PRESSEINFORMATION 7.9.2015 „Österreich barrierefrei“ ÖAR

PRESSEINFORMATION 7.9.2015
„Österreich barrierefrei“
ÖAR, BIZEPS und Klagsverband fordern: Bund und Länder müssen
zusammenarbeiten
Im April dieses Jahres deckte BIZEPS auf, dass Bund und Länder an einer
Zielvereinbarung „Inklusive Behindertenpolitik – Zielvereinbarung zwischen dem
Bund und den Ländern betreffend einheitliche Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention in Österreich“ arbeiten. Behindertenorganisationen
waren in die Erstellung dieser „Non-Paper“ genannten Vereinbarung nicht
eingebunden. Nun scheint es, dass die in der UN-Konvention über die Rechte von
Menschen mit Behinderungen geforderte Partizipation an
Entscheidungsfindungen doch noch stattfindet. Für 11.9. ist ein Gespräch
zwischen dem Sozialministerium und VertreterInnen von
Behindertenorganisationen angesetzt.
Im Vorfeld soll die Gelegenheit genutzt werden, auf eines der dringendsten
Anliegen von Menschen mit Behinderungen, nämlich die Grundvoraussetzung
österreichweit einheitlicher baurechtlicher Bestimmungen zur Schaffung von
baulicher Barrierefreiheit, hinzuweisen. „Selbstbestimmtes Leben ist nur möglich
wenn Bauordnungen Barrierefreiheit verpflichtend vorschreiben. Wenn jedes
Bundesland eigene Bauordnungen hat, führt das zu unterschiedlichen Standards
und Qualität“, erklärt Martin Ladstätter, Obmann von BIZEPS-Zentrum für
Selbstbestimmtes Leben.
Schon gar nicht akzeptabel ist es, dass, so wie beispielsweise im Zusammenhang
mit den vorhandenen harmonisierten Bauvorschriften nicht nur keine
Verbesserungen, sondern sogar zunehmend Verschlechterungen stattfinden. Es
kann nicht sein, dass abhängig davon, wo die Grenze der Bundesländer verläuft,
jemand in seinen Grundrechten eingeschränkt wird oder nicht – und das in einem
Land, das sich schon 2008 verpflichtet hat, die UN Behindertenrechtskonvention
umzusetzen.
Volle, gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft setzt besonders für
Menschen mit Behinderungen voraus, dass das gebaute Umfeld dies ermöglicht.
Bauvorschriften und –normen sind entscheidend dafür, ob das langfristig
gegeben ist oder nicht. Ohne Barrierefreiheit können Restaurants nicht betreten,
Wohnungen nicht bewohnt, Schulen nicht besucht werden, u.v.m.
Wo Barrieren existieren, haben Menschen mit Behinderungen das Recht, dagegen
vorzugehen. Denn das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG)
verpflichtet Private und den Bund, Güter und Dienstleistungen barrierefrei zur
Verfügung zu stellen. „Das Gesetz sieht als Folge für Barrieren, die eine
rechtswidrige Diskriminierung darstellen, Schadenersatz vor“, erklärt Volker
Frey, Generalsekretär des Klagsverbandes. „Leider bedeutet das, dass
Diskriminierer nicht verpflichtet sind, Barrieren zu beseitigen – auch wenn
gerichtlich festgestellt wurde, dass sie diskriminierend und damit rechtswidrig
sind! Im Sinn der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit
Behinderungen muss dieser Schadenersatzanspruch durch einen Beseitigungsund Unterlassungsanspruch ergänzt werden“, so Frey.
Im Bauverfahren, das in den landesspezifischen Bauvorschriften geregelt ist, ist
mit dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz kaum etwas auszurichten.
„Deshalb ist es umso wichtiger, dass sich Bund und Länder auf einheitliche
Bauvorschriften, die Barrierefreiheit sicherstellen, verständigen“, erklärt Frey.
„Weil, dass es trotz Einhaltung der Bauordnung zu einer Diskriminierung nach
dem Behindertengleichstellungsgesetz kommen kann, ist eines Rechtsstaates
nicht würdig.“
„Bereits in naher Zukunft jedoch“, so Eringard Kaufmann, Generalsekretärin der
ÖAR, „könnten Neubauten, deren Stiegenhäuser keinen Transport mit einer
Krankentrage erlauben, oder Liftausstiegsbereiche, die das Risiko über Treppen
zu stürzen nicht nur für Kinder und Menschen mit Behinderungen erhöhen,
möglich sein. Für uns Horrorszenarien.“
Unter der Überschrift „leistbares Wohnen“ wettert die Bauwirtschaft seit
geraumer Zeit gegen barrierefreien Wohnbau, obwohl dieser kaum Mehrkosten
verursacht und ein wesentlicher Bestandteil nachhaltigen, modernen Bauens ist.
Eltern mit Kindern, Personen, die Lasten transportieren oder etwa
gehbeeinträchtigte Freunde einladen wollen, sind die Leidtragenden. Nicht zuletzt
aber auch wir selbst, wenn wir vorübergehend beeinträchtigt sind oder im Alter,
trotz Beeinträchtigung daheim leben oder das Haus verlassen wollen.
„Barrierefreiheit ist essentiell für 10 Prozent der Bevölkerung, notwendig für 40
Prozent und komfortabel für alle – daher fordern wir Bund, Länder und
Gemeinden auf, ihre Anstrengungen zur Gestaltung eines barrierefreien
Österreich mit einheitlichen Standards auszubauen und aufeinander
abzustimmen,“ so Frey.
