Mein Name ist Regine Winkelmann, ich bin Autistin und habe zusätzlich auch die Diagnose ADHS. Außerdem bin ich Mutter von vier Kindern, die ebenfalls unterschiedlich betroffen sind. Wie viele meiner erwachsenen Mitbetroffenen, habe ich erst sehr spät die Diagnose Autismus erhalten – und zwar erst im Zusammenhang mit der Diagnose meiner Kinder. Obwohl ich natürlich nie anders gedacht und gefühlt habe, nie anders mich und die Welt wahrgenommen habe als autistisch – wussten jahrelang weder ich, noch meine Bezugspersonen, dass das was oft schwierig, seltsam und anders war an mir, die Folge autistischer Wahrnehmungsweisen war. Es gab also, wie bei den meisten erwachsenen Autisten, ein Leben vor der Diagnose. Das war nicht anders als jetzt. Es war lediglich ein Leben ohne Diagnose. Ein Leben ohne Autismus hat es allerdings bei keinem von uns jemals gegeben. Autismus sei eine andere Art zu denken – eine andere Art der Wahrnehmung, die nicht falsch, eben einfach nur anders ist, sagen die Einen. Bewege ich mich in dem Rahmen, wo ich meine Fähigkeiten einsetzen kann und reduziere alle Belastungen – schaffe stattdessen für mich die notwendigen Sicherheiten,... dann empfinde ich das auch so. Andere bezeichnen Autismus als tiefgreifende Entwicklungsstörung und definieren ihn als eine Behinderung. Das stimmt auch. - Auch das empfinde ich sehr oft so. Eine Behinderung, die man mir vielleicht überhaupt nicht an sieht. Ich habe ja keinen Rollstuhl der mich kennzeichnet, keine Gehhilfe...trotzdem behindert mich doch der Autismus ganz erheblich, mich im selben Schritt, im selben Tempo, wie ihr das tut, in der Gesellschaft zu bewegen. Und das was mich daran behindert ist für die wenigsten erkennbar. Es sei denn, sie erleben mich an den Tagen, an denen ich nicht tauglich bin, oder in solchen Momenten, wo meine Kompensationsmechanismen versagen. Vielleicht weil ich etwas falsch verstanden habe oder ein für mich bedeutender Termin verschoben wird. Vielleicht weil ich zu lange mit verschiedenen sensorischen oder emotionalen Situationen konfrontiert wurde. Das ist völlig egal ob das negative oder positive Situationen sind. Mein System differenziert dabei nicht nach Qualität, sondern es registriert die Summe. Wenn es möglich ist, versuche ich dann die Gesellschaft zu meiden – um unerkannt zu bleiben. Es bleibt vor allen hochfunktionalen Autisten nichts anderes übrig, als sich in einer nichtautistischen Gesellschaft zu verstecken und ihre Behinderung unsichtbar zu machen oder dauernd ihre Defizite unter Beweis zu stellen, bzw darum zu betteln, dass man ihnen glaubt, dass sie manchmal Hilfe brauchen bei Dingen die ihr selbstverständlich findet. Unsere Anpassungsstrategien sind mitunter so perfekt geworden, dass man uns den Autismus nicht einmal abnimmt, auch wenn wir uns outen. Und selbst wenn wir uns outen oder sogar die Diagnose vorlegen, wird sie oft angezweifelt. In der Schule zB: „Wie bitte? Der soll ein Autist sein – so grottenschlecht wie der rechnet? Niemals...“ Oder: „Du bist Autist? – das kann gar nicht sein – du bist freundlich, kannst die Hand geben, du sprichst ja kannst in meine Augen schauen“. Ja klar...etwa mit 6 Jahren habe ich damit begonnen auch vor Fremden zu sprechen...nur das Nötigste. Für meine Mutter oder auch für Lehrer war das viel Überzeugungsarbeit die sie geleistet haben. In die Augen schaue ich allerdings immer noch nicht so wirklich. Das funktioniert irgendwie gar nicht. Versucht mal bitte gleichzeitig eurem Gegenüber in beide Augen zu schauen. Also mit ihrem linken Auge in das rechte des anderen und mit dem rechten Auge in das linke...und dann sagt mir bitte, wie ihr das anstellt. Ich fixiere mit beiden Augen entweder