Car-to-X-Technologien verändern die Zukunft K.I.T.T. BITTE KOMMEN! In den 1980er Jahren galt das autonom fahrende Fahrzeug K.I.T.T., der motorisierte Star aus „Knight Rider“, noch als Science Fiction. Heute forciert die Automobil- und Telekommunikationsindustrie Aktivitäten, die das Fahrzeug vernetzen: mit dem Internet, mit anderen Fahrzeugen und mit der Straße. Fahrzeuge werden damit zu einer Art K.I.T.T. – einem Unterstützer in allen Lebenslangen, zumindest im Straßenverkehr. 36 Detecon Management Report blue • 1 / 2015 ar-to-X subsumiert alle Technologien, die mit Hilfe von C Car-to-Car- und Car-to-Infrastructure-Kommunikation darauf abzielen, die Verkehrssicherheit und -effizienz sowie den Fahrkomfort zu steigern. Ermöglicht wird dies durch den blitzschnellen Austausch von Informationen, beispielsweise über Fahrzeugstandort, Geschwindigkeit und Ampelstatus. Fahrzeuge kommunizieren dabei durch Vehicular-Ad-Hoc-Networks (VANETs) oder durch Mobilfunk – miteinander oder mit der Verkehrsinfrastruktur. Über den direkten, idealerweise in Echtzeit erfolgenden Transfer relevanter Informationen, können Fahrzeuge ihre Fahrer nicht nur automatisiert vor Staus und Stauenden, Geisterfahrern und Hindernissen warnen, sondern ihn auch in Gefahrensituationen automatisiert unterstützen. Die Vision Doch wohin soll die Reise gehen? Betrachtet man die Entwicklungen sowohl bei OEMs als auch bei Zulieferern – und als solche betrachten wir auch explizit Google und Apple –, dann sind die Car-to-X-Systeme ein wichtiger, aber auch notwendiger Zwischenschritt auf dem Weg zum autonomen Fahren, in das der Mensch zwar eingreifen kann, aber nicht muss. Google scheint bei der Umsetzung dieser Vision schon recht weit zu sein und forscht seit 2009 am Thema „Autonomes Fahren“. Seit 2012 fahren mehrere umgerüstete Standardfahrzeuge im kalifornischen Straßenverkehr eigenständig umher und haben auf Highways, Landstraßen und sogar im Stadtverkehr auf vorprogrammierten Routen über eine Million Kilometer offensichtlich unfallfrei zurückgelegt. Langfristiges Ziel ist hier neben der Erhöhung der Fahrsicherheit sowie der Steigerung der Verkehrs effizienz wohl vor allem die Erhöhung des Zeitvolumens, das der Fahrer während des Fahrens für die Nutzung von GoogleServices und Werbung aufbringen kann. Auch hier bleiben Fragen offen: Wer haftet für den Fall, dass das autonom fahrende Fahrzeug Unfälle verursacht? Hat der Fahrer die Pflicht, ständig wachsam zu sein, um bei Gefahrensituationen einzugreifen? Erste Meinungen von offizieller Seite sehen hier ganz klar den OEM in der Verantwortung. Darüber hinaus müssen sich Anbieter intelligenter Fahrzeuge die Frage stellen, wie diese in andere Anwendungsfälle des „Internet of Things“ integriert werden können. Nahezu alle internationalen OEMs und Zulieferer arbeiten und forschen an diesen Technologien und Konzepten, stehen dabei jedoch noch vor großen Herausforderungen, sowohl im Bereich der technischen Umsetzung als auch in der Entwicklung von tragfähigen Geschäftsmodellen. Technische Herausforderungen Eine der größten Herausforderungen im technologischen Bereich liegt dabei in der Vielzahl von unterschiedlichen Standardisierungen hinsichtlich der Übertragung der relevanten Informationen, von denen sich bislang noch keine durchsetzen konnte. Timo Bolse, Experte im Detecon Connected Car Solution Center, erklärt: „Die notwendigen technologischen Lösungen und Standards für VANETs, zum Beispiel IEEE 802.11p, sind vorhanden, aber ein dominantes Design, wie diese in die Fahrzeuge integriert werden, existiert noch nicht. Besonders für die direkte Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation befinden sich die OEMs in einer wartenden Position, da die Finanzierungssituation nicht abschließend geklärt ist. Ohne politischen und regulatorischen Druck wird sich kurzfristig vermutlich nicht viel bewegen.