Die Stunde der Bürgerstiftungen

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| DI E STI F TUNG 3/15
Die Stunde der Bürgerstiftungen
Die steigende Zahl der Flüchtlinge in Deutschland hat auch zivilgesellschaftliche Akteure
wachgerufen: Tausende wollen sich in der Flüchtlingshilfe engagieren. Bürgerstiftungen
versuchen, ihr Engagement zu koordinieren – und bringen Ehrenamtliche mit Flüchtlingen
über verschiedene Formate zusammen. Von Vanessa Wonka
Das Helfernetzwerk und der
mehrsprachige Willkommensflyer
Mit ihrem „Helfernetzwerk“ macht beispielsweise die Gemeinde Isernhagen in
der Nähe von Hannover von sich reden.
In dieser gemeinsamen Initiative der Bürgerstiftung Isernhagen und der Kommune
organisieren Bürger und Organisationen
wie das Rote Kreuz verschiedene Angebote für Flüchtlinge vor Ort. Dabei liegt
ein Schwerpunkt auf der Förderung von
Sprachfähigkeiten. „Die Menschen erhalten keine Integrationskurse, während sie
sich im Asylverfahren befinden. Deshalb
haben wir für diese Zielgruppe mehrere
Sprachkurse eingerichtet“, erklärt Barbara Schindewolf-Lensch, Leiterin des
Helfernetzwerks. Zudem vermittelt das
Netzwerk Fahrräder, damit sich die Flüchtlinge kostengünstig von Ort zu Ort bewegen können. Familien werden ein bis zwei
Betreuer an die Seite gestellt, z.B. bei Amtsgängen und Arztbesuchen. Insgesamt bringen sich etwa 35 Mitglieder regelmäßig in
das Helfernetzwerk ein, das bislang mehr
als 200 Menschen mit Fluchtgeschichte erreichen konnte.
Generell will das Helfernetzwerk
Flüchtlinge und Einheimische miteinander vertraut machen. Dazu dient auch ein
eigens konzipierter Willkommensflyer, der
den ankommenden Menschen in mehreren Sprachen erklärt, wo sie wie Unterstützung finden können.
„Das war nicht nur
eine große Hilfe für
die Flüchtlinge, sondern auch für die Gemeinde mitarbeiter,
um die ankommenden Menschen in unsere Kommune einzuführen“, so Schinde- Barbara
Schindewolf-Lensch
wolf-Lensch.
Erfahrungswerte wie diese will das
Netzwerk weitergeben. Dafür steht es in
einem engen Austausch mit Nachbargemeinden und präsentiert seine Arbeit auf
einer eigenen Webseite – die ebenfalls
ehrenamtlich erstellt wurde.
Hamburger Bündnis
sammelte Geld für einen Fonds
Ehrenamtliche des Helfernetzwerks Isernhagen
haben Fahrräder für geflüchtete Menschen or­
ganisiert.
Weil es oftmals an der nötigen finanziellen
Freiheit für die Umsetzung von ehrenamtlichen Aktivitäten fehlt, hat ein Bündnis
an Hamburger Stiftungen Anfang des Jahres den Fonds „Flüchtlinge & Ehrenamt“
gegründet. Mittlerweile haben 20 Stiftun-
gen, ein Verein und weitere Bürger über
160.000 EUR in den Fonds eingezahlt, und
damit deutlich mehr als die ursprünglich
anvisierte Summe von 100.000 EUR. „Wir
sind regelrecht überwältigt von der Resonanz“, erklärt Johanna von Hammerstein,
Vorstandsvorsitzende der Bürgerstiftung
Hamburg, die den Fonds verwaltet. Die
Förderung durch den
Fonds richtet sich an
Initiativen, die sich
ehrenamtlich für
Flücht linge in der
Stadt einbringen –
von denen tausende
in Hamburg leben:
6.000 waren es allein
2014. Das Geld soll
Johanna von
dabei zügig und ohHammerstein
ne hohen bürokratischen Aufwand für die Anfragen der ehrenamtlichen Initiativen vergeben werden.
Das können Materialien für eine Fahrradwerkstatt sein, die Fotodokumentation
eines Projekts oder die Beschaffung von
Fußbällen.
Runder Tisch für Ehrenamtliche
erhielt hohe Auszeichnung
Ebenfalls mit dem Ziel vor Augen, Ehrenamtliche in ihrer Arbeit mit Flüchtlingen
zu unterstützen, hat die Bürgerstiftung
Stuttgart einen „Runden Tisch zur Fortund Weiterbildung von Ehrenamtlichen in
der Flüchtlingshilfe“ initiiert. 35 Akteure
fanden sich in diesem Format zusammen,
darunter Vertreter aus dem Sozialamt,
Träger der Unterkünfte und Vereine, örtliche Stiftungen, Kirchengemeinden – und
Ehrenamtliche aus den Flüchtlingskreisen
selbst. Ihr wichtigstes Ergebnis: Es braucht
eine Koordinierungsstelle, die Fort- und
Weiterbildungen für die rund 800 ehrenamtlichen Helfer in der Stadt organisiert.
