Das Missverständnis von der fränkischen Drohkulisse

DAS WAR 2015 IM KREIS SONNEBERG
Donnerstag, 31. Dezember 2015
1. November: Einweihung der restaurierten Meschenbacher Orgel; Tötungsverbrechen im Wolkenrasen,
die Polizei ermittelt.
3. November: Tödlicher Unfall bei
Steinheid wegen Glätte.
K
4. November: Tag der offenen Industriebetriebe InTouch; Großrazzia gegen Rauschgift-Dealer in Sonneberg.
5. November: Beginn der Sonneberger
Jazztage; Jubiläum Feuerwehrverein
Mönchsberg; Stadt Steinach weist
Bürgerbegehen „Kontra Gondelbahn“ zurück.
6. November: Feriendomizil Rauenstein wird übergangsweise vom
Landkreis für 77 Flüchtlinge angemietet; Erstaufnahmestelle im ehemaligen Pflegeheim Wolkenrasen
wird seitens des Landes geprüft.
8. November: Beate Meißner räumt
Platz als CDU-Kreisvorsitzende für
Danny Dobmeier.
9. November: Zweckverband Sternwarte tagt, Sorge um Fortbestand des
Astronomiemuseums steigt.
11. November: Carnevalsvereine Sonneberg, Neuhaus am Rennweg und
Lauscha starten in die Saison.
12. November: Wohnhausbrand in
Lauscha.
15. November: SV 1920 Mupperg wird
für Flüchtlingsarbeit ausgezeichnet.
16. November: Landrätin Zitzmann
tritt vehement für den Erhalt des
Landkreises auf der Regionalkonferenz Meiningen ein; Ministerpräsident Ramelow besucht Schalkauer
Maschinenbauer Tira.
17. November: Gemeinschaftsschule
und Neuhäuser Gymnasium distanzieren sich von der Schulnetzplanung.
18. November: Rund 1 500 Herzpatienten sollen zukünftig in Saalfeld,
Suhl oder Hildburghausen versorgt
werden; Premiere: Neuer SON-Film
widmet sich Konsumgütern aus
DDR-Zeiten.
21. November: Landrätin macht sich
stark für Versorgung der Herz-Patienten in den Krankenhäusern Sonneberg und Neuhaus am Rennweg.
23. November: Judenbacher Gemeinderat befürwortet Fusion mit Neuhaus-Schierschnitz und Föritz.
21./22. November: Ehrenamtsveranstaltung des Landkreises in Goldisthal; Festakt zum 125-Jährigen der
Sonneberger DAV-Sektion.
27. November: Eltern der Grundschule
Wolkenrasen protestieren beim Land
gegen Erstaufnahme-Einrichtung in
direkter Nachbarschaft.
28./29. November: Lauschas neue
Glasprinzessin heißt Laura Leopold.
1. Dezember: Kleinkunst in der Stadtführerstube versus Gema-Gebühren;
Arbeitslosenquote in Sonneberg bei
3,3 Prozent; Großalarm für Feuerwehren im Kreis wegen Dauerregen.
2. Dezember: Wohnhausbrand in Haselbach.
3. Dezember: Land bestätigt: Vertrag
über Erstaufnahmeeinrichtung im
Wolkenrasen ist besiegelt, Enttäuschung und Kritik bei Anwohnern
und Kommunalpolitik.
8. Dezember: Föritzer Gemeinderat
will Zusammenschluss mit Judenbach und Neuhaus-Schierschnitz.
10. Dezember: Glasfachschule Lauscha präsentiert sich im Thüringer
Landtag.
14. Dezember: Linke MdL Korschewsky plädiert für Landkreiszusammenschluss von Sonneberg und Hildburghausen ohne Suhl aber mit Gemeinden rund um Neuhaus am
Rennweg; Experten sehen modernisierte Skiarena in der Gewinnzone.
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Was wir schon
immer über
Franken wissen
wollten
Chronik
10. November: JU spricht sich gegen
Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge
im Wolkenrasen aus; Stadt Steinach
stellt neuen Skiarena-Geschäftsführer Toni Schulz vor.
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Auch wenn ein Wechsel des Landkreises nach Franken noch im Nebel der Niederungen des Grümpentals beziehungsweise der Geschichte liegt – es muss nicht immer
Bratwurst sein: Janina Krüger und Heike Löffler vom Team der Triniushütte locken mit Kaffee und Torte über den Wolken auf 670 Metern.
