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MARKENFÜHRUNG
VKE-Treff 2014
Markenartikel 8/2014
HANDEL
RECHT
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Veränderungen anstoßen
Bei den TED-Konferenzen präsentieren Vordenker neue Ideen
und Visionen. Auch für die Markenführung werden interessante
Ansätze aufgezeigt.
18 Minuten können die Welt verändern. Das ist der Anspruch von TED, einer Non-Profit-Organisation aus
New York, deren drei Buchstaben für Technologie, Innovation und Design stehen. TED-Konferenzen wurden 1984 ins Leben gerufen und folgen dem Motto
'Ideas worth spreading'. Zwei Mal im Jahr kommen
dabei Denker, Macher und Künstler zusammen, um
innovative Ideen, neue Denkansätze und kreative Visionen vorzustellen. Ihre TED-Talks werden nach der
Konferenz auf www.ted.com als Video veröffentlicht.
Inzwischen wurden diese bereits drei Milliarden online angeschaut.
Was TED-Talks besonders macht
Jeder maximal 18-minütige TED-Talk findet vor Publikum statt und soll inspirierend sein, das heißt Emotionen müssen geteilt und geweckt werden. Es geht darum, eine Geschichte zu erzählen – und diese gut zu
erzählen. Gleichzeitig muss die Präsentation auf eine organisierte und überzeugende Art und Weise geschehen. Zahlen, Daten und Fakten werden mit einer Handlung und persönlich Erleben verbunden, um
den Bezug zwischen Sprecher und Thema aufzuzeigen.
Bei den TED-Talks haben die Redner max. 18 Minuten für ihre Präsentation
Des Weiteren soll nur eine einzige Idee vermittelt werden, um maximalen Effekt zu erzielen. Zur Unterstreichung der Kernaussage können wenige, aber gute visuelle Materialien verwendet werden.
Neben der hochwertigen Präsentation steht bei TED
auch die Auswahl des Publikums im Vordergrund, damit nicht nur die TED-Talks, sondern auch der Austausch mit den anderen Teilnehmern zwischen den
einzelnen Sessions möglichst anregend ist. Letztendlich gilt außerdem: Es ist keine Werbung ('selling from
the stage') erlaubt. Was können Führungskräfte gerade
auch aus den Bereichen Konsumgüterhersteller, Handel und Medien von der TED lernen? Wir haben drei
TED-Talks ausgewählt, um exemplarisch Einblicke
in Themen wie Schönheit, Genuss und Wahlmöglichkeiten zu geben, bevor wir anhand eines vierten TEDTalks Implikationen für die Führungspraxis von morgen (bzw. von heute) vorstellen.
Wie Schönheit sich anfühlt
Quelle: Red Onion TEDx, Foto: Sebastian Gabsch
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Der Designer Richard Seymour erforscht die menschliche Reaktion auf Schönheit und die überraschende
Kraft von schönen Objekten. Er analysiert, wie es
kommt, dass wir eine Geschichte, ein Kunstwerk, ein
Gesicht oder ein Designobjekt als schön empfinden.
In seinem TED-Talk 'How beauty feels' verdeutlicht
er mit zahlreichen Beispielen, dass Schönheit etwas
ist, das Menschen fühlen. Sie sind Sklaven des ersten
Eindrucks. In 50 Millisekunden entscheidet sich, ob
sie eine emotionale Verbindung aufbauen oder nicht.
Dies ist auch das Zeitfenster, das Produkte haben,
um zu überzeugen – im Regal oder beim Auspacken
zu Hause.
Wahre Schönheit kommt selten aus Teamarbeit oder
Fokusgruppenergebnissen, so Seymour, sondern aus
dem schöpferischen Genius und der Liebe zum Detail des Designers. Es gibt für ihn eine Wissensebene
um Objekte herum, die Menschen wahrnehmen und
die sie emotional anspricht. Wahre Schönheit sei unfassbar schwierig zu erschaffen. Seymour weist da-
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Quelle: red onion TEDx, Foto: Sebastian Gabsch
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Seit 2009 können Organisatoren eigene Konferenzen unter dem Namen TEDx veranstalten. Bei der TEDxBerlin ging es 2013 um die City 2.0
rauf hin, dass die Aussage 'Form follows function' nur
manchmal zutrifft und stattdessen 'Form is function'
gelte. Designer müssten also die »emotionale Funktionalität« von Produkten sicherstellen.
