34 | DI E STI F TUNG 3/15 Die Stunde der Bürgerstiftungen Die steigende Zahl der Flüchtlinge in Deutschland hat auch zivilgesellschaftliche Akteure wachgerufen: Tausende wollen sich in der Flüchtlingshilfe engagieren. Bürgerstiftungen versuchen, ihr Engagement zu koordinieren – und bringen Ehrenamtliche mit Flüchtlingen über verschiedene Formate zusammen. Von Vanessa Wonka Das Helfernetzwerk und der mehrsprachige Willkommensflyer Mit ihrem „Helfernetzwerk“ macht beispielsweise die Gemeinde Isernhagen in der Nähe von Hannover von sich reden. In dieser gemeinsamen Initiative der Bürgerstiftung Isernhagen und der Kommune organisieren Bürger und Organisationen wie das Rote Kreuz verschiedene Angebote für Flüchtlinge vor Ort. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Förderung von Sprachfähigkeiten. „Die Menschen erhalten keine Integrationskurse, während sie sich im Asylverfahren befinden. Deshalb haben wir für diese Zielgruppe mehrere Sprachkurse eingerichtet“, erklärt Barbara Schindewolf-Lensch, Leiterin des Helfernetzwerks. Zudem vermittelt das Netzwerk Fahrräder, damit sich die Flüchtlinge kostengünstig von Ort zu Ort bewegen können. Familien werden ein bis zwei Betreuer an die Seite gestellt, z.B. bei Amtsgängen und Arztbesuchen. Insgesamt bringen sich etwa 35 Mitglieder regelmäßig in das Helfernetzwerk ein, das bislang mehr als 200 Menschen mit Fluchtgeschichte erreichen konnte. Generell will das Helfernetzwerk Flüchtlinge und Einheimische miteinander vertraut machen. Dazu dient auch ein eigens konzipierter Willkommensflyer, der den ankommenden Menschen in mehreren Sprachen erklärt, wo sie wie Unterstützung finden können. „Das war nicht nur eine große Hilfe für die Flüchtlinge, sondern auch für die Gemeinde mitarbeiter, um die ankommenden Menschen in unsere Kommune einzuführen“, so Schinde- Barbara Schindewolf-Lensch wolf-Lensch. Erfahrungswerte wie diese will das Netzwerk weitergeben. Dafür steht es in einem engen Austausch mit Nachbargemeinden und präsentiert seine Arbeit auf einer eigenen Webseite – die ebenfalls ehrenamtlich erstellt wurde. Hamburger Bündnis sammelte Geld für einen Fonds Ehrenamtliche des Helfernetzwerks Isernhagen haben Fahrräder für geflüchtete Menschen or ganisiert. Weil es oftmals an der nötigen finanziellen Freiheit für die Umsetzung von ehrenamtlichen Aktivitäten fehlt, hat ein Bündnis an Hamburger Stiftungen Anfang des Jahres den Fonds „Flüchtlinge & Ehrenamt“ gegründet. Mittlerweile haben 20 Stiftun- gen, ein Verein und weitere Bürger über 160.000 EUR in den Fonds eingezahlt, und damit deutlich mehr als die ursprünglich anvisierte Summe von 100.000 EUR. „Wir sind regelrecht überwältigt von der Resonanz“, erklärt Johanna von Hammerstein, Vorstandsvorsitzende der Bürgerstiftung Hamburg, die den Fonds verwaltet. Die Förderung durch den Fonds richtet sich an Initiativen, die sich ehrenamtlich für Flücht linge in der Stadt einbringen – von denen tausende in Hamburg leben: 6.000 waren es allein 2014. Das Geld soll Johanna von dabei zügig und ohHammerstein ne hohen bürokratischen Aufwand für die Anfragen der ehrenamtlichen Initiativen vergeben werden. Das können Materialien für eine Fahrradwerkstatt sein, die Fotodokumentation eines Projekts oder die Beschaffung von Fußbällen. Runder Tisch für Ehrenamtliche erhielt hohe Auszeichnung Ebenfalls mit dem Ziel vor Augen, Ehrenamtliche in ihrer Arbeit mit Flüchtlingen zu unterstützen, hat die Bürgerstiftung Stuttgart einen „Runden Tisch zur Fortund Weiterbildung von Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe“ initiiert. 