Langtext der Einführungsrede

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Sehr geehrte Damen und Herren,
ich begrüße Sie alle heute Abend ganz herzlich im Café Auszeit zu einer – wie ich
meine – ganz besonderen Ausstellung. Ganz besonders wollte ich heute Abend unser
Ehrenmitglied Toni Dasbach mit seiner Frau Hildegard begrüßen. Ihm haben wir
diese Bildmappe zu verdanken. Er erwarb sie von seinem Freund, dem
Gewerkschafter Fritz Strothmann, einem Überlebenden der Moorlager. Gestern
Abend wurde Toni Dasbach ins Krankenhaus eingeliefert. Wir wünschen ihm von
hier aus alles erdenklich Gute und baldige Genesung und völlige Wiederherstellung.
Wir brauchen ihn. Seiner Frau Hildegard wünschen wir viel Kraft.
Wir freuen uns, dass wir Herrn Manfred Pohlmann für die musikalische Gestaltung,
des heutigen Abends gewinnen konnten. Wir brauchten keine Überredungskünste
einzusetze! Vielen Dank und herzlich willkommen!
Dank an AUSZEIT (Spenden?)
Wir bitten um Beachtung des Büchertisches der Buchhandlung Eggers zu
unserem Thema.
Heute Morgen haben wir - wie in jedem Jahr – in einer – wie ich glaube –
bewegenden Feier der Reichspogromnacht im Jahre 1938 gedacht. Die
erbarmungslose Verfolgung von Regimegegnern und vermeintlich Minderwertigen
begann jedoch deutlich früher. Im Sept. 1935 waren nämlich bereits die Nürnberger
Rassegesetze erlassen worden. Und nach der sog. Machtergreifung wurde in der
Nachfolge der Straßenschlachten der 20er Jahre Jagd auf Regimegegner gemacht.
Und zwar vor allem auf Sozialisten und Kommunisten, denn diese hatten gegen das
Ermächtigungsgesetz gestimmt, bzw. hatten sich an der Abstimmung nicht beteiligt.
Mit dieser Ausstellung möchte der Deutsch-Israelische Freundeskreis sein jährliches
Gedenken und Erinnern auf die frühen KZ’s und Arbeitslager und die Qualen ihrer
Insassen erweitern, und zwar auf die sogenannten Emslandlager.
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Die Emslandlager waren eine Gruppe von Konzentrations-, Straf- und
Kriegsgefangenenlagern im Landkreis Emsland und der Grafschaft Bentheim an der
Grenze zu den Niederlanden. Die drei ersten Lager KZ Neusustrum, KZ Börgermoor
und KZ Esterwegen wurden bereits 1933 für sogenannte politische „Schutzhäftlinge“
errichtet.
Die Emslandlager setzten sich aus insgesamt 15 Barackenlagern zusammen. Mit der
Gründung der Lager wollte Hermann Göring ursprünglich die Parteiorganisationen
zähmen und zugleich den Machtanspruch der SS und Gestapo von Heinrich Himmler
eindämmen. Insgesamt wurden bis 1945 etwa 80.000 KZ-Häftlinge und
Strafgefangene und zwischen 100.000 und 180.000 Kriegsgefangene in den Lagern
inhaftiert. Bis zu 30.000 Menschen, überwiegend sowjetische Kriegsgefangene,
starben.
Das KZ Börgermoor, aus dem das Moorsoldatenlied stammt, war das erste der drei
Emslandlager. 1933 war es mit ca. 1.000 sog. Schutzhäftlingen belegt, hauptsächlich
Sozialisten und Kommunisten. Sie wurden seinerzeit ohne Angabe von Gründen und
ohne ordnungsgemäßes Verfahren dorthin verschleppt. Zunächst wurden sie von
Polizisten später von der SS bewacht. Die Quälereien, die Folterungen und die
zermürbende Arbeit wurden von Wolfgang Langhoff, der auch das Lied mitgetextet
hat, ins seinem Buch „Die Moorsoldaten“ beeindruckend beschrieben. (Wolfgang
Langhoff: Die Moorsoldaten, Essen (10.Aufl.) 2003)
Das Konzentrationslager Esterwegen war das größte und schlimmste der Lager,
das auch am längsten betrieben wurde. Es wurde im Sommer 1933 als Doppellager
für 2.000 politische „Schutzhäftlinge“ eingerichtet und war zeitweilig nach Dachau
das zweitgrößte Konzentrationslager. Zuständig für Organisation und Verwaltung
war das Innenministerium, eingewiesen oder entlassen wurden die Häftlinge von der
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Gestapo, bewacht wurden die Lager zwischen Juli bis Herbst 1933 ausschließlich
von SS-Angehörigen.
