Schwarzes Land – weißes Land

ALLIANZ GROUP
Journal
15
Deutsche Ausgabe 2 | 2015
20
Weitab von allem
Medizinische Versorgung
am Ende der Welt
Das Ende des Autos
Rollende Computer auf dem Vormarsch
Schwarzes Land –
weißes Land
Ibrahim
Die Allianz in Südafrika
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Allianz Journal 2/2015
Reuters | picture alliance/dpa | Children’s Hospital Trust | Shutterstock
Inhalt
I MP RE SSUM
Allianz Journal 2/2015
(Juni)
Zeitschrift für Mitarbeiter
der Allianz Gesellschaften
Herausgeber Allianz SE
Verantwortlich für
den Herausgeber
Emilio Galli-Zugaro
Chefredaktion
Frank Stern
Layout volk:art51
Produktion repromüller
Anschrift der Redaktion
Allianz SE
Redaktion Allianz Journal
Königinstraße 28
80802 München
Tel. 089 3800 3804
[email protected]
Das für die Herstellung
des Allianz Journals
verwendete Papier wird
aus Holz aus nachhaltiger
Waldbewirtschaftung
hergestellt.
15
20
48
In manchen Gegenden der Welt ist die medizinische Versorgung
auch heute noch so rudimentär wie zu Zeiten Albert Schweitzers
Sehnsucht nach Entmündigung? Das Google Car hat die Ära
der rollenden Computer eingeläutet
KURZ BERICHTET
4
Neues aus der Allianz Welt
G LO B A L
10 Erbe und Erneuerung
Die Allianz vor dem Neuanfang
13 Unbekannte Gewässer
Neue Gefahren für die Seeschifffahrt
15 Weitab von allem
Medizinische Versorgung am Ende der Welt
18 Unter Wasser
Wenn die Flut durch die Bilanz rauscht
S Ü DA F R I K A S PE Z I A L
32 »Tu was«
Delphine Maidou und die Geister
der Vergangenheit
38 Schwarzes Land, weißes Land
Jan Hofmeyr vom Institut für Gerechtigkeit und
Versöhnung über eine geteilte Gesellschaft
41 Kap der Tränen
Das Kinderkrankenhaus in Kapstadt
DEUTSCHLAND
20 Das Ende des Autos
Rollende Computer auf dem Vormarsch
24 Steinbock überm Gebirge
Slyrs: Whisky aus Bayern
28 Kein Platz für Hasardeure
Das Buch zur Allianz
30 Kratzer im Selbstbild
Unbequeme Fragen beim Public Dialog
ASIEN
44 Spiele, Punkte und Rabatte
Asien arbeitet an der digitalen Erfolgsformel
48 Zwischen Scharia und Moderne
Die Allianz in Brunei
MEINUNGEN
6
Leserbriefe
7
Die Welt aus den Fugen
Wolfgang Ischinger über globale Konflikte
und die Rolle des Westens
2
41
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Fluch der Armut: Von Verbrühungen und Verbrennungen sind in Südafrika
vor allem schwarze Kinder betroffen
Bislang erschien Brunei wie eine Mischung aus »Tausendundeiner
Nacht« und »Dallas«. Jetzt zieht der Sultan die Zügel an
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GESELLSCHAFT
52 Bis zur nächsten Katastrophe
Der Alarmismus in der Umweltdebatte früherer
Tage ist Gleichgültigkeit gewichen
55
Dilbert
3
Allianz Journal 2/2015
K U RZ
B ERI C H T E T
/ Droits réservés.
Document à caractère
Allianz IARD - Entreprise
régie par le Code des
assurances.
Société anonyme au
capital de 991 967 200
euros.
Siège social : 87, rue
de Richelieu - 75002
Paris. 542 110 291 RCS
Paris.
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Vogelperspektive: Die Allianz
Frankreich hat seit Februar fliegende
Gutachter im Einsatz
Als erster Versicherer in Frankreich schickt die Allianz Drohnen zur Schadenaufnahme
in den Einsatz. Seit Februar nutzt der Firmenbereich der Allianz France die fliegenden
Gutachter und ist nunmehr in der Lage, Schäden in unzugänglichen oder gefährlichen
Gebieten, etwa nach Überschwemmungen oder Erdrutschen, schnell in Augenschein
zu nehmen. Mit den Geräten können auch Gebäude, die nach einem Feuer vom Einsturz
bedroht sind oder Dächer nach einem Hagelschlag auf Schäden untersucht werden,
ohne dass die Gutachter dafür irgendwelche Risiken eingehen müssen. Auf gefährliche
Kletterpartien oder schweres Gerät wie Hebebühnen, die bislang zum Einsatz kamen,
kann damit künftig verzichtet werden.
Club Marine auf Rettungsmission
Noch während im April einer der schwersten Wirbelstürme des letzten Jahrzehnts an
Australiens Ostküste tobte, begann das Katastropheneinsatzteam von Club Marine mit
Sicherungsmaßnahmen und der Schadenaufnahme. Sofort, nachdem die ersten Meldungen
über das Unwetter eintrafen, waren Einsatzkräfte von Australiens größtem Boots- und
Yachtversicherer in den am schwersten betroffenen Regionen nördlich von Sydney unterwegs, um beschädigte Boote zu registrieren und Bergungsmaßnahmen einzuleiten. Eine
Woche nach dem verheerenden Unwetter, bei dem vier Menschen ums Leben kamen,
hatten die Mitarbeiter der Allianz Tochter bereits 240 Schadenmeldungen bearbeitet und
55 Bergungsaktionen abgeschlossen.
Allianz Connect vor dem Start
In wenigen Wochen geht das neue
Intranet der Allianz Gruppe online,
das nicht nur als passive Informationsquelle dienen, sondern auch Zusammenarbeit und Austausch innerhalb der
Gruppe erleichtern soll. Der Zugang
zu Informationen und Arbeitsgruppen,
wie auch die Verbindung zu sozialen
Netzwerken innerhalb der Allianz soll
über die neue Plattform deutlich verbessert werden. Bei einer Befragung
zum Namen des Intranets hatte sich
zuvor eine deutliche Mehrheit für die
Bezeichnung »Allianz Connect« ausgesprochen.
Die Allianz Frankreich ist bei den Gold
Argus Awards des Branchenmagazins
Argus mit drei Goldmedaillen ausgezeichnet worden. Zwei davon gingen an
die Schadenabteilung der französischen
Allianz Tochter, unter anderem für den
innovativen Service für gehörlose Kunden
(siehe den Beitrag auf S. 5). Ebenfalls Gold
erhielt der Bereich Marktmanagement für
die Einführung eines Online-Tarifrechners
für Kfz- und Haushaltversicherungen.
Ludovic Pellegrini gewann mit seinem Allianz Symbol
den Wettbewerb
W W W.YO U T U B E .C O M/ WATC H ? v = a I u Fs7j P L f g
H T T P S :// W W W.YO U T U B E .C O M/ WAT C H ? v = A r71h S p d z w M
Die Allianz Bulgarien gehört zu den
stärksten Marken in Bulgarien. Einer Umfrage der Marktforschungsagentur Superbrands zufolge ist die Allianz Bulgarien im
Versicherungssegment die Nummer eins.
4
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stilisiertem Adler.
PERSONALIEN
Witold Jaworski, Chef der
Allianz in Polen, hat die Allianz
im Februar aus persönlichen
Gründen verlassen.
Ron Buchan, Chef von
Allianz Worldwide Care ist zum
31. März in den Ruhestand getreten. Seine Nachfolge trat Ida
Luka-Lognoné an, zuvor im
Exekutivkommittee von Allianz
Worldwide Partners für Strategie, Innovation and Marktmanagement zuständig.
Todor Todorov, zuvor Finanzchef der Allianz in der Slowakei,
hat die Nachfolge von Marek
Jankovic als Vorstandschef angetreten. Jankovic hat die Allianz
aus persönlichen Gründen
verlassen.
Manfred Knof ist im April an
die Spitze der Allianz Deutschland gerückt. Er folgte Markus
Rieß nach, der das Unternehmen verlassen hat.
W W W.C LU B M A R I N E .C O M . AU
Petros Papanikolaou, zuvor
Chef der Allianz Griechenland,
ist neuer Chef der Region Mittelund Osteuropa. Die Funktion des
Aufsichtsratsvorsitzenden der
Allianz Griechenland behält er
bei. Nachfolgerin wird Philippa
Michali, die bislang im Vorstand
der Allianz Griechenland für
Marktmanagement und das
Direktgeschäft zuständig war.
Club Marine
Außerdem ist die Allianz Italien vom
Magazin Milano Finanza für ihre digitale
Strategie und die Entwicklung einer
modularen Produktpalette als innovativste
Versicherungsgesellschaft des Landes
ausgezeichnet worden. Allianz ItalienChef Klaus Peter Roehler erhielt den Titel
»Elite-Versicherer des Jahres«.
Die Allianz Frankreich hat im Dezember letzten Jahres einen Schadenservice für gehörlose Kunden gestartet. Er ermöglicht ihnen,
über einen Videokanal direkt mit ebenfalls
gehörlosen Sachbearbeitern der Allianz in
Kontakt zu treten und per Zeichensprache
Schäden zu melden oder den Stand einer
Schadenbearbeitung abzufragen. Aktuell
umfasst das Pariser Gehörlosenteam vier Mitarbeiter. Parallel zur Einführung des neuen
Schadenservice hatte die Allianz Frankreich
in sozialen Medien dazu aufgerufen, ein Zeichen für »Allianz« in Gebärdensprache zu
entwickeln. Der Pariser Bibliothekar Ludovic
Pellegrini ging aus dem Wettbewerb als
Sieger hervor. Das von ihm kreierte Zeichen
- Crédit photo : Fotolia
Die Allianz Island zählt zu den finanzstärksten Unternehmen des Landes. Nach
einer Untersuchung des Branchendienstes
Creditinfo gehört die Allianz Tochter zu
den knapp zwei Prozent, die die Liste der
rund 34 000 in Island registrierten Firmen
anführen.
Die Allianz Italien ist zur besten Kfz-Versicherung unter zehn Versicherungsgesellschaften mit traditionellem Vertreternetzwerk gekürt worden. Laut einer Umfrage
im Auftrag von Corriere Economia schnitt
die italienische Gruppengesellschaft bei
der Kundenzufriedenheit in allen fünf
Kategorien – Produktangebot, Assistance,
Kommunikation, Preis-Leistungsverhältnis
und Schadenmanagement – am besten ab.
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Allianz France
Die Überflieger
Allianz France
AU S G E ZEI C HN E T
Schadenservice für Gehörlose
Ceci n’est pas
I N T R A N E T@A L L I A N Z .C O M
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K U RZ
B ERI C H T E T
Meinungen
Tapan Singhel nahm den Preis für Erfolge im Mitarbeitergeschäft entgegen
picture alliance / dpa
Bei den diesjährigen Global Innovation Awards, die im März auf
dem Allianz International in München vergeben wurden, ging Allianz
Worldwide Care (AWC) in der Kategorie Digitalisierung mit ihrer
My Health Mobile App als Sieger hervor. AWC setzte sich mit ihrer
Anwendung gegen 17 andere Allianz Gesellschaften durch. Für die
herausragende Zusammenarbeit zwischen lokalen und globalen
Einheiten bei der Entwicklung eines länderübergreifenden Versicherungsprogramms für Fahrzeugflotten wurde die Allianz Großbritannien ausgezeichnet. Hier hatte es neun Bewerbungen aus sieben
Ländern sowie von den globalen Einheiten Euler Hermes und Allianz
Global Investors gegeben. Und beim erstmals vergebenen Preis für
besonders erfolgreiche Initiativen im Mitarbeitergeschäft ging die
indische Sachversicherungsgesellschaft Bajaj Allianz aus einem Feld
von zwölf Anwärtern als Sieger hervor.
Allianz
Global Innovation Awards 2015
ALLIANZ GROUP
Journal
International Edition 1 | 2015
12
46
Leserbriefe
“I’ve become more cautious”
Allianz boss Michael Diekmann takes stock
Europe’s soul
A continent in crisis mode
»Wohin, wohin soll ich mich wenden?«
Eine Lanze für Juristen
Mani Pillai von der Allianz UK in London zum Titelbild des
letzten Allianz Journals: Es passiert nicht alle Tage, dass mich
ein Versicherungsmagazin an den viktorianischen Poeten Robert
Browning erinnert. Aber als ich die letzte Ausgabe des Allianz
Journals auf meinen Schreibtisch bekam, murmelte ich unwillkürlich die Zeilen: »Wohin, wohin soll ich mich wenden?« Robert
Browning lebte und starb in Italien, also ist es wahrscheinlich
ganz passend, dass er mir in den Sinn kam, als ich die letzte
Ausgabe vor mir liegen hatte.
Hans-Peter Martin von der Allianz Deutschland in
München geht auf den Artikel im letzten Journal zum
Wechsel von Axel Theis in den Allianz Vorstand ein und
bricht eine Lanze für Juristen: Wie darf ich denn Ihre Aussage
im aktuellen Allianz Journal auf Seite 16 verstehen, dass es »ausgerechnet« (?!) ein Jurist war, der das Industriegeschäft in die
Gewinnzone brachte? Trauen Sie das einem Juristen nicht zu?
Gestatten Sie mir die Bemerkung, dass es der Allianz, solange
sie überwiegend von Juristen geführt wurde, so gut ging, dass
immerhin der heutige Konzern aufgebaut werden konnte.
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03.02.2015 15:09:24
Zu anstößig
6
Russland auf Konfrontationskurs, Terror im Nahen und Mittleren Osten, Klimawandel und die
wachsende Kluft zwischen Arm und Reich – gerät die Welt gerade aus den Fugen? Für den
Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und früheren deutschen Botschafter in den USA,
Wolfgang Ischinger, ist die Lage ernst aber nicht aussichtlos – vorausgesetzt der Westen lernt
aus seinen Fehlern.
M ICHA EL G RIM M
Herr Ischinger, in dem Politmagazin Foreign Affairs haben Sie kürzlich geschrieben, dass sich die Welt nach nichts mehr
sehne, als nach Ordnung. Trauern Sie der
Stabilität des Kalten Krieges nach?
Im Augenblick müssen wir die Sorge haben,
dass bestehende Ordnungen zerfallen, neue
Ordnungen nicht oder noch nicht sichtbar
werden und Ordnungsmächte ihre bisherigen Aufgaben nicht mehr in dem früheren
Umfang wahrnehmen. Das ist die Diagnose.
Sollte man deshalb aber der Stabilität des
Kalten Krieges nachtrauern? Die Antwort
lautet klar: nein. Die Stabilität des Kalten
Krieges war eine Scheinstabilität, die weder
moralisch, noch militärisch, noch politisch
wirkliche Stabilität geboten hat. Wie wir inzwischen aus der Geschichtsschreibung wissen, haben wir den Kalten Krieg nur mit viel
Glück überlebt. Nur aufgrund der Verkettung
glücklicher Umstände ist es nicht zur großen
Katastrophe gekommen. Diese Stabilität
wünsche ich mir in der Tat nicht zurück.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz
2015 stand im zweiten Jahr in Folge die
Shutterstock
Auch Joannica Dass von der Allianz Malaysia in Kuala Lumpur
beschäftigte besonders das Titelbild: Ich schreibe wegen des
Titelfotos im letzten Journal. Viele Kollegen hier freuen sich immer
darauf, das Journal zu lesen. Das war diesmal nicht anders.
Allerdings sorgte das Titelfoto hier in Malaysia doch für einiges
Stirnrunzeln. Auch wenn die Statue ein Kunstwerk ist, ist es vor
unserem asiatischen und malaysischen Hintergrund doch etwas
anstößig. Wir schätzen Kunst auf andere Art.
Die Welt aus den Fugen
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Ukraine im Mittelpunkt. Ist die UkraineKrise als Menetekel für die Weltordnung
zu verstehen?
Die Lehre aus der Ukraine-Krise ist, dass Weltordnung regionale Ordnung voraussetzt. In
unserem Beispiel geht es um eine europäische
Sicherheitsarchitektur, die nicht nur das Gebiet
der NATO umfassen darf, sondern die natürlich
auch Russland und andere frühere Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts einschließen
muss. Diese regionale Ordnung zu schaffen,
ist die zentrale Aufgabe in Europa. Im Nahen
und Mittleren Osten muss die überhaupt erst
7
M EI NUN G E N
»Die Zweifel am westlichen System sind gewachsen.«
Wolfgang Ischinger
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion musste sich Russland auf der
weltpolitischen Bühne neu definieren.
Hat der Westen Russlands Frust über
den eigenen Bedeutungsverlust unterschätzt?
Jein. Der Zerfall der Sowjetunion ist nun wirklich nicht vom Westen verschuldet worden.
Dieses System ist aus sich heraus kollabiert.
Die Vorgänge hat der Westen damals eher
mit Sorge verfolgt. Heute propagieren in
Russland manche die These, der Westen sei
an allem schuld, nicht nur an Einkreisungsversuchen in der neueren Zeit, sondern auch
am Zerfall der Sowjetunion. Das ist falsch. Ich
glaube, dass wir den Phantomschmerz, der
in Moskau nach dem Verlust des Imperiums
empfunden wurde, nicht in all seinen Auswirkungen verstanden haben. Dazu gehört
auch das Bedürfnis, sich mit Pufferstaaten zu
umgeben, um sich sicher zu fühlen. Das ist
ein Konzept aus dem 19. Jahrhundert, dem
Russland aber heute wieder mehr denn je
zu vertrauen scheint. Ja, das haben wir nicht
ernst genug genommen.
Kürzlich hat der US-Außenminister
Moskau besucht. Auch das Rote Telefon
ist wieder in Betrieb. Wie deuten Sie
diese Annäherungsversuche?
Das Grundproblem ist ein eklatanter Vertrauensverlust auf beiden Seiten. Vertrauen
wieder aufzubauen, ist ein langwieriger
Prozess. Das lässt sich nicht durch ein, zwei
8
Sonntagsreden herbeizaubern, sondern
das muss praktiziert werden. Es ist wichtig,
dass der Westen jede Gelegenheit nutzt,
um Moskau zu signalisieren, dass unsere Tür
geöffnet bleibt; dass wir uns nicht einlassen
wollen auf eine dauerhaft feindselige Atmosphäre; dass wir bereit sind, über die Grundprinzipien eines – um es mit den Worten
Gorbatschows zu sagen – Zusammenlebens
in einem gemeinsamen Haus Europa weiter
gemeinsam nachzudenken.
ein Konflikt zwischen Staaten oder Staatengruppen. Im 21. Jahrhundert geht die Zahl
von Opfern klassischer Kriege immer weiter
zurück. Soweit die gute Nachricht. Die
schlechte ist, dass die Zahl andersartiger
Konflikte zunimmt. Damit meine ich Konflikte innerhalb eines Staatsgebiets, in dem
sich ethnische, politische oder religiöse
Gruppen bekriegen. Denken Sie an Afghanistan, Jemen, Syrien, Irak, Sudan, Somalia.
