Frauen fordern Schutzraum - Landesfrauenrat Hamburg eV

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MONTAG, 18. JAN UAR 2016
I N ALLER KÜRZE
Hamburgs neue AlphaMännchen
Die von der AfD abgespaltene
Partei Allianz für Fortschritt
und Aufbruch (Alfa) hat einen
Landesverband gegründet. Die
Partei des AfD-Gründers Bernd
Lucke wolle „dem Wähler eine
bürgerliche Alternative aufzeigen“, teilte der zum Landesvorsitzenden gewählte Unternehmer Wilke Möller am Samstag mit. Mit der Gründung des
Hamburger Verbands ist die Partei nach eigenen Angaben nun
in 15 der 16 Bundesländer vertreten. Nur in Thüringen gebe
es noch keinen Landesverband,
dieser sei aber in Planung. Bundesweit hat die Alfa-Partei nach
jüngsten Angaben etwa 2.500
Mitglieder. (dpa)
Hafencity könnte
belebt werden
In der Hafencity sollen künftig
720 Flüchtlinge untergebracht
werden. Geplant ist nach Informationen des NDR ein Containerdorf in der Nähe des UBahnhofs Hafencity Universität. Das städtische Grundstück
befindet sich neben dem Lohsepark und dem Hannoverschen
Bahnhof. Demnach soll die Fläche für drei Jahre als Folgeunterkunft genutzt werden. Mittes
Bezirksamtsleiter Andy Grote
(SPD) sprach von einem „wichtigen politischen Signal“, dass
Flüchtlinge auch in sozial besser situierten Stadtteilen unterkommen. Das sei schon immer
Ziel der Stadt gewesen. Bereits
in den nächsten Tagen soll sich
entschieden, ob das Dorf gebaut
werden kann. (taz)
Mehr Präsenz,
weniger Besucher
Die Polizei hat am Wochenende
mehr Präsenz auf der Reeperbahn gezeigt. In gelben Warnwesten patrouillierten die Beamten auf den Straßen und
kontrollierten verdächtige Personen. Türsteher gingen – an-
ders als zuvor angekündigt –
hingegen nicht auf Streife. „Wir
müssen uns erst noch organisieren“, sagte ein Türsteher in der
Nacht zu Sonntag auf der Großen Freiheit. Nach den sexuellen Übergriffen auf Frauen in
der Silvesternacht hatten die
Sicherheitsleute angekündigt,
am Wochenende mit Warnwesten oder Armbinden auf dem
Kiez patrouillieren zu wollen.
Dadurch sollten sich Besucher
sicherer auf der Amüsiermeile
fühlen. Club- und Barbetreiber
hatten zuletzt über einen Besucherrückgang berichtet. „Es ist
weniger los – und das ist nicht
nur dem ruhigeren Januar geschuldet“, sagte Quartiermanagerin Julia Staron. (dpa)
Mit abgeschlepptem
Auto geflüchtet
Ein Unbekannter ist am Sonntagmorgen mit einem Auto aus
der Verwahrstelle für sichergestellte Pkw in Rothenburgsort
geflüchtet. Das Auto, mit dem
der Mann wegfuhr, war zuvor
wegen Falschparkens dorthin
abgeschleppt worden, wie die
Polizei mitteilte. Kurz darauf
versuchte ein junger Mann vergeblich, das Fahrzeug abzuholen. Er hatte keinen Fahrzeugschein dabei. Doch er gab nicht
auf, kam zurück, sprang er über
die Schranke, rannte zum Wagen
und raste durch die geschlossene Schranke davon. (dpa)
Viel Minus,
wenig Mitglieder
Nach dem Bericht über das Rekord-Minus von 16,9 Millionen
Euro hat Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer den nächsten
finanziellen Verlust angekündigt. „Wir werden auch im aktuellen Geschäftsjahr ein negatives Ergebnis erzielen“, betonte
der 52-Jährige vor nur 309 Mitgliedern des Clubs bei einer Mitgliederversammlung am Sonntag im Kongresszentrum CCH.
(dpa)
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TAZ.DI E TAGESZEITU NG
Frauen fordern Schutzraum
FRAUENRECHTE Die Initiative „Safe-Space“ demonstriert vor leer stehendem Hotel in St.