eines von beiden oder suche mir einen Punkt genau in der Mitte zwischen den Augenbrauen – eben weil ich ja weiß, dass ihr so was höflich findet... bin dann aber erinnert daran, dass man nicht starren soll...und schaue schnell wieder weg. Autismus ist also oft zunächst unsichtbar. Und nicht einmal Fachleuten gelingt es immer, uns nicht auf übliche Klischees zu reduzieren. Innerhalb der Untersuchungen für meine Diagnose, wurde ich gefragt, ob ich Spieletabellen oder Fahrpläne auswendig lerne – Natürlich nicht. was soll ich denn damit? Ich fahre möglichst nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln –viel zu riskant finde ich das... Es ging aber gar nicht um diese Frage an sich. Es ging ihnen darum zu erkennen, ob ich an irgendwelchen Dingen ein gesteigertes Interesse habe, was man als ungewöhnlich einordnen könnte. Was ist denn ungewöhnlich? Wäre ich direkt gefragt worden, ob ich aus dem Stehgreif 100 heimische Vogelarten aufsagen kann oder vielleicht eine Nährwerttabelle auswendig weiß – dann hätte ich das doch zugegeben. Warum denn nicht? Aber das hat ja keiner gefragt. Also hab ich „nein“ gesagt. Heute weiß ich auch, dass ich hier mal wieder diese Frage viel zu wörtlich genommen habe. Da gab es also sogar mit einer Fachperson für Autismus die üblichen Kommunikationsdefizite. Wir alle haben ja, so steht es auch in den Kriterien, ein Problem mit der Kommunikation und mit der sozialen Interaktion. Ich bin natürlich immer noch davon überzeugt, dass man diese Frage hätte präziser stellen müssen. Aber ich gebe zu: häufig sind es meine Kommunikationsdefizite die einiges an Problemen mit sich bringen und verantwortlich sind für unglaublich viele Missverständnisse. Wenn wir auch Kommunikationsdefizite heben, bedeutet das aber nicht, dass wir keinerlei Interesse an unsere Mitmenschen haben. Oder grundsätzlich nicht kommunizieren wollen. Das bedeutet vor allem nicht, dass wir nichts zu sagen hätten. Auch, wenn wir sehr oft nichts sagen können. Während neurotypische Personen solche oder andere Gespräche relativ unanstrengend erledigen, weil sie über so was gar nicht bewusst nachdenken müssen – weil sie eben so etwas intuitiv machen, sind Autisten während einer Unterhaltung dauernd mit dieser aktiven Bewusstmachung der sozialen Regeln beschäftigt – mit dem Erkennen oder decodieren der Absicht oder Stimmung des Gesprächspartners - plus das Thema natürlich, um welches es gerade geht. Ihr könnt euch darum vielleicht vorstellen, dass das unglaublich viel zusätzliche Kraft kostet und man oft nicht gewillt ist, soziale Interaktionen dann nur so zum Zeitvertreib zu tun – sondern sie möglichst zu reduzieren versucht auf das was wichtig ist / unvermeidbar, oder aber ausschließlich unseren eigenen Interessen dient. Also darüber könnte ich stundenlang mit euch reden – wenn es um meine Interessen geht. Man sagt auch über uns, wir können schlecht lügen – dabei lügen wir täglich, wenn wir nicht mit den Menschen zusammen sind, wo wir uns Ehrlichkeit leisten können. Und wie einfach das Leben ist, wenn man dort ist, wo man ehrlich sein darf. Wir haben im Laufe unseres Lebens festgestellt, dass man nicht alles wortwörtlich nehmen darf. Dass manche Leute Aussagen machen, die sie niemals so meinten und von denen sie auch morgen nicht mehr wissen, dass sie sie machten. Wir haben gelernt und oft bitter erfahren, dass nicht jeder der freundlich ist, ein Freund ist. Aber erkennen könnte ich das auch heute noch nicht. Wir wissen, dass viele Leute Komplimente machen – sich dahinter aber möglicherweise eine Kritik verbirgt – man nennt das Ironie oder Sarkasmus – auch das erkenne ich oft nicht. Auch wenn ich es gerne selber verwende. Dann weiß ich