Das Missverständnis von
der fränkischen Drohkulisse
G
elogen? Was für ein hartes
Wort. Aber natürlich hätte Freies Wort die Einlaufkurve im Bericht
zur Verleihung der Fränkischen Verdienstmedaille an Christine Zitzmann (pl.) Ende Oktober etwas
näher an der Wirklichkeit halten
können. Demnach hatte nicht der
Fränkische Bund eine Politikerin als
gleichgesinnte Mitstreiterin im
Dienst der Überwindung politischadministrativer Grenzen geehrt.
Eher ist andersrum ein Schuh draus
geworden: Eigentlich hatte Frau
Landrätin den Fränkischen Bund
(FB) geehrt – indem sie seinen Taler
überhaupt annahm.
Der Tatsache scheinen sich die bestens gelaunten FB-Lobbyisten durchaus bewusst gewesen zu sein an diesem Tag. Beim Blick in die Kameras
von Fotografen und Dreh-Teams
schulterklopfte man einander innig,
gestand sich das Lob vom „gelungenen Coup“ zu.
Dass die organisierten FrankenFürsprecher ansonsten kaum in der
Lage sind die mediale Aufmerksamkeitsschwelle zu überschreiten? Es
liegt auch an den Außenseiterthemen, die der FB so auf der Pfanne
hat. Da werden Unterschriften gegen
die Programmgestaltung des Bayerischen Rundfunks gesammelt, weil
der bei der hiesigen Tatort-Ausgabe
in Sachen Mundart gepatzt hat.
Sepplseifenoper versus Dialekttheater lauten die Schlüsselbegriffe.
Ein anderer Brüller: Die Forderung
nach Schulbüchern, in denen schon
Grundschüler bitteschön eingebimst
bekommen sollen, dass in hiesigen
Gefilden die Semmel Weggla heißt.
Ein drittes Beispiel? Der Wunsch
nach Frankenfahnen allerorten, am
besten gleich vor jedem Regenwasserrückhaltebecken.
Dass man mit einer solchen Agenda diesseits der Röthen und jenseits
der Röden nicht allzu ernst genommen wird? Ist Allgemeingut. Eher
wird der Verdacht befeuert, hier habe
einer nicht mehr alle Zinken im fränkischen Rechen.
Dass die selbst ernannten Kämpfer
wider die Kultur-Unterdrücker aus
Erfurt und München, wo strategische Bajuwarisierer und Thüringisierer
des
fränkisch-gemütlichen
Menschschlags vermutet werden,
ansonsten so wenig Zulauf haben? Es
hat natürlich mit der Erfahrung zu
tun. Schon bei der Entgegennahme
der Verdienstmedaille äußerte Zitzmann, die regionale Zusammengehörigkeit sei eigentlich alltäglich gelebte Wirklichkeit. Sie hätte auch sagen können: Heimatverbundenheit
ein Jahr Vollmitgliedschaft in der
Metropolregion Nürnberg. Dass man
heuer noch einen gemeinsamen
Tourismusverbund mit Coburg aufs
Gleis gesetzt hatte? Es rundet das
Bild ab. Dass ihr die Regierenden in
Erfurt zwar zuhören, wenn die Rede
auf die gewachsenen Realitäten im
einstigen Grenzgebiet kommt, das
bejaht Zitzmann in diesem Zusammenhang immer wieder. Doch
schiebt sie im nächsten Satz oft Enttäuschung nach: Verstanden fühle
sie sich nicht.
„So nicht, Herr Minister“
Martin Truckenbrodt (links) und Kai Stöcklein vom Verein „Henneberg-ItzgrundFranken“ zeigten im September auf der Triniushütte Flagge für die hiesige „Kulturregion“.
Fotos (3): camera900.de
und Traditionsbewusstsein sind eine
Angelegenheit individueller Vorliebe, die hierzulande jeder ausleben
kann und darf, wie ihm FantasieDirndl oder Discounter-Lederhose
gewachsen sind. Zum Glaubensstreit
taugt die Auseinandersetzung, ob die
Bratwurstsemmel korrekt in der
Mitte oder, wie von unbeleckten Außer-Franken, fröhlich von der Seite
aufgeschnitten wird, somit nicht.
