zwischen zeilen - Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

ZWISCHEN
EINE STUNDE SCHÖNHEIT
ZEILEN
Literatur von Menschen
aus Kriegs- und in Krisengebieten
Lesungen mit Nora Bossong,
Bastian Fiebig, Oscar Guardiola-Rivera,
Hasnain Kazim, Navid Kermani,
Ursula Krechel, Nele Neuhaus, Ulrich Peltzer,
Karl Schlögel, Werner Schneider-Quindeau,
Taiye Selasi, Janne Teller, Ilija Trojanow,
Terry Vosbein und Najem Wali
14.–16. Oktober 2015,
in der St. Katharinenkirche, Frankfurt am Main
18. Oktober 2015,
in der Alten Nicolaikirche, Frankfurt am Main
Eintritt frei
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EINE STUNDE SCHÖNHEIT
ZEILEN
Zwischen den Zeilen
von Janne Teller
Es gab ein Jahr in meinem Leben, da habe ich Gedichte auswendig gelernt.
Das war 1993/94, als ich für die Friedensmission der Vereinten Nationen
in Mosambik arbeitete, und ich dabei – nach monatelangen Verhandlungen mit Generälen, die für die furchtbarsten Massaker und Massentötungen verantwortlich waren, die man sich vorstellen kann, täglich
umgeben von Gewalt, Folter, Anschlägen, Geiselnahmen und Explosionen
von Landminen, regelmäßigen Verstößen gegen den Waffenstillstand
ausgesetzt sowie der ständigen Bedrohung durch einen Militärputsch, in
einem Land, das zu dieser Zeit, nach 15 Jahren eines unbeschreiblich
grausamen Bürgerkriegs, das Ärmste der Welt war – meine Hoffnung
verlor. Ich hatte meinen Glauben an die Menschlichkeit verloren.
An einem warmen Abend in der Bar des Hotels Polana, dem einzigen
Ort des Luxus in der Stadt, schenkte mir ein Freund die Norton Anthology
of English Literature. Mehr aus Höflichkeit schlug ich sie auf, las ein
wenig hier und dort und entdeckte, dass ich durch die kürzesten Gedichte
gerade so durchkam. Damit ging es für mich los.
Eines der ersten Gedichte, die ich auswendig lernte, war Thomas
Hardys The Walk von 1914. Dieses Gedicht, das er im Kummer über den
Tod seiner Frau schrieb, hatte nichts mit der Situation in Mosambik zu
tun. Doch nachdem ich es viele Abende hintereinander für mich wiederholt hatte, sorgfältig Zeile für Zeile, bis ich es ohne einen Blick auf die
bedruckte Seite laut aufsagen konnte, entdeckte ich, dass sich etwas
verändert hatte: Das Gedicht nahm neue Propor tionen an, der Rhythmus
der Worte wurde zu einem Lied vieler Stimmen, einer Empfindung, einem
Wissen von etwas anderem und Weitergehendem – das mich erstaunlicherweise durch die Brutalität eines weiteren Tages zu tragen schien.
Ohne übertreiben zu wollen, war es, sehr konkret gesagt, so, als hätte
Hardy mir ein kleines Stück seiner Seele gegeben, um meine eigenen
erschöpften Lebensgeister damit zu nähren.
(aus: LETTRE Nr. 97, Sommer 2012)
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Ein Plädoyer
Dies ist ein Plädoyer für die Schönheit von Literatur – für ihren Reichtum, ihre Ästhetik und ihre Einsichten. Und es ist ein Plädoyer für die
Literatur als geistige Nahrung, die wir für unsere Menschlichkeit
benötigen. Die Werte, die durch sie vermittelt werden, werden uns jedes
Jahr von den Verlagen auf der Frankfurter Buchmesse aufgezeigt. Uns
wird dabei deutlich, welch hohes Privileg wir besitzen, all diese Bücher
in Frieden und Freiheit lesen zu können. In vielen anderen Regionen ist
das nicht der Fall. Diktaturen, Kriege, Besatzungen, Wirtschaftskrisen
und Naturkatastrophen beeinträchtigen das Recht auf freie Meinungsäußerung und behindern den Zugang zu einer freien und unabhängigen
Literatur. Ihr droht, inmitten von Gewalt und Leid, nicht mehr wahrgenommen zu werden. In Zeiten der größten Flüchtlingsströme, die die
Welt seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt, wird Literatur zum Luxus,
anstatt das sein zu können, wofür sie geschrieben wird.