Sie können die Liste beliebig verlängern.
Aber das setzt voraus, dass sich alle an
eine gewisse Hausordnung halten.
Richtig. Dennoch habe ich persönlich es für
einen Fehler gehalten, Russland aus dem
G-8-Kreis auszuschließen. Ich würde mich
wohler fühlen, wenn Putin trotz aller Probleme auf dem Gipfeltreffen auf Schloss Elmau
dabei wäre, damit die anderen G-8-Mitglieder
ihm sagen könnten, welche Erwartungen sie
an ihn haben, und wie man gemeinsam an
einer regionalen und globalen Ordnung arbeiten könnte. Ihn auszuschließen, habe ich vor
einem Jahr schon nicht für sinnvoll gehalten,
und ich halte es jetzt für noch weniger sinnvoll. Insofern sind solche bilateralen Gesprächsangebote und Wiederanknüpfungsversuche,
wie sie jetzt von amerikanischer und deutscher Seite unternommen werden, genau das
Richtige und Notwendige.
Wie können solchen Konflikte verhindert
oder beendet werden?
Nicht mit Panzern. Wir erleben eine Entwicklung hin zu hybriden Formen des Krieges
mit stärkerer Betonung von Propaganda und
dem Einsatz modernster Kommunikationsmittel. Unser klassisches Instrumentarium,
auch das Instrumentarium der Vereinten Nationen, war eigentlich dafür gedacht, Kriege
zwischen Nationen zu verhindern oder einzudämmen. Diese neue Form von Konflikten
innerhalb von Staaten besser in den Griff zu
kriegen, ist bisher nicht gelungen.
Neben der Ukraine gibt es derzeit eine
Vielzahl weitere Krisenherde. Versinkt
die Welt in Gewalt und Chaos, oder
täuscht die digitale Medienschwemme
darüber hinweg, dass die Welt seit Ende
des 2. Weltkriegs eigentlich friedlicher
geworden ist?
Wir erleben einen Paradigmenwechsel, was
die Natur der Konflikte angeht. Der klassische
Konflikt, der im 19. und 20. Jahrhundert viele
Millionen Menschenleben gekostet hat, war
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Angesichts von islamistischem Terror
und von Bürgerkriegen – ist die Interventionspolitik des Westens gescheitert?
Zunächst einmal ist es wichtig, dass wir uns
nicht überheben. Es liegt leider nicht in der
Macht des Westens, Konflikte wie derzeit
im Irak oder in Syrien oder auch in anderen
Staaten dieser Region mit einer klassischen
Therapie der Prävention oder der Konfliktbeendigung zu bewältigen. Die zentrale
Lehre aus den Interventionen der vergangenen 15 Jahre, und insbesondere jener der
Ära Bush, lässt sich als Frage formulieren:
Haben wir jenseits eines militärischen Eingreifens ein politisches Konzept, das zu
einem dauerhaften friedlichen Zustand in
dem betreffenden Land führt? Oder kann
unsere Intervention, Beispiel Libyen, das Land
in ein nicht beherrschbares Chaos stürzen?
Das Urteil über die Interventionspolitik des
Westens ist kein sehr positives. Ich persönlich
ziehe daraus den Schluss, dass man sich noch
viel stärker als in der Vergangenheit gründlich
überlegen muss, bevor man auf den Knopf
drückt. Ich will damit nicht dem Pazifismus
das Wort reden. Interventionen können notwendig sein, aber dann müssen sie auch in ein
Konzept eingebettet werden, das politische,
ökonomische und soziale Elemente enthält.
Wenn wir ein solches Konzept für Libyen
gehabt hätten, wäre es jetzt möglicherweise
ein stabiles Ölförderland und nicht in einem
grauenhaften Chaos gefangen.
Gibt es ein Beispiel, in der eine Intervention des Westens derart durchdacht
und damit erfolgreich war?
In Tunesien wurde der langjährige Diktator
vertrieben. Es kam auch zu einem bürgerkriegsähnlichen Aufstand, doch heute gilt
das Land als eines der ganz wenigen Pilotprojekte für die Etablierung demokratischer
Strukturen. Hier muss die Lehre lauten: Wenn
es solche einzelnen Erfolgsbeispiele gibt, dann
muss doch der Westen, insbesondere die EU,
alles tun, damit sie von dauerhaftem Erfolg
getragen werden. Wenn man der muslimischarabischen Welt vor Augen führen könnte, wie
erfolgreich das tunesische Modell ist, das wäre
ja schon mal was. Solche Modelle zu unterstützen, ist wahrscheinlich erfolgversprechender, als überall dort, wo es im Augenblick zu
knarren scheint, zu intervenieren.
Im Rahmen des diesjährigen G-7-Treffens
wurde auch über den Klimawandel als
möglichem Krisenfaktor diskutiert.
Welche Folgen für Sicherheit und Frieden
könnten von ihm ausgehen?
privat
einmal konzipiert, und im Fernen Osten auf
eine neue Grundlage gestellt werden. Durch
den rasanten Aufstieg Chinas zur Weltmacht
haben sich dort die regionalen Gewichte
verschoben. Oberste Priorität ist es, regionale
Ordnungsstrukturen zu schaffen und zu stabilisieren. Daraus lässt sich dann hoffentlich eine
neue globale Gesamtordnung ableiten.
Wolfgang Ischinger
Der Klimawandel führt zu erheblichen
Veränderungen der Lebensbedingungen in
vielen Teilen der Welt. Häufig wird nur an die
Gefahr des Meeresspiegelanstiegs gedacht.
Es geht aber auch um Versteppung und
die Ausbreitung von Wüstengebieten einerseits und um durch Unwetter verwüstete
Landschaften andererseits. Diese Ereignisse
werden Migrationsströme auslösen. Der
Klimawandel ist eine genauso große strategische Herausforderung für regionale und
globale Sicherheit wie etwa der demographische Wandel.
Das Bevölkerungswachstum auf dem afrikanischen Nachbarkontinent birgt für Europa
nicht nur große Chancen, sondern auch
große Herausforderungen. Nach den heute
vorliegenden Berechnungen wird die Bevölkerung Afrikas demnächst diejenige von
China und Indien zusammengenommen
übertreffen. Wir rechnen mit drei Milliarden
Afrikanern. Die Flüchtlingsströme, die derzeit
aus Libyen übers Mittelmeer kommen, sind
nur der Anfang. Sind wir darauf vorbereitet?
Haben wir eine schlüssige EU-Afrikapolitik?
Die Zweifel am westlichen liberalen System
und unserer Werteordnung sind in den
letzten Jahren und Jahrzehnten gewachsen,
weil wir nicht mehr die früheren Wachstumsrekorde erreicht haben. Wachstum
wird heute in autoritären Regimen wie in
China in eindrucksvollerer Weise erzielt als
bei uns. Es ist die größte Herausforderung
für Europa und den Westen, die Idee der
Menschenrechte hochzuhalten. In dem Maße,
in dem Hunderte von Millionen Menschen in
China, Indien und anderen Teilen der Dritten
Welt in den Mittelstand aufsteigen, wird
auch der Freiheitsanspruch der Menschen
in diesen Ländern wachsen. Darum wird
sich die westliche Sichtweise auf die Rechte und Würde jedes Einzelnen langfristig
durchsetzen, vorausgesetzt wir verteidigen
diese Werte so, dass sie von anderen nicht
als Angriff, sondern als Angebot betrachtet
werden. Ich bin zuversichtlich, dass man diese Herausforderung bewältigen kann, wenn
wir unseren Werten, wenn wir der Idee des
Westens treu bleiben.
Wo sehen Sie im Moment die größte
Herausforderung für den Westen und
seine Werte?
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9
Global
Es war die vorweggenommene
Staffelübergabe: Ende März trat
Michael Diekmann das letzte Mal in
seiner Funktion als Vorstandschef
beim Allianz International auf, um
dann das Podium für seinen Nachfolger Oliver Bäte freizumachen.
Der führte der Allianz Führungsriege
die dramatischen Veränderungen
im aktuellen Geschäftsumfeld vor
Augen – und die Chancen, die sich
daraus ergeben.
Erbe und
Erneuerung
Als Oliver Bäte seinen Vortrag über »Erbe und Erneuerung« im Münchner Allianz Auditorium beendet hatte,
war jeder der über 200 Allianz Manager ziemlich genau
darüber im Bilde, welche Herausforderungen in den
nächsten Jahren auf die Gruppe zukommen werden. Mit
dem Wechsel an der Spitze des Unternehmens eröffne
sich für die Allianz die Gelegenheit zu einem Neuanfang,
hatte der scheidende Vorstandschef Michael Diekmann
die Linie zuvor bereits angedeutet: »So etwas gibt es nur
alle zehn Jahre.«
10
In einem solchen Umfeld müsse man schnell auf Veränderungen reagieren und Lösungen umsetzen – ohne
Angst davor zu haben, Fehler zu machen. »Wir müssen
unternehmerischer denken und bereit sein, auch Risiken
einzugehen«, sagte Bäte. In den Wochen und Monaten
zuvor hatte sich der gebürtige Rheinländer die Zeit zum
Zuhören genommen, um aus erster Hand zu erfahren,
wie Mitarbeiter und Kunden, Investoren und Vertreter
von Politik, Medien, Verbänden und Aufsichtsbehörden
die Allianz einschätzen und was sie in Zukunft von ihr
erwarten. »Wir sind eine herausragende Gesellschaft«,
fasste Bäte das Meinungsbild zusammen. Wie kaum
ein anderer Finanzdienstleister habe die Allianz die Krisen der letzten Jahre bewältigt, verfüge über eine starke
Kapitalbasis, über engagierte Mitarbeiter und eine der
zugkräftigsten Marken in der Branche. Allerdings befinde
sich die Welt aktuell in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess, der Risiken beinhalte aber auch Chancen mit
sich bringe. Hauptaufgabe werde es sein, die sich daraus
ergebenden Chancen zu nutzen.
Und da geht es nicht nur um Digitalisierung, wenngleich das Thema die traditionellen Geschäftsmodelle
von Grund auf verändern wird. Digitalisierung ohne
Kulturwandel innerhalb des Unternehmens wird nach
Bätes Überzeugung nicht ausreichen. Über Erfolg oder
Misserfolg entscheide künftig nicht zuletzt die Frage, ob
die Sicht des Kunden zum obersten Handlungsmaßstab
gemacht wird; ob er sich umfassend und kostengünstig
betreut fühlt, und ob er rund um die Uhr mobil auf die
Angebote zugreifen kann.
Das traditionelle Versicherungsmuster verschiebt sich
gerade massiv, wie der Chef der Allianz Großbritannien,
Jon Dye, vor den AZI-Teilnehmern deutlich machte. »In
der Vergangenheit begann eine Kundenbeziehung in der
Regel mit einer Kfz-Police, und von da aus baute man sie
weiter aus. Vielleicht müssen wir in der neuen Welt mit
der Versicherung des Smartphones anfangen.«
Ein Trend, auf den auch Oliver Bäte hinwies: »Wachstum
findet künftig außerhalb unserer bisherigen Schwerpunktfelder statt.« Wer daran teilhaben wolle, dürfe sich nicht
mit durchschnittlichen Leistungen begnügen. Bäte: »Gut
Allianz
Sein Nachfolger erläuterte anschließend, warum ein
Neuanfang für die Allianz zwingend notwendig ist. Wer
in der Welt von heute mit ihren immer kürzeren Erneuerungszyklen bestehen wolle, habe keine andere Wahl,
als sich im gleichen Tempo mit ihr zu verändern, erklärte
Oliver Bäte und machte das an einem Beispiel deutlich:
Es habe 110 Jahre gedauert, bis eine Milliarde Menschen
auf der Erde ein Telefon hatten. Es dauerte 22 Jahre, bis
eine Milliarde über Handys verfügten; und es vergingen
gerade mal acht Jahre, bis die gleiche Zahl an FacebookNutzern erreicht war.
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GLOBAL
Unbekannte Gewässer
»Wir müssen bereit sein,
Risiken einzugehen.«
Oliver Bäte
ist nicht gut genug.« Die Kunden müssten in den angebotenen Dienstleistungen einen deutlichen Mehrwert für
sich erkennen. Nur jene Unternehmen, die dies gewährleisten, würden in der Zukunft eine Rolle spielen.
Dass sich bei der Allianz in dieser Hinsicht bereits einiges
tut, zeigten die Präsentationen zahlreicher AZI-Teilnehmer
in München. Ob Allianz Global Investors oder Allianz
Worldwide Care, ob die Ländergesellschaften in Großbritannien, Italien oder Australien – überall laufen derzeit
Programme, mit denen sich die Gruppe für die digitale
Welt fit machen will. Doch die insgesamt gute Ausgangsposition dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass
auch die Allianz in dem sich schnell und fundamental
ändernden Umfeld mit ernsthaften Herausforderungen
konfrontiert sei, sagte Bäte.
beide Fotos: Allianz
So werden derzeit noch 95 Prozent der Einnahmen über
klassische Vertriebskanäle erwirtschaftet; 70 Prozent der
Lebensversicherungsprämien hängen an traditionellen
Produkten; 60 Prozent des operativen Gewinns stammen
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aus Kapitalinvestments – in einem Niedrigzinsumfeld
wie momentan durchaus ein Grund zur Sorge. Genauso
wie die teilweise noch mangelnde Kooperation zwischen
den Allianz Gesellschaften untereinander sowie mit den
global operierenden Einheiten – ein Umstand, auf den sowohl Michael Diekmann als auch Personalchef Christian
Finckh hinwiesen.
Neben der engeren Zusammenarbeit sieht Bäte einen
Wandel in der Unternehmenskultur für den künftigen
Erfolg als ausschlaggebend an. Sie müsse auf erbrachter
Leistung aufbauen statt auf Titeln und Besitzständen,
sagte der neue Vorstandschef. Davon hänge auch das
Engagement der Mitarbeiter ab. Vor allem in den großen
Gruppengesellschaften sieht er auf diesem Gebiet noch
einigen Nachholbedarf.
Im September will Oliver Bäte die Führungsriege der
Allianz Gruppe zu einem zweiten AZI in München versammeln. Bis dahin sollen Maßnahmen entwickelt werden,
mit denen sich die jeweiligen Ländergesellschaften wie
auch die Gruppe als Ganzes auf die Herausforderungen
der nächsten Jahre einstellen. »Es ist ein Prozess, in dessen
Verlauf wir gemeinsam einen Fahrplan entwickeln, Handlungsschwerpunkte definieren und ab Ende des Jahres in
die Praxis umsetzen werden«, wandte sich Bäte an seine
Kollegen. »Ich trage dabei Verantwortung, aber ein großer
Teil entfällt auch auf Sie. Nur gemeinsam können wir die
Chancen der Zukunft ergreifen.«
Michael Diekmann
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Oliver Bäte
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Shutterstock
2014 meldete die Seefahrtsbranche den Totalverlust von 75 großen
Schiffen – die geringste Zahl seit zehn Jahren. Doch der jüngste Report
von Allianz Global Corporate & Specialty zur Sicherheit auf den Weltmeeren warnt vor neuen Gefahren.
F RA N K ST ERN
Auf einem Schiff kann einiges schiefgehen. Keiner dürfte
das besser wissen als der Kapitän eines Frachters, der
seit vielen Jahren auf den Großen Seen Nordamerikas
unterwegs ist und in der Vergangenheit in 19 Havarien
verwickelt war – allein sechs davon im Jahr 2013. Und es
war so gut wie alles dabei: vom Feuer an Bord bis zum
Maschinenausfall, vom Bruch der Ruderanlage bis zur
Kollision mit einem Baumstamm. Mehr Pech geht nicht.
Insgesamt aber – das zeigt der jüngste »Safety and
Shipping Review 2015« von Allianz Global Corporate &
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Specialty (AGCS) – ist die Sicherheit auf den Seewegen
gestiegen. Von den rund 100 000 größeren Schiffen,
die heute die Weltflotte ausmachen, gingen im vergangenen Jahr nur 75 verloren, mehr als die Hälfte davon
Frachtschiffe und Fischereifahrzeuge. 2013 hatte die
Branche weltweit noch 110 Totalverluste gemeldet.
Ungeachtet dieser Entwicklung macht der Bericht
deutlich, dass längst nicht alle Gefahrenherde unter
Kontrolle sind – und am Horizont bereits neue auftauchen: kleinere Mannschaften auf immer größeren
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Allianz Journal 2/2015
GLOBAL
Es gibt Gegenden in der Welt, wo man bei Unfall oder Krankheit
auch heute noch ziemlich schlechte Karten hat. Seit diesem Jahr bietet
die Allianz Unternehmen die Möglichkeit, ihre Mitarbeiter auch in den
entlegensten Regionen medizinisch professionell zu versorgen.
Regionen mit den meisten Totalverlusten
Schiffen, der Ausbau elektronischer Steuerungshilfen,
die das Navigieren sicherer machen sollen, aber auch
als Einfallstor für Hackerangriffe dienen können, und
das Vordringen in arktische Gewässer.
2
96
6
56
35
3
Alle anderen
Regionen
2
158
163
7
12
82
3
3
Kam es 2005 zu lediglich drei Schiffsunglücken in der
Arktis, waren es 2014 schon 55. 14 Schiffe liefen auf Grund,
zwei gingen unter. Der im vergangenen November von
der Internationalen Maritimen Organisation (IMO) beschlossene Polar Kodex soll ab 2017 für alle Reedereien,
die in arktischen und antarktischen Gewässern operieren,
verbindliche Sicherheitsstandards festschreiben.
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41
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F RA N K ST ERN
253
35
3
293
Zwischen 1. Januar 2005 und 31. Dezember 2014
Zwischen 1. Januar und 31. Dezember 2014
17
Zehn-Jahres-Tief
200
149
154
Ist dies derzeit lediglich für einen relativ exklusiven
Club von Reedereien von Belang, so ist der zunehmend
vernetzte Schifffahrtssektor von der Gefahr durch Cyberangriffe insgesamt betroffen. Wenn man bedenkt, dass
rund 90 Prozent des globalen Warenverkehrs über See
abgewickelt werden, so lassen sich die Schadendimensionen erahnen, die ein ferngesteuerter Sabotageakt
haben könnte. Die AGCS-Studie beschreibt mögliche
Szenarien, bei der Hacker automatisierte Abläufe in Hafenterminals manipulieren oder in die Steuerung von Schiffen
eingreifen.
