Risikokompetenz

Sozialwissenschaftliches Institut Tübingen
Forschung · Beratung · Konzepte · Qualifizierung
Köln 22.11.07
Reinhard Winter
Risikokompetenz als
(Über-) Lebenskompetenz
von Jungen fördern
Vortrag auf der Tagung
„Aufpassen der Loslassen?“
der Landesvereinigung für Gesundheit
Hannover, 17.11.2015
Reinhard Winter
Risikokompetenz als
(Über-) Lebenskompetenz
von Jungen fördern
Inhalte

Vorbemerkungen

Definition „Risikokompetenzen“

Pädagogische Ausblicke
Ausgangsfrage
Wenn Sie an die Jungen und männlichen
Jugendlichen denken, mit denen Sie arbeiten:
Welche Risiken nehmen Sie wahr, die diese
Jungen eingehen?
Risiko männlich
„Die“ Jungen und „das“ Risiko?
 In Bezug auf Risikoverhalten: große Bandbreiten,
erhebliche Unterschiede unter Jungen
 Risikoarten unterscheiden sich erheblich, auch in der
Bedeutung für Jungen
 Doppelte Differenzierung wichtig:
 differenzierter Blick auf Jungen („die“ Jungen gibt es
nicht)
 Differenzierter Blick auf Risiken, die Jungen eingehen
(„die“ Risiken gibt es auch nicht)
Risiko und „männlich“
Jungen-Risikoverhalten
 Risikoverhaltensweisen können für das Männliche
von Jungen eine hohe Bedeutung haben
 Prävention ist wichtig – aber relativ aussichtslos
Risikopädagogik
Umgang mit Jungenrisiken
(auch) in der Pädagogik
permissiv
Paralysierung
Betroffenheit
verdrängen
wegschauen
dulden
restriktiv
akzeptierend
verbieten
bejahen
proaktiver Umgang, Verhinderungs
-versuche
„Bildung“:
Abwertung/
Förderung von
Moralisieren
Risikokompetenz
Zwischenfrage
Viele Jungen leben (auch) riskant. Wenn sie an
„Ihre“ Jungen und deren Risikoverhalten denken:
Was lässt Jungen die Risiken (einigermaßen)
folgenlos überstehen oder überleben?

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

Freunde, soziales Netz
Absprachen
Intuition in Bezug auf Gefahr
Glück, Schutzengel
Vernunft, Wissen
Konzentration, Achtsamkeit
Innere Kommunikation
Ehre, religiöse Werte
Kraft, Kompetenz, Training
Erfahrung, Routine
Aufhören, wenn es reicht
Lernen am negativen
Beispiel (auch anderer)
Risiken bewältigen
Was lässt Jungen Risiken
überstehen?

Äußere Faktoren (v.a. Glück) (nicht
beeinflussbar)

Umstände, Verhältnisse (bedingt
beeinflussbar)

Fähigkeiten und Fertigkeiten:
Risikokompetenzen (beeinflussbar):
Risikokompetenz
Neu: Risikokompetenz
Perspektivwechsel
Risikokompetenz

Begriff „Risikokompetenz“ bislang wenig
entwickelt. Unklar: Was ist damit gemeint?

oft nur präventiv-risikofeindlich verstanden

oder eingeschränkt auf statistische
Bewertungsfähigkeiten
Neu: Risikokompetenz
Perspektivwechsel Risikokompetenz

Risikokompetenz fragt danach, welche Fähigkeiten
notwendig oder sinnvoll sind, um mit Risiken
umzugehen oder Risiken gut zu überstehen

Erweiterung des Blicks auf Jungenrisiken und
akzeptierend-proaktiver Umgang damit
Risikokompetenz männlich
„Männliche“ Risikokompetenz
Risikokompetenz ist ein Teilaspekt des Männlichen

Aktiver und kompetenter Umgang mit Risiken „passt“
zu traditionellen Männlichkeitskonzepten:
• z.B.: Erfahrungen sammeln, Üben (Klettern),
Training (Fußball, Kampfkunst), Testen (z.B.
Technik, Motorsport)
• z.B.: für den eigenen Schutz sorgen: Ritter (Helm,
Rüstung), Autorennfahrer (Gurte, Helm,
Schutzanzug), Leistungssportler (Kleidung,
Sicherungen), James Bond (Technik, Ausrüstung,
Selbstverteidigung)
Definition Risikokompetenz
Was ist Risikokompetenz von Jungen?
Ein Set von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die
es Jungen ermöglichen, Risiken einzugehen
und sie relativ wohlbehalten zu bewältigen.
Assoziativ gehören dazu beispielsweise

