taz.hamburg das wetter Sonne und Wolken wechseln sich ab. Es bleibt weitgehend trocken bei Temperaturen um die -1 Grad und etwas Wind aus südwestlicher Richtung www.taz.de | [email protected] | Stresemannstraße 23 | 22769 Hamburg MONTAG, 18. JAN UAR 2016 I N ALLER KÜRZE Hamburgs neue AlphaMännchen Die von der AfD abgespaltene Partei Allianz für Fortschritt und Aufbruch (Alfa) hat einen Landesverband gegründet. Die Partei des AfD-Gründers Bernd Lucke wolle „dem Wähler eine bürgerliche Alternative aufzeigen“, teilte der zum Landesvorsitzenden gewählte Unternehmer Wilke Möller am Samstag mit. Mit der Gründung des Hamburger Verbands ist die Partei nach eigenen Angaben nun in 15 der 16 Bundesländer vertreten. Nur in Thüringen gebe es noch keinen Landesverband, dieser sei aber in Planung. Bundesweit hat die Alfa-Partei nach jüngsten Angaben etwa 2.500 Mitglieder. (dpa) Hafencity könnte belebt werden In der Hafencity sollen künftig 720 Flüchtlinge untergebracht werden. Geplant ist nach Informationen des NDR ein Containerdorf in der Nähe des UBahnhofs Hafencity Universität. Das städtische Grundstück befindet sich neben dem Lohsepark und dem Hannoverschen Bahnhof. Demnach soll die Fläche für drei Jahre als Folgeunterkunft genutzt werden. Mittes Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) sprach von einem „wichtigen politischen Signal“, dass Flüchtlinge auch in sozial besser situierten Stadtteilen unterkommen. Das sei schon immer Ziel der Stadt gewesen. Bereits in den nächsten Tagen soll sich entschieden, ob das Dorf gebaut werden kann. (taz) Mehr Präsenz, weniger Besucher Die Polizei hat am Wochenende mehr Präsenz auf der Reeperbahn gezeigt. In gelben Warnwesten patrouillierten die Beamten auf den Straßen und kontrollierten verdächtige Personen. Türsteher gingen – an- ders als zuvor angekündigt – hingegen nicht auf Streife. „Wir müssen uns erst noch organisieren“, sagte ein Türsteher in der Nacht zu Sonntag auf der Großen Freiheit. Nach den sexuellen Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht hatten die Sicherheitsleute angekündigt, am Wochenende mit Warnwesten oder Armbinden auf dem Kiez patrouillieren zu wollen. Dadurch sollten sich Besucher sicherer auf der Amüsiermeile fühlen. Club- und Barbetreiber hatten zuletzt über einen Besucherrückgang berichtet. „Es ist weniger los – und das ist nicht nur dem ruhigeren Januar geschuldet“, sagte Quartiermanagerin Julia Staron. (dpa) Mit abgeschlepptem Auto geflüchtet Ein Unbekannter ist am Sonntagmorgen mit einem Auto aus der Verwahrstelle für sichergestellte Pkw in Rothenburgsort geflüchtet. Das Auto, mit dem der Mann wegfuhr, war zuvor wegen Falschparkens dorthin abgeschleppt worden, wie die Polizei mitteilte. Kurz darauf versuchte ein junger Mann vergeblich, das Fahrzeug abzuholen. Er hatte keinen Fahrzeugschein dabei. Doch er gab nicht auf, kam zurück, sprang er über die Schranke, rannte zum Wagen und raste durch die geschlossene Schranke davon. (dpa) Viel Minus, wenig Mitglieder Nach dem Bericht über das Rekord-Minus von 16,9 Millionen Euro hat Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer den nächsten finanziellen Verlust angekündigt. „Wir werden auch im aktuellen Geschäftsjahr ein negatives Ergebnis erzielen“, betonte der 52-Jährige vor nur 309 Mitgliedern des Clubs bei einer Mitgliederversammlung am Sonntag im Kongresszentrum CCH. (dpa) 28 TAZ.DI E TAGESZEITU NG Frauen fordern Schutzraum FRAUENRECHTE Die Initiative „Safe-Space“ demonstriert vor leer stehendem Hotel in St. Georg für die Beschlagnahme zur Schaffung