Eine beträchtliche Anzahl von politischen Gefangenen war schon bis Ende 1933
wieder freigekommen. Im Juni 1934 waren noch 812 Gefangene in Esterwegen
inhaftiert. In allen nationalsozialistischen Konzentrationslagern wurden in dieser
Frühzeit noch rund 3.500 Menschen festgehalten, davon 322 als Schutzhäftlinge in
Esterwegen. Im Juli 1935 befahl Himmler eine präventive Verhaftungsaktion
potentieller Staatsfeinde, bei der mehr als 1.000 politische Gegner – oft aus den
Reihen der Kommunisten und Sozialisten – in Konzentrationslager eingeliefert
wurden.
Am 1. August 1934 wurde im Konzentrationslager Dachau eine „Lager- und
Disziplinarordnung“ entwickelt und auch im KZ Esterwegen eingeführt. Sie
ermöglichte den Aufsehern jedoch eine völlig willkürliche Auslegung und
verhinderte nicht, dass Häftlinge bis zur Erschöpfung „geschliffen“ wurden. Eine
Häufung von ungeklärten Todesfällen führte 1935 zu einer Beschwerde des Berliner
Dompropstes Bernhard Lichtenberg und veranlasste Göring zu einer Intervention.
Dieses Eingreifen blieb aber wirkungslos und brachte den Häftlingen – unter ihnen
zu diesem Zeitpunkt Carl von Ossietzky und der Kabarettist Werner Finck – keine
spürbaren Erleichterungen. Es sind mindestens 71 Sterbefälle unter den KZHäftlingen nachweisbar.
In seinem bereits erwähnten Buch „Die Moorsoldaten“ berichtet Wolfgang Langhoff
von schrecklichen Erniedrigungen und Folterungen durch die SS in der
Arrestbaracke des KZs Börgermoor. Zusammenfassend schreibt er: „Nie in meinem
Leben, niemals werde ich die Baracke 11 vergessen! Immer werde ich sie vor mir
sehen, die traurige Kolonne von Arrestanten, wenn sie morgens hintereinander zur
Latrine geführt wurden, das Nachtgeschirr zum Ausleeren in der Hand, die
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zerschlagenen Gesichter erstarrt, Masken aus Stein, humpelnd und hinkend, oder mit
hochgebundenem Arm, wenn sich einer die Pulsader geöffnet hatte, um seine Qual zu
beenden.“ (S.174)
Bereits im Spätsommer 1936 wurde Börgermoor als Konzentrationslager für
Regimegegner aufgegeben. Die grenznahe Lage war ungünstig, und das KZ sollte
nun durch ein größeres Lager nahe Berlin ersetzt werden. Die Überlebenden wurden
zum Auf- und Ausbau des Konzentrationslagers Sachsenhausen bei Oranienburg
abkommandiert. Später wurden wahrscheinlich weitere 1.000 Gefangene von
Esterwegen in dieses neu errichtete Konzentrationslager überführt. Im Krieg wurde
Börgermoor als Strafgefangenenlager genutzt. Am 10. April 1945 trieb die
Lagerleitung die letzten Strafgefangenen, etwa 700 Häftlinge und 400 sog.
Untersuchungshäftlinge, auf einen Todesmarsch. Über die Zahl der Todesopfer
während des Todesmarsches ist nur sehr wenig bekannt.
Bekannte Häftlinge der Emslandlager
Die Nennung von bekannten Häftlingen ist insofern höchst problematisch, als die
Mehrzahl unbekannte, namenlose Kommunisten und Sozialisten waren. Trotzdem
seien hier einige Namen genannt. Neben Carl von Ossietzky und Werner Finck soll
noch der Maler der hier ausgestellten Werke Adolf Bender genannt werden,
außerdem der Schauspieler Günther Lüders sowie die SPD-Politiker Georg
Diederichs (späterer Ministerpräsident von Niedersachsen), Wilhelm Leuschner,
Carlo Mierendorf, Julius Leber und der Sohn des Reichspräsidenten Friedrich Ebert.