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149
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121
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50
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
Ursachen für Totalverluste
Anzahl der Verluste
1 Sonstiges
2 Kollision
Sorge bereitet den Experten der AGCS auch der Trend zu
immer größeren Schiffen. Aktueller Rekordhalter ist die
im Januar in Dienst gestellte MSC Oscar der schweizerischitalienischen Reederei MSC. Rund 400 Meter lang und
58 Meter breit kann sie 19 224 Standard-Container transportieren. Experten rechnen damit, dass 2018 bereits
Megaschiffe mit bis zu 22 000 Containern die Weltmeere
befahren werden. Sollte so ein Riese auf Grund laufen
und sinken, könnten die Verluste leicht die MilliardenDollar-Grenze überschreiten, warnt der AGCS-Report.
3 Maschinenschaden
3 Schaden am Schiffsrumpf
4 Brand/Explosion
49 Gesunken
13 Aufgelaufen/gestrandet
picture alliance / dpa
Quelle: Lloyd’s Intellligence Casualty Statistics. Analysis: AGCS
Übertrieben? Bei der Costa Concordia, einem Passagierschiff, das 2012 vor der italienischen Küste auf Grund lief,
summierten sich Schäden und Bergungskosten am Ende
auf rund zwei Milliarden Dollar.
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Weitab von allem
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Die Welt ist bis in den letzten Winkel vermessen, kein
Ort, an dem der Mensch seinen Fuß noch nicht hingesetzt hätte. Und doch gibt es Gegenden, wo sich der
Stand der medizinischen Versorgung kaum von dem
unterschiedet, den Albert Schweitzer vorfand, als er vor
über 100 Jahren in Afrika sein Urwaldhospital eröffnete.
Das schreckt Wirtschaftsunternehmen allerdings nicht
davon ab, auch in den unwirtlichsten Regionen der Erde
ihre Pflöcke einzuschlagen. Für die medizinische Ver-
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sorgung ihrer Mannschaften heuern sie oftmals Spezialfirmen an. Seit diesem Jahr zählt auch die Allianz dazu.
Wurde früher bei der Erschließung neuen Terrains
eher auf Verschleiß gefahren – beim Bau des Panamakanals etwa starben über 25 000 Arbeiter –, so nehmen
Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten zur medizinischen
Versorgung ihrer Mitarbeiter heute weitaus ernster. Was
sich in schwer zugänglichen oder unterentwickelten
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Stern
GLOBAL
Gebieten zuweilen allerdings recht schwierig gestalten
kann, wie Doug Stevens aus eigener Erfahrung weiß.
Stevens ist Arzt und war im Auftrag eines führenden
Anbieters für medizinische Dienstleistungen jahrelang
in Afrika und Asien unterwegs. Seit letztem Jahr gehört
der gebürtige Südafrikaner zum Allianz Team, das von
München aus das neue Geschäftsfeld Corporate Assistance steuert.
Vom Zelt bis zum Container
Zu den Angeboten, die Stevens und seine Kollegen
derzeit für Unternehmen und Organisationen entwickeln, zählen die so genannten Remote Site Clinics;
kleine, flexible Einheiten, die an abgelegenen Orten die
medizinische Versorgung der dort eingesetzten Kräfte
übernehmen. Sie können kleinere Erkrankungen und
Verletzungen behandeln, einen Patienten im Notfall
aber auch so lange stabilisieren, bis er in ein gut ausgestattetes Krankenhaus transportiert werden kann.
Der Markt boomt. Laut McKinsey lag das Umsatzvolumen
im Bereich Corporate Assistance für Mitarbeiter im Auslandseinsatz im vergangenen Jahr bei 3,4 Milliarden Euro.
2018 könnte es bereits die Marke von fünf Milliarden erreichen. Als ein besonderes Wachstumsfeld hat das Allianz
Team den Öl- und Gassektor ausgemacht. »Vor den
Küsten Westafrikas und Brasiliens werden gerade etliche
neue Lagerstätten erschlossen«, sagt Christian SchmidEickhoff, der für das Markt- und Produktmanagement
des neuen Geschäftsbereichs zuständig ist. »Mit einigen
großen Förderfirmen sind wir bereits im Gespräch.«
Aber auch die Ausbeutung von Kupfervorkommen,
von Gold und Uran durch westliche Unternehmen im
Kongo oder der Zentralafrikanischen Republik eröffnen
Möglichkeiten.
Jeder Einsatzort – ob im Urwald, in der Stadt oder auf
der Bohrinsel auf hoher See – hat seine ganz eigenen
Anforderungen. Was genau gebraucht wird, um eine
angemessene Versorgung der Mannschaften sicherzustellen, wird zuvor akribisch untersucht: Wie sieht die
Infrastruktur in der Gegend aus; gibt es Zufahrtsstraßen
zum nächst gelegenen Krankenhaus; braucht man im
Notfall die Flugrettung; wie lange muss ein Patient im
schlimmsten Fall warten, bevor er ausgeflogen werden
kann? »Sind diese Fragen geklärt, wird das nötige medizinische Gerät beschafft und das Personal eingestellt«,
erläutert Stevens das Vorgehen.
Christian Schmid-Eickhoff und Doug Stevens entwickeln das neue Geschäftsfeld Corporate Assistance
für den Einsatz einer Hilfsorganisation im afrikanischen
Hinterland über die Container-Station mit einfacher Ausstattung auf dem Gelände einer Goldmine bis hin zur
Mini-Klinik mit Krankenzimmer, Röntgengerät und Labor
für Blut- und Urintests auf einer Ölplattform. Den Anforderungen entsprechend wird auch das Personal ausgewählt: Medizintechniker, Sanitäter, Schwestern, Ärzte.
Der Umfang der technischen Ausrüstung reicht – je nach
erforderlichem Versorgungsgrad – vom Rot-Kreuz-Zelt
Shutterstock
Im ewigen Eis
Auf Ölplattformen sind Mannschaften und medizinisches Personal
oft wochenlang im Einsatz, bevor sie abgelöst werden
Die Allianz steht mit ihrem Angebot noch ganz am Anfang und konzentriert sich derzeit auf westeuropäische
und US-amerikanische Unternehmen, die für ihre Mitarbeiter im Auslandseinsatz die medizinische Versorgung
sicherstellen wollen. Bis Ende des Jahres sollen fünf
Remote Site Clinics eingerichtet werden. Eine hat bereits
in der Fabrik eines deutschen Autoherstellers in Fuzhou
ihre Arbeit aufgenommen. »Selbst in Chinas Städten
ist die Krankenversorgung noch immer ein Problem«,
erklärt Schmid-Eickhoff. »Um ihren Expats einen vergleichbaren medizinischen Standard wie in der Heimat
zu garantieren, lassen Unternehmen deshalb eigene Kliniken auf ihrem Firmengelände im Ausland einrichten.«
Doug Stevens hat im Laufe seiner Karriere allerdings
schon schwierigere Fälle zu lösen gehabt. Als besonders
anspruchsvolles Terrain hat er die Mongolei in Erinnerung. Die Versorgung einer Goldmine mitten in der
Wüste Gobi, weitab von allem, sei ungemein aufwändig
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Allianz Journal 2/2015
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gewesen, sagt der Notfallmediziner: »Man kam nur mit
dem Hubschrauber dorthin, alles musste per Luftweg
transportiert werden.«
Ähnlich kompliziert, wenn auch aus anderen Gründen,
war sein Einsatz im westafrikanischen Sierra Leone kurz
nach dem Bürgerkrieg. »Keine Infrastruktur, das Land
bettelarm, die Straßen noch immer unsicher«, fasst er
seine damaligen Eindrücke zusammen. Doch die Minengesellschaft bekam wie vereinbart ihre Dschungelklinik.
Auch für das Münchner Allianz Team gibt es nur wenige
Regionen, wo es wegen unabsehbarer Risiken zurückzuckt. Libyen, wo alle staatlichen Strukturen zusammengebrochen sind, wäre im Moment so ein Fall.
Ansonsten aber gebe es kaum ein Gebiet, wo man
nicht etwas auf die Beine stellen könnte, versichern
Schmid-Eickhoff und Stevens unisono. Ob Telemedizin
zur Ferndiagnose von Erkrankungen auf hoher See,
ob Rettungsflüge von einem abgelegenen Bergwerk im
Kongo – nichts, was nicht zu organisieren wäre. Selbst
für wissenschaftliche Expeditionen ins ewig Eis ließe
sich die ärztliche Versorgung sicherstellen, sagt Stevens.
»Noch hat uns keiner gefragt – aber ja, auch das würden
wir hinkriegen.«
W W W. A L L I A N Z W O R L D W I D E C A R E .C O M
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Allianz Journal 2/2015
Roth
GLOBAL
Es gibt Jahre, da geht es relativ glimpflich ab. Und es gibt Jahre, da schwemmt eine Flutwelle
alle Kalkulationen der Versicherungsbranche den Bach runter. Bei der Allianz tüftelt man seit
geraumer Zeit an einem Rezept gegen die vorhersehbaren Überraschungen.
F RAN K ST E R N
Shutterstock
Markus Aichinger und Edzard Romaneessen
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Wasser ist eine der Naturgewalten, die die Assekuranz
immer wieder aufs Neue auf dem falschen Fuß erwischt.
2011 traf es Thailand und Australien, 2013 tauchte
Deutschland ab, 2014 war es England. Die Verluste für
die Versicherungswirtschaft waren immens, allein bei
der Allianz Deutschland lagen die Überschwemmungsschäden 2013 bei über 600 Millionen Euro. »Bislang ist
unsere Antwort nach so einem Desaster häufig die
Kündigung des Versicherungsvertrags«, sagt Markus
dann oft. Meist reift diese Erkenntnis, dass sich die Investition bezahlt machen könnte, erst dann, wenn ein paar
Jahrhundertfluten durch die Bilanzen gerauscht sind.
Aichinger vom Bereich Globale Schaden- und Unfallversicherung (Global P&C). »Dabei könnten wir uns gerade
in solch kritischen Situationen als Partner beweisen. Die
Instrumente dafür haben wir.«
ja, zu welchen Bedingungen. »Es fehlen häufig genaue
Informationen für eine exakte Prämienkalkulation«,
sagt Aichinger. »Wenn aber die Datenqualität schon am
Anfang unzureichend ist, sind böse Überraschungen
vorprogrammiert.«
Theoretisch zumindest. So gibt es auf dem Markt inzwischen ausgefeilte, geographische Informationssysteme,
die die Auswirkungen unterschiedlicher Überschwemmungsszenarien detailliert anzeigen. Gleicht man diese
Informationen mit den Daten von versicherten Objekten
ab, werden die Risiken und ihre eventuelle Häufung in
einer bestimmten Zone am Bildschirm sofort sichtbar,
und man kann rechtzeitig gegensteuern. »So ein System
kostet natürlich«, sagt Aichinger. Und daran scheitert es
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Woran es nach Ansicht des studierten Meteorologen
derzeit vielerorts mangelt, sind Instrumente, die den
Risikoprüfern vor Ort automatisch anzeigen, ob ein zu
versicherndes Objekt in einer Gefahrenzone liegt oder
nicht, ob man es versichern kann oder nicht, und wenn
Bei einem Treffen von Allianz Experten aus aller Welt im
Februar in München wurde deutlich, wie unterschiedlich
das Niveau beim Underwriting in den Tochtergesellschaften derzeit noch ist. Die Allianz in Australien etwa
hat nach den Erfahrungen im Jahr 2011 massiv in den
Aufbau eines geographischen Informationssystems
investiert, das ihr heute erlaubt, Risiken bis auf die Ebene
von einzelnen Grundstücken zu analysieren und Kunden
auf den jeweiligen Gefährdungsgrad abgestimmte
Prämienangebote zu unterbreiten.
Die Allianz UK, die bisher vor allem die Gefahren entlang der Küste und an Flussläufen auf dem Radar hatte,
bezieht inzwischen Starkregen und Untergrundwasser
in ganz Großbritannien in ihre Kalkulation mit ein. Auch
Allianz Töchter wie die in Irland, Polen, Tschechien oder
Deutschland stützen sich bei der Zeichnung von Risiken
bereits auf Geo-Analyse-Systeme. Viele andere Gesellschaften aber können beim Underwriting bislang auf
keinerlei Entscheidungshilfen zurückgreifen. »Entweder
zeichnen sie, was kommt, oder aber sie schließen ganze
Regionen pauschal vom Versicherungsschutz aus, weil
sie in einer möglichen Überschwemmungszone liegen«,
so Aichinger.
Wer aber über aussagekräftige Informationen verfügt,
kann selbst in Gegenden Versicherungsschutz anbieten,
die bislang als unversicherbar galten. »Wenn klar ist,
dass der Keller alle paar Jahre vollläuft, dann nehme ich
den halt aus der Deckung heraus«, sagt der Risikoexperte.
»Den Rest des Hauses kann ich dann zu vernünftigen
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Bedingungen versichern.« Und mehr als das. Mit entsprechendem Hintergrundwissen könnten Allianz
Underwriter für ihre Kunden zu echten Risikoberatern
werden, die ihnen sinnvolle Maßnahmen zur Gefahrenabwehr empfehlen: statt des Öltanks im Keller zum
Beispiel die Gastherme im ersten Stock, wo auch eine
Jahrhundertflut meist nicht hinreicht.
Mit einem geographischen Informationssystem käme
man einen großen Schritt weiter, sagt auch Edzard
Romaneessen, bei Global P&C für den Bereich Naturkatastrophen zuständig, doch die Ansammlung von
gefährdeten Objekten quer über die verschiedenen
Versicherungsbereiche hinweg hätte man damit noch
nicht im Blick. »Die Daten aus den einzelnen Sparten
müssten in einem Gesamtsystem zusammengeführt und
für den Underwriter zur Basis seiner Risikobewertung
gemacht werden, denn dort wird darüber entschieden,
ob das Geschäft am Ende profitabel ist oder nicht«, so
der Spezialist für Naturereignisse. »Wenn die Risiken
schon am Anfang nicht richtig durchkalkuliert sind, lässt
sich das später nicht mehr korrigieren.«
Erst die automatisierte Einbeziehung von Kumulrisiken
aller Sparten vor Ort wie auch der global operierenden
Einheiten, die in der Region unter Umständen Objekte
versichern, würde die aktive Steuerung des Versicherungsbestands der Gruppe erlauben. Underwriter
bekämen damit ein einfaches Instrument an die Hand,
das ihnen bei Eingabe einer Adresse unmittelbar zurückspielt, ob sie das Objekt versichern können, und wenn ja,
zu welchen Bedingungen. »Das wäre der Königsweg«,
sagt Aichinger. »Doch bis wir so weit sind, wird wohl
noch einiges Wasser die Isar hinabfließen.«
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Allianz Journal 2/2015
Deutschland
Die Babyboomer kennen sie noch, die Geschichten vom
Käfer, in dem man sein eigenes Wort nicht verstand, der
einen aber tapfer bis an die Atlantikküste trug; in den bei
Regen Wasser durch das verrostete Bodenblech drang
und bei dem im Winter die Windschutzscheibe zufror;
der einem aber auch das Gefühl von Unabhängigkeit und
Freiheit gab.
Das
Ende
des
Autos
Was werden künftige Generationen zu erzählen haben,
wenn sie ihren Kindern dereinst von ihrem ersten Auto
berichten? Wie sie per Car Sharing-App einen Wagen
geordert und dann Grand Theft Auto gespielt haben,
bis das führerlose Gefährt sie ans Ziel gebracht hatte?
»Sehnsucht nach Entmündigung« hat die Süddeutsche
Zeitung den aktuellen Hype um das »Smartphone auf
Rädern« genannt.
picture alliance / dpa
Man kann der Zeit der Asphalt Cowboys, die noch selbst
am Steuer saßen, natürlich nachtrauern wie die Alten einst
der Ära von Pferd und Kutsche. Am Siegeszug der rollenden Computer wird das aber kaum etwas ändern. Nicht
zuletzt, weil das neue Zeitalter weniger Unfälle, weniger
Schäden und weniger Verkehrstote verheißt. Die Frage ist
nicht mehr, ob sich das selbstfahrende Auto in den fließenden Verkehr einfädelt, die Frage ist nur noch, wann.
Es sieht nicht sehr beeindruckend aus, doch das Google Car hat das Ende des Autos eingeläutet, wie wir es kannten
Seit Google im vergangenen Jahr eine selbst fahrende Plastikkugel auf Testfahrt geschickt
hat, ist die Automobilindustrie in Aufruhr. Durchaus verständlich, schließlich läutete das
Google Car das Ende des Autos ein, wie wir es bisher kannten. Auch bei der Allianz stellt
man sich auf eine neue Ära ein.
F R A N K STE R N
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Reparaturkosten bei beschädigten Komponenten? Welche
Produkthaftungsrisiken kommen auf die Hersteller zu?
Welche Kompetenzen braucht eine Versicherung in
Zukunft, um Risiken adäquat abzuschätzen? Und welche
neuen Geschäftsmodelle könnten sich daraus für die
Assekuranz ergeben? Alles offen.
Genauso wie die Frage, wie man die Steuerung der
Hightech-Autos vor Hackern schützen könnte. Oder wie
sich die Flotte einer Car Sharing-Firma oder eines Taxikonkurrenten wie Uber versichern lässt. »Noch steht die
Versicherungsindustrie bei vielen Themen am Anfang«,
sagt Jacob Fuest, Leiter des AIC. »Aber wir sind dabei,
Lösungen für die Mobilität von morgen zu entwickeln.«
Dazu hat sich der Diplomkaufmann, der zuvor bereits
bei BMW, Daimler und Bosch Erfahrungen gesammelt
hat, ausgewiesene Experten aus der Automobilbranche
ins Boot geholt. Während ein Team mit den Herstellern
»hart am Blech« (Fuest) zusammenarbeitet, um bereits
lange vor dem Marktstart eines neuen Fahrzeugs passende Versicherungslösungen zu entwickeln, taucht ein
anderes in die Welt des vernetzten Fahrens ein.