das aber und bin vorbereitet. Genauso kann ich über meine Witze auch immer lachen, weil die versteh ich sofort. Selbst wenn mir viele dieser Kommunikationsschwierigkeiten heute klar sind, durch Wissen und Logik - ich durch meinen Mann immer wieder gewarnt, durch die Menschen in der Therapiestelle oft korrigiert und in die passende Richtung geschoben werde, heißt das nicht dass ich es auch alleine oder irgendwann einmal sicher beherrschen werde. Das wird mit keiner Therapie und auch mit keinem Medikament je anders. Weil es keine Therapie und kein Medikament gibt, was aus einem autistisch funktionierendem Gehirn ein unautistisches macht. Wir erlernen mühsam durch Anpassung die Strategien, die ihr intuitiv macht. Was ihr quasi so mit dem Bauchgefühl macht. – „Regine das musst du nicht verstehen – das musst du aus dem Bauch heraus machen“ Ich bin nicht sicher, ob mein Bauch und ich da immer konform gehen und die selbe Meinung haben. Wir alle bemühen uns um eine Perfekte Anpassung und Tarnung. Je nachdem mit welchen Eigenschaften und kognitiven Fähigkeiten wir außer unserem Autismus noch ausgestattet sind, gelingt uns das auch weitgehend. Das allerdings hat immer einen sehr hohen Preis. Gerade weil ich an manchen Tagen so enorm gute Funktionen gezeigt habe, ist das Umfeld oft der Meinung...da könne man sich doch heute auch noch zusammennehmen. “Du hast ja gezeigt, dass du durchaus kannst – wenn du nur willst.“ Glaubt mir bitte – es war niemals eine Frage des Wollens. Nach zwei oder drei Tauglichkeitstagen – falle ich in ein tiefes Loch – brauche dringend Rückzug und Erholung – das wiederum für mindestens den Folgetag, wenn nicht sogar mehr. Ich schaffe es dann nicht einmal einen Einkauf zu erledigen, den Gang zur Post oder ans Telefon zu gehen. Das war noch nie anders. So war es in der Schule, während des Studiums und so ist es heute. Und damit ist man einfach gemessen an der Norm , niemals voll schulfähig, arbeitstauglich und lebensfähig ohne Hilfe - oder ohne Verständnis der Mitmenschen. Auch wenn ich an den Tauglichkeitstagen sogar 150% meiner Leistung gebe. In dieser nichtautistisch ausgerichteten Gesellschaft ist es erforderlich konstante Tauglichkeit zu haben. Unsere Probleme und Auffälligkeiten beginnen meist mit dem Kindergarten deutlicher zu werden – spätestens in der Schule sind sie nicht mehr zu leugnen und sie hören auch mit Therapie und noch so großen Anpassungsbemühungen leider nicht auf. Autistische Kinder werden junge Erwachsene und auch die werden älter. Autist bleibt der Mensch aber sein Leben lang. Darum sind Autisten auch leider ihr Leben lang hoch gefährdet in Mobbingsituationen zu geraten, in Beziehungskonflikte und auch in Abhängigkeiten, die sie eingehen – um so etwas zu erfahren wie Begleitung oder Sicherheit – auch wenn es manchmal sehr schlechte Kompromisse sind. Autisten erleiden aufgrund ihrer Fehleinschätzung sozialer und emotionaler Situation vielfach Schiffbruch und sie brauchen in allen Lebenslagen – von Kind an , bis ins hohe Alter, aufrichtige und ehrliche Mitmenschen. Sie geraten oft in Not und erkennen das nicht einmal - oder viel zu spät- und sind dann nicht einmal in der Lage zu wissen, wie oder wo sie um Hilfe bitten sollen. Diese vielen negativen Erfahrungen akkumulieren mit den Jahren – während analog dazu die Kompensationskräfte sich verbrauchen. Und dann ist es nicht verwunderlich wenn Depressionen und psychosomatische Beschwerden zu nehmen und bei Menschen mit Autismus annähernd obligat sind. Fast alle Autisten, die ich kennengelernt habe, zeigen deutliche Symptome einer Depression. Viele werden auch medikamentös deshalb behandelt und erhalten weitere Therapien aufgrund ihrer komorbiden