Unvergessene Heimat – Erinnerungen

Werner Butzlaff
Unvergessene Heimat – Erinnerungen
Lebenserinnerungen
W
Unvergessene
Heimat –
Erinnerungen
von Werner Butzlaff
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.ddb.de abrufbar.
Hergestellt in Deutschland • 1. Auflage 2008
© Heimdall Verlag, 48431 Rheine
Herausgeber: Harald Trachmann
© Alle Rechte beim Autor: Werner Butzlaff
Satz: Heimdall DTP-Service, Rheine
Fotos: © Werner Butzlaff
ISBN: 978-3-939935-03-2
—4—
Geleitwort des Herausgebers
Herr Butzlaff und seine Frau sind seit langer Zeit gute Kunden in meiner Apotheke. Trotzdem war ich überrascht, als mir
Herr Butzlaff vor einigen Monaten sein Manuskript über sein
Leben zu lesen gab. Wie viele andere, die vor mir sein Manuskript gelesen hatten, fühlte ich, dass seine Aufzeichnungen nicht
nur von familiären Wert, sondern so authentisch und glaubhaft
sind, dass sie allen Interessierten zugänglich gemacht werden
sollten.
Natürlich wird ein persönlicher Lebensbericht nicht alle in
gleichem Maße ansprechen und mancher wird ihm nicht in allen
Punkten folgen können oder wollen. Aber auch wenn man selbst
vieles distanzierter sieht, sollten solche Zeitzeugenberichte nicht
einfach ignoriert werden. Noch kann von einer freien, umfassenden Auseinandersetzung mit unserer deutschen Geschichte
kaum die Rede sein.
Wie es der Zufall will, hatte meine Frau zur gleichen Zeit
ihr erstes Büchlein über eine vor unserem Schlafzimmerfenster
brütende Amselfamilie geschrieben und suchte ebenfalls vergeblich nach einem Verlag. Auch sie bekam die bekannten üblichen
Absagen. (Passt nicht in unser Programm, haben im Moment zu
viele andere Projekte etc. Außerdem erhielt sie die unseriösen
Angebote mit einer gepfefferten »Selbstbeteiligung«.) Bei einer
Fahrt nach Österreich überkam uns auf einmal die Erkenntnis,
dass wir ja selbst einen Verlag gründen könnten.
Diese Idee war keine Eintagsfliege und so konnten wir unser
erstes Buch »Hallo, wir sind die Amselkinder/The four little
Blackbirds« zweisprachig in deutsch/englisch schon zur Frankfurter-Buchmesse im Herbst 2007 vorstellen. Durch die Aktionen in hiesigen Zeitungen war auch Herr Butzlaff auf unser
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Buch aufmerksam geworden und fragte mich, ob wir nicht auch
sein Buch herausbringen könnten. Da neben Kinderbüchern
auch naturwissenschaftlich-technische und geschichtliche Themen in unserem Verlagsprogramm berücksichtigt werden sollen,
hatte ich auch schon daran gedacht, aber, da ich selbst eigene
Projekte verfolgte, diesen Gedanken zurück gestellt, zumal ich
ja auch noch meine Apotheke führe. Da wir inzwischen mit dem
BookMagazin und dem Heimdall Verlag in Kontakt gekommen
waren, ergab sich zwanglos eine Zusammenarbeit.
So können wir jetzt einen bemerkenswerten und lesenswerten
Lebensbericht eines Mannes vorlegen, der gerne in Pommern
Bauer geworden wäre und der von den Ereignissen, die er nicht
beeinflussen konnte, immer wieder gezwungen wurde, umzudenken und neu aufzubauen. Der dabei aber nie den Mut,
seine Hoffnung, seinen Glauben und Humor verloren hat. Uns
Heutige, die durch eine lange Friedenszeit und einen hohen Lebensstandard ziemlich verwöhnt sind, kann diese Schilderung
deutlich machen, dass dieser pommersche Menschenschlag
trotz schwerer körperlicher Arbeit glücklich und zufrieden war,
weil für ihn das Bewahren und Mehren des Ererbten in fester
Gemeinschaft wichtiger war, als die Selbstverwirklichung als
Einzelner.
Unabhängig davon ob das heutige Karriere- und Selbstverwirklichungsstreben Bestand haben wird oder anderen Lebensformen weichen muss, sollten wir wieder stärker als bisher
berücksichtigen, dass Rechte immer auch Pflichten bedingen
und dass eine zu freie, antiautoritäre und leistungsfeindliche
Erziehung ihrerseits neue Probleme aufwirft. Rechtzeitiges Gegensteuern könnte abrupte und gefährliche Lenkmanöver auf
unserem Lebensweg vermeiden.
