Fehlanreize der „Rente ab 63“ werden nicht annähernd kompensiert Bewertung des Abschlussberichtes der Koalitionsarbeitsgruppe „Flexible Übergänge vom Erwerbsleben in den Ruhestand“ vom 10. November 2015 17. November 2015 Zusammenfassung Im Einzelnen Die Vorschläge der Koalitionsarbeitsgruppe sind Detailänderungen, die alle nur sehr begrenzte Wirkungen auf die Beschäftigung Älterer haben werden. Die Fehlanreize der abschlagsfreien „Rente ab 63“ werden dadurch nicht annähernd kompensiert. I. Positiv ist, dass die Koalitionsarbeitsgruppe keine neuen Frühverrentungsmodelle vorschlägt und insbesondere nicht die Forderungen nach neuen Rentenzugängen ab dem 60. Lebensjahr aufgegriffen hat. Leider hat der Mut zu spürbaren Erleichterungen für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer gefehlt. Hierzu hätten eine deutlichere Lockerung und Vereinfachung der Hinzuverdienstgrenzen sowie die Beseitigung von arbeitsrechtlichen Hemmnissen bei der erneuten Beschäftigung von ehemaligen Mitarbeitern im Rentenalter gehört. Die BDA hat ihre „Vorschläge zur weiteren Flexibilisierung der Übergänge in den Ruhestand“ in dem gleichnamigen Positionspapier vom 16. Juli 2014 ausführlich dargelegt. Vorschläge für ein flexibleres Weiterarbeiten bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Stufenlose Teilrente Die Ersetzung der bisherigen Teilrentenstufen durch ein stufenloses System kann die Attraktivität der Teilrente für die Versicherten theoretisch steigern. Allerdings sollten die daraus resultierenden Anreizwirkungen nicht überschätzt werden, da sich die bisherige Beschränkung der Teilrente auf drei Stufen in der Praxis nicht als Hemmnis erwiesen hat. Jedes Mehr an Gestaltungsmöglichkeiten erfordert zudem auch mehr Beratung und befördert fragwürdige beitrags- und steuerrechtliche Optimierungsmöglichkeiten (evtl. vorzeitige Inanspruchnahme von Minirenten). Flexibilisierung und Vereinfachung der Hinzuverdienstgrenzen Das bisherige Recht der Hinzuverdienstgrenzen ist nicht nur kompliziert. Fast noch gravierender ist, dass die Hinzuverdienstgrenzen auf die Bezieher einer vorgezogenen Altersrente oftmals wie ein Arbeitsverbot wirken. Viele Rentner missverstehen die Hinzuverdienstgrenze als Verbot, nach Rentenbeginn eine Arbeit aufnehmen zu dürfen. Da die Koalitionsarbeitsgruppe dennoch – ohne es hinreichend zu begründen – an Hin- zuverdienstgrenzen grundsätzlich festhalten will, wird sich daran auch nichts ändern. Zahlung von Beiträgen zum Ausgleich von Abschlägen Der jetzt vorgelegte Vorschlag bleibt weit hinter dem zurück, was in der letzten Legislaturperiode im Referentenentwurf des „Alterssicherungsstärkungsgesetzes“ vorgesehen war und parteiübergreifend konsensfähig erschien. Die damals als „Kombirente“ bezeichnete Lösung sah ebenfalls vor, eine individuelle Hinzuverdienstgrenze aus dem höchsten Jahresbruttoeinkommen der letzten 15 Jahre zu ermitteln. Eine Einkommensanrechnung – wie im jetzigen Vorschlag enthalten – war bis zu dieser Grenze aber nicht vorgesehen. Insofern ist es konsequent, dass der Abschlussbericht den vorgelegten Vorschlag nicht als Lockerung oder Erweiterung der Hinzuverdienstmöglichkeiten verkauft. Denn tatsächlich werden die Hinzuverdienstgrenzen durch die geplante Neuregelung nur an das neue System der stufenlosen Teilrente angepasst, nicht aber substanziell erweitert. Die heutige Möglichkeit zum Ausgleich von Rentenabschlägen nach § 187a SGB VI ist ausreichend und bedarf deshalb keiner Erweiterung. Wie ein Blick in die Statistik zeigt, wird schon die geltende Möglichkeit des Abschlagsausgleichs von den Versicherten kaum genutzt. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung Bund sind im Rentenzugang 2013 in nicht einmal 900 Fällen Rentenabschläge „zurückgekauft“ worden. Die Komplexität und Bürokratie, die mit der Administration des „Anrechnungsmodells“ für die Rentenversicherungsträger verbunden sein wird, dürfte nach wie vor hoch sein. Auch weiterhin werden sich die meisten Versicherten ihre individuellen Hinzuverdienstgrenzen nicht selbst ermitteln können, sondern auf externe Beratung angewiesen sein. Die Ablösung des Monatsprinzips durch eine Jahresdurchschnittsbetrachtung stellt aber immerhin eine sinnvolle Verwaltungsvereinfachung dar. Die Schaffung der Möglichkeit, zusätzliche Beitragszahlungen an die Rentenversicherung zu leisten, würde voraussichtlich gerade von denjenigen Versicherten genutzt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit eine Erwerbsminderungsrente beanspruchen können. Damit wäre eine negative Risikoselektion zu Lasten der Beitragszahler der gesetzlichen Rentenversicherung verbunden. Sie könnten nach Auftreten erster gesundheitlicher Einschränkungen – ohne die bei privaten Versicherungsunternehmen übliche Gesundheitsprüfung – ihren Versicherungsschutz zu Lasten der gesamten Versichertengemeinschaft erhöhen. Diese Überlegungen waren ein Beweggrund, warum der Gesetzgeber die Möglichkeit der Höherversicherung in den Rentenreformen 1992 und 1999 schrittweise gestrichen hat. Es gibt keinen Grund, daran etwas zu ändern. Stärkung der Prinzipien „Prävention vor Rente“ und „Rehabilitation vor Rente“ Rentenversicherungspflicht von teilzeitbeschäftigten Vollrentnern Die geplante Rentenversicherungspflicht von Vollrentnern hat im Wesentlichen nur Relevanz für Minijobs. Denn nach dem Abschlussbericht soll neben einer Vollrente nur ein jährlicher Verdienst in Höhe von 6.300 € (entspricht 525 € im Monat) möglich sein. Wenn die für diese Personengruppe geleisteten Beiträge künftig leistungswirksam sein sollen, entstehen der gesetzlichen Rentenversicherung zusätzliche Kosten, die die Beitragszahler belasten werden. Zu diesen fehlen leider Angaben im Abschlussbericht der Koalitionsarbeitsgruppe. Der vorgeschlagene Gesundheitscheck für Versicherte im Alter von 45 Jahren ist abzulehnen. Es ist kein Nutzen zu erwarten, der den zusätzlichen Aufwand rechtfertigen würde. Die mit dem Gesundheitscheck verbundenen Erwartungen erscheinen überzogen. Zum einen würden derartige Untersuchungen vermutlich eher von denjenigen in Anspruch genommen, die ihre Gesundheit sowieso im Blick haben und sich dementsprechend gesundheitsbewusst verhalten. Zum anderen sind Prognosen über die langfristige Beschäftigungsfähigkeit von Personen seriös nicht möglich. Fehlanreize der „Rente ab 63“ werden nicht annähernd kompensiert 17. November 2015 2 Bessere Information über Rentenanwartschaften Die geplante Ausweitung der Informationen zur gesetzlichen Rentenversicherung sollte allenfalls für die Rentenauskunft (erhalten Versicherte ab 55 Jahren) erfolgen, nicht aber für die Renteninformation (erhalten Versicherte ab 27 Jahren). Denn es ist nicht nachvollziehbar, welchen Sinn es haben sollte, auch alle rentenfernen Jahrgänge (Versicherte ab 27 Jahren) alljährlich z. B. über ihre Möglichkeiten zur Inanspruchnahme von Teilrenten und die Wirkungen einer vorzeitigen Inanspruchnahme von Altersrenten zu informieren. Mehr