11.03.2016 Alltägliche rassistische Erfahrungen von Flüchtlingen & Handlungsmöglichkeiten der Sozialen Arbeit (als Menschenrechtsprofession?!) Prof. Dr. Barbara Schramkowski 1 Alltagsrassismus (vgl. Melter 2011; Schramkowski 2006; Leiprecht 2001) „Ich hatte nie so ein krasses Erlebnis, also dass mich jemand geschlagen hat, weil ich Ausländerin bin. Ich kann auch nicht sagen, ich werde schlecht behandelt von den Deutschen. Das sind eher so Themen, dass man einfach anders ist und dass man diese Haltung spürt. Ich möchte nicht verallgemeinern. Und ich habe auch viele deutsche Freunde. Aber generell ist es halt so, dass du erst mal eine Distanz spürst. Die haben halt ihre Meinung. Ich empfinde immer wieder eine Abneigung gegenüber Ausländern - nach dem Motto, wir haben genug von euch.“ Viale, 24 Jahre, studiert Volkswirtschaft „Zu sechzig Prozent - und die vierzig Prozent würde ich sagen, ja, nicht ganz. Integriert in dem deutschen Leben - hundertprozentig. Ich hab auch keine Schwierigkeiten mit der Sprache oder zum Arzt zu gehen oder (...) zu den Behörden zu gehen. Ich fühl mich eigentlich hier in Deutschland wohl und komm ganz gut zurecht. (...) Aber bei den Leuten angenommen zu sein, da fehlt es. Und das sind die anderen vierzig Prozent, wo ich merke, dass ich für sie doch etwas Anderes, etwas Fremdes bin, ja ein Mensch zweiter Klasse. [...] [S]ogar auch heute noch nach zehn Jahren“ Natascha, 21 Jahre, Verwaltungsfachangestellte 2 1 11.03.2016 4 2 11.03.2016 Rassismus Vgl. Scharathow 2014 Machtvolles soziales System von diskursiven, strukturellen und individuellen Praktiken der Unterscheidung: ‚Wir‘ - ‚Sie‘ – Etablierung von Zugehörigkeitsverhältnissen – Legitimierung ungleicher Behandlung und Verhältnisse ‚Einteilung‘ von Menschen in ‚homogene‘ Gruppen vor dem Hintergrund von Abstammungs-/Herkunftslogiken (Kulturen, Völker, Nationen) – Zuschreibungen von quasi natürlichen (‚angeborenen‘) Eigenschaften und Wesensmerkmalen mit einer hierarchisierende Bewertung Konstruktionen über Gruppen strukturieren soziale Wirklichkeit – ‚Platzanweiser‘ für gesellschaftliche Positionen von Gruppen – Etablierung gesellschaftlicher Ordnung Selbstverständliche Denk- und Handlungsmuster → Rassismuserfahrungen als ein Element der Lebenswelt von geflüchteten Menschen Prof. Dr. Barbara Schramkowski 5 Rassismuserfahrungen als Teil der Lebenswelt von geflüchteten Menschen 2015: bundesweit 1.027 Übergriffe auf Asylunterkünfte – vier Mal mehr als in 2014 Meldung im Dezember 2015: Gewalt gegen Flüchtlinge nimmt dratisch zu (Hetze, Sachbeschädigung, Körperverletzung) Bundeskriminalamt warnt vor schweren Gewalttagen aus dem rechten Spektrum (Oktober 2015) Rassistische Diskurse in Politik und Medien: Thematisierung von Flucht im Kontext von sexueller Gewalt, Kriminalität, Anpassung an ‚unsere‘ Werte, Überschreitung von Obergrenzen; Verschärfung des Asylrechts (Residenzpflicht, Einschränkung von Familiennachzug, Erleichterung von Abschiebungen, Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten) Extremspitzen im Februar (Clausnitz, Bautzen) Vgl. Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V.; Newsletter Netzwerk Rassismuskritik Baden-Württemberg; Süddeutsche Zeitung Prof. Dr. Barbara Schramkowski 6 3 11.03.2016 7 Soziale Schlechterstellung im Asylverfahren Makroebene / strukturelle Ebene (Politik, Gesetze, gesellschaftlichen Strukturen bzw. Funktionssysteme) Mesoebene / Ebene der Institutionen Mikroebene / interaktive Ebene (Individuen, ihrer Orientierungen und Interaktionen ) Diskursive Ebene als die Ebenen verbindendes Element („was so gesprochen wird“) Vgl. Melter 2011; Winkler/Degele 2009 Prof. Dr. Barbara Schramkowski 8 4 11.03.2016 Soziale Schlechterstellung im Asylverfahren - Analyse anhand der Dimensionen von Integration (Strassburger 2001) Funktionale / kulturelle Integration Erwerb der Landessprache & gesellschaftliches Orientierungswissens als Voraussetzungen für strukturelle, soziale und identifikatorische Integration Strukturelle Integration Gleichberechtigte Eingliederung in Kerninstitutionen (Arbeits-/Wohnungsmarkt, Ausbildung, Erziehungs- und Bildungssystem, Gesundheitsversorgung u.a.) Zugang zur Staatsbürgerschaft als Voraussetzung für z.B. politische Teilhabe Soziale Integration Eingliederung in private Bereiche der aufnehmenden Gesellschaft Identifikatorische Integration Zugehörigkeitsempfindungen zur Aufnahmegesellschaft 9 Prof. Dr. Barbara Schramkowski Über Fluchtursachen sprechen: Globale Machtverhältnisse und Ungleichheiten Prof. Dr. Barbara Schramkowski 10 5 11.03.2016 Prof. Dr. Barbara Schramkowski 11 Anforderungen an Sozialarbeiter_innen auf den Ebenen Wissen/Können und Haltung Haltung: Diversitätsbewusste Soziale Arbeit (vgl. Leiprecht 2011) Entwicklung einer besonderen Aufmerksamkeit für Differenzlinien und ihrer Wirkung und Verschränkung hinsichtlich der Entstehung sozialer Ungleichheiten/Teilhabechancen an Funktionssystemen → Sensibilität für Ausgrenzungserfahrungen, Rassismuserfahrungen ernst nehmen Keine Bedienung gruppenbezogener Schubladen (Reduktion von Individuen auf bestimmte Kategorien) → Zuschreibungssensibilität / Selbstreflexion im Kontext der Vieldeutigkeit sozialarbeiterischer Praxis Prof. Dr. Barbara Schramkowski 12 6
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