In diesem Sinne wünsche ich dem Buch von Werner Butzlaff
viele Leser!
—6—
Vorwort des Verfassers
Die heutigen Generationen haben, zumindest hier in Mitteleuropa, das Glück in einer friedlichen Zeit aufgewachsen zu
sein. Auch wir Älteren haben uns nach dem verheerenden 2.
Weltkrieg und all seinen tragischen Folgen zu unserer eigenen
Überraschung bemerkenswert gut in unserer »neuen Heimat«
eingelebt, auch wenn das kein einfacher und geradliniger Weg
war. Da es nicht mehr allzu viele Zeitzeugen und Teilnehmer
dieses gewaltigen Umbruches gibt, der soviel Unrecht für alle
Seiten gebracht und mein Leben in stärkster Weise geprägt
hat, möchte ich meine Erlebnisse und Empfindungen hier für
meine Kinder und Enkelkinder, aber auch für interessierte
Mitbürger(innen) festhalten und meiner alten, unvergessenen
Heimat ein Denkmal setzen.
Heute ist es modern, flexibel zu sein und niemand findet
etwas dabei, wenn er heute hier und morgen dort sein Auskommen findet. Aber die pommerschen Bauerngeschlechter
waren mit ihrer Scholle, die sie mindestens seit dem 30-jährigen Krieg in guten und schlechten Zeiten gepflegt und gehegt
haben, wirklich verbunden. Trotzdem mussten sie, die am
Ausbruch des 2. Weltkrieges nicht mehr Schuld hatten als
die übrigen Deutschen, bei oder nach Kriegsende unter unmenschlichen Bedingungen ihre jahrhundertealte, von ihnen
aufgebaute und kultivierte Heimat verlassen.
Das war Unrecht und das darf nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden, auch wenn Deutschland den Ausbruch
des 2. Weltkrieges aktiv herbeigeführt hat. Ganz unbeteiligt
waren aber auch nicht die Siegermächte, wie es z.B. das ge—7—
heime Zusatzprotokoll zwischen Ribbentrop und Molotow
über die Teilung Polens eindeutig beweist.
Glücklichere Zeiten werden hoffentlich ein friedliches Mitund Nebeneinander der europäischen Völker herbeiführen,
ohne dass neuer Hass und Streit unser Denken vergiftet. Nirgends mehr als hier gilt, dass Kooperation vernünftiger ist als
Konfrontation. Erlittenes Unrecht, das man nicht aussprechen
darf, bedrückt und macht krank. Eine offene Aussprache, die
mein Anliegen ist, macht den Weg frei für eine neue, bessere
Zukunft!
Ich bin meiner Mutter dankbar, dass sie trotz aller ihrer
Sorgen und Nöte, den Überlassungsvertrag, mit dem mein
Großvater Otto Butzlaff seinen Hof meinem Vater Herbert
Butzlaff überlassen hat, im Original retten konnte. Derartige
Überlassungsverträge waren damals gang und gäbe. Für uns
Vertriebene ist es wichtig zu wissen, wo unsere Wurzeln liegen
und woher wir kommen. Ich habe mich oft gefragt, warum es
mir unmöglich gemacht wurde, diesen Lebenswunsch zu erfüllen. Wer war daran schuld? Waren es Wahnvorstellungen
von Einzelpersonen auf deutscher oder damals gegnerischer
Seite? Welche Rolle spielten Hass, Neid, Rache und Vernichtungswillen? Einseitige Schuldzuweisungen lehne ich ab. Sie
sind mir zu einfach, um in einer modernen, hoch verflochtenen Welt, in der nach wie vor auch menschliche Schwächen
die Politik beeinflussen, als Erklärung herhalten zu können.
