Hanf ersetzt Kunststoff im Spritzguss

Hanf ersetzt Kunststoff im Spritzguss
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Von Rainer B. Langen | 31. Juli 2015 | Ausgabe 31
Der Vorentwickler eines badischen Automobilzulieferers hat jetzt den Spritzguss
mit Hanf optimiert. Bei den daraus hergestellten Bauteilen können bis zu 50 %
Kunststoff durch den nachwachsenden Rohstoff ersetzt werden. Der
Energieaufwand bei der Verarbeitung ist deutlich geringer als bei herkömmlichen
Verfahren.
Foto: U. Schnabel/Hib Trim Part Solutions
Blenden aus Hanf-Polypropylen-Spritzguss in eingefärbter NaturfaserOptik.
Auf den Spritzguss mit Hanf sei er gekommen, als er nach einem leichten,
kostengünstigen Material suchte, mit dem er Blenden aus Holz, Aluminium oder
Kunststoff für die Innenverkleidung von Automobilen unterfüllen könnte, sagt
Uwe Schnabel aus der Vorentwicklungsabteilung des Bruchsaler AutomobilZulieferers Hib Trim Part Solutions GmbH. Zunächst seien ihm Naturfasermatten
in den Sinn gekommen. Daraus entstehen Formpressteile wie Hutablagen oder
Türverkleidungen. „Sie lassen sich aber nicht ohne weiteres anbinden. Man hätte
Retainer, also Befestigungsclips oder Schraubenkanäle, ankleben müssen“, so
Schnabel. Das ginge jedoch nur von Hand und sei damit viel zu aufwendig.
Doch es gibt Spritzgussverfahren für Naturfasern. Diese verwenden Komposite,
in denen Naturfasern und Kunststoffe gemischt und über einen Kleber
miteinander verbunden sind. 2012 wurden europaweit laut einer Studie des
Nova-Instituts in Hürth ca. 2000 t Kunststoff-Naturfaser-Komposite im Spritzguss
verarbeitet.
Die vorhandenen Komposite aber waren für die Verwendung im
Fahrzeuginnenraum nicht schlagfest genug; und wenn sie brechen, können
scharfe Kanten entstehen. Das liegt auch daran, dass die Naturfasern in den
Kunststoffen verhältnismäßig kurz sind.
Schnabel begann, mit 1,5 cm bis 2 cm langen Hanffasern zu experimentieren.
Zusammen mit Spezialisten der Badischen Faserveredelung GmbH in Malsch
tüftelte er ein Verfahren aus, mit dem die Fasern für den Spritzguss vorbereitet
werden können: Wie auf einer Backstraße wird eine Matte aus losen Hanffasern
mit Polypropylen-Granulat und Wachs bestreut. Am Ende der Straße macht die
Maschine daraus Pellets.
Im Extruder der Spritzgussanlage werden die Pellets aufgeschmolzen. Dabei
zerfließt das Wachs, das als Schmelzhilfe für den Kunststoff dient. Im
Polypropylen schwimmen nun die langen Hanffasern und richten sich bis zum
Auslauf des Extruders in Längsrichtung aus.
Foto: U. Schnabel/Hib Trim
Am besten eignet sich Hanf, der nach der
Ernte ein paar Wochen auf dem Feld
liegen geblieben ist und schon eine
gewisse Verrottung oder eine ‚mittlere
Röstung‘ aufweist, wie Experten sagen. In
diesem Stadium haben die Fasern die
meisten ihrer Inhaltsstoffe verloren. Diese
würden ansonsten bei den hohen
Temperaturen im Extruder explosionsartig
ausgasen und die Verarbeitung stören.
Part Solutions
Nach dem Öffnen der Extruderdüse
verteilen sich die Naturfasern in
Fließrichtung im Spritzgusswerkzeug. In
der Spritzgussform kühlt die Masse an
den Wänden zuerst ab. „Dort liegen die
Fasern dann noch einigermaßen gerichtet“, erläutert Schnabel. Doch im Inneren
des Formteils würden sich die Fasern wirr verkrallen. Lange, stabile und verhakte
Fasern in der Kunststoffmatrix – das macht eine Schlagfestigkeit möglich, die man
bei den bislang bekannten Verfahren mit kurzen Naturfasern im Spritzguss nicht
erreichen konnte. „Bei einem Crash können sich die langen Fasern erst einmal
aus der Kunststoffmatrix herausziehen. Das erlaubt eine große Dehnung des
Materials“, erläutert der Werkstoffexperte. „Und sollte das Material doch brechen,
gibt es wegen der langen Fasern keine scharfen Kanten.“
Abdeckungen aus
Hanf-Kompositen lassen sich
einfärben und hochglänzend
lackieren.
Die Schlagfestigkeit des Hanf-Spritzgussmaterials ist nicht so hoch wie bei reinen
oder glasfaserverstärkten Kunststoffen. „Aber für die Anwendung im Fahrzeuginnenraum ist sie auf jeden Fall hoch genug“, meint Schnabel.
Hohe Schlagfestigkeit ist die eine Sache. Das Material ist aber auch 20 % leichter
als herkömmlicher Kunststoff. Damit können die Konstrukteure in den Formteilen
die Hälfte der Kunststoffe durch einen nachwachsenden Rohstoff ersetzen. Das
sind laut dem Geschäftsführer des Nova-Instituts, Michael Carus, rund 50 % mehr
als bei herkömmlichen Spritzgussverfahren mit Naturfasern.
Die Produktion von Hanf beansprucht nach Auskunft der Experten am
Nova-Institut nur einen Bruchteil der Energiemenge, die für synthetische
Kunststoffe aufzuwenden ist. Und auch bei der Verarbeitung der
Hanf-Kunststoffmischung lässt sich viel Energie sparen. Beim Spritzguss reiner
oder glasfaserverstärkter Kunststoffe müssten Techniker im Extruder eine
Temperatur von 240 °C bis 280 °C halten; für den Hanfspritzguss genügen
hingegen 140 °C bis 180 °C.
Bislang wird das Material der Hib Trim Part Solutions noch nicht in Autos
eingebaut. Laut Produktentwickler Schnabel ist nun ein Test bei einem
Automobilhersteller geplant.
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25.08.2015 11:42