Während der Internationalen Buchmesse in Frankfurt lesen Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Veranstaltungsreihe »ZWISCHEN
ZEILEN : Eine Stunde Schönheit« aus den Werken ihrer Kollegen, in
deren Heimatländern Krieg und Gewalt herrschen. In einer Zeit, in der
die Medien uns Bilder von Gewalt, Horror und Leid zeigen, wollen sie
uns damit an die Menschlichkeit und Schönheit erinnern, die es dennoch an diesen Orten gibt, und an die Bedeutung von Literatur und den
von ihr vermittelten Werten, die für die Gesellschaft und jeden Einzelnen in diesen Regionen unersetzlich sind. Als Ausdruck des gegenseitigen Verstehens und als ein Zeichen der Solidarität mit den im Krieg
lebenden Menschen und ihren Schriftstellerinnen und Schriftstellern
wollen wir mit den Lesungen ihre Literatur ehren.
Janne Teller, Felicitas von Lovenberg, Stephan Detjen und Martin Schult
Die Komposition »A Prayer For Peace« von Terry Vosbein, entstanden nach den
Anschlägen vom 11. September 2001, leitet die Veranstaltungstage ein.
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PROGRAMM 2015
Mittwoch,
14. Oktober 2015, 18 Uhr
Nora Bossong liest Roland Rugero (Burundi)
Oscar Guardiola-Rivera liest John Berger (England),
Subcomandante Marcos (Mexiko) und
Papst Franziskus (Argentinien)
Janne Teller liest Binyavanga Wainaina (Kenia)
Moderation Felicitas von Lovenberg
Donnerstag,
15. Oktober 2015, 18 Uhr
Navid Kermani liest Huschang Golschiri (Iran)
Nele Neuhaus liest Schabnam Zariâb (Afghanistan)
Ilija Trojanow liest Hassan Blasim (Irak) und
Mohammed al-Ajami (Katar)
Najem Wali liest Aqil Ali (Irak) und Talib Abdulaziz (Irak)
Moderation Martin Schult
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Freitag,
16. Oktober 2015, 18 Uhr
Hasnain Kazim liest Khaled Khalifa (Syrien) und
Monzer Masri (Syrien)
Ursula Krechel liest Sahar Khalifeh (Palästina)
Ulrich Peltzer liest Rainer Merkel (Deutschland)
Karl Schlögel liest Viktor Martinowitsch (Weißrussland)
Moderation Martin Schult
Sonntag,
18. Oktober 2015, 18 Uhr
in der Alten Nicolaikirche am Römer
»Der Blick des Anderen«
die friedenspolitische Bedeutung
kultureller und religiöser Unterschiede
Werner Schneider-Quindeau spricht am Abend
nach der Friedenspreisverleihung
über den aktuellen Preisträger Navid Kermani
und führt in sein Werk ein.
Mit Musik von Bastian Fiebig (Saxophon)
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GELESENE AUTOREN 2015
Talib Abdulaziz, (*1953 in Abu al-Khaseeb Basra, Irak), zählt zu den
bedeutenden lebenden Dichtern in Irak. Er hat vier Gedichtbände
veröffentlicht, u. a. »Die Geschichte des Trauer«, das 1994 erschien und
vom Dichter neu veröffentlicht wurde.
Mohammed al-Ajami (*1975 in Katar), wurde nach der Veröffentlichung des Gedicht »Tunisian Jasmine« (www.arablit.org/poetry- underattack/) verhaftet und zu lebenslanger Haft verurteilt, die später auf
15 Jahre reduziert wurde.
Aqil Ali (1949–2005), in Nasseriah, Irak geboren, schlug sich als Lohnarbeiter, später als Bäcker durch und starb nach langer, schwerer Krankheit ohne festen Wohnsitz. Wie Abdulaziz gehört er zu den bedeutenden
Dichtern Iraks.
John Berger (*1926 Stoke Newington), britischer Schriftsteller, führte
mit Subcomandante Marcos (1994–2014), einer Kunstfigur des zapatistischen Aufstands in Mexiko, einen Briefwechsel, der in »Gegen die
Abwertung der Welt« (Hanser 2003) veröffentlicht wurde.