Alarmsignal OIB Richtlinie 4 in der Version 2015
Im Regelungsdschungel1 zum Bauen, ist heuer ein Element klamm heimlich
geändert worden: Die OIB Richtlinie 4 zu Barrierefreiheit und Nutzungssicherheit
1
Die rechtlichen Regelungen, Vorschriften und Normen, die dazu geschaffen wurden um Barrierefreiheit
sicherzustellen, sind allerdings gelinde gesagt verwirrend.
1.
2.
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4.
Österreich hat sich mit Unterfertigung der UN Konvention über die Rechte der Menschen mit
Behinderungen 2008 unter anderem zur Herstellung von Barrierefreiheit verpflichtet.
Bereits 2006 wurde das Behindertengleichstellungsgesetz erlassen, das Menschen mit Behinderungen
und deren Angehörigen umfangreiche Möglichkeiten bietet, bei Diskriminierung durch fehlende
Barrierefreiheit von öffentlich angebotenen Waren oder Dienstleistungen Schadenersatz einzuklagen
(sofern diese dem Konsumentschutzgesetz unterliegen).
Weiters gibt es Landesgesetze, welche individuell regeln, was (Bauordnungen) wie
(Bautechnikverordnungen) gebaut werden muss. Jeder gelernte Österreicher weiß, dass das nur
bedeuten kann, dass wir hier von einer Harmonisierung weit entfernt sind.
Als Lösung dazu wurde ersonnen, dass das Österreichische Institut für Bautechnik zur Harmonisierung
Richtlinien unter anderem für den Bereich Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit erstellen soll (sog.
OIB Richtlinie 4), die einheitliche Vorgaben zumindest zum „Wie“ enthalten und anzuwenden sind,
sobald ein Bundesland sie in seine Bauvorschriften aufnimmt.
wurde der Version 2015 im März neuaufgelegt. Weit jenseits der Gesetzgebung,
ohne Anhörung oder Möglichkeit zu Stellungnahmen der Bürgerinnen und Bürger
dieses Landes und natürlich auch ohne Menschen mit Behinderungen
einzubeziehen.
Denn die Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderungen hätten
gewusst, dass genau das nicht passieren darf2: in der OIB Richtlinie 4 wurden
Verweise auf die ÖNORM B 1600 („Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen“)
gestrichen und durch Passagen ersetzt, die eine korrekte Umsetzung von
Maßnahmen für barrierefreie Bauten nicht gewährleisten. Das hört sich zwar
harmlos bürokratisch an, ist es aber nicht.
Sobald die Länder in ihren Baugesetzen auf die OIB Richtlinie 4 in der Fassung
2015 verweisen, gilt in vielen Punkten als barrierefrei, was Planende für
barrierefrei halten – nicht der aktuelle Stand der Technik. Das kann dann eben
auch die Stiege sein, über die ein liegender Krankentransport – besonders
wichtig z.B. für schwangere Frauen nach geplatzter Fruchtblase - nicht möglich
ist oder der Ausstieg auf dem Lift, der ungesichert direkt vor der hinabführenden
Stiege liegt.3
Wir fordern Bund, Länder und Gemeinden auf, ihre Anstrengungen zur
Gestaltung eines barrierefreien Österreichs mit einheitlichen Standards
auszubauen und aufeinander abzustimmen.
1. Menschen mit Behinderungen müssen frühzeitig in die Erarbeitung von
Bestimmungen zur Barrierefreiheit auf Augenhöhe einbezogen werden.
2. In Österreich ist Barrierefreiheit im Sinne der UN
Behindertenrechtskonvention einheitlich zu definieren.
Die OIB Richtlinie 4 muss genützt werden, um dies durch österreichweit
einheitliche Mindeststandards voranzutreiben.
3. Im Behindertengleichstellungsgesetz muss ein Anspruch auf die Beseitigung
diskriminierender Barrieren eingeführt werden.
Die Baugesetze der Länder müssen sicherstellen, dass gutgläubige Bauherren
und Baufrauen nicht nach dem Behindertengleichstellungsgesetz wegen
fehlender baulicher Barrierefreiheit auf Schadenersatz geklagt werden
können.
2
Unter Mitwirkung der ÖAR und des Klagsverbandes wurden im Jahr 2013 umfassende Studien zur rechtlich
Komplexen und verwirrenden Situation unter dem Titel „Wohnbau barrierefrei“ mit Förderung über das bmask
erstellt, welche unter http://www.oear.or.at/barrierefrei-gestalten/projekte-und-studien/wohnbaubarrierefrei herunter geladen werden können. Darin wurden auch klare Empfehlungen für die
Weiterentwicklung bestehender Bestimmungen formuliert und ein Good Practice Guide erstellt.
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Vom ÖZIV wurde eine Gegenüberstellung der beiden Versionen mit Anmerkungen erstellt, welche unter
[email protected] angefordert werden kann.
Rückfragehinweise:
Für die ÖAR:
Stefan Pauser
Kommunikation ÖAR
Stubenring 2/4
1010 Wien
Tel. 01 513 15 33-0
E-Mail [email protected]
Für BIZEPS - Zentrum für Selbstbestimmtes Leben
Martin Ladstätter
Schönngasse 15-17/4
1020 Wien
Tel.: 01 / 523 89 21
[email protected]
Für den Klagsverband
Volker Frey
Schönbrunner Straße 119/13
Eingang: Am Hundsturm 7
1050 Wien
Tel.: +43-1-961 05 85-0
[email protected]