politik Streit um Neuvergabe Unabhängige Patientenberatung soll von Callcenter übernommen werden Die Leistungen der Unabhängigen Patientenberatung (UPD) sollen vom nächsten Jahr an von einem Callcenter erbracht werden. Dies ist die Entscheidung des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV). Besonders pikant daran: Das Callcenter, das voraussichtlich die heutige UPD ersetzen soll, wird von einem Unternehmen betrieben, das bisher überwiegend für Krankenkassen und Pharmaindustrie tätig ist. Kritiker der Entscheidung fürchten um die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der Patientenberatung. © Angeeckt Fragwürdiges Vorgehen Nach einem an Intransparenz kaum zu übertreffenden Vergabeverfahren hat Staatssekretär Karl-Josef Laumann einer privatwirtschaftlich gewinnorientierten Firma den Zuschlag für die Unabhängige Patientenberatung (UDP) erteilt. Der Callcenterbetreiber hat sich einen Namen in der Branche durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen gesetzlichen Krankenkassen und pharmazeutischen Konzernen gemacht. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung Laumann folgt mit dieser Entscheidung schafstreu einer Entscheidung der Gesetzlichen Krankenkassen. Staatssekretär Laumann, der sich in seinem Amt für „die Belange der Patientinnen und Patienten sowie als Bevollmächtigter für Pflege“ einsetzen soll, nimmt damit die Logik einer Politik auf, die sich im Bund etabliert hat. Mit fast schon bewundernswerter Leugnung der Realität streut sie den Bürgern Sand in die Augen: Erst wird das „sichere Internet“ erfunden (siehe E-Health-Gesetz), dann kommt die Kehrtwende zur Staatsmedizin mit dem Ausbau der Medizinischen Versorgungszentren (siehe Versorgungsstärkungsgesetz) und schließlich werden im neuen Präventionskonzept Ärzte und Zahnärzte mit ihrer Expertise außen vor gelassen (siehe Präventionsgesetz). Die Entscheidung, die Unabhängige Patientenberatung an ein profitorientiertes Callcenter zu geben, steht da nur am Ende einer Kette, die den Patienten zu einem x-beliebigen Kunden degradiert. Der Satz: „Die Unabhängige Patientenberatung muss möglichst vielen Patientinnen und Patienten einen bürgernahen Zugang zu neutraler, unabhängiger, qualitätsgesicherter und regionaler Beratung eröffnen“ bedeutet nach Laumannscher Lesart ins Deutsche übersetzt nichts anderes als: gewinnorientierte Ruhigstellung von Patienten – für das Taschengeld von neun Millionen Euro im Jahr. Sie folgt den GKVGrundsätzen: ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich. Dem ist nur ein Adjektiv hinzuzufügen: fragwürdig. Robert Mayerhoff, DFZ-Chefredakteur 28 DFZ 09 ∙ 2015 jro -g k rafi -F ot o li a Eigentlich hätte alles ganz still und leise über die Bühne gehen sollen. Doch Presseberichte machten die Entscheidung des GKV-Spitzenverbandes öffentlich, dass ab Januar 2016 der Duisburger Gesundheitsdienstleister Sanvartis die Unabhängige Patientenberatung betreiben soll. Offiziell bestätigt wurde dies noch nicht, gilt allerdings in der Branche als unbestritten. Das Callcenter soll die seit zehn Jahren mit dem gesetzlichen Auftrag der Patientenberatung betraute UPD ablösen, hinter der der Sozialverband VdK, der Verbraucherzentrale Bundesverband und der Verbund unabhängige Patientenberatung steht. Die Leistungen der UPD hatte der GKV-Spitzenverband im Einvernehmen mit dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Staatssekretär Karl-Josef Laumann, in einem europaweiten Vergabeverfahren ausgeschrieben. Unabhängigkeit steht auf dem Spiel Dabei steht einiges auf dem Spiel im Vergabeverfahren um die Unabhängige Patientenberatung: neben Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit auch eine ganze Menge Geld. Unterm Strich geht es um einen Riesenkuchen von rund 63 Millionen Euro verteilt auf sieben Jahre. Der weckt Begehrlichkeiten. Nach dem Willen des Gesetzgebers muss die GKV jährlich neun Millionen Euro für die Patientenberatung ausgeben. Das Bieterverfahren verlangte, ein möglichst umfassendes Konzept darzulegen, das zum einen die Unabhängigkeit der Beratung garantiert, zum anderen aber auch die Reichweite, Erreichbarkeit und Bekanntheit der Patientenberatung erhöht. Bei der heutigen Unabhängigen Patientenberatung, die sich ebenfalls um den Auftrag beworben hat, stößt die angekündigte politik Entscheidung des GKV-Spitzenverbandes auf großes Unverständnis – und das hat nicht nur damit zu tun, selbst als unterlegener Anbieter aus dem Verfahren gefallen zu sein. „Bereits in der ersten Stufe des Verfahrens ging es darum, einen Nachweis der Eignung und Unabhängigkeit erbringen zu müssen“, sagt Gregor Bornes, Geschäftsführer einer UPD-Beratungsstelle. „Ein Callcenter eines Unternehmens, das auch für die Kassen oder Pharmaindustrie arbeitet, hätte noch nicht einmal diese erste Hürde nehmen dürfen.