Wir sehen ja ganz deutlich an der Klimafrage oder der Frage,
wie die wertvollen Erdölressourcen verwendet werden sollten,
ob und wie wir gentechnologisch veränderte Lebensmittel,
Kernkraft etc. akzeptieren und zu welchen Bedingungen wir
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die Entwicklungsländer am Welthandel zu beteiligen bereit
sind, wie schwierig diese Fragen zu lösen und unter einen Hut
zu bringen sind. Ich habe mich ein Leben lang bemüht, mit
der Realität klar zu kommen und sie so zu akzeptieren, wie sie
nun einmal ist. Dabei half mir, dass mir meine Familie immer
als der Mittelpunkt meines Lebens erschienen ist. Nur mit
und in einer intakten Familie erscheint mir das Leben lebenswert. Das bedeutet allerdings auch eine Selbstüberwindung
und dass wir vom »Ich« auf das »Wir« umsteigen. Richtige
Erziehung und echte Vorbilder sind dabei sehr hilfreich. Hier
schließt sich der Kreis mit meiner unvergessenen Heimat und
Jugendzeit in Hagenow/Greifenberg/Pommern, die mich zu
dem gemacht hat, was ich wurde und bin. Deshalb widme ich
meine Aufzeichnungen meinem Heimatdorf Hagenow.
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ERSTER TEIL:
KINDER-, SCHUL- und JUGENDZEIT
— 10 —
Das vorstehende, in den 80er Jahren von mir gemachte Bild
strahlt eher Tristesse und Verfall aus, als einen florierenden
Bauernhof. Das Wohnhaus besteht zwar noch im wesentlichen Teil, aber in einem traurigen Zustand. Die Pferde- und
Schweineställe haben statt des alten 11 m hohen Reetdaches
nur noch ein viel niedrigeres Ziegeldach, das überhaupt keine
Ähnlichkeit mit der alten Stallung hat und der gegenüberliegende Kuhstall (Hofdurchmesser ca. 30 m) ist ebenso wenig
zu sehen, wie die große, ca. 30 m lange Scheune, die unseren
Hof von der Zuwegung zur Hauptstraße abgrenzte und deren Tiefe so groß war, dass wir im Sommer 2 Erntewagen im
Haupttor zum Hof unterstellen konnten.
Wir haben versucht, den alten Hof malerisch wieder auferstehen zu lassen, jedoch war diesem Versuch leider kein
Erfolg beschieden, weil die heutige Abbildung zu viele falsche
Assoziationen bot, so dass es uns nicht gelang die alte Ansicht
wieder herzustellen. Vielleicht finden wir aber in der Folgezeit einen Maler, der so wie Franz Trachmann in Graz, der
die Spinngerätschaften auf Seite 97 gemalt hat, auch den Hof
wieder so auferstehen lässt, wie er sich in meine Erinnerung
eingeprägt hat.
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Der Überlassungsvertrag von 1920
D
er folgende Überlassungsvertrag, der zur damaligen Zeit
bei der Übergabe der pommerschen Höfe Gang und
Gäbe war, gibt in Verbindung mit dem Eingangsbild einen
Überblick über den pommerschen Hof meiner Vorväter in
Hagenow bei Treptow im Kreis Greifenberg, den ich später
noch näher beschreiben werde.
Bruno Saager
Rechtsagent.
Treptow. Rega
G.B.A.No.34/20.
Überlassungsvertrag
Zwischen dem Bauerhofbesitzer Otto Butzlaff und dessen
mit ihm in Gütergemeinschaft lebenden Ehefrau Magdalene geb. Lübchow und deren Sohn, dem Landwirt Herbert
Butzlaff sämtlich zu Hagenow ist heute nachstehender Überlassungsvertrag geschlossen:
§1.
Die Bauerhofbesitzer Otto Butzlaffschen Eheleute überlassen hiermit den ihnen gehörigen im Grundbuche von Hagenow Band I Blatt Nr. 6 verzeichneten Bauernhof Nr. 7 an
ihren eheleiblichen großjährigen Sohn den Landwirt Herbert
Butzlaff für einen baren Überlassungspreis von 52000 Mark
—in Buchstaben:
Zweiundfünfzigtausend Mark- und einen im § 5 dieses
Vertrages näher beschriebenen, den Überlassern von dem
— 12 —
Annehmer bis an deren Lebensende frei und unentgeltlich zu
gewährenden Altenteil.
§2.
Mitüberlassen sind das gesamte auf dem überlassenen
Grundstücke befindliche tote und lebende Feld— Vieh- und
Wirtschaftsinventar, sowie die vorhandenen Ernte- und Futtervorräte, sämtliche Maschinen und Gerätschaften.
Mitüberlassen sind ferner folgende Gegenstände:
1 Küchenschrank, 4 vollständige Betten mit Bettstellen, 1
Kleiderschrank, die gesamte Einrichtung der Gesindestube,
die gesamte Kücheneinrichtung an Koch— und Eßgeschirr
mit Ausnahme desjenigen, was die Altsitzer für ihre eigene
Kücheneinrichtung bedürfen und welche Gegenständige sich
die Altsitzer nach ihrer Wahl zu Eigentum vorbehalten. Der
Wert des mit überlassenen beweglichen Beilasses wird der
Kostenberechnung halber auf 30000 Mark angegeben.