“ Bei einer reinen Vernetzung über Mobilfunk würden sich ebenfalls Verzögerungen in der Marktdurchdringung ergeben, so Bolse weiter. „Viele der potenziellen Anwendungsfälle für direkte Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation können theoretisch über reine Mobilfunkverbindungen abgewickelt werden. Da sich abzeichnet, dass Mobilfunkeinheiten allmählich in die Fahrzeuge integriert werden, wird hierdurch vermutlich die Verbreitung von 802.11p Hardware zur direkten Kommunikation verlangsamt.“ Eine weitere, bislang noch ungelöste Herausforderung liegt im Bereich Daten- und Übertragungssicherheit. Hier ist noch kein umfassendes Konzept von Herstellern oder Zulieferern vorgestellt worden, das den potenziellen Kunden die Angst vor einem „gehackten“ Auto nimmt. Dass solch ein Konzept notwendig ist zeigen erste Studien. Chris Valasek deckte beispielsweise auf der „Black Hat“ Sicherheitskonferenz 2014 zahlreiche potenzielle Schwachstellen in Connected Cars auf. 37 Detecon Management Report blue • 1 / 2015 Doch nicht nur das Thema Sicherheit scheint von Brisanz. Auch der Schutz der Daten ist noch lange nicht vollständig gelöst. Was passiert mit all den Daten, die das Auto während der Fahrt sammelt? Hier bedarf es einer klaren Regelung des Gesetzgebers, welche Daten von wem wie verarbeitet werden dürfen und wie diese zu anonymisieren sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Autobesitzer dieser Datensammlung und -verarbeitung nicht explizit zustimmt. Ansonsten könnten Szenarien der Überwachung Realität werden, die weit über das hinausgehen, was George Orwell in „1984“ entworfen hat. Betriebswirtschaftliche Herausforderungen Neben diesen technischen Herausforderungen existieren bei Automobilherstellern und Zulieferern auch zahlreiche Restriktionen, die sich aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive ergeben. Eine der größten Herausforderungen auf dem Weg zu leistungsfähigen Car-to-X-Systemen resultiert aus der aktuell noch nicht vorhandenen Marktdurchdringung. Bisher liefern nur sehr wenige Fahrzeuge und Infrastrukturbestandteile die erforderlichen Daten, um eine flächendeckend stabile Datenlage bereitzustellen. Doch Neukunden werden erst dann von einem neuartigen System überzeugt sein, wenn die möglicherweise aufpreispflichtigen Features in vollem Umfang zur Verfügung stehen. „Wir haben es hier mit einem klassischen Henne-Ei-Problem zu tun, sowohl in Bezug auf die Verbreitung der Technologie im Fahrzeug als auch in der Verkehrsinfrastruktur.“, sagt Bolse. „Besonders auf der Seite der Infrastrukturbetreiber müsste in ausreichendem Umfang Technik verbaut werden, um realistische Anwendungsfälle zu ermöglichen“, so Bolse weiter. Darüber hinaus müssen OEMs flexibel bleiben, was die a ndere Seite der Car-to-X-Medaille angeht: die Ausstattung der Verkehrsinfrastruktur mit Kommunikationstechnologie. Denn eine flächendeckende Ausstattung von Lichtsignalanlagen, Fußgängerüberwegen, Kreuzungen, Fahrbahnen und Verkehrsleitzentralen ist teuer und aufwändig, so dass nur die Politik diese Entwicklung forcieren kann. Ob sich diese jedoch zeitnah hierzu entschließt, bleibt fraglich. Dementsprechend müssen OEMs auf der einen Seite zwar weiterhin eng mit der öffentlichen Hand kooperieren, wie beispielsweise durch die 20122013 durchgeführte SimTD(Sichere intelligente Mobilität – Testfeld Deutschland)-Studie. Auf der anderen Seite müssen sie aber auch in Alternativen denken, zum Beispiel an die Erforschung von visuellen Systemen, die die zuverlässige und automatisierte Erkennung von Lichtsignalanlagen, Verkehrszeichen und Fußgängern ohne entsprechend ausgerüstete Infrastruktur garantieren. 