“ Die Träger der bisherigen UPD haben wegen „fehlender Eignung“ Widerspruch bei der Vergabekammer des Bundes eingelegt. Sie halten den Anbieter für nicht ausreichend neutral, unabhängig und glaubwürdig. „Schon heute kommen Patienten oft misstrauisch zu uns und wollen unsere Unabhängigkeit ausgiebig erklärt haben“, betont Bornes. „Was wird man denen in Zukunft sagen?“ Die Beschwerde der UPD liegt der Vergabekammer vor. „In der Regel trifft die Kammer ihre Entscheidung innerhalb von fünf Wochen“, teilt Patientenbeauftragter Laumann mit und äußert sich zu dem Vergabeverfahren nicht weiter. Dies jedoch tun viele andere. Die Reaktionen sind durchweg von großem Unverständnis geprägt. Auch die Bundeszahnärztekammer und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung haben gemeinsam mit Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung gegen die Vergabe an Sanvartis protestiert. Laumann wird in dem Protestschreiben der Institutionen aufgefordert, seine Entscheidung zu revidieren. Auch Mitglieder des Beirats der Unabhängigen Verbraucher und Patientenberatung, ein Gremium, das dem Patientenbeauftragten beratend zur Seite steht, weist Laumann auf die „Fehlentscheidung bei der Neuvergabe der Mittel“ hin. Die Zustimmung des Staatssekretärs sei nicht nachvollziehbar. Auf drei Seiten legen die Beiratsmitglieder detailliert dar, woran es bei der Vergabe krankt. Hauptpunkt: die Gewichtung von Unabhängigkeit und Neutralität. Neben diesem wesentlichen Gesichtspunkt sieht Bornes allerdings einen weiteren erheblichen Unsicherheitsfaktor: „Patientenberatung hat sehr viel mit Erfahrung zu tun, braucht umfassendes Wissen und Einfühlungsvermögen – das ist hochkomplex und nicht mit einer simplen Antwort abgetan“, sagt Bornes. „Wie soll das durch ein Callcenter gewährleistet werden?“ Gerade im zahnärztlichen Bereich sei die Beratung oft intensiv, betont Bornes, der auch für die Patientenvertretung im G-BA Sprecher des Unterausschusses Zahnärztliche Behandlung ist. Beispielsweise, wenn es um Zahnersatz und unzufriedene Patienten geht. Es gebe eine ganze Klaviatur, auf der er als Berater dann spielen müsse, um zu einer Lösung für den Patienten zu kommen. Diese könne im Übrigen auch heißen: In der Zahnmedizin gibt es Grenzen – und nicht jedes Problem kann zufriedenstellend gelöst werden. „Dafür braucht es aber das Vertrauen zwischen Patient und Berater, das erst einmal aufgebaut werden muss“, betont Bornes. takte von derzeit 80.000 auf 210.000 Kontakte vor. Dazu zählen Beratungsgespräche am Telefon ebenso wie regionale Vor-OrtBeratungen. „Wenn mehr Geld zur Verfügung steht, wie dies ab nächstem Jahr der Fall ist, können wir auch eine bessere Erreichbarkeit garantieren“, sagt Bornes, der den derzeitigen Bedarf auf etwa 120.000 Kontakte beziffert. Der UPD wurde vorgeworfen, den Bedarf nicht abdecken zu können, weshalb die Callcenterlösung favorisiert worden sei. „In unserem Angebot sind die telefonische und die Vor-Ort-Beratung besser miteinander verzahnt“, sagt Bornes. „Mit einem im Vergleich zum Haushalt von 2015 um circa 50 Prozent aufgestockten Budget ab 2016 können wir selbstverständlich mehr abdecken, als das in der Vergangenheit der Fall war.“ Um die Unabhängigkeit der Patientenberatung auch weiterhin aufrechtzuerhalten, hat Bornes gemeinsam mit Peter Wesche, einem wie er es nennt „um die Unabhängigkeit der UPD besorgten Bürger“, eine Online-Petition auf der Online-Plattform „change.org“ ins Leben gerufen. Knapp 20.000 Unterschriften haben die beiden Organisatoren bereits gesammelt, denn um die Neutralität scheinen viele Patienten wie Institutionen besorgt zu sein. Ziel ist es, 100.000 Unterschriften zusammenzubekommen. „Dann fahren wir nach Berlin und legen sie Gesundheitsminister Gröhe auf den Tisch“, sagt Bornes. „Dann ist es an ihm, zu reagieren – das kann er nicht ignorieren.“ Sabine Schmitt UPD fühlt sich verschaukelt Ein Grund, Sanvartis zukünftig mit der unabhängigen Patientenberatung zu beauftragen, war der Vorwurf an die bisherigen Betreiber, die Erreichbarkeit für viele Patienten sei nicht gegeben und zu viele würden zu lange in der Warteschleife am Telefon hängen bleiben. An dieser Stelle fühlen sich Sozialverband VdK, der Verbraucherzentrale Bundesverband und der Verbund unabhängige Patientenberatung schlichtweg verschaukelt. Das neue Konzept der UPD sieht eine Erhöhung der Patientenkon09 ∙ 2015 DFZ 29
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