§3.
Der bare Überlassungspreis der 52000 Mark wird wie folgt
berichtigt:
1) Annehmer übernimmt in Anrechnung auf den Überlassungspreis als Selbst—und Alleinschuldner die auf dem überlassenen Grundstücke in Abteilung 111 des Grundbuchblattes
für die Stadtsparkasse zu Treptow—Rega haftende Hypothek
zum Betrage von 7000 Mark mit der Zinsverpflichtung vom
1. April, 1920 ab.
2) Der Rest des Überlassungspreises mit
45000 Mark
wird von den Überlassern ihren beiden großjährigen
Töchtern Margarete und Hedwig Butzlaff zu Hagenow, je
zur Höhe von 22500 Mark in Anrechnung auf ihr künfti— 13 —
ges Elternerbteil überwiesen. Annehmer verpflichtet sich
diese seinen Schwestern überwiesenen Erbteile von je 22500
Mark vom 1. April, 1920 ab mit vier vom Hundert jährlich
in halbjährlichen Teilen zu verzinsen und nach vorausgegangener dreimonatlicher Kündigung, die jedoch seitens des
Übernehmers vor Ablauf von 6 Jahren vom 1. April 1920 an
gerechnet ausgeschlossen sein soll, zu zahlen. Zur Sicherheit
für diese überwiesenen Überlassungsgelder nebst Zinsen und
Bedingungen bestellt der Übernehmer seinen beiden genannten Schwestern Hypotheken an dem ihm heute überlassenen
Grundstücke Hagenow Band I, Blatt Nr. 6 und bewilligt und
beantragt die Eintragung derselben nebst Zinsen und Bedingungen in das Grundbuch dergestalt, dass für jede der beiden
Schwestern der Betrag von 22500 Mark eingetragen werde
und für jede derselben ein besonderer Hypothekenbrief gebildet wird. Hiermit ist der bare Überlassungspreis der 52.000
Mark belegt.
§4.
Annehmer verpflichtet sich noch an seine beiden Schwestern Margarete und Hedwig Butzlaff bei ihrer Verheiratung,
spätestens aber nach Ablauf von 5 Jahren, das zweitbeste
Pferd und die zweitbeste Kuh aus seinem Viehbestande unentgeltlich zu liefern. Die Wahl darüber, wer von den beiden
Schwestern das Pferd und wer die Kuh erhält, bleibt den beiden Schwestern überlassen, es hat das Los zu entscheiden im
Falle der Uneinigkeit.
§5.
Der den Überlassern von dem Annehmer zu gewährende
Altenteil wird im einzeInen wie folgt festgelegt:
1. freie Wohnung in den rechter Hand vom Hauseingange
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gelegenen beiden Vorderstuben, nebst daran stoßender Küche
und der neu angelegten Stube, sowie der über den Vorderstuben gelegenen oberen Bodenstube.
2. Mitbenutzung des im Hause befindlichen Backofens,
d.h. Mitbacken des Brotes, wenn Annehmer backt.
3. Mitbenutzung des Brunnens auf dem Hofe.
4. Mitbenutzung des vorhandenen großen Koch- resp.
Waschkessels.
5. freien Ein-, Aus- und Umgang in Haus, Hof, Garten und
Feld.
6. freie Reinigung der Leib- und Bettwäsche der Altsitzer.
7. freie Aufwartung in gesunden und kranken Tagen, freies
Reinigen der Stuben, Heizen der Öfen und
8. Aufmachen der Betten in kranken und schwachen Tagen.
9. Jährlich zehntausend guten, trockenen Stechtorf und ein
Raummeter buchenes Klobenholz. Der Torf ist in einem Stall
auf dem Hof gesondert zu verpacken. Das Holz ist zu zerkleinern und gleichfalls in dem selben Stall aufzubewahren.
10. Jährlich ein Fettschwein im Gewicht von ca. drei Zentner (lebend), lieferbar im November oder Dezember.
11. Jährlich 6 fette Gänse im Gewicht von mindestens
zwölf Pfund toten Gewichts mit Federn lieferbar in der Zeit
vom 15. November bis 15. Dezember.
12. Jährlich fünfzig Pfund gutes Rindfleisch.
13. Jährlich 12 Zentner Weizen, fünfzehn Zentner Roggen
und 24 Zentner gute Esskartoffeln, alles auf Abforderung der
Altsitzer.