Die Moorsoldaten
Ich möchte eines vorausschicken: So schrecklich und entwürdigend die Leiden der
Insassen der Emslandlager auch waren, sie sind nicht zu vergleichen mit der
Massenvernichtung der Juden durch die SS und die Polizeibataillone in den
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jüdischen Ghettos und den späteren KZs in Osteuropa insbesondere nach 1942. In
unseren Köpfen, auch in meinem, haben diese letzteren sich als grausige „Standards“
der Leiden festgesetzt. Sie sind jedoch in Wahrheit die damals ebenso wie heute
unfassbare Steigerung der Untaten, die bereits in den Emslandlager an der
Tagesordnung waren. Das Leiden und die Qualen dieser Menschen sollen durch
dieses Wissen über die späteren KZ’s weder verharmlost noch relativiert werden.
Texter des Liedes waren der Bergmann Johann Esser und der Schauspieler und
Regisseur Wolfgang Langhoff, die Musik stammt von dem kaufmännischen
Angestellten Rudi Goguel. Das Lied wurde am 27. August 1933 bei einer
Veranstaltung namens Zirkus Konzentrazani von 16 Häftlingen, überwiegend
ehemaligen Mitgliedern des Solinger Arbeitergesangvereins, aufgeführt.
Es ist fast unbegreiflich, wie die Häftlinge bei aller Schwerstarbeit und Drangsal den
Mut, die Kraft und den Witz aufbrachten, ein umfangreiches Zirkusprogramm auf die
Beine zu stellen. Es war eigentlich ein Riesenjux, der aber den SS-Schergen
beweisen sollte, dass die Männer ungebrochen waren. Der Erfolg muss immens
gewesen sein. Es war gelungen, einen Keil zwischen die eigentlichen Schergen und
die vergleichsweise faireren SS-Leute zu treiben. Trotz des Verbots befahlen
einzelne SS-Mitglieder den Häftlingen, das Lied immer wieder zu singen: Auch sie
fühlten sich nämlich als „Moorsoldaten“. Viele von ihnen waren in der Isolation der
Lager Quälereien und Schindereien durch ihre Offiziere und ihre sadistischeren
Kameraden ausgesetzt.
Rudi Goguel erinnert sich später:
„Die sechzehn Sänger, vorwiegend Mitglieder des Solinger Arbeitergesangsverein,
marschierten in ihren grünen Polizeiuniformen (unsere damalige Häftlingskleidung)
mit geschulterten Spaten in die Arena, ich selbst an der Spitze in blauem
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Trainingsanzug mit einem abgebrochenen Spatenstiel als Taktstock. Wir sangen, und
bereits bei der zweiten Strophe begannen die fast 1000 Gefangenen den Refrain
mitzusummen. [...]
Von Strophe zu Strophe steigerte sich der Refrain, und bei der letzten Strophe sangen
auch die SS-Leute, die mit ihren Kommandanten erschienen waren, einträchtig mit
uns mit, offenbar, weil sie sich selbst als ‚Moorsoldaten‘ angesprochen fühlten. [...]
Bei den Worten ‚… Dann ziehn die Moorsoldaten nicht mehr mit den Spaten ins
Moor‘ stießen die sechzehn Sänger die Spaten in den Sand und marschierten aus der
Arena, die Spaten zurücklassend, die nun, in der Moorerde steckend, als Grabkreuze
wirkten.“
Durch entlassene oder in andere Lager verlegte Gefangene wurde das Lied über
Börgermoor hinaus bis zum Komponisten Hanns Eisler in London und den Sänger
Ernst Busch in den Internationalen Brigaden des Spanischen Bürgerkrieges bekannt.
Der Arbeitsalltag ist im Gegensatz zu der Zirkusaufführung dagegen erbärmlich,
zermürbend, vernichtend: (Zitat Langhoff S.201 f.:) „Monatelang stehen wir im
Moor, oft versacken wir bis zu den Knien im Sumpf, oft kommen unsere Spaten kaum
durch die riesigen Wurzeln und Baumstümpfe der versunkenen Wälder…, oft treten
wir auf Kreuzottern ,-..oft bricht einer zusammen und wird von zwei Kameraden und
einem Posten ins Lazarett gebracht. Und ewig die Antreiberei, die demütigenden
Beschimpfungen, das peinigende Gefühl kein Mensch mehr – irgend ein Tier zu sein,
das in Scharen zusammengetrieben, in zehn langen Ställen untergebracht , mit
Nummern versehen, gejagt und geprügelt, je nach Bedarf, den Launen seiner
Viehtreiber ausgesetzt ist. Schmutzig und bedreckt, so wie unsere Hände und Kleider
vom nassen Moorboden sind, - so kommen wir uns innerlich vor. Hätten wir uns
nicht ein Gegengewicht verschafft in der Kameradschaft, … manch einer hätte diese
Zeit nicht überstanden.“
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Im KZ Esterwegen muss es noch unvergleichlich schrecklicher zugegangen sein.