Hassan Blasim (*1973 in Bagdad, Irak), zog 1998 in den kurdischen Teil
des Irak, wo er, aus Angst um seine Familie, unter dem Pseudonym
Ouzad Osman Filme drehte. 2004 emigrierte er nach Finnland.
»Der Verrückte vom Freiheitsplatz« (Kunstmann) ist 2015 erschienen.
Huschang Golschiri (1937–2000), iranischer Schriftsteller, setzte sich
für Meinungsfreiheit und die Abschaffung der Zensur ein, wofür er
zeitweise inhaftiert wurde. Unter dem Pseudonym Manuchehr Irani
schrieb er 1990 »Der König der Schwarzgewandeten« (Suhrkamp 2005)
Khaled Khalifa (*1964 in Aleppo, Syrien), studierte Jura. Einige seiner
kritischen Arbeiten wurden verboten. Bekannt wurde er vor allem durch
seine Drehbücher. »Jeder Blick ein Abschied« erschien in dem Sammelband »Innenansichten aus Syrien« (Edition Faust 2014).
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ZEILEN
Sahar Khalifeh (*1941 in Nablus, Westjordanland), studierte hier und in
den USA. Heute lebt sie in Jordanien und in Nablus, wo sie ein palästinensisches Frauenzentrum gegründet hat, das sie neben ihrer Arbeit als
Autorin, u. a. »Heißer Frühling« (Unionsverlag 2008), leitet.
Viktor Martinowitsch (*1977 in Aschmjany, Weißrussland), studierte
Journalistik und lehrt heute Politikwissenschaft in Vilnius. Sein Roman
»Paranoia« (Voland & Quist 2014) wurde kurz nach Erscheinen im Jahr
2009 in Weißrussland verboten.
Monzer Masri (*1949, Latakia, Syrien), Poet und Maler, studierte in
Aleppo und Warschau. Er lebt in der Küstenstadt Latakia und geht in
seinen Gedichten, z. B. auf www.lyrikline.org eigene Wege.
Papst Franziskus (*1936 in Buenos Aires, Argentinien), bürgerlicher
Name Jorge Mario Bergoglio, wurde 2013 zum Papst gewählt. 2015 veröffentlichte er mit »Laudato si« (»Gelobt seist du«, Herder 2015) eine
Enzyklika zu den Themen Klima und Umweltschutz.
Rainer Merkel (*1964 in Köln), studierte Psychologie und Kunstgeschichte. 2008 - 2009 arbeitete er für Cap Anamur in einer Psychiatrie in
Liberia. In »Go Ebola Go« (Fischer E-Book 2014) berichtet er von seiner
Reise nach Liberia.
Roland Rugero (*1986 in Burundi), Schriftsteller und Journalist, emigrierte 1993, während des Krieges in Burundi, nach Ruanda und Tansania. »Baho!«, sein zweiter Roman, ist 2012 in Frankreich erschienen.
Binyavanga Wainaina (*1971 in Nakuru, Kenia), studierte in Südafrika
Wirtschaft. Er ist Herausgeber des Literaturmagazins »Kwani?« und
leitet das Chinua Achebe Center in New York. »Eines Tages werde ich
über diesen Ort schreiben« (Wunderhorn 2013) ist der erste Roman.
Schabnam Zariâb (*1982 in Kabul, Afghanistan), lebt als Autorin in
Frankreich und arbeitet für den Film. »Mein afghanischer Pianist«
(Kirchheim 2013) erhielt zahlreiche Auszeichnungen.
Völker der Erde,
lasset die Worte an ihrer Quelle,
denn sie sind es, die die Horizonte
in die wahren Himmel rücken können
und mit ihrer abgewandten Seite
wie eine Maske dahinter die Nacht gähnt
die Sterne gebären helfen –
Nelly Sachs, 1948/1949,
aus »Sternverdunkelung«
Von Mittwoch bis Freitag finden die Veranstaltungen statt:
St. Katharinenkirche
An der Hauptwache
60313 Frankfurt am Main
Sonntag findet die Veranstaltung statt:
Alte Nicolaikirche
Am Römerberg
60311 Frankfurt am Main
Kontakt
Martin Schult
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Börsenverein des Deutschen Buchhandels e. V.
Schiffbauerdamm 5
D-10117 Berlin
Telefon: +49 30 / 2800 783-44
Fax: +49 30 / 2800 783-50
E-Mail: [email protected]
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