14. Freies Fahren des Kornes zur Mühle und Rückbeförderung des Mehles.
15. Jährlich 30 Pfund reingeschwungenen Flachs und vier
Pfund Wolle.
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16. Wöchentlich in der Zeit vom 1. März bis 1. Oktober
jeden Jahres eine Stiege frische Hühnereier und zu Weihnachten eine Stiege Hühnereier besonders.
17. Wöchentlich drei Pfund gute frische Butter.
18. Täglich drei Liter frische süße Kuhmilch.
19. Jährlich den vierten Teil des im Garten geernteten Obstes.
20. Jährlich zwölf Fuhren mit dem besten Wagen und den
besten Pferden des Annehmers im Umkreis von zwanzig Kilometern von Hagenow nach Wunsch der Altsitzer.
21. Freien Arzt in Krankheitsfällen.
22. Standesgemäße Beerdigung auf dem Kirchhofe zu Hagenow und Errichtung eines angemessenen Grabdenkmals.
Stirbt einer der Altsitzer, so erhält der Überlebende den gesamten vorbeschriebenen Altenteil ungeschmälert zur vollen
Höhe. Falls die Altsitzer es aus irgendeinem Grunde vorziehen
sollten, die Altenteilswohnung zu verlassen, so soll es ihnen
freistehen sie zu räumen. Für diesen Fall ist der Übernehmer
verpflichtet, anstatt des Altenteiles mit Ausnahme der Position 21 den Überlassern eine jährliche Abfindung von bar 2000
Mark (Zweitausend Mark) in vierteljährlichen Raten von je
500 Mark im voraus frei Wohnort zu entrichten.
23. Zur Sicherheit für den vorstehenden Altenteil verpfändet der Annehmer das ihm überlassene Grundstück Hagenow,
Band I, Blatt Nr. 6 und bewilligt und beantragt die Eintragung
desselben in das Grundbuch.
§6.
Die Übergabe des überlassenen Grundstücks wird als mit
dem heutigen Tage vollzogen anerkannt. Auflassung soll am
1. April d. J. stattfinden. Die Lasten und Abgaben, sowie Ge— 16 —
fahr und Nutzungen gehen mit dem heutigen Tage an den
Annehmer über.
§7.
Die Kosten dieses Vertrages, der Auflassung und der Grundbucheintragungen, sowie etwaige Stempelkosten, übernimmt
der Annehmer. Der gemeine Wert des Überlassungsgrundstückes beträgt 75000 Mark.
Hagenow, den 19. März 1920.
gez. Otto Butzlaff
Magdalene Butzlaff
Herbert Butzlaff
Dieser Überlassungsvertrag räumte den Überlassern, also
meinen Großeltern, große Rechte ein, die dennoch durch die
beginnende Inflation leicht zu Makulatur hätten werden können. Andererseits sind meine Eltern große Verpflichtungen
eingegangen, die sie z.B. bei Krankheit der Großeltern sehr
leicht hätten überfordern können.
Zu welchen Übernahmebedingungen mein Großvater Otto
den Hof damals übernehmen konnte, entzieht sich meiner
Kenntnis. Was ich weiß, ist, dass mein Großvater sieben
Schwestern hatte. Alle haben sich in ziemlich große Bauernhöfe eingeheiratet. Das bedeutete auch, dass alle eine Mitgift bekommen haben. Bekannt ist, dass mein Urgroßvater
Friedrich Butzlaff ein tüchtiger Bauer war. Seine Tätigkeit,
die wohl schon früh bekannt war, hat ihm überhaupt erst die
Möglichkeit gegeben, Bauer in Hagenow zu werden.
— 17 —
Ursprünglich gehörte unser Hof der Familie Darsow. Mein
Ur-Urgroßvater Darsow war schon früh gestorben, sodass
meine Ur-Ur-Großmutter allein den Hof bewirtschaftete. Sie
hatte mehrere Kinder, jedoch nur einen Sohn. Dieser Sohn soll
ein Taugenichts gewesen sein, der seiner Mutter nur Kummer
und Sorgen bereitete. Kurzerhand versprach sie ihrer ältesten
Tochter: »Wenn du den Friedrich Butzlaff aus Triebs heiratest,
bekommst du den Hof.« Maria hatte wohl ein Verhältnis mit
Friedrich. Die beiden haben geheiratet und so kam der Name
»Butzlaff« nach Hagenow.