38 Detecon Management Report blue • 1 / 2015 Doch nicht nur hinsichtlich Produktentwicklung und Markteintritt gilt es, Hürden zu nehmen. Auch in Bezug auf die spätere Kundenansprache müssen OEMs Dienste schaffen, für die Endkonsumenten bereit sind zu zahlen, sei es als Besitzer von Fahrzeugen oder auch als Nutzer von Fahrzeugen in CarSharing-Modellen, bei denen Besitzer nicht gleich Nutzer sind und Fahrer häufig wechseln. Aktuelle Studien lassen den Schluss zu, dass Kunden gerade im Bereich sicherheitsrelevanter Systeme besonderes preissensibel agieren. Möglicherweise müssen OEMs einen Weg finden, wie sie den Fahrkomfort ihrer Kunden beispielsweise durch die zuverlässige Vorhersage von Staus und Verkehrsbehinderungen erhöhen können. OEMs sollten dabei auch abseits klassischer Geschäftsmodelle denken und zum Beispiel Pay-per-use-Ansätze nutzen, um Kunden auch weiterhin langfristig an die eigene Marke zu binden. Die Automobilindustrie, allen voran die OEMs, müssen dabei unter Beweis stellen, dass sie dazu in der Lage sind, tragfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln. Dies kann nur mit Partnern gelingen, die sich mit der Kommunikation verschiedener Devices auskennen und erfahren in der erfolgreichen U msetzung tragfähiger, digitaler Geschäftsmodelle sind. Nur durch ein intelligentes Kooperationsmodell werden es OEMs schaffen, mit diesen neuen und schnellen Entwicklungen Schritt zu halten. Lösungsansätze Experten sind sich sicher, dass in den nächsten Jahren eine Revolution in den Fahrzeugen stattfinden wird, bei der manuelle Instrumente wie das Bremspedal immer mehr durch aktive Assistenzsysteme unterstützt werden. Ein Großteil der Technik, die die Zukunft des Autofahrens ermöglichen soll, ist heute schon in vielen Fahrzeugen vorhanden. Dazu gehört ebenso die Vernetzung des Fahrzeugs als Grundvoraussetzung für das zukünftige Geschäft der Automobilhersteller. Um die Vision von autonomer PKW-Mobilität jedoch wahr werden zu lassen, müssen die OEMs hierbei nicht nur relevante Fragen aus ihrem Kerngeschäft beantworten, sondern auch die Welt der IT und Telekommunikation verinnerlichen – und verstehen. Damit bald Fahrzeuge mittels Car-to-X-Technologie durch den Verkehrsdschungel navigieren können, reichen nicht nur aktive Sicherheitssysteme und Sensoren aus. Künftige auto nome Fahrzeuge werden sich als Minderheit in einem existierenden, von Menschen gesteuerten Verkehrssystem zuverlässig bewegen müssen. „Sicherheit“ bedeutet in diesem Fall nicht nur, die Fahrzeuge unfallfrei durch Stau und Berufsverkehr fahren zu lassen, sondern auch fahrer- und fahrzeugspezifische Daten sicher zu nutzen. OEMs müssen möglicherweise einen Weg finden, die unterschiedlichen Applikationen im Fahrzeug und die Interaktion mit der Verkehrsinfrastruktur voneinander zu trennen. Denkbar wäre eine Aufteilung wie im ConnectedHome-Umfeld, wo Telematik-Applikationen wie die Haus steuerung unabhängig und gesichert vom Multimedianetzwerk betrieben werden. Da dies nicht zur unmittelbaren Kernkompetenz der meisten OEMs zählt, werden sowohl auf Technologie- als auch auf Business-Seite Unternehmenspartnerschaften eine entscheidende