Trotzdem gilt: So viel Franken wie
im Jahr 2015 war schon lange nicht
mehr. Der kulturräumliche Zusammenhalt wird mehr und mehr politisiert. Ob ihm das gut tut? Steht auf
einem anderen Blatt.
Im Verteilungskampf
Der Startschuss fürs Trendthema
fiel eigentlich im Februar 2013. Damals war noch in der CDU-geführten
Landesregierung die Diskussion über
den Zuschnitt künftiger Großkreise
angestoßen worden. Und nach dem
Eichsfeld drohten sofort zwei Südthüringer Kreise, ihrem Freistaat den
Rücken zu kehren. Die Landrätin des
Kreises Sonneberg und Thomas Müller, ihr Amtskollege aus Hildburghausen, brachten einen Wechsel
nach Bayern ins Gespräch.
Das Duo begründete dies offensiv
mit der kulturellen Nähe zum benachbarten Franken. In beiden Kreisen redeten die Menschen fränkisch
und sie hätten starke Verbindungen
nach Oberfranken.
Damit war das Ei gelegt. Ob es sich
wirklich ausbrüten lässt, sei dahingestellt. In dieser Deutlichkeit hat Zitzmann sich dann zumindest nicht
noch einmal wiederholt. Auch beim
Festakt mit dem FB äußerte sie, seine
kulturelle Prägung können man sehr
wohl in zwei Bundesländern ausleben. Doch wirklich ein Rückzieher
war damit nicht gemacht.
Selbstverständlich gehört es nun
zum Handwerkszeug einer Berufspolitikerin, nicht alle Dinge, die ihr die
Landesregierung so vorsetzt, als alternativlos hinzunehmen. Spielräume zu schaffen, Tauschwerte im politischen Prozess von Geben und Nehmen zu benennen, Optionen zu entwickeln – natürlich ist die Sonneberger Landrätin in dieser Hinsicht immer gefordert. Und der diesbezügliche Druck dürfte heuer noch einmal
ordentlich gestiegen sein.
Die Planer in Erfurt legten das Jahr
über immer wieder Pläne vor, die auf
hiesige Verantwortungsträger wie
eine Kopfnuss, weniger wie ein
Denkanstoß rückwirkten. Erst Mitte
November zum Beispiel ging es um
die Elektrotechnikerausbildung an
der SBBS, die das Land zugunsten anderer Institute, die zentraler liegen in
Thüringen, stutzen will.
Der Verteilungskampf um die RestInfrastruktur im demografisch gebeutelten Südthüringen nimmt zu.
Und zu Recht hat Zitzmann dabei
immer wieder auf die Interessen der
örtlichen Wirtschaft und ihre Anbindung ins Nachbarland verwiesen.
Auf die Konkurrenz der Betriebe auf
einem Arbeitsmarkt, der zuletzt mit
einer Joblosen-Quote von 3,3 Prozent wie ausgekehrt wirkt, aufs Gerangel um künftige Azubis und fehlende Fachkräfte, auf das gewachsene Profil der Sonneberger Bildungslandschaft. Mit dem Wir-Verein vorneweg werden überregionale Berufsinfobörsen veranstaltet, die jedes
Jahr mehr Zulauf verzeichnen. Und
jenseits der Wirtschaft ist auch die
Politik in Südthüringen und Oberfranken miteinander verbandelt,
etwa via des gemeinsamen Klinikkonzerns. Im April feierte der Kreis
Und trotzdem kommt der Zweier
aus „Franken-Identität“ plus „Landkreiswechsel“ nicht recht über den
Status einer Geisterdebatte hinaus.
Was natürlich mit den hohen Hürden im politischen Prozess zu tun
hat. Wer einen Volksentscheid hierzu in Thüringen initiieren sollte, ist
ebenso wenig zu klären wie die Frage,
wie denn etwa eine Abspaltungsbilanz aussehen soll.
