel und nur in schwerwiegenden
Fällen zur Verfügung stehen sollen. Insbesondere in Fällen, bei denen es dem Rechteinhabern nicht möglich
ist, den Anbieter des rechtswidrigen Angebots ins Recht zu fassen (etwa weil er seinen Sitz verschleiert). Die
Sperrmassnahmen müssen sehr zurückhaltend angewendet werden, um ein „Overblocking“ zu verhindern.
Zudem muss der Rechtsmittelweg zur Verfügung stehen und der Aufwand der Access Provider ist
vollumfänglich zu vergüten. Leider berücksichtigt der im URG enthaltene Vorschlag diese Einschränkungen
unzureichend.
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Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Chance vertan wurde, das Urheberrecht tatsächlich zu
modernisieren. Vielmehr wird versucht, althergebrachte Geschäftsmodelle auf Kosten der Infrastruktur- und
Plattformanbieterinnen zu zementieren. Die Vorlage setzt in erster Linie auf Rechtsdurchsetzung und schiebt
deren Lasten auf die Anbieterinnen digitaler Dienstleistungen.
Der vorliegende Gesetzesentwurf führt zu einem enormen Mehraufwand für die Dienstanbieterinnen, ohne
dass das Ziel einer besseren Bekämpfung der Internetpiraterie erreicht wird. Darüber hinaus erhöht die
Vorlage aufgrund unklarer Begriffe und Mitwirkungspflichten die unternehmerische und rechtliche
Unsicherheit der Unternehmen. Dies schadet insgesamt dem Innovations- und Wirtschaftsstandort Schweiz.
Wir danken Ihnen für die Aufmerksamkeit, die Sie unseren Anliegen entgegenbringen.
Freundliche Grüsse
Andreas Kaelin
Geschäftsführer ICTswitzerland
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