35 Akteure fanden sich in diesem Format zusammen, darunter Vertreter aus dem Sozialamt, Träger der Unterkünfte und Vereine, örtliche Stiftungen, Kirchengemeinden – und Ehrenamtliche aus den Flüchtlingskreisen selbst. Ihr wichtigstes Ergebnis: Es braucht eine Koordinierungsstelle, die Fort- und Weiterbildungen für die rund 800 ehrenamtlichen Helfer in der Stadt organisiert. Die Bürgerstiftung und fünf weitere Stuttgarter Stiftungen finanzieren nun die auf drei Jahre angelegte Stelle. Für 2015 liegt die Zahl der erwarteten Flüchtlinge in Stuttgart bei über 4.000 FOTOS: © BEATE ROSSBACH, © WOLF-PETER STEINHEISSER A n Engagement mangelt es nicht: Seit sich die Flüchtlingsproblematik in Deutschland zuspitzt, melden sich bundesweit tausende von Bürgern bei Stiftungen und Organisationen, um sich in ihrer Region für geflüchtete Menschen ehrenamtlich einzusetzen. Was fehlt, ist die Koordination, die Weitergabe von Wissen und die Finanzierung von Maßnahmen, um eine effektive Willkommenskultur in Deutschland zu erreichen. Diese Lücke erkennen immer mehr Bürgerstiftungen und bringen Flüchtlinge mit ehrenamtlichen Helfern zusammen. P RO J E K T E | Menschen. Damit die ehrenamtlichen Helfer der Stadt sie möglichst optimal betreuen können, decken die Fort- und Weiterbildungen der neuen Koordinierungsstelle verschiedene Themenfelder ab – darunter Deutsch als Fremdsprache, Rechtsfragen oder interkulturelle Förderung. „Uns liegt es am Herzen, Strukturen zu schaffen, in denen Ehrenamtliche ihre Arbeit gut machen können“, betont Irene Armbruster, Geschäftsführerin der Bürgerstiftung Stuttgart. „Dafür beziehen wir sie auf Augenhöhe in die Konzeption neuer Modelle ein.“ Mit Erfolg: Für ihren Runden Tisch zur Fort- und Weiterbildung von Ehrenamtlichen wurde die Bürgerstiftung Stuttgart mit dem in Höhe von 10.000 EUR dotierten Förderpreis der Stiftung Aktive Bürgerschaft in der Kategorie „mitbestimIrene Armbruster men“ ausgezeichnet. „Bürgerstiftungen schlüpfen in eine wichtige Vermittlerrolle“ Bernadette Hellmann, Programmleiterin Bürgerstiftungen bei der Aktiven Bürgerschaft, betont, wie wichtig Angebote wie diese sind, damit aus einem guten Willen ein gelungener Einsatz der ehrenamtlichen Helfer wird. „Ein Ehrenamt in der Flüchtlingshilfe ist sehr fordernd“, erklärt Hellmann. Die Helfer sollten sensibel für Traumata sein, dürfen keine unüberlegten Versprechungen machen und müssen sich in komplizierten Rechtsfragen auskennen. Dafür sind sie auf professionelle Unterstützung angewiesen. Der Erfolg des Runden Tisches zeige beispielhaft die wachsende Bedeutung von Bürgerstiftungen in der Flüchtlingsarbeit, Bernadette Hellmann 35 Die neue Koordinierungsstelle, die aus dem Runden Tisch der Bürgerstiftung Stuttgart hervorgegangen ist, organisiert ehrenamtliche Aktivitäten für Flüchtlinge. die insbesondere aus der Koordination finanzieller und ehrenamtlicher Aktivitäten resultiert. „Bürgerstiftungen schlüpfen in eine wichtige Vermittlerrolle“, hat die Programmleiterin festgestellt. Sie beobachten regionale Entwicklungen vor Ort mit einer großen Bürgernähe und breitem Stiftungszweck und könnten oft schneller und flexibler auf Herausforderungen vor Ort reagieren als andere Akteure. Einige Bürgerstiftungen schaffen kurzerhand neue Schwerpunkte, andere helfen Stiftern dabei, eigene Stiftungen zu gründen – wie die Integrations-Stiftung Schwabach unter dem Dach der Bürgerstiftung Unser Schwabach (Mittelfranken). Ein weiterer Ansatz könne auch sein, geflüchtete Menschen selbst an kleinere ehrenamtliche Aktivitäten heranzuwww.helfernetzwerk-isernhagen.de www.buergerstiftung-hamburg.de/ fonds_fluechtlinge_ehrenamt www.buergerstiftung-stuttgart.de/ runde-tische.html www.aktive-buergerschaft.de führen und sie damit in die Gesellschaft zu integrieren, so Hellmann. Dann wäre der Brückenschlag zwischen Ehrenamt und Flüchtlingsarbeit komplett.
© Copyright 2024 ExpyDoc