Die Bürgerstiftung und fünf weitere Stuttgarter Stiftungen finanzieren nun die auf
drei Jahre angelegte Stelle.
Für 2015 liegt die Zahl der erwarteten
Flüchtlinge in Stuttgart bei über 4.000
FOTOS: © BEATE ROSSBACH, © WOLF-PETER STEINHEISSER
A
n Engagement mangelt es nicht:
Seit sich die Flüchtlingsproblematik in Deutschland zuspitzt,
melden sich bundesweit tausende von Bürgern bei Stiftungen und
Organisationen, um sich in ihrer Region
für geflüchtete Menschen ehrenamtlich
einzusetzen. Was fehlt, ist die Koordination, die Weitergabe von Wissen und die
Finanzierung von Maßnahmen, um eine
effektive Willkommenskultur in Deutschland zu erreichen. Diese Lücke erkennen
immer mehr Bürgerstiftungen und bringen Flüchtlinge mit ehrenamtlichen Helfern zusammen.
P RO J E K T E |
Menschen. Damit die ehrenamtlichen Helfer der Stadt sie möglichst optimal betreuen können, decken die Fort- und Weiterbildungen der neuen Koordinierungsstelle verschiedene Themenfelder ab – darunter Deutsch als Fremdsprache, Rechtsfragen oder interkulturelle Förderung.
„Uns liegt es am Herzen, Strukturen
zu schaffen, in denen Ehrenamtliche ihre
Arbeit gut machen können“, betont Irene
Armbruster, Geschäftsführerin der Bürgerstiftung Stuttgart. „Dafür beziehen wir
sie auf Augenhöhe in die Konzeption
neuer Modelle ein.“ Mit Erfolg: Für ihren
Runden Tisch zur Fort- und Weiterbildung von Ehrenamtlichen wurde die
Bürgerstiftung Stuttgart mit dem in
Höhe von 10.000 EUR
dotierten Förderpreis
der Stiftung Aktive
Bürgerschaft in der
Kategorie „mitbestimIrene Armbruster
men“ ausgezeichnet.
„Bürgerstiftungen schlüpfen in
eine wichtige Vermittlerrolle“
Bernadette Hellmann, Programmleiterin
Bürgerstiftungen bei der Aktiven Bürgerschaft, betont, wie wichtig Angebote wie
diese sind, damit aus einem guten Willen
ein gelungener Einsatz der ehrenamtlichen Helfer wird. „Ein Ehrenamt in der
Flüchtlingshilfe ist sehr fordernd“, erklärt
Hellmann. Die Helfer sollten sensibel für
Traumata sein, dürfen keine unüberlegten
Versprechungen machen und müssen
sich in komplizierten Rechtsfragen auskennen. Dafür sind
sie auf professionelle Unterstützung angewiesen. Der Erfolg
des Runden Tisches
zeige beispielhaft
die wachsende Bedeutung von Bürgerstiftungen in der
Flüchtlingsarbeit, Bernadette Hellmann
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Die neue Koordinierungsstelle, die aus dem Runden Tisch der Bürgerstiftung Stuttgart hervorgegangen
ist, organisiert ehrenamtliche Aktivitäten für Flüchtlinge.
die insbesondere aus der Koordination finanzieller und ehrenamtlicher Aktivitäten
resultiert.
„Bürgerstiftungen schlüpfen in eine
wichtige Vermittlerrolle“, hat die Programmleiterin festgestellt. Sie beobachten regionale Entwicklungen vor Ort mit
einer großen Bürgernähe und breitem
Stiftungszweck und könnten oft schneller
und flexibler auf Herausforderungen vor
Ort reagieren als andere Akteure.
Einige Bürgerstiftungen schaffen kurzerhand neue Schwerpunkte, andere helfen Stiftern dabei, eigene Stiftungen zu
gründen – wie die Integrations-Stiftung
Schwabach unter dem Dach der Bürgerstiftung Unser Schwabach (Mittelfranken). Ein weiterer Ansatz könne auch
sein, geflüchtete Menschen selbst an kleinere ehrenamtliche Aktivitäten heranzuwww.helfernetzwerk-isernhagen.de
www.buergerstiftung-hamburg.de/
fonds_fluechtlinge_ehrenamt
www.buergerstiftung-stuttgart.de/
runde-tische.html
www.aktive-buergerschaft.de
führen und sie damit in die Gesellschaft
zu integrieren, so Hellmann. Dann wäre
der Brückenschlag zwischen Ehrenamt
und Flüchtlingsarbeit komplett.