Erkrankungen. Bei den Kindern und Jugendlichen sieht es bereits nicht unbedingt anders aus. Wer sich als Autist dauernd an eine nichtautistische Welt anpassen muss – auch deren Erwartungen erfüllt und nichtautistisches Verhalten kopiert, welches ihm unverständlich, fremd und verschlossen bleibt – der bezahlt dafür. Ich weiß, dass viele Eltern, auch viele Betroffene und Fachleute hier von einem Autisten nun gerne hören würden, was alles trotzdem geht. Was alles drin ist und was alles rauszuholen geht...um möglichst ein Höchstmaß an Tauglichkeit und unautistischem Verhalten zu erreichen. Ich weiß doch selber mit welchen Ängsten und Sorgen ich als Mutter von autistischen Kindern in die Zukunft schaue – bzgl. deren Chancen an Teilhabe und Aussicht auf einen Platz auf dem 1. Arbeitsmarkt. Ich weiß, dass viele also lieber von mir ausschließlich etwas über die positiven Seiten und unseren durchaus vorhandenen Fähigkeiten hören wollen. Das ist absolut verständlich und berechtigt. Ich kenne sowohl meine als auch die Fähigkeiten meiner Kinder. Aber wir alle säßen nun nicht hier – würden unsere Defizite und die Probleme dadurch, nicht deutlich schwerer wiegen. Aufgrund unserer Defizite ist es uns leider oft nicht möglich, unsere wirklich vorhandenen Fähigkeiten auch einzusetzen. Ich möchte deshalb die Möglichkeit nutzen, euch zu bitten, nicht die Realität aus den Augen zu verlieren und euch vorzumachen oder von euren betroffenen Kindern oder Erwachsenen zu erwarten, dass sie irgendwann einmal so denken wie ihr denkt, so fühlen wie ihr fühlt oder die Welt so sehen wie ihr sie seht. Es ist nicht damit getan, in der Kindheit und im Jugendalter einige Dinge zu erlernen und Kompensatiosmechanismen zu beherrschen. Es ist sicher nicht verkehrt soziale und gesellschaftliche Verhaltensweisen und Regeln zu kennen und diese an den passenden Stellen auch einsetzen zu können. Das gibt uns manchmal mehr Sicherheit und lässt uns tauglich erscheinen und die Fassade wahren. Aber nur wenige halten das auch auf Dauer durch, ständig etwas vor zuspielen, was man gar nicht ist. Der Rest fällt ja doch irgendwann auf. Und somit fällt er dann eben auch durch – durch das Netz dieser Gesellschaft - wird ggf unbeschulbar nicht ausbildungsfähig, arbeitsunfähig oder aber krank. Untauglich und krank sind wir ein Kostenfaktor von nicht unerheblichen Ausmaß. Dabei könnten diese Gelder vielleicht für uns verwendet werden, bevor es mit uns so weit bergab geht. Und wir hätten noch etwas übrig von unserer Kraft, was wir wieder zurückgegeben geben könnten. Viele erwachsene Autisten brauchen immer wieder Bewältigungshilfe im Alltag – für sehr viele Bereiche. Vor allem soziale und emotionale Verarbeitungshilfe. Spätestens wenn im Job die Kommunikation die Sachebene verlässt und die Kollegen erwarten, dass man sich mit ihnen in die Pause begibt, fängt unweigerlich der Stress an. Während die anderen in der Pause entspannen und sich erholen – wird ein Autist dies oft empfinden als sei das, ein mit Fettnäpfchen übersäter Kampfplatz. Außerdem haben Autisten häufig Probleme damit ihren Tagesablauf zu strukturieren oder mit unvorhersehbaren Situationen fertig zu werden. So erleiden sie immer wieder Zusammenbrüche, die Folge emotionaler oder sensorischer Überforderungen sind. Für Nichtautisten geht es dabei oft nur um nicht nachvollziehbare Bagatellen. Sie aber schaffen es nicht, ohne Hilfe heil durch Konfliktsituationen zu kommen. Oder schaffen es nicht, sich um ihre eigenen gesundheitlichen oder finanziellen Angelegenheiten zu kümmern. Es gibt wenige erwachsene Autisten, die es schaffen überhaupt so zu arbeiten, dass sie für sich selber oder für ihre Familie ausreichend sorgen