Bekannt sind mir noch die Namen der Höfe, in die die Kinder von Urgroßvater Friedrich eingeheiratet haben. Das sind
Butenhof in Langenhaben, Storm in Glanse, Dumke in Zimdarse, Lössin in Görke, Hannemann in Borntin, Wartchow in
Borntin und Schwarz in Zindarse.
Von dem Schwarz ist mir bekannt, dass er ein weniger guter
Bauer war. Um ihn vor dem Verkauf seines Hofes zu retten,
hat mein Großvater Otto ihm 20.000 Goldmark geliehen.
Diese sind nie zurückgezahlt worden. Die Familie Schwarz
ist ausgestorben. Es lebten mehrere Cousinen meines Vaters
in Bremen. Sie hatten dort auch ein Haus, aber keine Nachkommen. Dieses Haus sollte nach dem Willen der Cousinen
an unsere Familie zurückfallen. Sie wussten von den 20.000
Goldmark. Durch Erbschleicherei fremder Menschen ist das
Haus jedoch an fremde Leute gegangen.
— 18 —
Tante Grete und Tante Hedwig
T
ante Grete war die älteste Schwester meines Vaters und
wurde am 15. November 1893 geboren. Sie lebte bis
zum Tode meiner Großmutter
Magdalene Butzlaff, geb. Lübchow aus Simözel bei uns, auf
dem Altenteil des Hofes. Mein
Großvater starb schon 1925.
Meine Großmutter erkrankte an Typhus, hatte die Krankheit jedoch überwunden und
litt seither an einer damals
so genannten »Arterienverkalkung«. Sie konnte nicht
mehr alleine bleiben, weil die
Krankheit immer schlimmer
wurde. Sie wollte immer nach
Oma Butzlaff
Hause, nach Simözel. Sie
(mit Werner, Grete, Gertrud)
packte dann eine Kaffeekanne
und eine Kaffeetasse in ihre Schürze und ging los. Die Kanne
und die Tasse waren mit einer silbernen 25 versehen und ein
Geschenk zu ihrer silbernen Hochzeit gewesen. Da Hagenow
ein Bauerndorf war, kannte jeder meine Großmutter. Wenn
sie einmal unbemerkt vom Hof gelangte, brachten sie andere
Mitbewohner wieder nach Hause. Die Nachbarschaft in diesen Dörfern war noch intakt.
Die Pflege meiner Großmutter war kein einfaches Los für
meine Tante. Mir ist allerdings nicht bekannt, ob sie jemals
Heiratsabsichten hatte. Ein Hinderungsgrund für eine Hei— 19 —
rat war wohl der Tod so vieler Soldaten während des ersten
Weltkrieges gewesen. Da waren doch viele in Frage kommende Männer gefallen.
Nach dem Tod meiner Großmutter 1935 bekam Tante Grete einen Nervenzusammenbruch. Mehrere Wochen war sie in
einem Sanatorium in Kolberg. Als sie wieder zu Hause war,
empfahl unser Vater meinem Bruder und mir, uns bei Tante
Grete einzuquartieren, um sie nicht in Grübeleien verfallen zu
lassen. Das haben wir getan. Tante Grete war ohnehin unsere
2. Mutter. Im Grunde war sie ein fröhlicher und vielseitig
interessierter Mensch. Sie war nicht groß, fast zierlich; Angst
kannte sie aber nicht.
Mein Vater war zu der Zeit ein ziemlich strenger Mann.
War Tante Grete aber der Meinung, dass er Unrecht habe, so
verteidigte sie uns wie eine Löwin. Selbst unsere Mutter, die
uns so viel Liebe gab, erreichte öfter nicht, was bei Tante Grete gelang. Einflechten möchte ich hier aber, dass mein Bruder
und ich nie erlebt haben, dass unsere Eltern sich gestritten
haben. Mit Sicherheit haben sie auch Meinungsverschiedenheiten gehabt, über die gestritten wurde, jedoch nie vor unseren Augen.
1937 hat mein Vater dann ein Häuschen am Anfang des
Dorfes für Tante Grete gekauft, was wohl noch von der
Hofüberschreibung her fällig war. Der Besitzer des Hauses
war ein alter Rentner, der auch im Hause wohnen blieb. Er
wurde noch ein Jahr von Tante Grete gepflegt, ehe er verstarb. Im Dorf war Tante Grete sehr beliebt. Sie leitete die
Frauenschaft. Sie machte sich überall dort nützlich, wo sie
gebraucht wurde.
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