Marken- und Produktverantwortliche aus der Konsumgüterindustrie und dem Handel sollten sich also fragen, wie ihre Produkte im Regal (First Moment
of Truth) und wie beim Auspacken zu Hause (Second
Moment of Truth) wirken, und ob die Kunden die
Schönheit der eigenen Produkte wirklich viszeral fühlen können. Im Fokus bei Markenführung und Produktentwicklung sollte die Frage stehen: Kann der
Kunde unmittelbar eine emotionale Beziehung zu den
Produkten aufbauen?
Die Ursprünge des Genusses
Warum mögen wir ein Original lieber als eine Fälschung? Der Psychologe Paul Bloom glaubt, dass Menschen Essentialisten sind: Der Glaube an die wahre
Natur eines Objektes und einer Geschichte ändern
das Erleben und beeinflusst, wie Menschen etwas erfahren und darauf reagieren. Bloom ist der Überzeugung, dass dieser Glauben eine tiefe Eigenschaft dessen darstellt, was Gefallen bzw. Genuss/Vergnügen
wirklich ist und gibt einige Beispiele dafür.
Für die Konsumgüterindustrie bedeutet dies, dass sich
die Verantwortlichen fragen müssen, wie das Genussempfinden des Konsumenten beeinflusst werden kann.
Das Framing, also die Setzung eines Bezugsrahmens,
ist entscheidend. Man muss dauerhaft die gleiche Geschichte erzählen. Beispiele wären hier der einprägsame und immer wiederholte Slogan 'Red Bull verleiht Flügel' und auch ein Markenname wie Boss, der
schon in das gewünschte Assoziationsfeld einführt.
Die Botschaft lautet: »Wenn du Boss trägst, wirst du
bald einer sein.« Die Schaffung des richtigen Referenzrahmens und die Einheitlichkeit in der Produktund Markenkommunikation sind also entscheidend.
Die Paradoxie von Wahlmöglichkeiten
Der Soziologe Barry Schwartz kritisiert den Glauben,
dass ein Mehr an Wahlmöglichkeiten automatisch nur
positive Seiten hat. Sein Hauptpunkt ist, dass zu große
Wahlfreiheit paralysieren kann und Kunden unzufriedener macht. Die wachsende Unzufriedenheit durch
mehr Wahlmöglichkeiten hat dabei laut Schwartz drei
Gründe: das Gefühl des Bedauerns, die getroffene Wahl
angesichts der Alternativen doch nicht anders getroffen zu haben, die gestiegenen Opportunitätskosten und
die eskalierenden Erwartungen an die Produkte durch
das größere Angebot.
Schwartz’ TED-Talk ist schon fast zehn Jahre her, aber
dennoch brandaktuell für das heutige Konsumentenverständnis. Marken müssen überlegen, was die Paradoxie der Wahlfreiheit für ihre Branche bedeutet.
Betreiben sie schon systematisch das Bolstering, also
das Bestätigen der Kaufentscheidung der Kunden, um
der gestiegenen Wahrscheinlichkeit zu begegnen, dass
TED-Talks
Richard Seymour: http://www.ted.com/talks/richard_seymour_how_beauty_feels
Paul Bloom: http://www.ted.com/talks/paul_bloom_the_origins_of_pleasure
Barry Schwartz: http://www.ted.com/talks/barry_schwartz_on_the_paradox_of_choice
Seth Godin: http://www.ted.com/talks/seth_godin_on_the_tribes_we_lead
Es gibt mittlerweile tausende TED-Talks aus verschiedenen Bereichen, die nach Themen oder über zusammengestellte Playlists zugänglich
sind (www.ted.com). Nicht nur zu Technology, Entertainment und Design, sondern auch zu Business, Wissenschaft und globalen Themen. Es
gibt sogar die Möglichkeit, sich über die TED-App Talks nach Zeitbudget vorschlagen zu lassen.
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Markenartikel 8/2014
Marken müssen überlegen, was die
Paradoxie der Wahlfreiheit für ihre
Branche bedeutet.