Informationen können zudem dazu führen, dass die wesentlichen Informationen nicht mehr hinreichend wahrgenommen werden bzw. dass die Informationen aufgrund ihrer Länge gar nicht mehr gelesen werden. Aus diesem Grund hat z. B. die EUKommission in ihrem Vorschlag für eine Renteninformation für den Bereich der betrieblichen Altersvorsorge vorgesehen, dass diese nicht mehr als zwei DIN A4-Seiten lang sein darf. Diesen Umfang hat die Renteninformation der gesetzlichen Rentenversicherung aber schon heute. Unklar ist, wie die darüber hinaus vorgesehene einheitliche Renteninformation für alle staatlichen bzw. staatlich geförderten Altersvorsorgeformen zu einem flexibleren Arbeiten bis zur Regelaltersgrenze beitragen soll. Da bereits heute grundsätzlich jeder Versicherte Informationen über die zu erwartenden Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung erhält, besteht schon jetzt die Möglichkeit, sich hinreichend über den zusätzlichen Vorsorgebedarf zu informieren. Zudem informieren auch die Träger der privaten und betrieblichen Altersvorsorge über die jeweiligen Rentenanwartschaften. Die Diskussionen der Vergangenheit haben die zahlreichen Schwierigkeiten eines solchen Vorhabens deutlich gemacht (z. B. Haftung, Datenschutz, Vergleichbarkeit). Deshalb ist es richtig, dass dieses Vorhaben nicht bereits kurzfristig, sondern erst in einem weiteren Schritt angegangen werden soll. Vermieden werden müssen insbesondere alle Maßnahmen, die neue Bürokratie und Kosten- belastungen mit sich bringen. Denn der damit verbundene Aufwand ginge letztlich immer zu Lasten des Rentenzahlbetrages, der für die Alterssicherung zur Verfügung steht. Prüfauftrag zum Arbeitssicherungsgeld Das Arbeitssicherungsgeld ist ein unnötiges und ungeeignetes Instrument, um einen flexiblen Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand zu organisieren. Dieser Ansatz sollte deshalb nicht weiter verfolgt werden. Beschäftigte, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr Vollzeit arbeiten können, haben schon heute die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit zu reduzieren sowie eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Anspruch zu nehmen. Letztlich läuft das Arbeitssicherungsgeld daher darauf hinaus, die Voraussetzungen der Erwerbsminderungsrente für eine kleine Personengruppe aufzuweichen. Es ist schon heute schwierig genug, die Voraussetzungen einer teilweisen oder vollständigen Erwerbsminderung verlässlich festzustellen. Herauszufinden, wer zwar nicht mehr Vollzeit, aber zumindest noch 6 Stunden täglich arbeiten kann, dürfte nahezu unmöglich sein. II. Vorschläge für ein attraktives Weiterarbeiten nach Erreichen der Regelaltersgrenze Möglichkeit der Aktivierung des „isolierten Arbeitgeberbeitrags“ zur Rentenversicherung Die Kritik, dass die Arbeitgeber bislang für beschäftigte Rentner Beiträge leisten, denen keine entsprechenden Leistungen gegenüberstehen, ist zwar nachvollziehbar. Der jetzige Koalitionsvorschlag würde die bestehende Rechtslage aber weiter verschlechtern. Sofern die beschäftigten Rentner von ihrem vorgesehenen Wahlrecht Gebrauch machen, den „isolierten Arbeitgeberbeitrag“ zur Rentenversicherung zu aktivieren, würden sie zusätzliche Rentenanwartschaften aufbauen und damit die künftige Finanzierungslast für die gesetzliche Rentenversicherung erhöhen. Bereits beim aktuellen, noch Fehlanreize der „Rente ab 63“ werden nicht annähernd kompensiert 17. November 2015 3 geringen Stand beschäftigter Rentner ergäben