JUNGE ÄRZTE der niedergelassene arzt 5/2015 Intelligenz ist nicht alles, was u nsere Alltagsleistung bestimmt Intelligenz mit allen Aspekten greifbar machen F ür die Vorhersage der passenden Schulform oder zur Feststellung einer Hochbegabung können Intelligenztests nützlich sein. Für die Allgemeinbevölkerung und den Alltag und spielen sie hingegen eine untergeordnete Rolle. Gute Intelligenztests fragen verschiedene Parameter wie Wissen, Merkfähigkeit, Geschwindigkeit und schlussfolgerndes Denken ab. Es gibt, laut Prof. Troche, je nach Forschungsmeinung vier bis zehn breite Fähigkeitsbereiche, die ein Intelligenztest abdecken sollte. „Die meisten im Internet frei kursierenden Tests kann man dabei getrost vergessen. Sie genügen nicht den Qualitätsstandards, an denen sich psychologische Tests orientieren sollten. Aber auch bei den hochwertigen Tests muss jeweils geprüft werden, ob sie für die vorliegende Fragestellung passen“, weiß Prof. Troche. Bei ungeeigneten Intelligenztests sind auch oft die Quellen und die Grundlagen zur Intelligenzeinschätzung nicht offengelegt. Im Internet kursieren fragwürdige Intelligenztests Bei der falschen Testauswahl kann es zu Fehleinschätzungen der Intelligenzausprägung einer Person kommen. So kann ein Test, der kulturelles Wissen aus dem deutschen Sprachraum voraussetzt, leicht die Intelligenz von Personen mit Migrations- © Coloures-pic / Fotolia Fragen um die Intelligenz lösen eine große Faszination bei vielen Menschen aus: Bin ich intelligent? Sind die anderen intelligenter? Warum gibt es da Unter schiede? Es ebnet die Grundlage für ein relativ großes populäres Interesse an Intelligenztests. Prof. Dr. Stefan Troche von der Universität Witten/Herdecke will die Mechanismen der Intelligenz greifbarer machen und forscht zu den Grundlagen der Intelligenz auch mit hilfe von Tönen, Farben und mit der Elektroenzephalografie (EEG). Ist das Kind hochbegabt? Ein Intelligenztest kann Klarheit schaffen. Jedoch muss der passende Test ausgewählt werden, der bestimmte Standards erfüllen muss. hintergrund unterschätzen. Genauso verhält es sich zum Beispiel auch bei genderspezifischen Fragen in Bereichen, wo sich mehr Männer oder mehr Frauen auskennen. „Frauen schneiden zum Beispiel bei technischen Fragen etwas schlechter ab als Männer. So kann leicht eine verzerrte Darstellung der Intelligenz provoziert werden, die vermieden werden sollte.“ Denn zwischen Männern und Frauen gibt es keine Unterschiede in der Intelligenz. Testergebnisse sind gut reproduzierbar Um die Zuverlässigkeit von Intelligenztests zu prüfen, werden sie im Rahmen von Evaluationsstudien zweimal zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit den gleichen Personen durchgeführt. „Es kann dabei natürlich zu Lerneffekten unter den Probanden kommen, jedoch sind die Testergebnisse aus der ersten Befragung oft gut reproduzierbar und konsistent“, sagt Prof. Troche. In seinen Lehrveranstaltungen ist es Prof. Troche ein großes Anliegen, den Studierenden solche Kompetenzen zu vermitteln, die sie für die richtige Auswahl, die Durchführung und Interpretation von Tests benötigen. Zahlreiche Aspekte machen die Intelligenz aus Bei der Auswertung von Intelligenztests wird schnell klar: Nicht alle Menschen sind gleich intelligent. Einige Menschen lösen Aufgaben in kürzester Zeit, andere müssen länger daran knobeln. Aber wie kommt es zu diesen Unterschieden? „Es sind zahlreiche Aspekte, die die Intelligenz beeinflussen. Zu diesen Aspekten gehören die genetischen Anlagen, Umweltfaktoren wie die Ernährung, das Alter und soziale Faktoren. So wird zum Beispiel diskutiert, ob die Geschwisterreihung ein Rolle spielt, denn es gibt Hinweise darauf, dass ältere Geschwisterkinder im Durchschnitt etwas intelligenter sein könnten als ihre jüngeren Geschwister. Ökonomische Aspekte müssen auch in Betracht gezogen werden vor dem Hintergrund, ob das Kind Zugang zu weiteren Bildungsformen hat wie beispiels- 35 JUNGE ÄRZTE der niedergelassene arzt 5/2015 weise zum Erlernen eines Musikinstrumentes“, erläutert Prof. Troche. Das größte Potenzial der Intelli genz wird mit etwa 20 erreicht Das gesamte Ausmaß der Intelligenz ist viel schichtiger und noch nicht so gut greifbar, wie ein einzelner