Aufsatz über die Gesellschaft für Erstellung billiger Wohnhäuser und

Billiger
Wohnraum
Grosse Verdienste hat sich Robert Sulzer als Präsident der noch heute bestehenden «Gesellschaft für
Erstellung billiger Wohnhäuser» (GebW) erworben. Er trat nach dem Tod seines Vaters 1907 in den
Verwaltungsrat dieser Aktiengesellschaft (!) ein und übernahm 1912 das Präsidium. Bis 1952, also
volle 40 Jahre lang, stand er der «billigen Gesellschaft», wie sie heute von Insidern liebevoll
scherzhaft genannt wird, vor. Er erwarb sich den Ruf, initiativ und vor allem grosszügig zu sein.
Manche Bauvorhaben der Gesellschaft unterstützte er auch ganz direkt und persönlich entweder
durch Schenkungen oder zinsfreie Darlehen.
Gegründet wurde die GebW 1871 auf Initiative der «Hülfsgesellschaft Winterthur». Ihr erster Präsident
war der Winterthurer Pfarrer Johann Jakob Zollinger (1820-1882), der ab 1877 bis zu seinem Tod
sogar als Zürcher Regierungsrat amtete. Die Gründung erfolgte aus einer klar sichtbaren Wohnungsnot
heraus: Die florierende Winterthurer Industrie (Sulzer, Rieter, SLM) lockte viele Arbeitssuchende in
die Stadt, die nicht zuletzt auch wegen den damals noch üblichen langen Arbeitszeiten und den
beschränkten Verkehrsverbindungen in die Aussenwachten auch in Fabriknähe wohnen wollten.
Gesunder und vor allem bezahlbarer Wohnraum war aber Mangelware. Zwar hatten die Unternehmer
schon früh angesichts ihrer rasant wachsenden Belegschaft einige eigene Wohnbauprojekte realisiert.
So beispielsweise Rieter 1867 in Töss an der Rieterstrasse. Die SLM folgte 1872 mit den
«Jägerhäuschen» im englischen Stil an der Jägerstrasse (heute teilweise Studentenwohnungen) gleich
neben der Fabrik. Und auch Sulzer baute in Winterthur-Veltheim ein Jahr später die «Sulzerhäuser».
MFH im Schöntalquartier,
erstellt 1927/29 und abgerissen und
neu überbaut 2010/2011
Während die Firmen aber hauptsächlich zweckdienliche und zum Teil recht lieblose Mietwohnungen
erstellen liessen, verhielt sich die GebW wie eine gemeinnützige Institution und gab sich sehr menschenund vor allem familienorientiert. Ihre Einfamilien- und kleineren Mehrfamilienhäuser, oft mit
grosszügigem Vorgarten samt «Pflanzblätz» — für die Selbstversorgung der Bewohner mit Gemüse —
wurden zu Selbstkosten abgegeben und ermöglichten so den Bewohnern einen bescheidenen Wohlstand.
Erst später musste auch die billige Gesellschaft zum Bau grösserer Häuser übergehen, fand dazwischen
aber immer wieder Gelegenheit, ihrer ursprünglichen Zielsetzung der Familienfreundlichkeit nachzuleben.
Obwohl die Gesellschaft bei all ihren Bauten immer auf bescheidene Erstellungskosten achtete,
bemühte sie sich um solide Ausführung und auch etwas Komfort. Dazu gehörten früh die eigene Küche
und ein eigener Abort, was bei Bauten vor der Jahrhundertwende noch keineswegs selbstverständlich
war. Hingegen galten Waschküche und vor allem ein eigenes Badezimmer als entbehrlicher Luxus.
Damit die Arbeiter und ihre Familien gleichwohl zur körperlichen Hygiene kamen, unterhielten die
grossen Firmen eigentliche Badeanstalten. Den Arbeitern wurden dort für ein bescheidenes Entgelt
Wasch- und Badegelegenheiten geboten — Waschtuch und Seife inbegriffen ... Teilweise wurden diese
Einrichtungen sogar der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Erst etwa ab den dreissiger Jahren gehörten
Waschküche und Bad bei neuen Wohnhäusern zur Grundausstattung, nicht selten waren Waschbottich
und Zinkbadewanne aber gemeinsam und offen im natürlich unbeheizten Keller untergebracht!
Schöntalquartier,
erstellt 1931/34 im Stil des
Neuen Bauens durch Architekt
Lebrecht Völki
Im Vorfeld des Ersten Weltkrieges boomte die Konjunktur. Trotzdem realisierte die Gesellschaft in
dieser Zeit nur wenige Wohneinheiten, rund die Hälfte davon als Einfamilienhäuser. Hohe
Liegenschaftssteuern und eine skeptische Käuferschaft mahnten den Verwaltungsrat in dieser Zeit zur
Zurückhaltung und liess ihn wohl gelegentlich auch an der Richtigkeit der selbstgewählten Zielsetzung
zweifeln. Die einzige grössere Überbauung war damals das «Steinegg» in Wiesendangen, deren letzte
Etappen allerdings erst nach Kriegsende fertig gestellt werden konnten. Sogar ein Lehrlingsheim
wurde in dieser Überbauung realisiert.
Zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg erschloss die GebW ein neues Areal im Talacker in
Oberwinterthur und erstellte ausserdem Mehrfamilien-Häuser in Veltheim, im Vogelsang, im Neuwiesen
sowie im Rosenberg. In dieser hektischen Phase überbaute sie auch die letzten ihrer Grundstücke im
Tössfeld. Auffallend ist in dieser Zeit aber auch die Abkehr von den kleinen Wohneinheiten — sie
wurden schlicht zu teuer. Nur gerade 32 von 284 Wohnungen befanden sich in Einfamilienhäusern, für
alle anderen Wohnungen wurden relativ grosse, dreistöckige Häuser mit je sechs DreizimmerWohnungen gewählt.
Die Jahre des Zweiten Weltkrieges waren dann — trotz Aktivdienst —mit hektischer Bautätigkeit
ausgefüllt. Dies vor allem auch, weil der Bund den sozialen Wohnungsbau intensiv förderte. Und auch
nach dem Krieg hielt dieser Boom ungebrochen an. In drei Ausbauschritten wurde in der Zeit von 1941
bis 1943 von der GebW die Siedlung «Schooren» in Oberwinterthur mit 31 Doppel-Einfamilienhäusern
erstellt. Östlich von Seen entstand das «Rotenbrunnen»-Quartier mit 28 Wohnbauten für Familien mit
drei bis fünf Kindern. Der Verwaltungsrat war stolz, dass er mit diesen beiden grossen Überbauungen
wieder dem ursprünglichen Ziel der Gesellschaft entsprechen konnte, nämlich «gesunde und passend
eingerichtete Wohnungen mit etwas Gartenanteil» zu schaffen. Zweifellos auch dank des Einsatzes von
Robert Sulzer war es die Firma Sulzer, welche in beiden Siedlungen die Beschaffungskredite und die
Mittel für die Landerschliessung vorschoss. Bei den sechs grossen Häusern für kinderreiche Familien im
Rotenbrunnen übernahm Sulzer dazu die Mehrkosten — «à fonds perdu», wie es in den entsprechenden
Unterlagen heisst.
Wenn man heute durch die Rotenbrunnen-Siedlung spaziert, fällt einem noch immer die von viel
Grün geprägte fast idyllische Einbettung der eigenwilligen Doppelhäuser auf. Mitten durch die Siedlung
murmelt der Krebsbach. Zwar ist praktisch keines der Häuser mehr im ursprünglichen Zustand, und auch
heute noch wird immer wieder an-, um- und eingebaut. Vor allem die seitlichen Schopfan-bauten sind
heute in den Wohnbereich integriert. Da und dort wurde auch eine Garage erstellt. Ringsum hat eine rege
Neubautätigkeit eingesetzt, doch die geschlossene und immer noch etwas abgelegene Siedlung strahlt
noch immer einen fast dörflichen Charme aus.
Trotz zahlreichen Umbauten
in den letzten Jahren hat das
Rotenbrunnen-Quartier
(erstellt 1941-43) bis heute
seinen ausgeprägt ländlichen
Charakter erhalten.
Die Siedler am Schoorenweg bekamen ähnliche Haustypen. Die Interessenten für ein Eigenheim hatten
nach dem Bezug eine zweijährige Probezeit zu bestehen. Wenn das Land in dieser Zeit richtig
bewirtschaftet wurde und wenn auch die übrigen Bedingungen erfüllt waren, durften sie ihr Haus zum
Selbstkostenpreis übernehmen. Auch dieser Modus trägt die unverkennbare Handschrift von Robert
Sulzer.
Bis 1950 entstanden in der Weiherhöhe, an der Grubenstrasse im Hegifeld sowie an der Winzerstrasse in
Veltheim nochmals drei grössere Wohnkolonien. Die sehr gelungenen und auch landschaftlich reizvoll
gelegenen 34 Häuser an der Winzerstrasse regten den Verwaltungsrat im Herbst 1948 dazu an, die
Siedlung in Richtung Westen gleich nochmals um insgesamt 37 Häuser zu erweitern. Und dies war
zugleich das letzte grosse Bauprojekt in der Präsidialzeit von Robert Sulzer. Er hatte in bewegten Zeiten
mit insgesamt 823 fertig gestellten Wohnungen in 459 Häusern hauptsächlich in Winterthur
Erstaunliches zur Linderung der Wohnungsnot geleistet und zugleich auch viel getan für ein wohnliches
und von viel Grün geprägtes Stadtbild.
Ingenieur Eduard Geilinger würdigt in seinem Nachruf im «Neuen Winterthurer Tagblatt» vom 22. Juni
1953 Robert Sulzers unermüdlichen Einsatz für die «Gesellschaft für Erstellung billiger Wohnhäuser»
mit folgenden Worten: «Ihm war keine Mühe zu gross und keine Kleinigkeit zu unbedeutend in der
Verfolgung des gesteckten Ziels. Seine Mitarbeiter auf diesem Gebiet können wohl am besten ermessen,
mit welch grossem Verständnis er sich für die Interessen der Mieter und der künftigen Besitzer der
Wohnhäuser einsetzte, wie er trotz den gegebenen Grenzen sich immer wieder um eine solide
Ausführung und einen wohnlichen Ausbau bemühte.»
Einfamilienhaus-Siedlung
an der Winzerstrasse in
Veltheim erstellt 1948 bis
1950
Quelle und Verfasser unbekannt