können. Und noch weniger sind es, die das dann bis ins Rentenalter auch durchhalten. Obwohl sie oft hochbegabt sind – teilweise herausragende Fähigkeiten haben – nicht selten Hochschulabschlüsse vorweisen können – Wir scheitern an diesem System und wir belasten es auch. Ich stehe nun seit einigen Jahren über Foren in einem sehr intensiven Kontakt und Austausch zu vielen Mitbetroffenen – unterschiedliche Altersgruppen – auch Angehörige und Partner von Autisten darunter. Wir informieren uns, wir tauschen uns aus – unterstützen uns gegenseitig. Wir erleben tiefe Freundschaften, die teilweise über die virtuelle Welt hinausgehen. Das wäre in der Form nicht möglich, gäbe es nicht das Internet für uns als täglichen Treffpunkt. Das ist etwas, was uns barrierefrei Kontakt ermöglicht. Da wir rein statistisch gesehen eine kleine Minderheit sind, noch dazu über die Welt verteilt - und uns ja allen nicht der Autismus auf der Stirn geschrieben steht, wäre es uns wohl ohne diese Möglichkeit, dass wir Netzwerke und Communities nutzen, kaum gelungen uns gegenseitig kennen zu lernen. Wir hätten nicht erfahren dass wir zwar eine Minderheit sind aber nicht alleine. Wir hätten uns selber lediglich nach diesem Kriterienkatalog eingeordnet, auf deren Grundlage sich ja unsere Diagnose bezieht. Isoliert von all den den anderen, hätten wir in den Fachbüchern gelesen, dass wir Autisten unempathisch sind - und wir hätten es vielleicht sogar geglaubt. Wir hätten gelesen, dass wir Autisten kein Interesse an sozialen Strukturen haben - und wir hätten uns gefragt, warum wir uns dann so oft nach gleichgesinnten, aufrichtigen und ehrlichen Mitmenschen sehnen. Wir sind alle sehr verschieden. So wie ihr neurotypische Menschen ja auch verschieden seid. Wir sind uns auch weiß Gott nicht immer einig – aber in vielen Punkten, außer dass uns gemeinsame Merkmale (autistische Kriterien) verbinden – haben wir eine ganze Menge gemeinsam. so haben wir auch festgestellt, dass wir alle irgendwie an den selben Dingen scheitern oder verzweifeln, die ich gerade angesprochen habe. Wir erwachsene Autisten sind nun die erste Generation, die wissen warum sie so sind, wie sie sind. Und wir alle leben und erleben jeden Tag, was es bedeutet, autistisch zu denken und zu fühlen. Wir sind darum der Meinung, dass wir durchaus etwas zu sagen haben, vor allem wenn es darum geht, wie Nichtautisten erklären wollen, wie wir die Welt verstehen. Wir denken alle, dass wir einiges an Krankheit verhindern und einiges mehr leisten könnten – wenn auch wir Erwachsene hin und wieder individuelle Bewältigungshilfe oder ein gewisses Coaching erhalten würden. Es gibt aber kaum Hilfestellen und Anlaufstellen für uns. Vor allem gibt es keine wirklich funktionierenden Finanzierungskonzepte dafür. Sodass uns Hilfestellen ablehnen, selbst wenn sie uns helfen könnten und wollten. Dabei würden die Therapeuten gerade mit uns wirklich viel Erfahrung machen. Denn viele Erwachsene können mittlerweile sehr gut benennen was Autismus aus ihrer Sicht bedeutet. Auch für die, die jetzt noch Kinder sind. Ab einem gewissen Alter haben wir halt unautistisch zu sein oder wir fallen durch das Netz. Wer keine Hilfe von Außen hat, ist vielleicht in der glücklichen Situation eine Bezugsperson zu haben – ohne die er nicht in der Form alltagstauglich, arbeitsfähig, lebensfähig wäre. Ich sage, dass es oft so ist und bei vielen Autisten so läuft. Ich sage ausdrücklich nicht dass es immer und für alle gilt. Ich kenne aber sehr viele meiner Mitbetroffenen mittlerweile so gut, dass ich zu keinem anderen Schluss komme, als dass ein Leben - nicht am Rande der Gesellschaft, sondern mitten drin eine absolute Seltenheit ist. Wir, die