Rabatt für Sonntagsfahrer
Fast zeitgleich mit Googles Jungfernfahrt gab Allianz
Global Automotive (AGA) die Gründung eines Intelligence
Centers (AIC) bekannt, mit dem sich die Allianz für die
automobile Neuzeit fit machen will. »Unser Ziel ist es,
uns stärker in die Wertschöpfungskette der Automobilindustrie zu integrieren und für Kunden und Hersteller
innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln«,
sagt AGA-Vorstand Matthias Wünsche. »Gleichzeitig
wollen wir für die Allianz zukunftsträchtige Geschäftsmodelle etablieren.«
Nach Einschätzung des Marktforschungsinstituts Gartner
werden 2020 weltweit bereits 250 Millionen vernetzte
Pkw auf den Straßen unterwegs sein, das wäre dann
jeder 5. Wagen. Schon heute ist die Technik in der Lage,
bei Unfall oder Panne automatisch Hilfe anzufordern und
Schadeninformationen an die Zentrale zu funken; auch
können Daten zur Fahrleistung und zur Fahrweise aufgezeichnet werden. In Zukunft wird es zudem möglich
sein, mit anderen Fahrzeugen, mit Ampelanlagen und
Verkehrsleitsystemen Informationen auszutauschen.
Automobilhersteller weltweit sehen sich gerade mit einem
massiven Wandel ihres Geschäftsmodells konfrontiert
und investieren Milliarden in die Zukunft: in neue Materialien und Antriebskonzepte, in selbststeuernde und
vernetzte Fahrzeuge, in neue Sicherheitssysteme, und
nicht zuletzt in neue Vertriebs- und Mobilitätskonzepte.
Kein Unternehmen, das derzeit nicht digital aufrüstet.
Doch was bedeuten die Neuerungen zum Beispiel für die
Voraussetzung dafür ist freilich, dass die Fahrer bereit
sind, ihre Daten mit Autoherstellern und Versicherern zu
teilen. Dann wären Modelle wie Pay-as-you-drive, bei
dem sich die Kfz-Haftpflichtprämie nach Dauer und Art
der Fahrzeugnutzung richtet, oder Pay-how-you-drive,
das die Umsichtigen belohnt, flächendeckend möglich.
In Italien und Großbritannien ist die personalisierte Police
bereits auf dem Markt. Die Autoindustrie sieht es gern:
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Allianz Journal 2/2015
© Steve Lagreca / Shutterstock.com
D EU T S C H L A ND
Volvo hat angekündigt, seine neuen Modelle bis 2020
technisch so auszustatten, dass sie unfallfrei durch den
Verkehr navigieren. Fünf Jahre noch. Die Assekuranz wird
reagieren müssen – mit neuen Versicherungsmodellen
zum Beispiel, die den Einbau von unfallvermeidenden
Assistenzsystemen honorieren, oder mit TelematikTarifen, die die Fahrweise in die Prämienkalkulation einfließen lassen. Wer regelmäßig eine Stuntbremsung
hinlegt, Kurven auf zwei Rädern nimmt oder mit 80
durch die Stadt brettert, müsste für die Haftpflichtprämie
tiefer in die Tasche greifen. Verkehrsexperten erhoffen
sich davon auch einen erzieherischen Effekt – insbesondere auf junge Verkehrsteilnehmer.
Das Automotive Intelligence Center (AIC)
Das Automotive Intelligence Center wurde 2014 ins Leben gerufen und
soll als zentrale Denkfabrik der Allianz für die Mobilitätskonzepte der
Zukunft fungieren. Derzeit besteht das AIC-Team aus neun Mitarbeitern,
darunter Ingenieure, Fachleute für vernetztes Fahren und Experten für
Mobilitätskonzepte. Die Einheit ist in drei Bereiche gegliedert:
• Telematics soll die Rolle der Allianz als Partner im Bereich des
vernetzten Fahrzeugs stärken, um gemeinsam mit der Automobilindustrie innovative Versicherungslösungen und neue Servicedienste
weltweit auf den Markt zu bringen
• Engineering ist für den Ausbau und die Internationalisierung
der technischen Zusammenarbeit und Geschäftsentwicklung mit
Automobilherstellern, z.B. im Bereich des automatisierten Fahrens,
zuständig
Car Sharing im Trend
Auto der Zukunft: Im Januar stellte Mercedes auf der Internationalen Automobilmesse
in Detroit sein futuristisches Forschungsfahrzeug F 015 vor
• Insights & Innovations soll Expertise rund ums Automobil aufbauen
und für die Allianz Gruppe bereitstellen und Innovationsthemen
bündeln
Attraktive Finanzierungs-, Leasing- und Versicherungspakete sind im hart umkämpften Kfz-Markt ein zusätzliches Verkaufsargument. Nebenbei lässt sich darüber
auch die Auslastung von Vertragswerkstätten steuern.
Auch neue Sicherheitssysteme sind für Fuest und seine
Mannschaft ein Thema. Fahrassistenten fürs Bremsen,
Spurhalten oder Einparken, Navigationssysteme und
Tempomaten sind schon heute im Einsatz. Selbst Müdigkeitswarner, die zuweilen schon anschlagen, kaum dass
man losgefahren ist, gibt es bereits. In nicht allzu ferner
Zukunft wird man auf manchen Autobahnteilstrecken
bereits die Hände vom Lenkrad nehmen können, weil das
Fahrzeug die selber bewältigen kann. Und irgendwann
nimmt der Computer einem das Steuer dann ganz aus
der Hand. »Bis wir das komplett fahrerlose Auto auf den
Straßen haben, werden aber mit Sicherheit noch 15 bis
20 Jahre ins Land gehen«, sagt Fuest. »Minimum.«
Bis dahin müssen auch noch einige rechtliche Fragen geklärt werden. Wer haftet zum Beispiel, wenn der Autopilot
in der Garage ein Kind übersieht? Der Fahrzeughalter?
Der Hersteller? Der Software-Programmierer? Würde die
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Versicherung zahlen und anschließend den Autobauer
in Regress nehmen, und der dann den Zulieferer? »Diese
Fragen treiben derzeit alle um«, sagt Fuest.
gebenen Algorithmen. »Wie immer diese Entscheidung
auch ausfällt, sie wird zu heftigen Diskussionen führen«,
so Fuest.
Ethische Fragen
Derzeit ist das Gesetz noch eindeutig: Nach dem Wiener
Übereinkommen über den Straßenverkehr von 1968
muss jeder Führer sein Fahrzeug jederzeit unter Kontrolle
haben. Auch wenn das Abkommen mittlerweile überarbeitet wurde, gilt weiterhin: Baut der Computer einen
Unfall, wäre der Fahrer schuld, auch wenn er das Fahrzeug
nicht selbst gesteuert hat. Doch die Rechtsprechung wird
sich den neuen technischen Möglichkeiten anpassen. Bis
dahin müssen Autoindustrie und Versicherungswirtschaft
eine tragfähige Strategie entwickelt haben.
Inzwischen beschäftigen sich Versicherer und KfzProduzenten nicht mehr nur mit technischen und rechtlichen Fragen, sondern auch mit ethischen. Was, wenn
ein Computer in einer Gefahrensituation nur die Wahl
zwischen zwei Übeln hat? Soll er so programmiert werden, dass er dem plötzlich die Straße überquerenden
Radfahrer ausweicht, dadurch aber den Fußgänger auf
dem Bürgersteig gefährdet? Soll er in den Gegenverkehr
steuern, um beide zu verschonen, dafür aber Verletzungen
der eigenen Insassen und anderer Verkehrsteilnehmer in
Kauf nehmen?
Oder noch drastischer: Soll er eher das Kind schützen, das
unvermittelt auf die Straße springt, oder den Rentner, der
die einzige Ausweichschneise blockiert? Welches Leben
zählt mehr? Ein Mensch entscheidet in so einer Situation
instinktiv, der Computer entscheidet anhand von vorge-
»Um solche Lösungen anzubieten, müssen wir allerdings
genau verstehen, wie die technischen Systeme funktionieren, welche Materialien verwendet und welche Sensoren
verbaut wurden«, sagt Jacob Fuest. Zwar dürften sich die
Unfallzahlen durch verbesserte Sicherheitstechnik verringern, doch wenn dann doch mal ein Crash passiert, lägen
die Kosten womöglich um ein Vielfaches höher als bei
einem unverkabelten Auto.
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Wobei nicht alle überhaupt noch ein eigenes Auto wollen.
Car Sharing gewinnt immer mehr an Bedeutung. 2014
wurde in Deutschland erstmals die Millionen-NutzerGrenze geknackt, Tendenz steigend. Für die Automobilbranche stellt das veränderte Mobilitätsverhalten eine
nicht zu unterschätzende Herausforderung dar. »Hersteller, die darauf nicht schon heute reagieren, gefährden
ihre Kunden von morgen«, sagt Jacob Fuest. Aber auch
die Assekuranz muss sich auf diese Dynamik einstellen,
denn die Versicherungskosten machen heute noch einen
signifikanten Teil der Gesamtkosten beim Car Sharing
aus. »Wir wollen Lösungen entwickeln, die die Kosten
für die Kunden reduzieren«, sagt der AIC-Manager.
Und Car Sharing ist erst der Anfang – Daimler macht mit
der App »Moovel« vor, wie sich verschiedene Mobilitätsangebote von der Bahn übers Auto bis hin zum Flugzeug
sinnvoll verknüpfen lassen. Ein Thema, an dem das AIC
bereits mit großen Automobilherstellern und kleinen
Start-Ups arbeitet. »Wir haben mit Autoherstellern
und Zulieferfirmen in verschiedenen Ländern bereits
konkrete Projekte gestartet«, sagt Fuest. Mit wem, will
der 30jährige Rheinländer nicht verraten; man habe
Verschwiegenheit vereinbart. Nur so viel: »Es sind etliche
große Markenhersteller darunter.«
Ein greifbares Ergebnis der industrieübergreifenden
Kooperation wird man schon bald in Augenschein
nehmen können: Noch in diesem Jahr will die Allianz
zusammen mit einem großen Autoproduzenten
eine Telematik-Versicherung auf den Markt bringen.
Weitere sollen folgen.
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D EU T S C H L A ND
beide Fotos: Roth
Steinbock
überm Gebirge
Von der Schnaps- zur Geschäftsidee: Anton Stetter und Brennmeister Hans Kemenater
Früher galt Whisky als simples Getränk für simple
Männer. Mittlerweile gehört der rauchige Gerstensaft
vielerorts zum gehobenen Lebensstil. Einer der besten
Brände kommt aus – Bayern.
Es ist schon geraume Zeit her, da zogen fünf Mönche
durch die oberbayerische Bergwildnis, stießen auf einen
idyllischen See und gründeten dortselbst ein Kloster, das
sie nach dem grün schimmernden Mergel der Gegend
Slyrs (Schliers) nannten. Gut 1200 Jahre später erfuhr
die Gegend um den Schliersee den nächsten Schub: die
Eröffnung der Slyrs Single Malt Whisky Destillerie.
F R A NK S TERN
So jedenfalls geht der Gründungsmythos von Slyrs, der
mit einem Schuss Selbstironie an Geschichte und Tradition des bayerischen Oberlands anknüpft. Heute ist
der Bayern-Whisky über die Landesgrenzen hinaus ein
Begriff: Bei den World Wiskies Awards im vergangenen
Jahr in London wurde Slyrs für seine Sherry Edition mit
der Goldmedaille ausgezeichnet. Vor Schotten und Iren.
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Dabei sahen die Anfänge für die bayerischen Newcomer
keineswegs nach einer Erfolgsgeschichte aus.
Im Oberland trinkt man traditionell Enzianschnaps, an
den Häusern in Schliersee prangen Lüftl-Malereien mit
Schutzheiligen und drallen Bauernmägden, Krippenschnitzerei steht hoch im Kurs, und auf dem Friedhof
kündet das Grab vom Jennerwein Girgl, ein Wilderer,
der 1877 mit 29 Jahren hinterrücks erschossen und
umgehend zur Legende wurde, vom kargen Leben im
Schatten des Wendelsteins: »Es war ein Schütz in seinen
besten Jahren, er wurde weggeputzt von dieser Erd« –
und so weiter und so weiter. Kein Mensch käme auf die
Idee, hier eine Whisky-Destillerie für den gehobenen
Bedarf hinzustellen. Außer der Stetter Florian.
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Allianz Journal 2/2015
D EU T S C H L A ND
Mitte: Slyrs | alle anderen Fotos: Roth
Mit dem Sessellift traten Anfang des Jahres die
ersten 225-Liter-Fässer der geplanten HochlandEdition die Reise ins Skigebiet Spitzingsee an
ihm nach einigen Probegläsern schottischen Whiskys
dem Bayerischen nicht unähnlich zu sein. Am Ende hielt
er den Kilt für eine interessante Abwandlung der Lederhose – die Idee zur Gründung einer bayerischen WhiskyBrennerei war geboren.
»Das komplette Programm«: Über die Agentur von
Martina Eck und Mario Hänsch in Schliersee sind sämtliche
Unternehmungen der Stetter-Familie versichert
Martina Eck, Chefin der Allianz Agentur am Ort, kennt
den Slyrs-Gründer und seinen Bruder Anton, der das
Unternehmen heute leitet, von Kindesbeinen an. Seit
Ecks Vater vor 55 Jahren die Agentur ins Leben rief, sind
die Unternehmungen der Stetter-Familie – die Obstbrennerei Lantenhammer und die Whisky-Destillerie –
bei der Allianz versichert. »Maschinen und Anlagen,
die Fässer samt Inhalt, die Fahrzeuge, die betriebliche
Altersvorsorge für die 70 Mitarbeiter – das komplette
Programm«, sagt Eck.
Im Mutterland des Whiskys
Sie hat die Anfänge von Slyrs miterlebt – und die waren,
wie gesagt, nicht unbedingt vielversprechend. Alles
begann damit, dass Lantenhammer-Erbe Florian Stetter
in den 90er Jahren auf Studienreise nach Schottland
ging. Man kann sich vorstellen, was passiert, wenn sich
der Chef einer Obst-Destille ins Mutterland des Whiskys
aufmacht. Stetter fand Gefallen an der Landschaft und
auch an den Eigenheiten der Schotten. Beides schien
26
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Zurück am Schliersee fragte er bei etlichen Banken wegen
einer Anschubfinanzierung nach, doch wo er auch anklopfte – alle winkten ab. »Da haben wir nicht mal einen
Kaffee gekriegt«, sagt Stetters Bruder Anton. Die Banker
formulierten es wahrscheinlich etwas höflicher – Marktvolatilität, Nachfragehemmnisse, und was einem sonst
so einfällt, wenn man kein Geld rausrücken will. Doch im
Grunde machten sie unmissverständlich klar, dass sie die
Whisky-Idee für groben Unfug hielten.
Jahre Zeit, mehr braucht es nicht«, sagt Brennmeister
Hans Kemenater, der Stetters »Schnapsidee« mit zum
Durchbruch verholfen hat. Doch welche Geschmacksnote einen Whisky später auszeichnet, hängt entscheidend davon ab, wie die Mischung aus getrockneter und
gerösteter Gerste zur Maischeherstellung zusammengesetzt ist – Betriebsgeheimnis, sagt Kemenater –, und
in welchen Fässern das Destillat anschließend heranreift.
Und das ist dann schon eine Kunst für sich.
Ausdruck von Lebensart
Anton Stetter war mit ihnen auf einer Linie. »Auch ich
habe das für einen absoluten Schmarrn gehalten«, sagt er.
Aber da hatte Florian Stetter schon alles klargemacht, hatte in Kupferkessel und Maischekocher investiert und zur
Finanzierung auch seinem Bruder in die Tasche gegriffen.
»Da kam ich dann nicht mehr aus«, sagt Anton Stetter.
Mit eigenen Mitteln und Hypotheken auf Haus und Hof
stemmten die Brüder schließlich die Anlaufphase.
Die natürlich auch ihre ganz eigene Szene von Kunstkennern hervorgebracht hat. Waren es vor zehn Jahren
noch fast ausschließlich Männer, die sich auf WhiskyMessen durch die Jahrgänge kämpften, sind mittlerweile
ein Drittel der Besucher Frauen, schätzt Hans Kemenater.
Und es gibt immer mehr junge Leute, die sich für hochwertigen Whisky interessieren. Der Trend zu Qualität
kommt den Machern von Slyrs entgegen. »Wir sehen unsere Produkte als Ausdruck von Lebensart«, sagt Anton
Stetter. »Uns findet man nicht im Supermarktregal.« Die
erste Edition des dreijährigen Single Malt von 1999 wird
derzeit zwischen 1500 bis 1800 Euro pro Flasche gehandelt.
Nun ist die Whisky-Herstellung im Vergleich mit der
Obstbranddestillation keine große Wissenschaft.
»Gerstenmalz, ein Holzfass, ein gutes Wasser und drei
Und die Bayern sorgen dafür, dass sie im Gespräch
bleiben. 2007 brachten sie ihren ersten, mit Honig verfeinerten Whisky-Likör auf den Markt – eigentlich, um
die weibliche Käuferschicht anzusprechen, wie Hans
Kemenater erklärt. Inzwischen aber kommen auch immer mehr Männer auf den Geschmack. Zudem ist eine
bayerische Highland-Edition von Slyrs in Arbeit. Anfang
dieses Jahres traten die ersten 225 Liter-Fässer aus amerikanischer Weißeiche mit dem Sessellift die Reise ins
Höhenlager im Skigebiet Spitzingsee an. Auf 1500 Meter
Höhe soll der Gerstensaft dort mindestens drei Jahre
lang lagern. Master Destillateur Kemenater ist sich sicher,
dass er aufgrund des rauen Bergklimas eine kernigere
Note entwickelt als die Tal-Version. Und wenn nicht, war
es zumindest eine geniale Marketing-Idee. Im Sommer
werden Slyrs-Fässer auch in Richtung Schliersee rollen,
wo auf der Insel Wörth in einem eigens errichteten Turm
die Insel-Edition heranreifen soll. Martina Eck wird wohl
auch den Whisky-Turm versichern.
Auch wenn Stetter nicht die Dimensionen von irischen
oder schottischen Großbrennereien anstrebt, die zum
Teil über eine Million Fässer und mehr verfügen, etwas
ließe sich die Produktion am Schliersee schon noch
hochfahren. Die Nachfrage jedenfalls ist groß, und das
nicht nur in Deutschland; auch im Ausland wächst die
Zahl der Slyrs-Liebhaber: Seit einigen Monaten ist der
Bayern-Whisky in China auf dem Markt. Dort läuft er
unter dem Label »Steinbock überm Gebirge«.
W W W. S LY R S . D E
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Meilensteine: Mit dem Slogan »Hoffentlich
Allianz versichert« wuchsen ganze Generationen
auf; im Jahr 2000 wurde die Allianz an der New
Yorker Börse gelistet; der Wirtschaftshistoriker
Gerald Feldman (rechts, zusammen mit dem
damaligen Allianz Chef Henning Schulte-Noelle
(Mitte) und Peter Haas, dem Enkel eines HolocaustOpfers) untersuchte die Verstrickungen der Allianz
mit dem Naziregime
Kein Platz
für Hasardeure
Zum Jubiläumsjahr der Allianz hat das
firmenhistorische Archiv ein imposantes
Werk über die Geschichte des Unternehmens herausgebracht. Drei Jahre spürte
Archiv-Leiterin Barbara Eggenkämper
mit ihren beiden Historiker-Kollegen dem
Erfolgsgeheimnis der Allianz nach. Nun
haben sie die Formel zu Papier gebracht.