Adolf Bender
Adolf Bender, der Schöpfer der hier ausgestellten Werke, wurde am 4.Febr. 1903 in
Mainz geboren. Seine Mutter besaß eine kleine Gastwirtschaft, sein Vater war
Kellner in den internationalen Hotels der Stadt. Trotz des 1. Weltkriegs und der
nachfolgenden Wirren verlebte er dort eine schöne Kindheit. Den Aufstieg Hitlers
erlebte er in Frankfurt. Er stellte sich dem System in öffentlichen Diskussionen, als
Pflastermaler und durch die Verunglimpfung von NS-Plakaten entgegen, wurde
zweimal überfallen und übel zugerichtet. Nach der Machtergreifung floh er nach
Frankreich, wurde aber, als er leichtsinnigerweise zurückkehrte, im Okt. 1933
verhaftet und am 9. Nov. 1933 ohne Verfahren für drei Jahre ins KZ Börgermoor und
später ins KZ Esterwegen eingeliefert, wo er grässliche Brutalität der Schergen aber
auch Freundschaft und Solidarität durch die Mitgefangenen erfuhr. In den
Konzentrationslagern entstanden Skizzen, die Adolf Bender später als Grundlage für
den berühmten "Moorsoldatenzyklus" verwendete. Diese Bilder zeigen sein
Bemühen, das Leben im KZ für die Nachwelt zu dokumentieren.
Im Febr. 1941 musste er Soldat werden. Er kämpfte in Russland, Griechenland und
Luxemburg. Nach kurzer Kriegsgefangenschaft siedelte er 1945 zu seiner Frau nach
St. Wendel über, wo er 1997 im Alter von 94 Jahren verstarb. 1985 wurde dort das
„Adolf Bender Zentrum“ als Ausstellungs- und Dokumentationszentrum gegründet.
Als Künstler durchlief er mehrere Schaffens und Stilphasen. Letztlich waren seine
Werke – auch auf Grund der KZ-Erfahrungen – dem Expressionismus verpflichtet.
Einflüsse der Künstlergruppe „Die Brücke“ werden häufig deutlich.
In seinem Moorzyklus herrschen häufig Erdfarben vor. Die friedlich, oft sogar
idyllisch anmutende Landschaft wird mit den Leiden und Quälereien der Insassen
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kontrastiert. Hier herrschen dann auch härtere Farbkontraste und brutalere
Strichführung vor. Ein auf vielen Bildern wiederkehrendes Motiv ist die Sonne. Sie
ist ein Ausdruck des Trotzes, des Überlebenswillens und der Sehnsucht nach
Freiheit, sicher aber auch ein Abbild der wärmenden, immer wieder aufrichtenden
Solidarität unter den Insassen. Die Unterschriften unter den Bildern sind
Originaltexte Benders, die den betr. Bildern in der Kunstmappe beigefügt wurden.
DIE MOORSOLDATEN
Wohin auch das Auge blicket.
Moor und Heide nur ringsum.
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Vogelsang uns nicht erquicket,
Eichen stehn kahl und krumm.
Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!
Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!
Hier in dieser öden Heide
ist das Lager aufgebaut,
wo wir fern von jeder Freude
hinter Stacheldraht verstaut.
Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!
Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!
Morgens ziehen die Kolonnen
in das Moor zur Arbeit hin,
graben bei dem Brand der Sonne,
doch zur Heimat steht der Sinn.
Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!
Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!
Heimwärts, heimwärts!
Jeder sehnt sich nach Eltern, Weib und Kind.
Manche Brust ein Seufzer dehnet,
weil wir hier gefangen sind.
Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!
Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!
Auf und nieder geh´n die Posten,
keiner, keiner kann hindurch,
Flucht wird nur das Leben kosten,
vierfach ist umzäunt die Burg.
Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!
Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!
Doch für uns gibt es kein Klagen,
ewig kann´s nicht Winter sein;
einmal werden froh wir sagen:
Heimat, Du bist wieder mein!
Dann ziehn die Moorsoldaten nicht mehr mit dem Spaten in´s Moor!
Dann ziehn die Moorsoldaten nicht mehr mit dem Spaten in´s Moor!
Text: Johann Esser und Wolfgang Langhoff