wir mittlerweile auch Eltern sind von betroffenen Kindern, sehen die selben Probleme, die wir haben, auf unsere Kinder zukommen. Obwohl unsere Kinder, im Gegensatz zu uns damals, eine Diagnose haben, und mit einer Diagnose vielleicht auch therapeutisch unterstützt werden - obwohl langsam in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein geschaffen wird für dass, was Autismus bedeutet sehen wir, dass sich an dem, was uns scheitern ließ und immer noch scheitern lässt, was uns auf Dauer krank und depressiv macht – arbeitsuntauglich und sozialhilfeabhängig, nichts wirklich geändert hat. Es ist nicht so, dass man am Grad der Anpassung festmachen kann, wie gut sich der Betroffene in Richtung „Norm“ bewegt. Wenn man zu mir sagt, dass es absolut nicht auffällt, dass ich Autist bin, dann löst das zwei Gefühle aus. Zum einen, freue ich mich, dass es mir offensichtlich so gut gelungen ist, mich zu tarnen – zum anderen möchte ich demjenigen dann manchmal entgegen brüllen, ob er überhaupt eine Ahnung davon hat, was das für mich bedeutet. Das tue ich natürlich nicht. Ich nicke und bedanke mich höflich. Ich bin nun nicht die Person, die hier Lösungsvorschläge hat – ich bin aber in einer Position - hier für mich, und viele andere Betroffene zu sprechen - und auch für alle eure und meine Kinder und Jugendlichen - die ihr gerade im Fokus habt. Ich möchte ich euch bitten – bedenkt, dass aus jedem autistischen Kind ein autistischer Erwachsener wird. Und bedenkt, dass wir auch dann noch autistisch denken und fühlen...auch wenn wir erlernt haben, zu verbergen, wie wir denken und fühlen. Und dass wir unsere Fähigkeiten, auf die wir doch so stolz sein sollten, nur dann für uns und für die Gesellschaft einsetzen können, wenn man uns auch als Erwachsene noch als das annimmt, was wir sind und bleiben. Mitmenschen die autistisch denken – und ein Teil dieser Gesellschaft sind – Menschen die durchaus wollen und können - wenn man sie nicht ganz verbiegt und … wenn man sie mit ihren Defiziten nicht ganz alleine lässt. Aufgrund dieser Überlegung – bzw, der Feststellung dass sich es hier keinesfalls bei mir um ein Einzelphänomen handelt, habe vor ein paar Wochen unter meinen Mitbetroffenen eine Umfrage gemacht: Meine Frage war: Wer von den erwachsenen, diagnostizierten Autisten ist auf Hilfe angewiesen? Wer ist oder wäre ohne Hilfe nicht in der Lage für sich selbst zu sorgen? – Darunter ist auch zu verstehen , die Hilfe die durch Eltern, Partnern oder Freunde und andere Angehörige passiert – und dies in einem Umfang, der deutlich größer ist als es üblich und normal wäre. Ich wusste ja bereits, durch unseren z.T. auch sehr Austausch, dass sich hier einige finden würden, die bestätigen. Dass es dann aber so viele waren, die angaben einen Hilfebedarf zu benötigen hat mich erstaunt und im Hinblick auf uns und unsere Kinder auch sehr nachdenklich gemacht. privaten das deutlichen besorgt und Von 35 Personen, die sich hier zu meiner Frage äußern wollten... warum sich einige gar nicht äußern wollten lasse ich nun einfach offen... haben 32 Betroffene quasi knapp identische Probleme ihren Alltag zu bewältigen und sind immer wieder aufgrund ihrer autistischen Eigenschaften gescheitert, in Depression und/oder auch Abhängigkeit geraten sind. Diese 32 Personen gaben auch an, ohne Hilfe nicht selbständig Leben oder für sich sorgen zu können – in ihrem Beruf, sofern sie einen haben nur gering oder gar nicht mehr arbeiten zu können. Und dann haben sich spontan auch einige bereit erklärt mich hier bei meinem Anliegen zu unterstützen, bzw. meine Aussagen durch ihre eigene Geschichte und ihre individuellen Erlebnisse zu ergänzen Ich heiße Bettina, ich bin Aspergerin