München im März 2015: Ein unaufgeregter Himmel
hängt über dem Englischen Garten. Aus den Ästen
der altehrwürdigen Bäume drücken die ersten Triebe.
Zuverlässig dreht sich das Rad der Jahreszeiten um die
Hauptverwaltung der Allianz. Vor 125 Jahren gründeten
Wilhelm von Finck und Carl von Thieme die Allianz.
Mit urwüchsiger Beharrlichkeit hat sich aus dieser Saat
bis heute eines der erfolgreichsten Versicherungs- und
Finanzunternehmen der Welt entwickelt.
Eine Person, die die Jahresringe der Allianz bis ins Detail
studiert hat, ist Barbara Eggenkämper. Die 53-jährige
Historikerin ist Leiterin des firmenhistorischen Archivs
der Allianz in München. Zusammen mit ihren beiden
Kollegen Gerd Modert und Stefan Pretzlik erforscht sie
die Seele eines einzigartigen Organismus, der mittlerweile aus fast 150 000 Mitarbeitern weltweit besteht.
Drei Jahre Arbeit stecken in dem Jubiläumsband »Die
Allianz – Geschichte des Unternehmens 1890-2015« und
in seinem immer noch knapp hundert Seiten starken
Beiheft »Eine Allianz fürs Leben«, das am Beispiel von
MI C HA E L GR I M M
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Foto links: Roth | alle anderen Abbildungen: Allianz
Barbara Eggenkämper und ihre Co-Autoren Stefan Pretzlik und Gerd Modert
sechs Personen die Menschen im Unternehmen in den
Vordergrund stellt.
So nüchtern die Titel, so leidenschaftlich erzählt Eggenkämper von den Meilensteinen in der 125-jährigen Geschichte des Unternehmens. »Uns ist wichtig, dass dieses
Buch nicht einfach auf den Schreibtischen der Mitarbeiter
landet, ohne dass wir es ihnen näher gebracht haben.«
Darum ist sie mit ihrem Team im Frühjahr immer wieder
auf Lesereise durch Deutschland gegangen. Auch in
der Schweiz und in Frankreich machten sie Station. Die
Buch-Präsentation an ausgewählten Allianz Standorten
ist eine multimediale History-Show. Textauszüge werden
untermalt mit historischen Filmaufnahmen und WerbeSpots, die das Bild der Allianz in der Öffentlichkeit über
Jahrzehnte geformt und sich Generationen eingeprägt
haben: »Hoffentlich Allianz versichert«.
Das Büro der Historikerin an der Königinstraße in München
gleicht einer Schatzkammer. Auf dem Schreibtisch türmen
sich Dokumente und Ordner. Aus den Büchern, aus jedem
vergilbten Papierstapel flüstern die Ereignisse der Vergangenheit. Anfang der 90er Jahre überzeugte Eggenkämper
erst den Leiter der Unternehmenskommunikation, Emilio
Galli-Zugaro, den sie bis heute ihren Mentor nennt, und
dann den damals erst frisch gebackenen Allianz Chef
Henning Schulte-Noelle, ein Firmenarchiv einzurichten.
Seitdem hat sich das Gedächtnis des Unternehmens auch
mit den dunkelsten Kapiteln seines Werdegangs beschäftigt. Von 1997 bis 2001 arbeitete Eggenkämpers Team
zusammen mit dem US-amerikanischen Wirtschaftshistoriker Gerald Feldman die Beziehung zwischen der
Allianz und dem NS-Regime auf.
»Henning Schulte-Noelle hat das Archiv 1993 gegründet,
weil er erkannt hat, wie wichtig das Bewusstsein der eigenen Vergangenheit für die Identität des Unternehmens

ist«, sagt Eggenkämper. Für sie markiert die Amtszeit von
Schulte-Noelle einen Wendepunkt im Selbstverständnis
der Allianz. »Das Unternehmen hat sich mehr geöffnet,
war bereit, sich gesellschaftlich einzumischen«, erzählt
die Historikerin. Früher hat höchstens die Fachpresse
von den Vorgängen in der Allianz Wind bekommen. Heute
zeigt das Unternehmen einer breiten Öffentlichkeit, wofür
es einsteht, was es ausmacht.
»Seriös, integer, wertkonservativ im positiven Sinne,
aber immer ein Gespür für Innovation«, so beschreibt
Eggenkämper das Erfolgsrezept der Allianz. Der Versicherungskonzern hat sich über die Jahrzehnte eine gewisse
Coolness angeeignet, die nicht jeder auf den ersten Blick
zu erkennen vermag. »Als die Zinsen vor zehn Jahren auf
elf Prozent stiegen, waren die rund vier Prozent der Allianz
auf Lebensversicherungen langweilig. Heute ist man heilfroh, wenn man eine langfristige Anlage dieser Art hat.«
Kein Zweifel: Die Allianz ist kein Platz für Hasardeure.
Was nicht heißt, dass es nicht auch in der Allianz Welt
im Laufe der Geschichte starke Umbrüche gegeben hat.
So erlebte die Allianz in Deutschland im Jahr 2006 eine
tiefgreifende Umgestaltung. Tausende Stellen standen
damals auf dem Spiel. »Das löste bei vielen Mitarbeitern
Existenzängste aus, viele erlebten den Umgang des
Unternehmens mit den Mitarbeitern als Kulturbruch«,
heißt es im Jubiläumsband. Auch wenn die Veränderungen im Nachhinein Leistung und Profitabilität nachweislich steigerten, das Vertrauen der Mitarbeiter erholte
sich nur sehr langsam davon.
Trotz der zuweilen rasanten Umwälzungen auf dem
globalisierten Markt macht sich Eggenkämper keine
Sorgen um die weitere Entwicklung: »Ich bin überzeugt,
dass die Mischung aus Konservativität und Innovation
auch in Zukunft Erfolg sichern wird.«
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Allianz Journal 2/2015
D EU T S C H L A ND
Kratzer im Selbstbild
Die Allianz sieht sich gern als Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel.
Beim Public Dialog im April in München bekam das Selbstbild ein paar Kratzer.
an: Die Allianz müsse ihre Zurückhaltung ablegen und
sich stärker in den Kampf gegen den Klimawandel einschalten, so die Forderung.
M I C H A E L GR I M M
Anlässlich ihres 125-jährigen Bestehens hatte die Allianz
im April zum Public Dialog nach München geladen.
Dabei ging es um nichts Geringeres als die Rettung
der Welt. Prominenteste Gastrednerin des Abends war
Christiana Figueres, Generalsekretärin der UN-Klimakonferenz. Und die fand klare Worte. »Die Allianz hat
zwei Milliarden in erneuerbare Energien investiert«,
meinte Figueres anerkennend, um die auf den ersten
Blick beeindruckende Zahl umgehend ins Verhältnis zu
setzen: »Das sind 0,1 Prozent des gesamten Anlageportfolios. Geht da nicht mehr?«
Und da sieht die Politikerin aus Costa Rica, die bei den
Klimaverhandlungen Ende des Jahres in Paris 194 Staaten
zu einer Einigung bewegen will, noch einigen Spielraum.
Nachdem sie die unternehmerischen und gesellschaftlichen Leistungen der Allianz in den vergangen 125 Jahren
gewürdigt hatte, mahnte sie unmissverständlich ein stärkeres Engagement für den Kampf gegen den Klimawandel
Natürlich müssten Versicherer profitabel arbeiten, räumte
sie ein, aber gleichzeitig hätten sie auch die Aufgabe, den
gesellschaftlichen Wohlstand zu sichern – auch im eignen
Interesse. Ihr Wunsch sei es, dass die Allianz mehr Führung
übernehme, sagte Figueres, sowohl in der Versicherungsbranche als auch im Dialog mit der Politik.
Allein in den nächsten 15 Jahren müssen nach Expertenschätzungen weltweit 90 Billionen US-Dollar in den Erhalt
und den Ausbau von Infrastruktur gesteckt werden.
»Je mehr dieser Investitionen bereits heute in nachhaltige
Infrastruktur fließen, desto besser«, betonte Diekmann.
»Denn die Kosten eines Weiter-wie-bisher steigen ständig.« Christiana Figueres hat aufmerksam zugehört.
Shutterstock
Die UN-Beauftragte war auf Einladung der Allianz von
New York an die Isar gereist, um über den Klimawandel
und seine Auswirkungen zu sprechen. Als sie den Anruf
von Michael Diekmann erhielt, habe sie zunächst nicht
recht gewusst, was sie zur Debatte in diesem Umfeld
beitragen könne, beschrieb sie ihre anfänglichen Bedenken. Schließlich wüssten die »Risiko-Gurus« am besten,
was der Klimawandel für die Gesellschaft bedeute.
»Am Ende habe ich die Einladung als Frage interpretiert –
als Frage, wie die Versicherungsindustrie mehr zum
Kampf gegen den Klimawandel und seine Auswirkungen
beitragen könnte.«
Der Klimawandel bringe eine völlig neue Art von Risiken
hervor, erklärte Figueres weiter. Konventionelle Bauordnungen reichten nicht mehr aus, um gegen die Naturgewalten zu bestehen. Fluten, Dürren, Stürme – das
gesamte Spektrum der Wetterextreme verursache nicht
nur immense Sachschäden. Für viele Menschen gehe es
längst um die nackte Existenz. Vor allem die Bevölkerung
in Entwicklungsländern sei den wachsenden Naturgefahren fast schutzlos ausgeliefert, erläuterte Figueres
und machte das an einem Beispiel deutlich. »Zwischen
1980 und 2004 waren lediglich 30 Prozent der wetterbedingten Schäden in den Industrienationen von einer
Versicherung gedeckt. In den Entwicklungsländern war
es im selben Zeitraum sogar nur ein Prozent.«
»Wir haben die Botschaft verstanden«, nahm Michael
Diekmann den Faden auf. Zuvor hatte der Allianz Vorstandsvorsitzende, der seinen Posten nach zwölfjähriger
Amtszeit inzwischen an seinen Nachfolger Oliver Bäte
abgegeben hat, selbst gemahnt, dass »ein Weiter-so
keine Lösung ist«. Die Sorge, dass die erforderlichen
Veränderungen nur auf Kosten von Wohlstand und
Wachstum erreicht werden könnten, hält Diekmann
für unbegründet. Und sieht sich damit nicht allein:
Auch die Wissenschaft habe erkannt, dass Klimaschutz
Wachstum erzeugen und Arbeitsplätze schaffen könne,
sagte der Allianz Chef.
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Allianz Journal 2/2015
Südafrika
Spezial
»Tu was!«
Krug
Natio er
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B O T S WA N A
NAMIBIA
Delphine Maidou
rk
Pretoria
Johannesburg
SWAZIL AND
links unten: Stern | alle anderen Fotos: Ibrahim
Am Kap der guten Hoffnung: trotz
erheblicher Fortschritte – die Spaltung
der südafrikanischen Gesellschaft ist
längst nicht überwunden
Als die Allianz ihr den Job in Südafrika anbot, hat Delphine Maidou
zunächst gezögert. Sie hatte gerade die kanadische Staatsbürgerschaft
erhalten, die Kinder hatten sich eingelebt, das Leben in Toronto gefiel
ihr. Dann rief sie ihren Vater an.
LESOTHO
S Ü DA F R I K A
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Kapstadt
Kap der
Guten
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Viele Unternehmen haben das Geschäftszentrum
von Johannesburg verlassen und sind in die sichereren
Vorstädte Rosebank und Sandton gezogen
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N
Es ist nur eine kleine Episode, aber sie sagt etwas aus über
Südafrika heute, und sie sagt etwas aus über Delphine
Maidou, die dort seit 2012 die Geschäfte von Allianz Global
Corporate & Specialty (AGCS) führt. Kurz nachdem sie
ihren Job in Johannesburg angetreten hatte, wurde sie auf
einem Branchentreffen einem weißen Makler als neue
AGCS-Chefin vorgestellt. Der musterte sie kurz, drehte
sich wortlos um und ging.
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Rassismus gibt es auch in Amerika, wo sie studiert hat. Es
gibt ihn auch in Kanada. Sie kann damit umgehen. Aber
so unverhüllt, so rein, und das in einem Umfeld, in dem
Vorurteile normalerweise hinter Smalltalk und einem
Lächeln verborgen werden, das war neu. »Willkommen
in Südafrika, Schwester«, meinte einer ihrer Kollegen.
Die 41-Jährige sagt nicht, wie sehr sie die Zurückweisung
verletzt hat, aber so etwas prallt an einem nicht einfach
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beide Fotos: Stern
S Ü D A F R I KA
S P EZI A L
In dieser Villa in Houghton, einem Vorort von Johannesburg,
verbrachte Nelson Mandela seine letzten Jahre
ab. Als Gesprächspartner fühlt man sich plötzlich unwohl
in seiner weißen Haut.
Sie hätte sich dem nicht aussetzen müssen. Sie hatte eine
Bilderbuchkarriere hingelegt, hatte in den USA Mathematik
und Rechnungswesen studiert, ihren MBA gemacht und
führte seit zwei Jahren in Toronto das Marktmanagement
von AGCS in Kanada. »Ich hatte schon vor, wieder nach
Afrika zurückzukehren«, erzählt Maidou, die aus Burkina
Faso stammt und einen Großteil ihrer Kindheit auf einem
Internat in der Elfenbeinküste verbrachte. »Irgendwann
wollte ich zurück. Wenn auch nicht so bald.« Man weiß,
wie solche Pläne üblicherweise enden.
Die Cape Winelands: Das berühmte Weinanbaugebiet erstreckt sich rund um Stellenbosch, östlich von Kapstadt
Skepsis in der Branche
Und dann kam das Angebot, für die Allianz das Industrieversicherungsgeschäft in Südafrika zu reanimieren. Einer
der interessantesten Jobs, den der damalige AGCS-Chef
Axel Theis zu jener Zeit zu vergeben hatte. Und Maidou
zögert. Dass sie zum Schrecken ihrer Kinder – der Sohn
in den USA geboren, die Tochter in Kanada – am Ende
doch zusagt, ist einem Telefonat mit ihrem Vater zu verdanken. »Ich habe mein Leben lang gearbeitet, um dich
und deine Geschwister auf die besten Schulen schicken
zu können«, hielt der ihr vor, »und jetzt, wo du etwas für
Afrika tun kannst, überlegst du?« Mehr war nicht nötig.
Südafrika ist ein schwieriger Markt. Die Allianz hatte sich
dort schon einmal verkalkuliert und das verlustreiche
Geschäft 2001 auf Eis gelegt. Als sie sich 2012 im Markt
zurückmeldete, reagierte die Branche skeptisch. »Ihr seid
schon einmal ausgestiegen«, bekam Delphine Maidou
von Firmenvertretern und Maklern zu hören. »Wie lange
bleibt ihr diesmal?«
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Auch der Aufbau eines Teams von Underwritern gestaltete
sich alles andere als einfach. Dass AGCS in Südafrika heute
dennoch über eine erfolgreiche Mannschaft verfügt, hat
viel damit zu tun, dass es der Newcomerin aus Kanada
gelang, ihre Wunschkandidaten von der Ernsthaftigkeit
des Neuanfangs zu überzeugen. »Das war keine Frage des
Geldes«, sagt Maidou. »Das wäre einfacher gewesen. Es
ging um Vertrauen.«
Und es ging um eine Vision, die sich bislang kein anderer
Versicherer auf die Fahnen geschrieben hat: AGCS hat
nicht nur den südafrikanischen Markt im Visier; das
Spielfeld des Industrieversicherers ist die gesamte Region
südlich der Sahara. »Afrika ist eine riesige Baustelle«,
sagt Maidou. Die Wachstumsraten sind trotz zahlreicher
Krisen und Konfliktherde enorm. Nigeria hat Südafrika
im vergangenen Jahr als stärkste Wirtschaftsmacht in
Afrika abgelöst. »Wer auf dem Kontinent wachsen will,
kann ein Land wie Nigeria nicht ignorieren«, sagt Maidou.
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Inzwischen versichert das Johannesburger AGCS-Büro
Projekte in 15 Ländern Schwarzafrikas.
Wobei sich das Büro eigentlich nicht direkt in Johannesburg befindet, sondern in Rosebank, einem wohlhabenden Vorort mit von Bäumen gesäumten Straßen
und gepflegten Hochsicherheitsvillen. Aus dem einstigen Geschäftsviertel im Zentrum von Johannesburg
haben sich viele Unternehmen längst zurückgezogen.
Zahllose Gebäude stehen leer; Weiße sieht man in den
Straßen kaum. Südafrika gehört zu den Ländern der
Welt mit dem größten Ungleichgewicht in der Einkommensverteilung.
Geister der Vergangenheit
»Es wird noch lange dauern, bis die Schwarzen in Südafrika
mit ihren weißen Landsleuten gleichgezogen haben«,
sagt Delphine Maidou. »Das enorme Bildungsdefizit ver-
hindert, dass mehr von ihnen in wichtige Positionen in der
Wirtschaft aufrücken.« Zwar gibt es staatliche Förderprogramme, doch eine durchschlagende Wirkung hatten sie
bislang nicht. Bis heute hat sich an dem Bildungsrückstand
fast nichts geändert.
Die Zusammensetzung von Maidous Team ist für südafrikanische Verhältnisse denn auch eher ungewöhnlich.
»Es ist ein Spiegel des Landes, in dem wir uns bewegen«,
sagt sie. Weiße, Schwarze, Inder, Männer, Frauen – eine
Vielfalt, die kaum ein anderes Finanzinstitut aufzuweisen
hat und die es Maidou ermöglicht, für jeden Kunden den
passenden Gesprächspartner ins Rennen zu schicken.
»Manch einer redet lieber mit Leuten, die so aussehen wie
er selbst«, umschreibt sie die Praxis und lacht – ein ziemlich
souveräner Umgang mit den Geistern der Vergangenheit.