Auswahl: Das passende Risiko finden – für sich
(individuell) und sein Männliches (geschlechtlich)

Folgen realistisch abschätzen können

Unterstützung oder Hilfe organisieren

Kraft, Stärke, Leidensfähigkeit: Ein Risiko durchstehen
oder abbrechen können – beides „aushalten“ können

Sich angemessen schützen können
Risikokompetenz systematisch
Was ist Risikokompetenz von Jungen?
Die Fähigkeit, ins Risiko, aber auch wieder (gesund) heraus zu kommen:

Die Fähigkeit, (auch geschlechtlich) passende
Risiken zu suchen, zu finden oder zu entwickeln
•
situativ, sozial und individuell angemessen
•
Aussicht auf individuellen oder sozialen Nutzen
(z.B. Spaß, Angstlust / Anerkennung durch
andere; sich als männlich zeigen und
beweisen…)
Risikokompetenz
Was ist Risikokompetenz von Jungen?
Die Fähigkeit, ins Risiko, aber auch wieder (gesund) heraus zu kommen:

Die Fähigkeit, (auch geschlechtlich) passende Risiken zu
suchen, zu finden oder zu entwickeln

Kommunikative Kompetenzen
• selbstbezogen und sozial: Unterstützung
organisieren, in Notlagen um Hilfe bitten;
Gruppenkommunikation; Rollenabsprachen treffen
• Fähigkeit zu Reflexion: Selbstreflexion (Erlebnis 
Erfahrung); ggf. gemeinsame Reflexion
• Darstellungsinteresse und -fähigkeit:
Dokumentation (Beweis), interessante
Präsentation, Risikogeschichte männlich aufladen
und komprimieren („Heldenstory“)
Risikokompetenz
Was ist Risikokompetenz von Jungen?
Die Fähigkeit, ins Risiko, aber auch wieder (gesund) heraus zu kommen:

Die Fähigkeit, (auch geschlechtlich) passende Risiken zu
suchen, zu finden oder zu entwickeln

Kommunikative Kompetenz

Die Fähigkeit, Risiken angemessen
wahrzunehmen, zu bewerten, einzuschätzen:
• Wissen, Informationen, Kenntnis des Risikos
• Intuition und Emotionen wahrnehmen und
beachten (Angst)
• realistischer Abgleich von Nutzen/Ertrag und
Kosten/Aufwand
• Werte als Hintergrund, Ethos (Sportler), „Ehre“
Risikokompetenz
Was ist Risikokompetenz von Jungen?
Die Fähigkeit, ins Risiko, aber auch wieder (gesund) heraus zu kommen:

Die Fähigkeit, (auch geschlechtlich) passende Risiken zu
suchen, zu finden oder zu entwickeln

Kommunikative Kompetenz

Die Fähigkeit, Risiken zu bewerten und einzuschätzen

Die Fähigkeit, den Risiken entsprechende
Schutzmaßnahmen aktiv zu ergreifen / sie
tatsächlich anzuwenden (Schutzkompetenz als
Risiko-Schutz-Balance)
Risikokompetenz
Was ist Risikokompetenz von Jungen?
Die Fähigkeit, ins Risiko, aber auch wieder (gesund) heraus zu kommen:

Die Fähigkeit, (auch geschlechtlich) passende Risiken zu
suchen, zu finden oder zu entwickeln

Kommunikative Kompetenz

Risiken bewerten und einschätzen

Die Fähigkeit, den Risiken entsprechende Schutzmaßnahmen
aktiv zu ergreifen/sie tatsächlich anzuwenden

Die Fähigkeit, das Risiko durchzustehen,
• es aufgrund von körperlichen, mentalen oder
sozialen Fähigkeiten erfolgreich zu bewältigen
oder
• es ggf. rechtzeitig abzubrechen
Risikokompetenz
Risikokompetenz von Jungen: aufs
ganze Set kommt‘s an!