Rolle einnehmen. Automobilhersteller werden sich nicht mehr ausschließlich in einer Buyer-/Supplier-Konstellation wieder finden, sondern benötigen einen aktiven, industrieübergreifenden Ansatz. Neben der Implementierung der notwendigen Technik im Fahrzeug müssen sie auch die Entwicklungen im öffentlichen Sektor aktiv unterstützen. Durch die 2020er Klimaziele der EU laufen eine Vielzahl von „Smart City“-Projekten in Europas Metropolen, die weniger Stau, mehr Lebensqualität, weniger Abgase und mehr Sicherheit ermöglichen sollen. Damit dies gelingt, muss die gesamte städtische Infrastruktur auf diesen Zukunftstrend ausgerichtet sein, sodass Straßenlaternen, Ampeln und Parkhäuser eigenständig den Verkehrsfluss organisieren. Fahrzeuge könnten hier als „mobile Sensoren“ einen wesentlichen Beitrag für die Städte und Kommunen leisten, indem sie beispielsweise Daten über freie Parkplätze direkt an Verkehrsleitsysteme übertragen. Klamme Kommunen könnten so die nötigen Investitionen in die Ausrüstung ihrer Städte verringern: Anstatt hunderte von Stellplätzen mit einzelnen Sensoren auszustatten wäre ein Modell denkbar, bei dem PKWs als mobile Sensoren innerhalb der Smart City fungieren. Die Interkompatibilität der Systeme in Fahrzeugen und der städtischen Infrastruktur wird einer der Schlüsselpunkte für das vernetzte Fahren der Zukunft. Unter Wahrung der Sicherheitsanforderungen wird eine Öffnung der Systeme dabei ein unerlässlicher Faktor sein, um die künftigen Mobilitätsmodelle Realität werden zu lassen. Zu guter Letzt bleibt die Frage, welche Kundenbedürfnisse mit den Mobilitätskonzepten der Zukunft durch Car-to-X Technologien gedeckt werden? Menschen in aller Welt kaufen heute ihre Fahrzeuge, um dem Bedürfnis einer unabhängigen Mobilität nachzukommen. Diese Unabhängigkeit wird durch autonomes Fahren künftig eingeschränkt werden. OEMs und ihre Partnerfirmen müssen daher einen Weg finden, dem Kunden von morgen ein neues „Mobilitätserlebnis“ zu bieten. Die Vielzahl von Varianten, Online-Dienste in das Fahrzeug zu integrie- ren, zeigt, dass die Branche sich derzeit noch auf experimenteller Ebene den vom Kunden als wertvoll und notwendig empfundenen Services nähert. Studien belegen, dass Kunden den bisherigen Fokus auf Komfort- und Multimediafunktionen nur bedingt als werthaltig empfinden und daher eine geringe Zahlungsbereitschaft besteht. Das Erledigen von Telefonaten und E-Mails während Stau phasen stellt heute kaum einen Schmerzpunkt für den Kunden dar, erhält aber eine andere Bedeutung, wenn der F ahrer durch autonomes Fahren keinen Unfall befürchten müsste. Ob somit das vernetzte Fahrzeug ein Treiber für das autonome Fahren sein wird oder vice versa, kann dabei nur die Zukunft zeigen. Der Traum von K.I.T.T bleibt dennoch bestehen. Tobias Kardach ist Product & Proposition Manager im M2M Competence Center der Deutschen Telekom AG. Er definiert industriespezifische M2MAngebotskonzepte, unter anderem im Bereich der Fahrzeugtelematik. Claus Eßmann, Senior Consultant, und Dr. Stefan Gladbach, Consultant, sind Mitglieder des Connected Car Solution Center. Sie beraten Unternehmen der Automobil- und Telekommunikationsindustrie zu Innovationsthemen. Das Detecon Connected Car Solution Center bündelt die Fachkompetenz der Detecon-Experten rund um das Thema vernetztes Fahrzeug. Berater aus verschiedenen Fachgebieten wie Innovations- und IT-Management, CRM oder Mobile Application beschäftigen sich mit allen Phasen des Produktentstehungsprozesses. 39 Detecon Management Report blue • 1 / 2015
© Copyright 2024 ExpyDoc