Intelligenztest. scheiden können. Das gleiche Experiment geht auch mit der Unterscheidung von Tonlängen und mit der Unterscheidung von Farbnuancen“, so Prof. Troche. Bei der Suche nach Probanden für solche Untersuchungen wird auch darauf geachtet, dass das Gehör und die Augen intakt oder durch Hörgerät oder Brille korrigiert sind. Männer und Frauen sind gleicher maßen vertreten und stellen ein heterogenes Bündel verschiedener Intelligenzniveaus dar. In weiteren Experi- Eine aktuelle Frage lautet: Gibt es bestimmte Regeln für die Intel menten hat Prof. Tro- ligenz, die das Gesamtbild besser darstellen können? che ereigniskorrelierte Potenziale untersucht, indem die Hirnströme von Probanden im Motivation, mit der wir an Aufgaben heranEEG bei bestimmten Aufgaben gemessen gehen, die persönlichen Ziele und die und miteinander verglichen wurden. „Wir Gesundheit beeinflussen neben der Intelliwollten sehen, ob es einen Zusammenhang genz die Alltagsleistungen“, so Prof. Troche gibt zwischen der Intelligenz der Testper- und führt weiter aus: „Mein Ziel ist es, hersonen und den Kurven der Hirnströme, auszufinden, wie diese verschiedenen die man mit dem EEG messen kann, wenn Aspekte genau zusammenwirken und zu bestimmte Aufgaben bearbeitet werden. Unterschieden in der Intelligenz führen.“ Einen solchen Zusammenhang gibt es tatsächlich. Er scheint aber aufgabenspezifisch Zusammenhänge verstehen und nur dann beobachtbar zu sein, wenn die Aufgaben bestimmte geistige Leistun- Die Forschung hat bisher viel über die Intelgen erfordern“, sagt Prof. Troche. ligenz und deren Messung mittels Intelligenztests herausgefunden. Das gesamte Ausmaß der Intelligenz ist vielschichtiger Intelligenz ist nicht alles, was unsere Alltagsleistung bestimmt und noch nicht so gut greifbar, wie ein einzelner Intelligenztest. Denn es gibt In seinen Studien fand Prof. Troche heraus, bestimmte Prozesse die während eines leiben und solche, dass Menschen mit höherer Intelligenz eine Experimentes gleich b Information besser abspeichern und mit die sich mit der Aufgabenstellung veräneiner anderen Information vergleichen dern. Die Aspekte Motivation, Wachheit können. Das sind Bausteine, die einen Teil und Konzentrationsfähigkeit bleiben bei der Unterschiedlichkeit in der Intelligenz einer Testperson im Experiment konstant, erklären können – und zwar vor allem in dagegen können die Aspekte Differenzieder Art von Intelligenz, wie sie vom Intelli- rungsfähigkeit, Schnelligkeit und das genztest erfasst werden. Diese Ergebnisse Kurzzeitgedächtnis mit der Schwierigkeit müssen aber nicht unbedingt etwas mit einer Aufgabenstellung variieren. In dem Alltagsverhalten der Menschen zu tun Zukunft wird die Forschung daran arbeiten, haben: „Um die Unterschiedlichkeit in die Zusammenhänge aller Aspekte und unseren Alltagsleistungen wie dem Schul- Prozesse besser zu verstehen. Dr. rer. nat. Christine Willen oder Berufserfolg zu verstehen, müssen wir neben der Intelligenz natürlich auch weitere Bedingungen betrachten. Vor allem die Quelle: Universität Witten/Herdecke © freshidea / Fotolia Das größte Potenzial der Intelligenz wird im Alter von etwa 20 Jahren erreicht. Dann kann der Mensch am schnellsten Lernen und Sachverhalte verarbeiten und anwenden. „Jedoch bleibt die Intelligenz auch Jahre danach noch stabil, denn das, was man im zunehmenden Alter nicht mehr an Schnelligkeit hat, wird dann durch den größer werdenden Erfahrungs- und Wissensschatz kompensiert“, erklärt Prof. Troche. Prof. Troche geht davon aus, dass Personen, die Informationen präziser aufnehmen können, auch eine höhere Intelligenz haben. Um das herauszufinden, muss man aber nicht unbedingt Wissen im klassischen Sinn abfragen. In seinen Studien werden sensorische Experimente mit Tönen und Farben gemacht. „In meinen Experimenten wird die Differenzierungsfähigkeit und Informationsverarbeitung von Menschen getestet und das korreliert mit der Intelligenz, wie sie im Intelligenztest gemessen wird. Die Probanden bekommen beispielsweise hintereinander zwei unterschiedliche Töne zu hören die sich mit der Zeit immer mehr angleichen. Die Probanden müssen angeben, wie lange sie diese Töne unter- © Coloures-pic / Fotolia 36
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