und habe ADHS. Von Beruf bin ich Polizeikommissarin. Meine Diagnose Autismus habe ich vor 18 Monaten erhalten. Hätte ich nicht die Unterstützung und das bedingungslose Vertrauen von meinem Freund, wäre ich heute Frührentnerin. Das Autismustherapiezentrum hätte mir helfen können, Warteliste bis zu 12 Monate und pro Sitzung einmal die Woche 75 Euro Selbstzahlung. Meine Behörde hatte nicht 12 Monate Zeit Ich heiße Svetlana und bin Asperger Autistin, ich bin gelernte Krankenschwester, verheiratet und Mutter zweier autistischer Mädchen. Beruflich habe ich meine Nische gefunden als Pflegefachkraft in einer Wohngruppe für demente Menschen. Privat habe ich zum Glück meinen Ehemann an meiner Seite der mir oft genug beisteht oder mich unterstützt und lenkt wenn ich nicht zurecht komme und Hilfe benötige. Ich heiße Silke , ich bin Asperger Autistin. Ich arbeite als Demenzbetreuerin in einem kleinem Pflegeheim. Seit einiger Zeit kann ich das aus Krankheitsgründen nicht. Ich würde aber gerne wieder die Kraft haben, um wenigstens in Teilzeit diese Tätigkeit ausführen zu können. Ich brauche allerdings dann auch Unterstützung, zB dass meine Arbeitszeit entsprechend meiner Kräfte angepasst werden würde. Zudem benötige ich manchmal Hilfe um zB. meine Belange bei Behörden oder Ärzten durchzusetzen. Ohne Hilfe kommt es immer wieder zu schwerwiegenden Kommunikation Problemen wodurch mir Hilfen dann letzten Endes einfach verweigert werden. Bei Ärzten werde ich aufgrund meiner Art zu kommunizieren nicht ernst genommen, was schon mehrfach zu kritischen Situationen geführt hat. Katrin: bin Autistin und depressiv...ich habe eine eingeschränkte Mimik was bedeutet, dass ich meist auf die Menschen wirke als sei ich wütend oder irgendwie sauer... meine Depression merkt man mir nicht an, eher denken die Menschen incl. mein Mann, ich bin wütend! Ich bin aber nicht wütend, ich bin erschöpft von all den Dingen die um mich herum passieren...habe Kopfschmerzen davon... Ich bin traurig wenn man mir meine klaren Worte nicht abnimmt und anderes versucht hinein zu interpretieren... Das ist furchtbar anstrengend und Kräfte zehrend! Mein Name ist Marc. Ich arbeite als Bürokaufmann im Betrieb meiner Eltern. Kundenkontakte, E-Mail – Verkehr und das Abwickeln täglicher Geschäftsvorgänge ist ein Hauptteil meiner Arbeit. Meine Ausbildung habe ich bei der Firma Salo West in Köln gemacht. Einer speziellen Maßnahme für Menschen mit Autismus. Ohne die Unterstützung meiner Eltern und Salo wäre ich heute nicht im Arbeitsleben sondern ein Sozialhilfeempfänger. In meinem Alltag brauche ich in Krisen und Überforderungssituationen Hilfe und Rückzugsmöglichkeiten. Wenn ich überlastet bin gehe ich früher nach Hause um Ruhe zu finden und abschalten zu können. Dies würde in einem normalen Betrieb nicht funktionieren. Mein Arbeitsplatz wird vom Landschaftsverband gefördert. Durch eine angeblich positive Entwicklung soll mein Schwerbehindertenausweis auf 30% reduziert werden. Davon hängen die Förderung und der Fortbestand meines Arbeitsplatzes ab. Die Förderung könnte bis zu meinem Rentenalter bestehen bleiben. ich bin Rieke und bin Autistin, dies weiß ich nun seit dem letzten Jahr.Bin Mama von2 Jungs.Der große wird derzeit auch getestet.. Ja und verheiratet bin ich auch... Die größte Hürde besteht nämlich genau dort. Schon immer haben mein Mann und ich uns nicht wirklich verstanden, bez er versteht mich kaum.. Mein Mann ist meine Hilfe im Alltag.. wenn ich meine Zeit für mich brauche springt er ein... Das ist nicht immer Bedingungslos.. Dadurch dass wir nie auf einen Nenner kommen, ist bei mir eine Art der Abhängigkeit entstanden.
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