Je weniger die Franken-Option also eine tatsächliche ist, umso besser
scheint sie als Drohkulisse zu taugen,
etwa wenn mit Ministern über die
Gebietsreform verhandelt wird. Die
Protestplakate mit dem Spruch „So
nicht Herr Minister! Wir haben Franken im Blick“, die zum Beispiel der
Föritzer Bürgermeister dem Innenminister bei der Regionalkonferenz
in Meiningen im November unter
die Nase hielt, mögen hierfür ein Beleg sein. Wenn in der Folge Zusammenschlüsse wie der Verein „Henneberg-Itzgrund-Franken“ mit Sitz in
Seltendorf oder der Verein „Südthüringer – Fränkische Bürgerinitiative“
aus Föritz sich von solchen Showeinlagen ermuntert fühlen? Es darf
nicht verwundern.
So wird letztlich ein Missverständnis gepflegt: Die hiesigen Entscheidungsträger, ob Landrätin oder Bürgermeister, rufen „Grenzenlos fränkisch“, schmücken das Sonneberger
Festzelt zur regionalen Wiedervereinigungsfeier mit Hopfendolden und
Franken-Flaggen aus. Doch eigentlich geht es ihnen darum, den Status
Quo zu schützen. Und umgekehrt
wirkt all die Franken-Symbolik auf
die Verfechter eines angeblich seit jeher einheitlichen Kulturraums, der
endlich seiner politisch-administrativen Wiedergeburt harrt, wie eine
herzliche Einladung.
Ob aus dieser aktuellen Allianz
von Profi-Politikern und Heimat-Bewussten ein dauerhaftes Bündnis erwächst? Es bleibt daher fraglich.
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Alles andere wäre gelogen.
ann Wissen unnütz sein? Schüler werden diese Frage rundheraus bejahen, während Philosophen
die Angelegenheit differenzierter betrachten dürften. Ungeachtet solch
grundsätzlicher Überlegungen erfreuen sich Sammlungen vermeintlich unnützen Wissens wachsender
Beliebtheit und haben nun auch unsere Region erreicht: Zur Belebung
geselliger Stunden hat der Cadolzburger Ars-vivendi -Verlag gerade ein
handliches, heiteres Quiz herausgebracht, das Eingeborenen und Zugezogenen erlaubt, ihre Frankenkompetenz zu überprüfen und zu erweitern.
Das ist verdienstvoll, aber auch
kühn, denn die Klassifizierung einiger regionaler Essentials als „unnützes Wissen“ dürfte jeder lokalpatriotisch veranlagte Franke – also die Gesamtpopulation – als persönlichen
Affront verstehen. Die Länge der
weltberühmten Coburger Rostbratwurst beispielsweise zählt zum unverzichtbaren Grundwissen jedes zivilisierten Erdenbürgers, zumindest
aus Coburger Sicht. Natürlich ist sie
weder „so lang wie die Nase von
Prinz Albert“ noch „wie die Feder am
Hut von Casimir“, sondern bemisst
sich nach dem 31 Zentimeter langen
Marschallstab des heiligen Moriz.
Dass der Coburger Schutzpatron hier
auch noch zum „Moritz“ gemacht
wird, ist überdies ein grober Schnitzer des Lektorats, der im Regelfall mit
lebenslangem Bratwurstentzug geahndet wird.
Da die Autoren des Quiz sich ansonsten jedoch durchaus ambitioniert um regionale Kuriosa bemüht
und sie in sehr launiger Weise aufbereitet haben, sei ihnen der Fauxpas
ebenso verziehen wie die Aufnahme
der vestestädtischen Hauptattraktion in den Kanon unnützen Wissens:
Queen Victorias Wasser-Klosett in
Schloss Ehrenburg – bekanntlich ein
Meilenstein der kontinentalen Hygienegeschichte!
Abgesehen davon können selbst
gestandene Franken doch einiges lernen beim Durchschmökern der 68
Quiz-Karten. Oder wussten Sie, dass
Liebeskranke an Walther von der Vogelweides Grab zu Würzburg Trost
suchten – und der gewichtige Reichskanzler Otto von Bismarck insgesamt 750 Pfund Körpergewicht in
Bad Kissingen abspeckte?
Auch letzte Fragen werden final
geklärt – nämlich ob der Landkreis
Sonneberg seine gefühlte Zugehörigkeit zum gemeinsamen Kulturraum
mit wenigstens einer Quizfrage vergoldet bekommt. Tut er nicht. Hinter
Neustadt bei Coburg ist definitiv
Schluss mit Soß auf Kloß.
Unnützes Wissen Franken
Ars-vivendi-Verlag
EAN 4250364114608
69 Seiten, 9,95 Euro