Der pragmatische Ansatz hat Türen geöffnet: Einige der
größten Unternehmen Afrikas aus den Bereichen Energie,
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alle Fotos: Stern
S Ü D A F R I KA
S P EZI A L
Rosebank/Johannesburg
Kruger Nationalpark
Johannesburg
AGCSSüdafrika
Südafrika
AGCS
Muslimisches Viertel Bo-Kaap in Kapstadt
Öl und Gas, Telekommunikation, Infrastruktur und Seeschifffahrt sind mittlerweile AGCS-Kunden. Auch die
eine oder andere Goldmine gehört zum Portfolio. Dass
der Erfolg nicht nur der Flexibilität und dem einnehmenden Wesens ihrer bunten Truppe zu verdanken ist,
darüber macht sich Maidou freilich keine Illusionen: »An
der Allianz kommt in der Branche keiner vorbei. Das hat
uns natürlich geholfen.«
Auch wenn man den Eindruck gewinnen könnte, die Frau
hätte keine Rückendeckung nötig – es macht schon einen
Unterschied, ob jemand mit der Allianz an der Seite in Geschäftsverhandlungen geht. Maidou weiß sich zu behaupten und lässt sich auch nicht irritieren, wenn der Ton am
Verhandlungstisch rauer wird. Irritiert sind gelegentlich
ihre Gesprächspartner: Es passiert noch nicht allzu häufig,
dass in Südafrikas Geschäftswelt eine Frau mit der Männerriege in den Clinch geht. Eine schwarze Frau zumal.
Von ihr wird einiges erwartet – auch außerhalb der Allianz.
Im vergangenen Jahr platzierte sie das französische Wirtschaftsinstituts Choiseul unter den »100 afrikanischen
Wirtschaftsführern von morgen« auf Rang 22. Dass sie
ihre beiden Kinder allein aufzieht, war der Erfolgsmeldung nicht zu entnehmen. »Egal, wie gut ein Mann in
seinem Job klarkommt«, sagt Maidou, »wenn seine Frau
erfolgreicher ist, gibt es in der Beziehung ein Problem.«
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Den Druck von allen Seiten merkt man ihr selten an.
Nur gelegentlich braucht auch sie ein Ventil, und das
sind dann jene Momente, in denen sie unvermittelt in die
Sprache ihrer Kindheit wechselt. »Wütend bin ich besser
auf Französisch«, sagt sie und lacht. Sie lacht oft.
Kanada ging, einem Land mit absurd kalten Wintern,
um Landwirtschaft zu studieren; und der seinen Kindern
später als Agraringenieur in Diensten der Welternährungsorganisation einimpfte, dass Bildung jede Anstrengung
wert ist.
Vor einiger Zeit hat sie gemeinsam mit ihren Kindern,
neun und zwölf, das Apartheid-Museum in Johannesburg
besucht. Sie sollen wissen, was das Land und Menschen
ihrer Hautfarbe in der Vergangenheit durchgemacht,
welchen Weg sie zurückgelegt haben und was noch vor
ihnen liegt. »Es war für sie ein Schock«, beschreibt Maidou
die Wirkung auf Sohn und Tochter. »Sie wachsen in behüteter Umgebung auf, auf der internationalen Schule,
die sie besuchen, spielt die Hautfarbe keine Rolle. Doch
nicht jeder in Südafrika ist farbenblind.«
Dass die allein nicht immer ausreicht, erlebt Delphine
Maidou allerdings tagtäglich. Jeder zweite Schwarze in
Südafrika zwischen 15 und 24 Jahren ist arbeitslos. Daran
kann sie mit ihren 50 Mitarbeitern nichts ändern, aber
ihr Team gibt ein Beispiel. Immerhin. »Klar geht es für
uns darum, Gewinn zu machen und das Geschäft auszubauen«, sagt die AGCS-Chefin. Stolz aber macht sie vor
allem, wie ihre Mitarbeiter ihre Fähigkeiten entwickeln,
wie sie wachsen – unabhängig von Hautfarbe und Herkunft. »Geh zurück und tu was«, hatte ihr Vater gesagt.
Die Mühen der Ebene
»Ich mag dieses Land«, sagt Maidou über ihre neue
Heimat. »Ich mag seine Geschichte und die Hoffnung,
die ganz Afrika mit ihm verbindet.« Und auch wenn sie
einen Mangel an Führern vom Format eines Nelson
Mandela beklagt, Südafrika hat in ihren Augen das Potenzial, um die Mühen der Ebene zu meistern. Vor kurzem
hat sie für sich und ihre Kinder in einem Johannesburger
Vorort ein Haus gekauft. »So schnell wollen wir hier nicht
wieder weg«, sagt sie. »Aber bei der Allianz weiß man
nie, was kommt.«
Sie glaubt dennoch an das große Versprechen, mit dem
Nelson Mandela vor über 20 Jahren angetreten war –
trotz all der Probleme, mit denen das Land aktuell zu
kämpfen hat: Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, Korruption,
Missmanagement. Ein Zukunftsglaube, der auch ihren
Vater antrieb, als er als Kind auf den Feldern der Nachbarn schuftete, um sich das Geld für den Schulbesuch
zusammenzusparen; der mit einem Stipendium nach
In Afrika
werden
in den
nächsten
Jahrzehnten
MilliIn Afrika
werden
in den
nächsten
Jahrzehnten
Milliarden
arden
in
Energie,
Transport
und
Logistik
investiert.
in Energie, Transport und Logistik investiert. Und die
Und die Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS)
Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) hat alles,
hat alles, um die damit verbundenen Risiken zu
um die damit verbundenen Risiken zu beherrschen:
beherrschen: von der Kreditversicherung bis zur
von der Sach- bis zur Transportversicherung, von der
Transportversicherung, von der Bauleistungspolice bis
Bauleistungspolice
bis zur Managerhaftpflicht.
»Das
zur Managerhaftpflicht.
»Das kann kaum ein anderer
kann
kaum
ein
anderer
Versicherer
in
Afrika
bieten«,
Versicherer in Afrika bieten«, sagt Delphine Maidou,
sagt
Delphine
Maidou,
2012
Chefin einem
von AGCS
seit
2012 Chefin
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AGCS
Südafrika,
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Südafrika.
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südafrikanischen
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Visier.
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in ganz
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südafrikanischen
Markt
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Visier.
Er ist
in ganz
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südlich
Sahara
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und
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dabei
auch auf
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vergangenen
Allianz Töchtern
stützen
– allen
Euler
Jahrandere
erwirtschafteten
Prämien
in Höhe
vonvoran
150 Millionen
Hermes.
Im
Januar
hat
der
Kreditversicherer
Quartier
Euro stammte bereits aus Versicherungsgeschäft außerim AGCS-Gebäude in Rosebank, einem Vorort von
halb Südafrikas. Insgesamt lag das Prämienvolumen
Johannesburg, bezogen. Ein Viertel der im vergander Allianz Gruppe auf dem Kontinent im vergangenen
genen Jahr erwirtschafteten Prämien in Höhe von
Jahr bei 500 Millionen Euro. »Damit liegen wir klar unter
150 Millionen Euro stammte bereits aus Versicheunseren
Möglichkeiten«,
sagt Südafrikas,
Maidou. wobei bereits
rungs-geschäft
außerhalb
DasUnternehmen
soll sich ändern:
Mit
Unterstützung
von AGCS
haben
ab einem Umsatzvolumen
von 25
Milneben
Kreditversicherer
Euler
Hermes,
der
im
Januar
lionen Euro als Kunden in Betracht kommen. AußerQuartier
im AGCS-Gebäude
in Rosebankfür
bezogen
hat,
halb Afrikas
liegt die Umsatzschwelle
die AGCS
auch
Allianz Global
beibereits
500 Millionen
Euro. Assistance und Allianz Re
ihre Geschäfte nach Südafrika ausgeweitet.
W W W. AG C S . A L L I A N Z .C O M
W W W. AG C S . A L L I A N Z .C O M
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S Ü D A F R I KA
S P EZI A L
Schwarzes Land, weißes Land
INT ERVI E W : F R A N K S T E R N
Jan Hofmeyr beschäftigt sich beruflich mit
der Teilung Südafrikas und mit Wegen zu
ihrer Überwindung. Seit zehn Jahren arbeitet der 43jährige Sozialwissenschaftler am
Institut für Gerechtigkeit und Versöhnung
(IJR) in Kapstadt und leitet dort den Bereich
Politik und Analyse.
Herr Hofmeyr, in einer Ihrer jüngsten
Studien heißt es, dass die Zersplitterung
der südafrikanischen Gesellschaft in
den letzten Jahren gewachsen ist. War
Nelson Mandela der einzige, der die
Teile zusammenhalten konnte?
Wir hatten Glück, dass wir in der Zeit des
Übergangs zur Demokratie Politiker hatten,
die ihre jeweilige Gefolgschaft für den Kurs-
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wechsel gewinnen konnten. Das war Nelson
Mandela auf der einen Seite, aber das war
auch Frederik Willem de Klerk, der die weiße
Wählerschaft hinter sich versammelte. Das
größte Vermächtnis, das uns Mandela hinterlassen hat, ist der Wunsch, das es keinen
weiteren Mandela braucht. Er war auch der
Erste, der immer darauf hingewiesen hat,
dass er Teil eines Kollektivs war, das das Land
zusammengehalten hat.
Dennoch kann man heute den Eindruck
gewinnen, als sei der Traum von der
Regenbogennation mit ihm begraben
worden. Immer weniger Weiße sind
der Ansicht, dass die Rassentrennung
Unrecht und menschenfeindlich war.
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Im Rückblick betrachtet war die Regenbogenmetapher wahrscheinlich nicht besonders
glücklich gewählt. Sicher war dies das Ideal,
aber mit dem Übergang zur Demokratie
1994 sind nicht über Nacht alle Unterschiede
eingeebnet worden. Wir sind nicht plötzlich
eine Nation geworden, in der sich alle bei
den Händen halten und die Hautfarbe keine
Rolle mehr spielt. Jeder kann heute wählen,
aber was den wirtschaftlichen Status angeht,
ist die Gesellschaft weiterhin gespalten. Und
daraus ergeben sich zunehmend Spannungen. Insbesondere die junge schwarze Generation hat das Gefühl, dass sie nicht dieselben
Möglichkeiten zu gesellschaftlichem Aufstieg
hat wie Kinder weißer Hautfarbe. Bislang ist
es der südafrikanischen Gesellschaft nicht
gelungen, die Frage der wirtschaftlichen
Gerechtigkeit zu lösen.
Was sind die Gründe dafür?
Der Zugang zu Bildung ist das Hauptproblem. Auch heute haben Schwarze nicht die
gleichen Bildungschancen wie ihre weißen
Altersgenossen, die allein schon dadurch
privilegiert sind, dass ihre Eltern eine gute
Schulbildung hatten und auch ihre Kinder
auf gute Schulen schicken können. Für viele
Schwarze ist der Weg zu höherer Bildung
ein Hürdenlauf, bei dem viele auf der Strecke bleiben. Wer es doch an die Universität
schafft, für den stellt sich die Frage, wie er
sich während des Studiums finanziell über
Wasser halten soll. Gelingt ihm dennoch ein
Abschluss, trifft er auf einen Arbeitsmarkt,
der von Weißen dominiert wird und in dem
Rassenvorurteile nach wie vor eine große
Rolle spielen.
Das Bildungssystem schreibt die
Chancenungleichheit praktisch fort?
Es reproduziert sie. Ja. Die Regierung
schreibt sich auf die Fahne, dass sie Bildung
für alle ermöglicht hat. Doch jeder zweite
schwarze Schüler verlässt die Schule ohne
Abschluss. Es fehlt an Förderung, es fehlt
an guten Ausbildungseinrichtungen. Oft
kommen die Kinder aus armen Verhältnissen und müssen früh mit anpacken, um die
Familien mit zu versorgen. Es ist ein zäher
Kampf, und oft scheint es, als ob sich nichts
bewegt. Daher der ganze Frust, den man
derzeit unter vielen schwarzen Jugendlichen
beobachten kann.
links: Stern | beide Fotos oben: Ibrahim
Es gibt Momente in der Geschichte, da meint man, das Wachsen einer Nation zu
beobachten. Momente, in denen alles Trennende vergessen scheint. Momente der
Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft. Südafrika hat in den letzten zwei Jahrzehnten
einige solcher Momente erlebt. Doch sie waren flüchtig. Das Land bleibt gespalten – in
Schwarz und Weiß, in Arm und Reich.
Kapstadt ist die Perle Südafrikas. Meer,
und Strände, Tafelberg und Waterfront –
und rings um die Stadt die Cape Flats. Hier
hausen die Ärmsten der Armen. Im März
starteten Studenten an der Universität von
Kapstadt die Kampagne »Rhodes Must Fall«
(Rhodes muss fallen), die verlangte, die
Statue des weißen Kolonialpolitikers Cecil
Rhodes vom Universitätsgelände zu entfernen. Daraus entwickelte sich eine breite
Protestbewegung, die sich die »Dekolonialisierung« des Bildungssystems in Südafrika
auf die Fahnen schrieb. Am 9. April wurde
die Rhodes-Statue demontiert.
Der aktuelle Protest der schwarzen
Jugend richtet sich aber nicht nur gegen
Statuen von weißen Kolonial- und Apartheidpolitikern, sondern auch gegen den
regierenden ANC. Wieso das?
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Während der Proteste im April wurden zahlreiche
Denkmäler für weiße Politiker, darunter die Statue
des ehemaligen Premierministers Louis Botha vor dem
Parlamentsgebäude in Kapstadt, mit Farbe attackiert
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Allianz Journal 2/2015
Ibrahim
S Ü D A F R I KA
S P EZI A L
I N S T I T U T F Ü R G E R E C H T I G K E I T U N D V E R S Ö H N U N G (I J R)
Das Institut für Gerechtigkeit und Versöhnung (Institute for Justice and
Reconciliation/IJR) wurde im Jahr 2000 ins Leben gerufen, nachdem die
Wahrheits- und Versöhnungskommission zur Untersuchung der Verbrechen
der Apartheidzeit ihre Arbeit beendet hatte. Ziel des Instituts ist es, den
Übergang zur Demokratie zu begleiten, die Versöhnung zwischen den
verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu fördern und anhand von Pilotprojekten aufzuzeigen, wie zuvor benachteiligte gesellschaftliche Schichten in
die Entwicklung des Landes einbezogen werden können. Das Institut gibt
Jan Hofmeyr zusammen mit Carolin Gomulia, Kommunikationschefin
des Instituts
regelmäßig Studien zur Entwicklung der Beziehungen zwischen schwarzen
und weißen Südafrikanern heraus und unterstützt auch Transitionsprozesse in
Uganda, Ruanda, Süd-Sudan, Kongo, Burundi, Zimbabwe, Kenia und Äthiopien.
W W W. I J R .O RG . Z A
South
WieHow
viele many
Südafrikaner
Africans
agree that
stimmen
der Aussage
zu, dass
apartheid
was
a
crime
Apartheid ein Verbrechen
against
humanity?
gegen die Menschlichkeit war?
…against humanity
Wie viele Südafrikaner leben heute
unterhalb der Armutsgrenze?
Die Lage hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert, doch noch immer ist es
etwa jeder Vierte im Land. Dass es heute
nicht mehr 50 Prozent sind wie früher, hat
vor allem mit den staatlichen Wohlfahrtsprogrammen zu tun. Kindergeld, Altenhilfe
und Ähnliches. Etwa 16 Millionen der 52 Millionen Südafrikaner erhalten heute staatliche
Zuwendungen.
22003
003
2003
86.5%
86,5
%
86.5%
AGREE
zu
stimmten
AGREE
VS
VS
22013
013
2013
76.4%
76,4
%
76.4%
AGREE
zu
stimmten
AGREE
Nach Bevölkerungsgruppen
…against humanity by
race: 2013
Weiße
Asiatisch/Indisch
70,3 %
88,6 %
ASIAN/
INDIAN
WHITE
52,8 % 52.8%
77,077.0%
%
AGREE
Farbige
70.4%
70,4AGREE
%
2003
40
AGREE
Schwarze
COLOURED
92,2 %
2013
Sie kritisieren sogar Mandela. Aus ihrer Sicht
ist er gegenüber den Weißen zu nachgiebig
gewesen. Doch zu jener Zeit war es der einzige Weg, den Übergang von der Apartheid
zur Demokratie friedlich zu gestalten.
BLACK
88,9
%
80.9%
AGREE
80,9 %
Quelle: IJR
In Ihren Reports kritisieren Sie offen
die Regierungspartei. Hat das schon
mal etwas bewirkt?
Wir versuchen, keine einseitige Kritik zu
üben, aber der ANC stellt nun mal die Regierung; er ist seit über 20 Jahren an der Macht.
Irgendwann haben sie nicht mehr richtig hingehört, welche Themen in der Gesellschaft
diskutiert werden und was die Menschen auf
der Straße zu sagen haben. Aber ich glaube,
das ändert sich gerade.


Derzeit erlebt man, wie eine neue
Generation ihre Rechte einfordert und
dabei auch bislang unangefochtene
Autoritäten ins Visier nimmt.
Sie sind wütend darüber, dass das weiße
Establishment weiter die wirtschaftlichen
Fäden in Händen hält. Und das lasten sie
nicht zuletzt dem ANC an. Dieser Frust hat
zum Aufstieg der Economic Freedom Fighters geführt, die bei der letzten Parlamentswahl zur drittstärksten Kraft aufgestiegen
sind. Sie werfen dem ANC Versagen vor.
Und der wehrt sich mit Verweis auf die erbrachten Opfer im Freiheitskampf. Es ist
ein Generationenkonflikt.
Ist der Versuch gescheitert, eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen?
Es gibt immer mehr Schwarze, die in die Mittelschicht aufsteigen, doch insgesamt ist die
Ungleichheit in der Gesellschaft gewachsen.
Aber es wäre nicht fair einfach zu sagen, der
Versuch sei gescheitert. Man darf nicht vergessen, wo Südafrika herkommt und was wir
erreicht haben. Einige hundert Jahre Unrecht
lassen sich nicht in 20 Jahren überwinden.
Children’s Hospital Trust
Kap der Tränen
Das Gesicht eine Grimasse, die Haut in grotesken Mustern über den Körper
gespannt – im Kinderkrankenhaus von Kapstadt begegnen einem die jüngsten
Opfer von Feuer und Armut. Beides gehört in Südafrika untrennbar zusammen.
F RA N K ST ERN
Die Geschichten ähneln sich: der Wasserkessel auf offenem Feuer, die Pfanne mit heißem Öl, der Kerosinofen
Marke Eigenbau – Kinder in den Schwarzensiedlungen
Südafrikas leben gefährlich: Keine andere Unfallart fordert
bei Kleinkindern unter vier Jahren mehr Todesopfer als
Verbrennungen und Verbrühungen. Diejenigen, die mit
dem Leben davonkommen, sind oft für immer gezeichnet.