Georg für die Beschlagnahme zur Schaffung von Schutzräumen für geflohene Frauen
VON KAI VON APPEN
Ermahnung zum Handeln: Mit
einer Kundgebung vor dem
ehemaligen Hotel im Steintorweg 11 in St. Georg haben sich
rund 100 Menschen – mehrheitlich Frauen – am Sonntag
für die Schaffung zusätzlicher
Schutzräume für geflohene
Frauen stark gemacht. Sie forderten den rot-grünen Senat
auf, Leerstand in der Elbmetropole zu beschlagnahmen.
Aufgerufen hatte die Gruppe
„Safe Space’s are women’ right“,
ein Zusammenschluss von gewerkschaftlich organisierten
Frauen, Streetworkerinnen und
Aktivistinnen aus der Flüchtlingshilfe. „Geflohene Frauen
brauchen sichere Räume –
Hamburg bietet mit leer stehenden Immobilien die Möglichkeit, diesen Bedarf zu decken“, sagt Isabel Meyn von der
Initiative „Safe Space“.
Das ehemalige Hotel steht
seit fast zehn Jahren leer und
liegt inmitten des Bahnhofsviertels nur einen Steinwurf
vom Hauptbahnhof entfernt.
Immer noch kommen dort
täglich dutzende geflohener
Frauen an – einige auf der
Durchreise nach Skandinavien.
Unmittelbar vor der Kundgebung war der Pächter des
Nachbarhotels „Alt Nürnberg“
an die Veranstalterin herangetreten, die Demonstration
doch abzusagen, weil die Eigentümerin beider Gebäude
einen Neubauantrag gestellt
habe. „Wir verzichten nicht auf
unser Demonstrationsrecht,
nur weil ein Hotel um seinen
Ruf fürchtet“, sagt Emilija Mitrovic von der Gewerkschaft
Ver.di und zeigte auf die Fenster der Fassade: Die Aktivistinnen hatten auf Plakaten bereits
erste Flüchtlingsfrauen symbolisch in das Gebäude einziehen
lassen .
Peggy Parnass redet auf der „Safe Space“-Kundgebung vor dem leeren Hotel in St. Georg Foto: Markus Scholz
Die stellvertretende Ver.diLandesvorsitzende Sandra Goldschmidt erinnerte daran, dass
sexuelle Diskriminierung und
Übergriffe auf Frauen ein globales Problem seien. Was diese
geflüchteten Frauen auf sich
genommen hätten, um Krieg,
Gewalt, Hunger und Elend zu
entgehen, sei für viele kaum
vorstellbar. Viele geflohene
Frauen müssten in den Erstaufnahme-Unterkünften umgeben
von Männern leben. Deshalb
bräuchten die Frauen „sichere
Schutzstätten für einen Stopp
und eine Erholphase, wenn sie
weiterreisen wollen – und erst
recht, wenn sie hier bleiben wollen.“
Zwar gebe es in Hamburg seit
Kurzem eine Erstaufnahmeeinrichtung in Lokstedt für 150
Frauen mit Kindern, es bedürfe
aber weiterer Wohnunterkünfte,
die humanere Lebensbedingungen und frauenspezifische Angebote gewährleisten, forderte
Goldschmidt.
„Geflohenen Frauen
und ihre Kinder brauchen weitere sichere
Schutzstätten“
SANDRA GOLDSCHMIDT, VIZE-LANDESVORSITZENDE DER GEWERKSCHAFT VER.DI
Die geflüchtete Afrikanerin Christiane von der Gruppe
Lampedusa berichtete von ihrer
Ankunft vor drei Jahren in Hamburg, als sie im Winternotprogramm Zuflucht gesucht habe.
„Morgens mussten wir raus und
waren der Kälte ausgesetzt“, erinnerte sie und sagte zu den
aktuellen Verhältnissen in der
Flüchtlingspolitik. „Sie sollen
uns als Menschen behandeln
und diese Plätze schaffen, damit
Frauen mit Kindern in der Kälte
nicht in Zelten leben müssen.“
Die in St. Georg lebende Publizistin Peggy Parnass, deren Eltern von den Nazis im Vernich-
tungslager Treblinka ermordet
wurden, sagte: „Was hier stattfindet, Häuser und Wohnungen leer stehen zu lassen, ist
nichts Neues.“ Für Parnass sei
Deutschland immer ein Land
gewesen, aus dem man wegen
der Nazivergangenheit nur wegrennen möchte, und nun müsse
sie feststellen, dass viele Menschen nach Deutschland kämen,
weil sie vor Krieg und Gewalt
Schutz suchten. „Es muss sich
dringend in der Welt etwas ändern“, sagte Parnass, freut sich
aber über die vielen Flüchtlingshelfer. „Das leer stehende Hotel
muss bewohnbar gemacht werden, nicht irgendwann, sondern
jetzt!“
Der rot-grüne Senat könne
nach dem neuen Gesetz zur
Flüchtlingsunterbringung die
Beschlagnahme leerer Immobilien anordnen, unterstrich Isabel Meyn von Safe Space. „Der
Staat macht viel zu selten davon
Gebrauch und ruht sich auf Privatinitiativen aus.“
MEIN ZAHNARZT HAT SICH VOM ACKER GEMACHT. ICH HÄTTE GERNE, DASS ER ZURÜCKKOMMT
Raus aus Hamburg
A
lso nichts wie raus aus
Hamburg / first we take
Manhatten und dann ab
nach Berlin / da wo die Leute aus
Heimweh hinzieh’n.
