JURISTISCHE FAKULTÄT EXAMINATORIUM ZIVILRECHT MÜNCHNER EXAMENSTRAINING Examinatorium – Arbeitsrecht Sommersemester 2015 Fall 3: Stillstand Themenkreis: Personenbedingte Kündigung; Entgeltfortzahlung nach dem EFZG; Lohn ohne Arbeit, insb. Annahmeverzugsentgelt; Betriebsrisikolehre Die 27-jährige Theresa (T) arbeitet seit vier Jahren in der Münchner Modeboutique der Palmira Pashmina (P). Es sind dort noch zehn andere Arbeitnehmer vollzeitbeschäftigt. Da sowohl Pashmina als auch Theresa tarifgebunden sind, gilt für das Arbeitsverhältnis der einschlägige Tarifvertrag, der vorsieht, dass alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis binnen drei Monaten nach Fälligkeit des jeweiligen Anspruchs gegenüber der anderen Vertragspartei geltend zu machen sind; andernfalls verfallen sie. Im Jahr 2014 war Theresa bis einschließlich Juli an insgesamt 70 Arbeitstagen arbeitsunfähig krank: Vom 12.1.2014 bis 10.2.2014 fehlte sie wegen einer Blinddarmoperation, für die auch wegen späterer Komplikationen eine Nachbehandlung von Nöten war, derentwegen sie vom 2.3.2014 bis 19.3.2014 fehlte; nun ist aber diesbezüglich alles ausgestanden. Allerdings war sie wegen der vielen Verletzungen so verwirrt, dass sie gar nicht gemerkt hat, dass ihr Pashmina für diese 48 Tage keinerlei Geld überwiesen hat. Zudem fehlte sie auch noch an 22 Tagen im Mai und Juni wegen eines Schienbeinbruchs. Ihre Pechsträhne scheint dieses Jahr nicht abzureißen: Am Samstag, den 24.8.2014, fuhr sie mit ihrem Freund Marek für einen Wochenendkurzurlaub nach Tschechien. Dort verunglückte sie am Tag drauf beim Inlineskating und zog sich – trotz vollständiger Schutzausrüstung – einen Kreuzbandanriss zu. Der sie vor Ort behandelnde approbierte Arzt bescheinigte ihr die Verletzung und schrieb sie auf Grund dessen für sechs Wochen bis einschließlich Sonntag, den 6.10.2014, arbeitsunfähig krank; sie kann aber noch am Montag, den 26.8.2014, von Marek nach Hause gefahren werden. Noch am gleichen Tag benachrichtigt sie Pashmina von dem Vorfall und schickt ihr die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per Telefax. Daraufhin kündigt Pashmina Theresa mit von ihr, Pashmina, eigenhändig unterschriebenen Schreiben ebenfalls vom gleichen Tag zum 30.9.2014. Das Schreiben geht Theresa am 28.8.2014 zu. Darin trägt Pashmina vor, die fortwährenden krankheitsbedingten Fehlzeiten von Theresa seien auf Dauer nicht mehr tragbar. Sie führten zu gravierenden Störungen des Betriebsablaufes in der Boutique, da die Kolleginnen jedes Mal Überstunden machen müssten. Vor allem aber seien die durch die Lohnfortzahlungskosten verursachten finanziellen Belastungen für Pashmina unzumutbar. Theresa reicht am 18.9.2014 Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht ein, die Pashmina am 23.9.2014 zugestellt wird. Darin macht sie auch gleich verschiedene Lohnansprüche geltend: Zum einen möchte sie Geld für die Fehltage im Januar und Februar sowie März haben, zum anderen für den Zeitraum ab dem 26.8.2014, da Pashmina auch hierfür keinen Lohn mehr ausgezahlt hat. Theresa erscheint zudem auch nach dem 6.10.2014 bis zum Ende des Kündigungsschutzprozesses nicht zur Arbeit, möchte aber trotzdem weiterhin Lohn bekommen. PROF. DR. HANS CHRISTOPH GRIGOLEIT, LL.M. · SOPHIE MITSCHKE · NELE BRIESEMEISTER · MAXIMILIAN LOTZ DR. SEBASTIAN BERKEFELD · RICHARD RACHLITZ, LL.M · DR. LOVRO TOMASIC BENEDIKT BERGER · DR. CHRISTIAN PICKER · JULIA PFROGNER WWW.EXAMINATORIUM.JURA.LMU.DE EXAMINATORIUM ZIVILRECHT SEITE 2 VON 2 Pashmina ist der Meinung, dass sie keinerlei Lohn schulde: Was die Sache mit dem Blinddarm angehe, seien die Ansprüche wegen Fristversäumung längst hinfällig. Auch für die späteren Zeiträume sei sie ganz unabhängig von der Frage der Wirksamkeit der Kündigung zu Lohnzahlungen nicht verpflichtet, denn zum einen habe Theresa den Kreuzbandanriss selbst verschuldet; so wisse doch jeder, dass Inlineskating extrem gefährlich sei. Zudem sei so eine zweifelhafte ausländische Bescheinigung doch wohl kaum ausreichend, ihr komme bei einem bloßen Anriss die lange Dauer der Arbeitsunfähigkeit sehr eigenartig vor. Zum anderen hätte ihr Theresa nach dem 6.10.2014 die Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit anzeigen müssen. Wer aber nicht zur Arbeit erscheint, könne auch keinen Lohn verlangen. Dies gelte selbstverständlich auch für Feiertage. Auch Gisele (G) ist in Pashminas Laden beschäftigt. Am Donnerstag, den 17.10.2014, erkrankt plötzlich Hugo (H), der fünf Jahre alte Sohn von Gisele an Mumps. Seine Mutter, die alleinerziehend ist, kann niemanden finden, der sich um das Kind kümmern will, und muss daher bis Montag, den 21.10.2014 zu Hause bleiben, um Hugo zu pflegen. Als sie am Dienstag, den 22.10.2014 wieder im Laden tätig ist, wird gegen Mittag bei Tiefbauarbeiten unweit Pashminas Laden ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Auf polizeiliche Anordnung hin muss Pashmina ihren Laden schließen, bis die Bombe entschärft ist. Sie schickt deshalb ihre Angestellten für diesen Tag wieder nach Hause. Als Gisele am nächsten Tag wieder zur Arbeit kommen möchte, tobt gerade über Süddeutschland der Orkan Karl. Daraufhin bricht in Oberbayern auf Grund zahlreicher Oberleitungsschäden der Zugverkehr größtenteils zusammen. An diesem Tag fährt zwischen Giseles Heimatort und München kein einziger Zug. Gisele, die kein eigenes Auto besitzt, stehen andere öffentliche Verkehrsmittel nicht zu Verfügung. Sie kann deshalb auch an diesem Tag nicht arbeiten. Bearbeitervermerk: Es sind folgende Fragen gutachtlich zu beantworten: Frage 1: Ist die Kündigungsschutzklage der Theresa begründet? Frage 2: Stehen Theresa Lohnansprüche für folgende Perioden zu: a) 12.1. - 10.2.2014 und 2. - 19.3.2014? b) Ab dem 26.8.2014 bis zur Beendigung des Kündigungsschutzprozesses? Frage 3: Welche Lohnansprüche stehen Gisele für die Zeit vom 17.10 bis einschließlich 23.10.2014 zu?
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