von Schutzräumen für geflohene Frauen VON KAI VON APPEN Ermahnung zum Handeln: Mit einer Kundgebung vor dem ehemaligen Hotel im Steintorweg 11 in St. Georg haben sich rund 100 Menschen – mehrheitlich Frauen – am Sonntag für die Schaffung zusätzlicher Schutzräume für geflohene Frauen stark gemacht. Sie forderten den rot-grünen Senat auf, Leerstand in der Elbmetropole zu beschlagnahmen. Aufgerufen hatte die Gruppe „Safe Space’s are women’ right“, ein Zusammenschluss von gewerkschaftlich organisierten Frauen, Streetworkerinnen und Aktivistinnen aus der Flüchtlingshilfe. „Geflohene Frauen brauchen sichere Räume – Hamburg bietet mit leer stehenden Immobilien die Möglichkeit, diesen Bedarf zu decken“, sagt Isabel Meyn von der Initiative „Safe Space“. Das ehemalige Hotel steht seit fast zehn Jahren leer und liegt inmitten des Bahnhofsviertels nur einen Steinwurf vom Hauptbahnhof entfernt. Immer noch kommen dort täglich dutzende geflohener Frauen an – einige auf der Durchreise nach Skandinavien. Unmittelbar vor der Kundgebung war der Pächter des Nachbarhotels „Alt Nürnberg“ an die Veranstalterin herangetreten, die Demonstration doch abzusagen, weil die Eigentümerin beider Gebäude einen Neubauantrag gestellt habe. „Wir verzichten nicht auf unser Demonstrationsrecht, nur weil ein Hotel um seinen Ruf fürchtet“, sagt Emilija Mitrovic von der Gewerkschaft Ver.di und zeigte auf die Fenster der Fassade: Die Aktivistinnen hatten auf Plakaten bereits erste Flüchtlingsfrauen symbolisch in das Gebäude einziehen lassen . Peggy Parnass redet auf der „Safe Space“-Kundgebung vor dem leeren Hotel in St. Georg Foto: Markus Scholz Die stellvertretende Ver.diLandesvorsitzende Sandra Goldschmidt erinnerte daran, dass sexuelle Diskriminierung und Übergriffe auf Frauen ein globales Problem seien. Was diese geflüchteten Frauen auf sich genommen hätten, um Krieg, Gewalt, Hunger und Elend zu entgehen, sei für viele kaum vorstellbar. Viele geflohene Frauen müssten in den Erstaufnahme-Unterkünften umgeben von Männern leben. Deshalb bräuchten die Frauen „sichere Schutzstätten für einen Stopp und eine Erholphase, wenn sie weiterreisen wollen – und erst recht, wenn sie hier bleiben wollen.“ Zwar gebe es in Hamburg seit Kurzem eine Erstaufnahmeeinrichtung in Lokstedt für 150 Frauen mit Kindern, es bedürfe aber weiterer Wohnunterkünfte, die humanere Lebensbedingungen und frauenspezifische Angebote gewährleisten, forderte Goldschmidt. „Geflohenen Frauen und ihre Kinder brauchen weitere sichere Schutzstätten“ SANDRA GOLDSCHMIDT, VIZE-LANDESVORSITZENDE DER GEWERKSCHAFT VER.DI Die geflüchtete Afrikanerin Christiane von der Gruppe Lampedusa berichtete von ihrer Ankunft vor drei Jahren in Hamburg, als sie im Winternotprogramm Zuflucht gesucht habe. „Morgens mussten wir raus und waren der Kälte ausgesetzt“, erinnerte sie und sagte zu den aktuellen Verhältnissen in der Flüchtlingspolitik. „Sie sollen uns als Menschen behandeln und diese Plätze schaffen, damit Frauen mit Kindern in der Kälte nicht in Zelten leben müssen.“ Die in St. Georg lebende Publizistin Peggy Parnass, deren Eltern von den Nazis im Vernich- tungslager Treblinka ermordet wurden, sagte: „Was hier stattfindet, Häuser und Wohnungen leer stehen zu lassen, ist nichts Neues.“ Für Parnass sei Deutschland immer ein Land gewesen, aus dem man wegen der Nazivergangenheit nur wegrennen möchte, und nun müsse sie feststellen, dass viele Menschen nach Deutschland kämen, weil sie vor Krieg und Gewalt Schutz suchten. „Es muss sich dringend in der Welt etwas ändern“, sagte Parnass, freut sich aber über die vielen Flüchtlingshelfer. „Das leer stehende Hotel muss bewohnbar gemacht werden, nicht irgendwann, sondern jetzt!