An diese Zeilen der Hamburger Band Blumfeld musste ich
denken, als ich kürzlich die Praxis meines Zahnarztes verließ.
Es ist nämlich so: Mein Zahnarzt haut ab. Ich wollte einen
Termin für die zweite Jahreshälfte vereinbaren und da sagte
die Sprechstundenhilfe: „Wir
machen keine Termine mehr
für Herrn L. Herr L. macht ab
Februar eine Weltreise und er
möchte offen lassen, ob er zurückkommt oder nicht. Rufen
Sie im Sommer nochmal an.“
Dass sich Herr L. vom Acker
macht, hat mich überrascht. L.
ist ungefähr Mitte 30 und auf
dem besten Weg, weiter Karriere zu machen, aber das scheint
ihn nicht zu halten. Er sieht gut
aus, ist sympathisch und Kindern gegenüber aufgeschlos-
sen, aber offenbar gibt es niemanden, der ihn hier hält.
Vor drei Jahren unterzog
mich Herr L. einer fiesen Wurzelbehandlung,
Backenzahn
oben hinten, und beim Ausschaben des Wurzelkanals brach ihm
die Spitze von seinem Werkzeug
ab. Seitdem steckt ein kleines
Stück Metall in meinem Wurzelkanal. L. erzählte mir sofort
davon und sagte: „Kein Sorge,
da passiert nichts. Sie können
auch am Flughafen durch die
Kontrolle gehen, ohne dass es
piepst.“ Dass es Herrn L. in die
Ferne zieht, hätte ich damals
schon merken können.
Herr L. ist nicht der Typ, der
auf Reisen geht, um Party zu machen oder wilde Tiere zu besichtigen. Ich glaube, Herr L. geht auf
Reisen, weil er Heimweh hat. Irgendetwas passt nicht und dem
will er sich stellen, indem er
noch einmal alles infrage stellt.
Ein respektables Vorhaben, wie
ich finde, das unter durchstar-
AM RAND
KLAUS IRLER
Foto: privat
tenden Akademikern eher unüblich ist.
Auch unüblich, aber gar nicht
respektabel ist die Auszeit, die
sich gerade der Chef der AfDFraktion in der Hamburger
Bürgerschaft nimmt. Der Mann
heißt Jörn Kruse, ist 67 und hat
sich für drei Monate nach Stanford bei San Francisco verabschiedet, wo seine Frau eine
Gastprofessur angenommen
hat. Seine Diäten in Höhe von
8.000 Euro pro Monat kassiert
Kruse weiter. Der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende
Bernd Baumann sieht kein Problem: „Die Arbeit leidet nicht. Wir
sind täglich in Kontakt.“
Vorstellen muss man sich
das also als ein exterritoriales
Home-Office im 24-StundenModus: Wenn Baumann um 11
Uhr vormittags das Bedürfnis
hat, Kruse zu sprechen, klingelt dessen Telefon in Stanford
um zwei Uhr nachts. Will dagegen Kruse nach dem Aufstehen
um 10 Uhr seinen Kommentar
zur Flüchtlingspolitik los werden, erreicht er Baumann um 19
Uhr abends. Aber ein Problem
mit der Zusammenarbeit, sagt
Baumann, gebe es nicht.
Natürlich ist es schön, dass
die AfD ihren Job so locker
nimmt und nicht mehr Schaden anrichtet, als ein paar Diäten einzustreichen. Noch schöner wäre es, wenn Herr Kruse
in Kalifornien bliebe, weil sich
gar kein Heimweh einstellt. Was
ich meinem Zahnarzt wiederum
nicht wünsche. Ich hätte gerne,
dass er zurückkommt. Berlin
kann er sich sparen, Hamburg
geht auch.