So wie dieser Junge, der auf dem Flur der Brandwundenabteilung des Kinderkrankenhauses von Kapstadt gerade
einen Ball vor sich hertreibt. Er ist vielleicht sechs oder
sieben. Die Haut auf seinem Oberkörper erinnert an
geschmolzene Plastikfolie. Der Anblick ist kaum zu ertragen – und man kann nicht wegsehen. Heinz Rode hat
im Laufe seines langen Berufslebens Tausende solcher
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Allianz Journal 2/2015
beide Fotos: Children’s Hospital Trust
Pro Jahr werden am Children’s Hospital 260 000 Kinder behandelt,
3500 davon in der Brandwundenabteilung
dass dem Krankenhaus nicht das Geld ausgeht. Clem
Booth, bis Dezember letzten Jahres Mitglied im Allianz
Vorstand, gehört zu den Förderern der Einrichtung. »Er
ist eine ungemein große Hilfe«, sagt die Stiftungs-Chefin
über ihren Landsmann.
Medizingeschichte geschrieben
Kinder behandelt, hat sie gerettet und dann in ein Leben
entlassen, das für viele von ihnen zu einer Abfolge von
Zurückweisungen und Niederlagen wurde. »Oft ist der
medizinische Triumph nur das Vorspiel für eine menschliche Tragödie«, sagt er.
42
Rode ist eine Ikone der südafrikanischen Brandmedizin.
Wer ihn treffen will, braucht etwas Glück, denn der
73-Jährige, der eigentlich schon seit acht Jahren im Ruhestand ist, steht weiter jeden Tag im Operationssaal.
Bislang ist niemand in Sicht, der ihn ersetzen könnte.
»Also mache ich weiter, bis sie jemanden mit dem nötigen Enthusiasmus und dem erforderlichen Fachwissen
finden, der die Abteilung nach vorn bringen kann«, erklärt Südafrikas führender Brandwundenspezialist. Das
dürfte schwer werden.
Das Red Cross War Memorial Children’s Hospital wurde
1956 auf Initiative von südafrikanischen Weltkriegsveteranen ins Leben gerufen und ist heute das größte
Kinderkrankenhaus in Afrika südlich der Sahara. Über
260 000 Patienten werden dort jährlich ambulant und
stationär versorgt. Mit 22 Betten verfügt es zudem
über die größte Kinderintensivpflegestation auf dem
Kontinent. »Was längst nicht ausreicht«, sagt der Leiter
der Station, Professor Andrew Argent. »Heute müssen
Patienten fast zwei Tage warten, bevor wir sie zu uns
verlegen können.« Mit einem zusätzlichen Trakt soll die
Kapazität bis nächstes Jahr auf 39 Betten erweitert und
die Wartezeit drastisch reduziert werden. Die Regierung
der Western Cape-Provinz steuert einen Teil der Kosten
bei, den Rest deckt der Trust mit Spendengeldern.
»Der Mann ist eine Inspiration«, sagt Louise Driver, und
wie bei allen, die auf den Professor mit den deutschen
Vorfahren zu sprechen kommen, ist auch in ihren Worten
uneingeschränkte Bewunderung zu spüren. »Die jungen
Ärzte hier sind begeistert, dass sie mit ihm zusammenarbeiten können«, erzählt Driver, die als Geschäftsführerin
des Children’s Hospital Trust maßgeblich mit dafür sorgt,
Das Kinderkrankenhaus hat Medizingeschichte geschrieben. Hier wurden 1964 erstmals in Südafrika
erfolgreich siamesische Zwillinge getrennt; hier wurde
1990 zum ersten Mal einem Kind in Südafrika ein Herz
eingepflanzt; hier erfolgte 1997 die erste kombinierte
Leber- und Nierentransplantation bei einem Kind. Und
hier wurde 1956 die bis heute einzige Spezialabteilung


in Afrika zur Behandlung von Brandopfern bis 13 Jahren
eingerichtet. Pro Jahr werden in der Burns Unit rund
3500 Patienten versorgt, 85 Prozent davon sind jünger
als sechs Jahre, fast alle sind schwarz.
unerträglichen Qual wird. Rode treibt diese Frage seit
Jahren um. »Ein moralisches Dilemma«, sagt er.
Heinz Rode sieht erschöpft aus. Gerade hat er ein kleines
Mädchen untersucht, das zwei Tage zuvor bei einem
Brand schwere Verbrennungen erlitten hatte. Irgendwie
hatte es die Dreijährige durch ein Fenster nach draußen
geschafft, als ihre Hütte in Mfuleni, einem Township
40 Kilometer von Kapstadt entfernt, in Flammen aufging.
Ein Onkel, als Händler weniger erfolgreich als ihre Mutter,
hatte in der Nacht einen Molotow-Cocktail geworfen. Die
Mutter und eine Schwester kamen in den Flammen um.
Jetzt liegt das Mädchen, von Kopf bis Fuß bandagiert, auf
der Intensivstation. Fast die Hälfte seiner Hautoberfläche
ist verbrannt. Eine Verwandte ist bei ihm.
Ein Dilemma, das in Südafrika vor allem die schwarze
Unterschicht in den wilden Siedlungen betrifft, die rund
um die großen Metropolen aus dem Boden schießen.
»Verbrennungen und Verbrühungen sind ein Fluch der
Armut«, bringt es Louise Driver auf den Punkt. »Die Menschen leben in beengten Verhältnissen mit Feuerstellen
auf dem Boden, mit Petroleumkochern in der Ecke und
herumhängenden Stromkabeln. Unfälle sind da fast vorprogrammiert. Vor allem Kleinkinder sind gefährdet.«
Heinz Rode wird die Kleine retten. Er ist mit seiner chirurgischen Kunst inzwischen in Bereiche vorgestoßen, in
denen selbst Patienten mit über 90 Prozent verbrannter
Haut Überlebenschancen haben. Bereiche, in denen die
Frage auftaucht, wie weit man die Möglichkeiten der
modernen Medizin ausreizen soll, wenn das Ergebnis des
handwerklichen Erfolgs ein behinderter, entstellter, deformierter Mensch ist, dem das gerettete Leben zu einer
links: Ibrahim | Mitte: Stern | rechts: Children’s Hospital Trust
S Ü D A F R I KA
S P EZI A L
Fluch der Armut
Wie überall, wo es um Leben und Tod geht, ist auch die
Brandwundenabteilung des Kapstadter Kinderkrankenhauses ein Ort der Hoffnung und der Verzweiflung. Ein
Ort, an dem Mütter und Väter um ihre Kinder bangen,
an dem sie beten, an dem sie trauern. Das War Memorial
Children’s Hospital aber ist zugleich der Spiegel einer
gesellschaftlichen Katastrophe, deren Spuren unübersehbar sind – eingegraben in die Haut ihrer Opfer. Für
immer. Man kann nicht wegsehen.
W W W.C H I L D R E N S H O S P I TA LT R U S T.O RG . Z A
Sie versuchen die Folgen einer gesellschaftlichen Katastrophe zu mildern:
Heinz Rode, Louise Driver, Andrew Argent (v.l.)


43
AS I EN
Asien
Bislang zählt die Allianz im Bereich neue Medien nicht unbedingt
zu den Trendsettern. Doch das könnte sich bald ändern: In Singapur
betreibt die Allianz ein Digitallabor, in dem Experten derzeit an
einer Erfolgsformel für die Zukunft tüfteln.
FR AN K ST E R N
Shutterstock
Spiele, Punkte und Rabatte
»Wir haben den Kontakt zu unseren Kunden in vielen
Bereichen aus der Hand gegeben und ihn weitgehend
Dritten überlassen«, sagt Joos Louwerier, »Den Banken
zum Beispiel oder Maklern und Vertretern. Nun aber haben
wir die Chance, uns wieder selbst ins Spiel zu bringen.«
Mit einem Team von gut 20 Mitarbeitern entwickelt der
Niederländer, als Chief Operating Officer für das Tagesgeschäft bei Allianz Life in Korea zuständig, gerade die
Lebensversicherung von morgen.
Sein Kollege James Chen versucht derweil in Shanghai,
die Kfz-Versicherung für die Digital Natives aufzuladen,
jener Generation, die in der Welt von Alibaba, Baidu,
und WeChat zu Hause ist und vorzugsweise über diese
Kanäle erreicht werden kann. Der Direktkanal, den Chen
und sein Team in den vergangenen Monaten entwickelt
haben, ist Smartphone-kompatibel, bietet einen Tarifschnellrechner, modulare Angebote, Onlinezahlung,
Kundenbewertungen und Verbindung zu sozialen Netzwerken. Anfangs können Kfz-, Unfall-, Reise- und Krankenversicherungen abgeschlossen werden, später sollen
weitere Angebote hinzukommen. Geplant ist zudem
eine Mobilitäts-App, die Kunden eine ganz neue Welt
eröffnen wird.
Die Allianz App wird in der Lage sein, die Fahrweise von
Kunden zu analysieren und besonnenes Verhalten mit
Rabatten auf die nächste Versicherungsprämie zu honorieren. Auch die Pannenhilfe per Tastendruck gehört
zum Paket. Mit ihren Angeboten will die Allianz zum
ständigen Begleiter ihrer Kunden werden und ein Defizit
der Vergangenheit beheben: »Für Versicherer war es in
44


der Vergangenheit recht schwierig, regelmäßig mit ihren
Kunden in Kontakt zu kommen«, sagt Chen. »Mobile Plattformen und soziale Netzwerke aber bieten uns heute eine
Vielzahl von Interaktionsmöglichkeiten.«
Die sind allerdings auch das Einfallstor für »artfremde«
Konkurrenz. »Wir stehen inzwischen nicht mehr nur im
Wettbewerb mit anderen Versicherungsunternehmen«,
beschreibt Chen, der früher bei Chinas zweitgrößter
Versicherung Ping An für Innovationsprojekte zuständig
war, die Lage. »Heute haben wir es mit ganz neuen Mitspielern zu tun. Und die sind sehr aggressiv, sehr schnell
und kennen sich mit neuen Technologien bestens aus.«
Chinas Technologieriesen Alibaba und Tencent haben
zusammen mit Ping An bereits einen Online-Versicherer
aus der Taufe gehoben. Da kommt auf die traditionellen
Versicherer einiges zu.
Digitale Aufholjagd
»Noch hinkt die Allianz der Entwicklung hinterher«,
räumt Philipp Wolfensberger ein. »Doch wir sind dabei,
die Lücken zu schließen.« Der Schweizer weiß, dass dafür
nicht viel Zeit bleibt. Bei ihm laufen die Fäden aller Digitalisierungsprogramme zusammen, die Ende letzten Jahres
unter dem Titel Digital@Allianz in der Region Asien-Pazifik
gestartet wurden. Eine Kernmannschaft, besetzt mit
Experten für Lebens- und Sachversicherung sowie den
Bankvertrieb, hatte in Singapur zunächst die Strategie für
die digitale Aufholjagd entworfen. Anschließend begann
die Feinarbeit: Für den Lebensversicherungspart hat man
sich mit Allianz Life in Korea zusammengetan; neue Kfz-


45
James Chen
Philipp Wolfensberger
alle Fotos: Stern (wenn nicht anders angegeben)
AS I EN
Allianz Life Korea
den Verkauf von Policen. Es geht darum, verschiedene
Mobilitätsaspekte miteinander zu verknüpfen – und das
auf möglichst spielerische Art.
Joos Louwerier entwickelt mit seinem Team in Korea die Lebensversicherung von morgen
Versicherungsangebote werden bei der Allianz China in
Shanghai getestet; und in Indonesien beschäftigt sich ein
Team unter Leitung von Philipp Wolfensberger mit dem
Digitalangebot für den Bankenkanal.
Doch was davon nimmt der Kunde an? Was funktioniert?
Was nicht? Noch gibt es kaum Erfahrungswerte, an denen
sich die Allianz Teams orientieren könnten. Es ist wie eine
Entdeckungsreise in unerforschtes Gebiet – Ausgang
ungewiss. »Trial and Error, Versuch und Irrtum«, sagt
Wolfensberger. »Ein solches Projekt erfordert unkonventionelles Denken und den Mut, Fehler zuzulassen.«
Was sich schnell mal so dahinsagt, in der Praxis aber für
viele eine mächtige Hürde darstellt. »Kulturell bedingt
in Asien noch mehr als in Europa«, unterstreicht Joos
Louwerier. »Doch um erfolgreich zu sein, müssen wir die
Furcht, Fehler zu begehen, ablegen.« Und das möglichst
schnell, denn das Ziel ist nicht gerade bescheiden: »Wir
wollen nicht nur zu den anderen aufschließen«, sagt Louwerier. »In zwei Jahren wollen wir an der Spitze stehen.«
Die Bedingungen dafür sind so schlecht nicht, schließlich
können die Entwicklerteams aus dem umfangreichen
Arsenal der Allianz schöpfen und daraus neue, digitale
46


Angebotspakete zusammenstellen. Voraussetzung dafür
sei allerdings eine größere Kooperationsbereitschaft
zwischen den verschiedenen Tochtergesellschaften und
Sparten, als das in der Vergangenheit der Fall war, sagt
Philipp Wolfensberger. »Wir müssen lernen, dass wir
eine Familie sind.«
Neben größerem Familiensinn zählt eine ausgefeilte
Marktforschung zu den wichtigsten Säulen des Digitalprogramms. »Die intelligente Analyse von Daten gibt
uns Auskunft über Kundenverhalten und -wünsche«, beschreibt James Chen den Ansatz. Daher werden Neuentwicklungen vor der Markteinführung auch ausgiebig an
Referenzgruppen auf ihre Wirkung getestet. »Der Prozess
ist ganz auf die Kundensicht ausgerichtet«, setzt Wolfensberger hinzu. »Wir zeichnen den Tagesablauf von realen
Personen nach und erfahren, welche Daten sie bereit sind,
mit uns zu teilen, und in welchem zeitlichen Rhythmus.«
Auf diese Weise lässt sich auch herausfiltern, wie sich
vom eher uninspirierenden Thema Versicherung die
Brücke zur bunten Digitalwelt schlagen lässt. Für den KfzBereich haben James Chen und sein Team in Shanghai
bereits eine ganze Palette an Interaktionsmöglichkeiten
mit dem Kunden entwickelt. Dabei geht es nicht nur um
Auch auf der Bankenseite tut sich einiges. Dabei nutzen
Philipp Wolfensberger und sein Team die Vorteile, die
der Kooperationsvertrag der Allianz mit HSBC in Taiwan,
China, Indonesien und Malaysia bietet. Ab Juli gibt es für
wohlhabende HSBC-Kunden in Indonesien umfassende
digitale Angebote, weitere Segmente, wie Kreditkartenkunden, sollen folgen. »Wir holen auf«, sagt Wolfensberger. »Derzeit analysieren wir gerade, wie wir unsere
Neuentwicklungen auch in anderen Märkten wie Taiwan
oder Malaysia einsetzen können.«
In ihrem Digitallabor in Singapur tüfteln Allianz Experten
an einer Erfolgsformel für die Zukunft
Der Countdown läuft
Währenddessen läuft bei der Allianz in Korea der Countdown für eine neue Form der Lebensversicherung – ein
Bereich, in dem der Kundenkontakt in der Regel noch
seltener vorkommt als in der Autosparte. Geht es nach
Joos Louwerier, wird sich das bei Allianz Life in Korea in
absehbarer Zeit ändern. Neue Angebote von Allianz Global
Assistance und von BNoom, einer Firma, die GesundheitsApps entwickelt, sollen dabei helfen.
Über Internet-Blogs zu Gesundheits- und Ernährungsthemen und in Zusammenarbeit mit Internetanbietern werden zahlreiche Anfragen zu Versicherungsthemen direkt auf die neu entwickelte Allianz Webseite
»AllRight« geleitet. Über einen Schnellrechner können
sich Interessenten dort Preise für einfache Lebens- und
Krankenversicherungen anzeigen lassen, einen kurzen
Gesundheitscheck durchlaufen und schließlich ein
Versicherungspaket wählen, das ihren speziellen Vorsorgewünschen entspricht.
Als Entscheidungshilfen zeigen Grafiken an, wie viele
Kunden mit ähnlichem Anforderungsprofil welche Art
von Police abgeschlossen haben. Wer »AllRight« weiterempfiehlt, kann sich eine Belohnung wie etwa einen
Gutschein von Starbucks sichern. Doch das ist erst der
Anfang. Louweriers Team will die Kontaktmöglichkeiten
noch weit stärker ausbauen. »Eine spezielle Fitness-App
soll Kunden helfen, etwas für ihre Gesundheit zu tun«,
erläutert der Betriebswirt das Modell. »Davon haben
beide Seiten etwas, und wir erhalten Zugriff auf Daten,
die wir bisher nicht hatten.«
Spiele, Punkte und Rabatte – die Versicherung der Zukunft
wird mit neuen Anwendungen und Dienstleistungen angereichert, die das Leben der Kunden erleichtern sollen und
den Anbietern Zugriff auf bislang schwer zugängliche Informationen gewähren. »Wir werden gerade Zeugen einer
faszinierenden Entwicklung«, sagt Philipp Wolfensberger.
»Es ist, als wären wir Teil eines Startup-Unternehmens.«
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Allianz Journal 2/2015
AS I EN
Zwischen Scharia
und Moderne
Brunei – aus der Ferne mutet der Zwergstaat im Norden Borneos wie eine
Mischung aus »Tausendundeiner Nacht« und »Dallas« an, ein Fleckchen Erde,
dem das Öl aus allen Poren quillt und das von einem märchenhaft reichen
Sultan regiert wird. Kolja Klawunn kennt das Land aus eigener Anschauung. Seit
2009 steht der Allianz Mann an der Spitze der National Insurance von Brunei.
F RA N K ST ERN
Als Kolja Klawunn vor sechs Jahren seine Stelle als Chef
der National Insurance antrat, hatte er von dem, was ihn
in Brunei erwarten würde, nur eine vage Vorstellung.
Zwar hatte er zuvor schon fünf Jahre lang in Singapur
gelebt und gearbeitet, doch Singapur gilt gemeinhin als
Asien light – und das nicht ohne Grund. Schon bald sollte
der Diplom-Kaufmann erfahren, dass Brunei Darussalam,
der Hort des Friedens, von Singapur nicht nur durch das
Südchinesische Meer getrennt ist.
Von einer ziemlich weltoffenen, weitgehend säkularen
Millionenmetropole machte sich Klawunn im Jahr 2009
mit Frau und zwei kleinen Kindern in das malayischislamische Königreich auf. »Der Job klang interessant«,
erzählt der 44-Jährige. »Wann wird man schon mal an
die Spitze eines Unternehmens berufen?« Eines Unternehmens zudem, das mit Abstand die Nummer 1 im
Sachversicherungsmarkt ist – wenn man die beiden
islamkonformen Takafulversicherungen des Landes mal
48
Mit 38 Landeschef einer Versicherung – auch wenn man
in einem Staat mit weniger Einwohnern als Duisburg
kaum viel falsch machen kann, für Allianz Verhältnisse
dennoch bemerkenswert. Und so ganz ohne war die
Aufgabe dann auch wieder nicht. Zum einen wegen der
zum Teil recht anspruchsvollen Kundschaft, zu der auch
Mitglieder der Herrscherfamilie zählen, zum anderen
wegen der 40 Mitarbeiter, die von ihrem neuen Chef auf
allen Gebieten klare Ansagen erwarteten.