“ Der rot-grüne Senat könne nach dem neuen Gesetz zur Flüchtlingsunterbringung die Beschlagnahme leerer Immobilien anordnen, unterstrich Isabel Meyn von Safe Space. „Der Staat macht viel zu selten davon Gebrauch und ruht sich auf Privatinitiativen aus.“ MEIN ZAHNARZT HAT SICH VOM ACKER GEMACHT. ICH HÄTTE GERNE, DASS ER ZURÜCKKOMMT Raus aus Hamburg A lso nichts wie raus aus Hamburg / first we take Manhatten und dann ab nach Berlin / da wo die Leute aus Heimweh hinzieh’n. An diese Zeilen der Hamburger Band Blumfeld musste ich denken, als ich kürzlich die Praxis meines Zahnarztes verließ. Es ist nämlich so: Mein Zahnarzt haut ab. Ich wollte einen Termin für die zweite Jahreshälfte vereinbaren und da sagte die Sprechstundenhilfe: „Wir machen keine Termine mehr für Herrn L. Herr L. macht ab Februar eine Weltreise und er möchte offen lassen, ob er zurückkommt oder nicht. Rufen Sie im Sommer nochmal an.“ Dass sich Herr L. vom Acker macht, hat mich überrascht. L. ist ungefähr Mitte 30 und auf dem besten Weg, weiter Karriere zu machen, aber das scheint ihn nicht zu halten. Er sieht gut aus, ist sympathisch und Kindern gegenüber aufgeschlos- sen, aber offenbar gibt es niemanden, der ihn hier hält. Vor drei Jahren unterzog mich Herr L. einer fiesen Wurzelbehandlung, Backenzahn oben hinten, und beim Ausschaben des Wurzelkanals brach ihm die Spitze von seinem Werkzeug ab. Seitdem steckt ein kleines Stück Metall in meinem Wurzelkanal. L. erzählte mir sofort davon und sagte: „Kein Sorge, da passiert nichts. Sie können auch am Flughafen durch die Kontrolle gehen, ohne dass es piepst.“ Dass es Herrn L. in die Ferne zieht, hätte ich damals schon merken können. Herr L. ist nicht der Typ, der auf Reisen geht, um Party zu machen oder wilde Tiere zu besichtigen. Ich glaube, Herr L. geht auf Reisen, weil er Heimweh hat. Irgendetwas passt nicht und dem will er sich stellen, indem er noch einmal alles infrage stellt. Ein respektables Vorhaben, wie ich finde, das unter durchstar- AM RAND KLAUS IRLER Foto: privat tenden Akademikern eher unüblich ist. Auch unüblich, aber gar nicht respektabel ist die Auszeit, die sich gerade der Chef der AfDFraktion in der Hamburger Bürgerschaft nimmt. Der Mann heißt Jörn Kruse, ist 67 und hat sich für drei Monate nach Stanford bei San Francisco verabschiedet, wo seine Frau eine Gastprofessur angenommen hat. Seine Diäten in Höhe von 8.000 Euro pro Monat kassiert Kruse weiter. Der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Bernd Baumann sieht kein Problem: „Die Arbeit leidet nicht. Wir sind täglich in Kontakt.“ Vorstellen muss man sich das also als ein exterritoriales Home-Office im 24-StundenModus: Wenn Baumann um 11 Uhr vormittags das Bedürfnis hat, Kruse zu sprechen, klingelt dessen Telefon in Stanford um zwei Uhr nachts. Will dagegen Kruse nach dem Aufstehen um 10 Uhr seinen Kommentar zur Flüchtlingspolitik los werden, erreicht er Baumann um 19 Uhr abends. Aber ein Problem mit der Zusammenarbeit, sagt Baumann, gebe es nicht. Natürlich ist es schön, dass die AfD ihren Job so locker nimmt und nicht mehr Schaden anrichtet, als ein paar Diäten einzustreichen. Noch schöner wäre es, wenn Herr Kruse in Kalifornien bliebe, weil sich gar kein Heimweh einstellt. Was ich meinem Zahnarzt wiederum nicht wünsche. Ich hätte gerne, dass er zurückkommt. Berlin kann er sich sparen, Hamburg geht auch.
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