sich hohe zusätzliche Rentenansprüche, die künftig zusätzlich von den Beitragszahlern finanziert werden müssten. Statt – wie angesichts der demografischen Entwicklung zwingend – die Leistungsverpflichtungen der gesetzlichen Rentenversicherung zu reduzieren, würden sie weiter erhöht. Hinzu kommt, dass die geplante Möglichkeit der Aktivierung des „isolierten Arbeitgeberbeitrags“ zur Rentenversicherung zwangsläufig zu neuen bürokratischen Belastungen der Arbeitgeber führen würde, da sie ihre beschäftigten Rentner hierzu befragen und alle Fallgestaltungen in der Entgeltabrechnung umsetzen müssten. Zumindest auf neue Aufklärungs- und Hinweispflichten sollte dann aber verzichtet werden. Befristete Abschaffung des „isolierten Arbeitgeberbeitrags“ zur Arbeitslosenversicherung Durch die auf fünf Jahre befristete Abschaffung des „isolierten Arbeitgeberbeitrags“ zur Arbeitslosenversicherung würde es für Arbeitgeber vorübergehend attraktiver, Rentner jenseits der Regelaltersgrenze zu beschäftigen. Gleichzeitig würde vermieden, dass Beiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt werden müssen, denen nie eine Gegenleistung gegenüberstehen kann. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings ist nicht anzunehmen, dass die Beschäftigungswirkungen dieser Arbeitskostenreduzierung groß sein werden. Dazu ist der quantitative Entlastungseffekt zu gering. III. Berentung von SGB II-Berechtigten Die vorgeschlagene Einführung einer Härtefallregelung, nach der Arbeitslosengeld IIBezieher nur dann einen bestehenden Anspruch auf Altersrente geltend machen müssen, wenn ihre Rente hinreichend hoch ist, sollte unterbleiben. Sie widerspricht dem Grundsatz der Subsidiarität der Grundsicherung für Arbeitsuchende, wonach zunächst eigenes Einkommen und Vermögen eingesetzt werden muss, bevor der Staat einspringt. Es wäre auch nicht zu rechtfertigen, dass Rentenansprüche nicht geltend gemacht werden müssen, während eigenes Einkommen oder Vermögen der vollen Anrechnung unterliegt. Zudem liefe die geplante Regelung darauf hinaus, dass ausgerechnet diejenigen Grundsicherungsempfänger, die in einem höherem Maße in der gesetzlichen Rentenversicherung vorgesorgt haben, schlechter gestellt würden als diejenigen, die nur wenig in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Denn nur Letztere könnten dann eine abschlagsfreie Rente beziehen. Zusätzliche Altersvorsorge würde damit bestraft. Die vorgeschlagene Regelung würde zudem zu einem erhöhten Prüf- und Verwaltungsaufwand bei den Jobcentern führen. Dies würde dem Ziel zuwiderlaufen, dass SGB II zu vereinfachen, wie es derzeit mit dem Referentenentwurf eines „9. SGB IIÄnderungsgesetzes“ angestrebt wird. Die Behauptung einer „Zwangsverrentung“ von Beziehern von Arbeitslosengeld II ist irreführend. Mit der gesetzlichen Anforderung, den Bezug von Arbeitslosengeld II auch durch Geltendmachung eines Rentenanspruchs möglichst zu vermeiden bzw. zumindest zu verringern, werden die Betroffenen keineswegs vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Im Gegenteil: Jeder, der arbeiten will, kann dies auch nach Rentenbeginn tun und bei der Arbeitssuche die Unterstützung der Arbeitsagenturen in Anspruch nehmen. Ansprechpartner: BDA | DIE ARBEITGEBER Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Soziale Sicherung T +49 30 2033-1600 [email protected] Fehlanreize der „Rente ab 63“ werden nicht annähernd kompensiert 17. November 2015 4
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