»Da gab es keine Frage, die ich nicht aus dem Eff-Eff hätte
beantworten sollen«, erinnert sich Klawunn an die Anfänge.
»Von Underwriting bis Schadenmanagement, von Finanzen bis Personalangelegenheiten – der Mann aus der
Zentrale hatte alles zu wissen und alles zu entscheiden.
Alles!« Es dauerte seine Zeit, bis er seine Vorstellung von
Stern
Die Omar Ali Saifuddien-Moschee
in Bruneis Hauptstadt Bandar Seri Begawan
außen vor lässt – und das zuverlässig Gewinne abwirft:
2014 war das erfolgreichste Jahr in der Firmengeschichte.
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Allianz Journal 2/2015
beide Fotos: Stern
AS I EN
National Insurance
Arbeitsteilung, Eigeninitiative und Selbstverantwortung
vermittelt hatte. »Inzwischen läuft es ganz gut«, sagt er,
»aber anfangs war es nicht einfach, die Leute zu bewegen, selbst Entscheidungen zu treffen. Hätten ja falsch
sein können.«
Marmor und Gold
Die National Insurance deckt rund 40 Prozent des
konventionellen Sachversicherungsmarktes Bruneis ab.
Wichtigster Kunde ist die Brunei Investment Authority
(BIA), eine Behörde des Finanzministeriums, die die
Einnahmen aus den Öl- und Gasexporten in aller Welt
gewinnbringend anlegen soll. In Infrastrukturprojekte
ebenso wie in die Luxus-Hotelkette Dorchester Collection
oder das Beverly Hills Hotel in Los Angeles. Auch das
von der National Insurance versicherte Empire Hotel vor
den Toren von Bruneis Hauptstadt Bandar Seri Begawan,
ein Milliardenobjekt aus Gold und Marmor, zählt dazu.
Im Jahr 2000 eröffnet, ist das Empire dank seiner kathedralenhaften Opulenz heute eine Touristenattraktion –
eine der wenigen, die das Land zu bieten hat.
Abwechslungen sind im Reich von Sultan Haji Hassanal
Bolkiah, in dem es der Presse längere Artikel wert ist,
wenn bei McDonald’s das Menü wechselt, eher rar gesät.
Zumindest für die Untertanen. »Es geht hier schon sehr
beschaulich zu«, beschreibt Kolja Klawunn den Alltag im
Land. Seit 1991 besteht Alkoholverbot, ein Nachtleben
gibt es ebenso wenig, wie kulturelle Angebote, wenn man
S
IS C H E
H IN E S
S Ü D - C M E E R Bandar
Seri Begawan
Limbang
mal das Royal Regalia-Museum, in dem der Krönungswagen des Sultans und eine Kopie seines Throns zu
sehen sind, ausnimmt – oder auch das Brunei-Museum,
das, wenn es nicht seit anderthalb Jahren geschlossen
wäre, die Geschichte des Landes beleuchten würde.
Außer ein paar Kinos, einigen Cafés und Restaurants
bleibt Einheimischen und Touristen der Ausflug in die
Natur. Die bei Joggern beliebten Freizeitparks der Hauptstadt machen allerdings um 18 Uhr dicht.
Quasi als Ausgleich für die Reizarmut im Land müssen die
Untertanen keine Einkommenssteuer zahlen, Bildung und
ärztliche Versorgung sind frei, und Benzin kostet um die
50 Brunei-Cents (35 Euro-Cents) pro Liter. Kein Wunder,
dass das Volk seinem Sultan den Palast mit den über 1700
Zimmern und den Fuhrpark, in dem 5000 Luxuskarossen
stehen sollen, gönnt. Die im vergangenen Jahr verkündete
Einführung der Scharia im Strafrecht, die in der Endstufe
unter anderem Auspeitschen für Alkoholvergehen, Handamputation für Diebe und die Steinigung von Homosexuellen und Ehebrechern vorsieht, hat allerdings auch
bei Sultanfans für Verunsicherung gesorgt.
Mit der zunehmend konservativen Ausrichtung will sich
das Sultanat nicht zuletzt als erste Adresse für den muslimischen Reisemarkt empfehlen. Im Jahr 2013 machte
der mit rund 140 Milliarden US-Dollar etwa 13 Prozent
am globalen Tourismusgeschäft aus. Bis 2018 dürfte der
Umsatz weltweit auf über 180 Milliarden Dollar steigen.
Brunei will sich einen Anteil daran sichern.
Kampong Ayer ist das größte Wasserdorf der Welt und wurde schon vor 1000 Jahren in Reiseberichten erwähnt.
Anfang der 90er Jahre lebten in den Pfahlbauten noch 25 000 Menschen, inzwischen sind es weniger als die Hälfte
BRUNEI
M A L AY S I A
PHILIPPINEN
BRUNEI
M A L AY S I A
Borneo
INDONESIEN
50
Kolja Klawunn ist seit 2009 Chef der National Insurance in Brunei
Der Ausbau des Tourismus, so die Hoffnung, soll dem
Land helfen, sich unabhängiger von Öl und Gas zu machen. Deren Anteil am Export betrug 2013 knapp 96
Prozent. Die königliche Fluggesellschaft Royal Brunei
ist schon seit langem auf die muslimische Klientel eingestellt: Es ist die einzige Airline in Südostasien, die auf
ihren Flügen keinen Alkohol serviert. Seit vergangenem
Jahr bietet Allianz Global Assistance auf der Website der
Royal Brunei unter dem Label der National Insurance
Reiseversicherungen an. Das Geschäft läuft gut.
Islamkonformer Tourismus
Ob aber Halal Travel, der islamkonforme Tourismus,
den Rückgang der Einnahmen aus dem Ölgeschäft wettmachen kann, ist fraglich, zumal keine halbe Flugstunde
entfernt das malaysische Kota Kinabalu mit weitaus mehr
Attraktionen aufwarten kann und auch westliche Reisende nicht abschreckt. Schätzungen gehen davon aus, dass
das Sultanat bei den aktuellen Ölfördermengen noch gut
20 Jahre »flüssig« ist, sollten in der Zwischenzeit keine neuen Lagerstätten erschlossen werden. Nicht viel Zeit, um
Alternativen zu entwickeln. Erschwerend kommt hinzu,
dass es laut Weltbank in kaum einem Land so schwierig ist,
neue Geschäftsideen umzusetzen, wie in Brunei.
Imad und Anne Aljandali haben es trotz aller Widrigkeiten geschafft. Nach einer holprigen Anlaufphase ist
es dem syrisch-deutschen Paar gelungen, ihren kleinen
Laden in einem Vorort der Hauptstadt, in dem sie Lebensmittel aus Deutschland verkaufen, in Schwung zu bringen.
Kolja Klawunn ist Stammkunde im German Shop: Es ist
der einzige Ort, wo er Backmischungen für die Herstellung von Brot bekommt, wie er es aus der Heimat kennt.
Doch der Laden hat sich auch bei Einheimischen zu einer
kleinen Attraktion entwickelt. Und das, ohne groß die
Reklametrommel zu rühren.
CHINA


Die National Insurance wurde 1969 gegründet. 1998
übernahm die Allianz 25 Prozent an der Gesellschaft.
Heute ist das Unternehmen unter den fünf konventionellen Anbietern mit 40 Prozent Marktanteil die
mit Abstand größte Versicherungsgesellschaft des
Landes. Hauptgeschäftsfelder sind Immobilien, Berufsunfall- und Kfz-Versicherungen. Die Gesellschaft
hat 40 Angestellte und arbeitet mit 165 Vertretern
zusammen. Sie betreuen rund 20 000 Kunden und
erwirtschaften gut 80 Prozent der Prämieneinnahmen.
Im vergangenen Jahr lag die Schaden-Kosten-Quote
unter 75 Prozent. Mit einem Nettoergebnis von vier
Millionen Brunei-Dollar (rund 2,5 Millionen Euro) war
es das erfolgreichste Geschäftsjahr in der 46-jährigen
Firmengeschichte.

W W W. N AT I O N A L .C O M . B N
Auch die National Insurance kommt ohne aufwändige
Werbekampagnen aus. »Uns kennt jeder hier«, sagt
Klawunn. Seinen Werbeetat setzt er lieber zur Unterstützung von sozial schwachen Familien ein, was ohne
weiteres Zutun jedes Mal für große Publicity sorgt. »Die
Zeitungen sind immer voll davon«, sagt der gebürtige
Münchner. Zwar verfügt Brunei dank seiner sprudelnden
Ölquellen über eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen
der Welt, doch nicht jeder im Lande profitiert von dem
Reichtum. Im Schatten der vergoldeten Kuppeln des
Märchenpalastes von Sultan Haji Hassanal Bolkiah stößt
man durchaus auch auf Armut.
Jedes Jahr organisiert die National Insurance ein Golfturnier für Vertreter und ihre Kunden, dessen Einnahmen
für wohltätige Zwecke gespendet werden: für die Ausstattung von Schulen zum Beispiel, für bedürftige Familien
oder die Förderung von Schülern – gerecht verteilt auf
staatliche und private Schulen in allen vier Distrikten
Bruneis. Daneben veranstalten die Mitarbeiter regelmäßig
Flohmärkte, deren Erlöse für Sozialprojekte eingesetzt
werden; oder sie unterstützen Organisationen wie Pusat
Ehsan, die lernbehinderte und autistische Kinder fördert.
»Das ist die beste Werbung, die man sich denken kann«,
sagt Klawunn.
In seinem Büro steht ein Schild, das die Entfernung zur
Allianz Arena in München anzeigt. Es sind mehr als die
10 575 Kilometer, die ihn von seiner Heimatstadt trennen.

51
Allianz Journal 2/2015
Gesellschaft
Bis zur nächsten
Katastrophe
Roth
Der Mensch lernt nur durch Katastrophen.
Zu süß schmeckt der schnelle Gewinn, als dass
nachhaltiges Handeln eine Chance hätte. Das
zumindest war die Bilanz, die die Teilnehmer
der diesjährigen Benediktbeurer Gespräche
zogen. Am Beispiel der deutschen Umweltpolitik
machten sie deutlich, dass einzig die eigene
Betroffenheit Veränderung bewirkt.
»Es geht um die Zukunft«: In Benediktbeuern diskutierten Matthias Freude, Alois Glück, Lutz Spandau, Volker Angres und Eberhard Brandes (v.l.) über Panikmache
und Dogmatismus in der Umweltdebatte
25 Jahre sind eine lange Zeit. Im vergangenen Vierteljahrhundert gab es unglaubliche Entwicklungen, die die
Gesellschaft grundlegend verändert haben. Man denke
nur an das Internet. Für den Umweltschutz jedoch bedeutet die Zeitspanne nur einen Wimpernschlag. Wie
zäh sich der Kampf für eine bessere Welt mit weniger
Artensterben, sauberer Energiegewinnung und sozialer
Gerechtigkeit gestaltet, wurde bei den diesjährigen Benediktbeurer Gesprächen deutlich vor Augen geführt.
M I C HA E L GR I M M
»Die Vergangenheit ist nicht mehr gestaltbar – es geht um
die Zukunft. Umweltpolitik in Deutschland 1990-2015:
Bilanz und Ausblick« – es war ein ziemlich sperriger Titel,
unter den die Allianz Umweltstiftung das Symposium im
25. Jahr ihres Bestehens gestellt hatte. Und er schmeckte etwas nach Ratlosigkeit. Was tun gegen eine alles
erdrückende Stagnation, gegen Umweltverdruss und
Wohlstandsphlegma? Gastgeber Lutz Spandau mag
diese Frage durch den Kopf gegangen sein, als er über
seinem Vortrag brütete.
52

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Ähnliche Gedanken hatte sich der Stiftungsvorstand
schon 1999 gemacht, als er an selber Stelle die Benediktbeurer Gespräche eröffnet hatte. Seine damaligen Worte:
»Seit gut einem viertel Jahrhundert ist uns die Umweltkrise
bewusst, deshalb wurde der Umweltschutz erfunden,
wurde getagt und angeklagt. Umweltparteien gruppierten sich und gerieten in die Regierungsverantwortung.
Doch gerade jetzt, wo der Einstieg in eine ökologische
Politik sich vom Wunschbild zur Wirklichkeit wandeln
könnte, macht sich massiv ein gegenläufiger Trend bemerkbar. Umwelt sei mega-out, unkten die Medien, und
kein Thema mehr.«
Hastige Korrekturen
Heute, 16 Jahre später, hielten sich die Deutschen für die
Musterschüler der Umweltpolitik, legte Spandau nach.
So als habe man mit der Ausrufung der Energiewende
sämtliche ökologischen Probleme gelöst. »Welch ein
Irrtum«, so der Stiftungschef. Auf teils dramatische Ereignisse folgten hastige Kurskorrekturen mit minimaler
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oder gar gegenläufiger Wirkung – siehe den Atomausstieg und das nachfolgende Braunkohle-Revival.
Auch der Raubbau an der Natur setzt sich unvermindert
fort, dennoch scheinen Waldsterben, Gletscherschmelze
und Überflutungen in der öffentlichen Debatte abgehakt.
Der Alarmismus früherer Tage ist einer Art Gleichgültigkeit
gewichen. »Sind es der Pessimismus, der Dogmatismus,
der Fundamentalismus, der der Umweltbewegung ihre
Dynamik genommen hat?« lautete Spandaus provokante
Frage. Und damit überließ er die Bühne den Gästen aus
Politik, Medien und Verbänden. Auch wenn die ganz
großen Kontroversen ausblieben – dafür fehlte einfach
ein Gegner aus der Umweltsünderriege der Industrie –,
so ließ sich aus dem Destillat der besten Thesen am Ende
doch erkennen, an was die Umweltbewegung krankt.
Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen
Katholiken und Mitglied der Ethikkommission für eine
sichere Energieversorgung, appellierte an die Bundesregierung, im Bereich der Umweltpolitik international
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Allianz Journal 2/2015
© 2013, Scott Adams, Inc./Distr. Universal Uclick/Distr. Bulls
GESELLSCHAFT
Roth
ZDF-Moderator Volker Angres
beklagte das Fehlen einer Gesamtsicht auf Umweltprobleme
mehr Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig
forderte er die Gesellschaft zu einer nachhaltigeren
Lebensweise auf.
wandel; die größte Bedrohung für die Artenvielfalt sei
vielmehr der hohe Düngemitteleinsatz in der Landwirtschaft. »Wir fürchten uns vor dem Falschen«, so Freude.
Für den früheren Landtagsfraktionschef der bayerischen
CSU wird die »Zukunft der Welt im Spannungsfeld zwischen der Fähigkeit zu Innovation und der Bereitschaft zur
Veränderung einerseits und der Bereitschaft zur Selbstbegrenzung andererseits entschieden«. Dafür aber müsse
sich die Ausrichtung der Umweltdebatte wandeln, weg
von Panikmache und Untergangsszenarien. »Wir brauchen
eine Positivstrategie«, sagte Glück.
»Systemische Unwucht«
Eberhard Brandes, Chef von WWF Deutschland, räumte
ein, dass der Hype um den Klimawandel nicht besonders
förderlich gewesen sei: »Vieles ist ideologisiert worden.
Das war der Sache nicht dienlich.« Die wesentliche Herausforderung für die Gesellschaft sieht der Umweltaktivist
allerdings schon lange nicht mehr in einer ethischen Debatte über die Zukunft. »Wir haben weniger ein Konzeptproblem, als vielmehr ein Implementierungsproblem.
Wir überlegen uns sehr viele Dinge, aber am Ende klappt
es nicht mit der Ausführung.« Als Beispiel nannte Brandes
die nationale Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung.
Wie könne ein solches Konzept erfolgreich umgesetzt
werden, wenn die Bundesländer gar nicht verpflichtend
integriert würden?
Ein wirkungsvolleres und vor allem interdisziplinäres
Handeln forderte auch Matthias Freude, Präsident des
Landesumweltamtes in Brandenburg. »Wir haben eine
Menge Flächen unter Schutz gestellt. Aber was bringt
das?« fragte er in die Runde. Zwar würden Seeadler und
Kraniche wieder öfter gesichtet, das ändere aber nichts
daran, dass in Europa in den vergangenen 20 Jahren
etwa 300 Millionen Vögel aus der Kulturlandschaft verschwunden seien. »Mittlerweile sind die Friedhöfe in
den Städten unsere artenreichsten Biotope.« Der Grund
für die Verschiebung sei nicht in erster Linie der Klima-
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Nach Ansicht von Volker Angres, Ressortleiter Umwelt
des ZDF, fehlt in der Umweltpolitik nach wie vor systemisches Denken, die Überlegung, wie alles mit allem
zusammenhängt, und die sich daraus ergebenden politischen Konzepte. Wenn es darauf ankommt, ist sich eben
jeder immer noch selbst der Nächste. Als Beispiel dafür
nannte der Journalist die schleppende Einführung der
Elektroautos. Seine Prognose: »Die Autoindustrie wartet
so lange, bis eine Regierung bereit ist, die E-Mobilität
massiv zu subventionieren.« Die Umwelt spiele bei diesen Überlegungen kaum eine Rolle. Umweltschädigende
Rohstoffproduktion und unmenschliche Arbeitsbedingungen in der Dritten Welt zeigten das ganze Ausmaß
der systemischen Unwucht.
Selbstbeschränkung, Innovation, nachhaltiges und
vor allem Denken in größeren Zusammenhängen –
die Schritte hin zu einer besseren Zukunft wurden auf
den Benediktbeurer Gesprächen klar herausgearbeitet.
Allein der Mensch scheint nicht stark genug, sie umzusetzen, jedenfalls so lange nicht, bis er durch eine
Katastrophe dazu gezwungen wird. Oder wie es Volker
Angres formulierte: »Nicht die Vernunft, nicht das Verständnis von umweltsystemischen Notwendigkeiten
liefert Impulse für politisches Handeln, sondern einzig
und allein die eigene Betroffenheit.«
Dem gegenüber stehen positive Beispiele von Einzelpersonen, Stiftungen und Verbänden. Doch ohne die
Verbindung zum globalen System aus Gesellschaft,
Wirtschaft und Politik bleiben sie ein Tropfen auf den
heißen Stein.
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