Stephan Balzer, Red Onion
Konsumenten mit ihrer eigenen Wahl nach dem Kauf
doch unzufrieden sind? Eine Möglichkeit wäre hier,
dass das Unternehmen an Branchenwettbewerben teilnimmt. Wird dann etwa der Duft eines Parfumherstellers zum Duft des Jahres gewählt, bestätigt dies den
Kunden im Nachhinein, dass sie die richtige Wahl getroffen haben.
Außerdem ist es wichtig, Events für die Kunden zu organisieren, damit diese erleben können und bestätigt
bekommen, wie großartig eine Marke oder ein Produkt ist. Weitere Fragen, die sich Unternehmen stellen
sollten: Investieren Sie in Customer-Relationship-Marketing? Haben Sie Landing-Pages mit Testimonials?
Wie steht es um die Kommentare auf Facebook oder
Bewertungsplattformen, in denen Konsumenten Bestätigung für gute Produkteigenschaften finden und sich
austauschen können?
Bisher haben wir Beispiele zu Schönheit, Vergnügen
und Wahlmöglichkeiten gesehen. Und die oben bereits
angesprochene Führungspraxis? Die TED Talks haben
einige Speaker, wie Simon Sinek oder Richard St. John,
deren Talks zu Leadership und Erfolg viele Millionen
Mal angesehen wurden. Hier wollen wir jedoch einen
Talk von Seth Godin empfehlen.
Das Konzept des Führens von Stämmen
Wie werden Innovationen geschaffen? Wie wird Wandel ermöglicht? Wie verbreiten sich Ideen? Und was
bedeutet das für Führung in der Zukunft? Marketingguru Seth Godin stellt die These auf, dass das Internet
die Ära des Massenmarketings beendet hat, das heißt
Stephan Balzer ist Gründer und Geschäftsführer der Kommunikationsund Innovationsagentur Red Onion,
Berlin. 2009 startete er als erster
Lizenzpartner die deutschen TEDxKonferenzen und ist als Botschafter
für die US-amerikanische TED aktiv.
Zuvor war er u.a. als Business Development Director bei Pixelpark tätig
und gründete die Agentur Lava.
den Ansatz, eine Idee oder ein Produkt mit Geld und
Macht in den Markt zu pushen. Stattdessen ist die soziale Organisationsform in 'tribes' (Stämme) wiederbelebt worden. Basierend auf gemeinsamen Ideen und
Werten geben diese jedem die Chance, echte Veränderungen herbeizuführen.
Godin rät, etwas zu finden, dass es wert ist, verändert
zu werden. Dann gelte es, einen Stamm zu schaffen,
der Stämme schafft, die wiederum Stämme schaffen,
die die Idee immer weiter verbreiten, so dass daraus
eine Bewegung wird. Man braucht nicht jeden, sondern man muss die echten Fans finden. Tausend Leute, denen es wichtig genug ist, dass sie die nächsten
Tausend gewinnen.
Leadership bedeutet in Zukunft, denjenigen eine authentische Geschichte zu erzählen, die diese hören wollen. Es gilt, in einem 'tribe' Verbindungen herzustellen und Kontakte zwischen den Mitgliedern und auch
Kontakte zu anderen Communities zu ermöglichen.
Leadership bedeutet, eine Bewegung anzuführen und
wirklich Veränderung bewirken zu wollen. Drei Elemente sind zentral: Man muss jemanden aufregen,
sonst fordert man nicht den Status quo heraus. Man
muss Leute zueinander in Verbindung bringen – das ist
das Hauptinteresse der meisten Menschen. Und man
muss sich sehr genau überlegen, wen man führen will
und wie. Denn daher kommt der Wandel und nicht
aus der Mechanik hinter den eigenen Produkten. Dafür sind Engagement (Commitment) und echte Neugier auf die Menschen nötig.
Stephan Balzer, Christopher Kabakis
Christopher Kabakis ist verantwortlich
für Kommunikation und Corporate
Services bei Red Onion. Er organisiert
u.a. Speaker-Bootcamps und coacht
Führungskräfte für Vorträge im TEDStil. Davor war er in den Bereichen
Marketing und PR für E-CommerceStartups tätig und hat eine Online-Einrichtungsplattform für konfigurierbares
Möbeldesign, Alvari, mitgegründet.