Die Fähigkeit, (auch geschlechtlich) passende Risiken
zu suchen, zu finden oder zu entwickeln

Kommunikative Kompetenz

Die Fähigkeit, Risiken angemessen wahrzunehmen,
zu bewerten, einzuschätzen

Die Fähigkeit, den Risiken entsprechende
Schutzmaßnahmen aktiv zu ergreifen/sie tatsächlich
anzuwenden

Die Fähigkeit, das Risiko durchzustehen, erfolgreich
zu bewältigen oder ggf. rechtzeitig abzubrechen
Risikokompetenz
erwerben und
erweitern
Risikokompetenz lernen
Jungen erwerben Risikokompetenz
Alle Jungen in pädagogischen Arbeitsfeldern verfügen bereits über
Risikokompetenzen – bei den meisten gibt es Erweiterungspotenziale
 Risikokompetenzen sind nicht angeboren. Sie müssen
erworben, verankert, weiter entwickelt werden
 Risikokompetenzen werden über Erfahrung erworben,
v.a. indem Risiken eingegangen werden.
 Kein „allgemeines“ Breitband-Konzept, sondern
definierte Kompetenzbereiche (evaluierbar)
 Ideal: Lebenswirklichkeiten von Jungen im Alltag so
gestalten, dass sie reichlich Möglichkeiten bieten,
Risikokompetenz zu erweitern
Risiko Lernen
Risikokompetenz erwerben
 Risikoverhaltensweisen werden nicht nur/weniger bewusst
gesteuert (d.h. nicht im Großhirn), sondern im prozeduralen
Gedächtnis verarbeitet
 Im prozeduralen Gedächtnis sind „automatische“
Fertigkeiten gespeichert (funktioniert, ohne nachdenken:
Gehen, Schwimmen, Rad- oder Skifahren, Tanzen…)
 Prozedurale Inhalte des Gedächtnis‘ werden überwiegend
durch Handeln und implizites Lernen erworben (im
Gegensatz zu Fakten/semantischen Inhalten, die explizit
gelernt werden)
 Implizites Lernen ist das spielerische oder unbewusste
Aneignen oder Antrainieren von Fertigkeiten (wie
Spracherwerb, soziales Verhalten – oder Risikokompetenz
Risikokompetenz vermitteln
Schritte zu mehr Risikokompetenz

Analyse / Wahrnehmen von Risiken – auch gemeinsam
mit Jungen (wenn Jungen sich in der Weise riskant verhalten, ihre
Risiken demonstrieren oder darüber reden, dass pädagogische Fachkräfte
etwas davon mitbekommen, beinhaltet dies auch eine Aufforderung an sie)

Risikokompetenzen erforschen (Was ist notwendig, um
diese Risiken zu bewältigen?) – auch mit Jungen

Bewerten: vorhandene Risikokompetenzen – Bedarf/
offene Entwicklungspotenziale

Umsetzung: Risikokompetenzen fördern (Üben, Lernen,
Verankern/Wiederholen/Trainieren, Informationen
einholen, sich ´rantasten, Absprachen unter Jungen
fördern…
Praxissplitter
Risikokompetenz erweitern (Beispiele)

Beziehung zu Jungen: Risikoakzeptanz

Möglichkeit selbstorganisierter Bewegung und
Erlebnisse

Körperbezüge, Körpererfahrungen: Trampolin,
Kampfkunst, Kosmetikworkshop, Sport (incl.
Aufwärmen und Entspannen!), Raufen, Kämpfen,
Massage…

Zuhören, Risiko-Geschichten erzählen lassen und
beantworten („willst du meine Meinung hören?“)

Rückmeldung geben, Konfrontieren
Praxissplitter
Risikokompetenz erweitern (Beispiele)

Medien: Reportage (Interviews mit „Überlebenden“,
z.B. Entzugsklinik, Jugendgefängnis)

Wahrnehmungsschulung (nach innen/außen)

Angstlust und Nervenkitzel: Aktivitäten im Dunklen
(Nachtwanderung, Geländespiele)

Planspiel (kriminelle Karriere/Entscheidungsbaum)

Challenges: selbst gewählte oder gestellte
Herausforderungen (Telefonnummer erfragen)

„Denkpause“ (splitting second) – kurzer Moment
des Innehaltens: Durchatmen zur Wahrnehmung,
Beurteilung und Entscheidung der Risikosituation
Weiterkommen
Abschlussfrage
Wenn Sie an die Jungen denken, mit denen Sie
arbeiten:
Was können und werden Sie tun, um deren
Risikokompetenzen zu fördern?
Danke für Ihr
Verständnis…
…für Jungen
und für Ihre
Aufmerksamkeit!
Begriff Risikokompetenz
Risiko des Begriffs Risikokompetenz

Offener Begriff – „alles Mögliche“ wird als
Risikokompetenz definiert (z.B. Deutschunterricht
in der Schule: Vermittlung kommunikativer
Risikokompetenzen)

Risikokompetenz als Breitbandprävention:
„Betrifft alles und hilft gegen alles“)

Fördern von Illusionen und (männlichen)
Größenphantasien: Mit ausreichend
Risikokompetenz ist alles folgenlos möglich
(Kriminalität, Mord)