Werner Butzlaff Unvergessene Heimat – Erinnerungen Lebenserinnerungen W Unvergessene Heimat – Erinnerungen von Werner Butzlaff Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Hergestellt in Deutschland • 1. Auflage 2008 © Heimdall Verlag, 48431 Rheine Herausgeber: Harald Trachmann © Alle Rechte beim Autor: Werner Butzlaff Satz: Heimdall DTP-Service, Rheine Fotos: © Werner Butzlaff ISBN: 978-3-939935-03-2 —4— Geleitwort des Herausgebers Herr Butzlaff und seine Frau sind seit langer Zeit gute Kunden in meiner Apotheke. Trotzdem war ich überrascht, als mir Herr Butzlaff vor einigen Monaten sein Manuskript über sein Leben zu lesen gab. Wie viele andere, die vor mir sein Manuskript gelesen hatten, fühlte ich, dass seine Aufzeichnungen nicht nur von familiären Wert, sondern so authentisch und glaubhaft sind, dass sie allen Interessierten zugänglich gemacht werden sollten. Natürlich wird ein persönlicher Lebensbericht nicht alle in gleichem Maße ansprechen und mancher wird ihm nicht in allen Punkten folgen können oder wollen. Aber auch wenn man selbst vieles distanzierter sieht, sollten solche Zeitzeugenberichte nicht einfach ignoriert werden. Noch kann von einer freien, umfassenden Auseinandersetzung mit unserer deutschen Geschichte kaum die Rede sein. Wie es der Zufall will, hatte meine Frau zur gleichen Zeit ihr erstes Büchlein über eine vor unserem Schlafzimmerfenster brütende Amselfamilie geschrieben und suchte ebenfalls vergeblich nach einem Verlag. Auch sie bekam die bekannten üblichen Absagen. (Passt nicht in unser Programm, haben im Moment zu viele andere Projekte etc. Außerdem erhielt sie die unseriösen Angebote mit einer gepfefferten »Selbstbeteiligung«.) Bei einer Fahrt nach Österreich überkam uns auf einmal die Erkenntnis, dass wir ja selbst einen Verlag gründen könnten. Diese Idee war keine Eintagsfliege und so konnten wir unser erstes Buch »Hallo, wir sind die Amselkinder/The four little Blackbirds« zweisprachig in deutsch/englisch schon zur Frankfurter-Buchmesse im Herbst 2007 vorstellen. Durch die Aktionen in hiesigen Zeitungen war auch Herr Butzlaff auf unser —5— Buch aufmerksam geworden und fragte mich, ob wir nicht auch sein Buch herausbringen könnten. Da neben Kinderbüchern auch naturwissenschaftlich-technische und geschichtliche Themen in unserem Verlagsprogramm berücksichtigt werden sollen, hatte ich auch schon daran gedacht, aber, da ich selbst eigene Projekte verfolgte, diesen Gedanken zurück gestellt, zumal ich ja auch noch meine Apotheke führe. Da wir inzwischen mit dem BookMagazin und dem Heimdall Verlag in Kontakt gekommen waren, ergab sich zwanglos eine Zusammenarbeit. So können wir jetzt einen bemerkenswerten und lesenswerten Lebensbericht eines Mannes vorlegen, der gerne in Pommern Bauer geworden wäre und der von den Ereignissen, die er nicht beeinflussen konnte, immer wieder gezwungen wurde, umzudenken und neu aufzubauen. Der dabei aber nie den Mut, seine Hoffnung, seinen Glauben und Humor verloren hat. Uns Heutige, die durch eine lange Friedenszeit und einen hohen Lebensstandard ziemlich verwöhnt sind, kann diese Schilderung deutlich machen, dass dieser pommersche Menschenschlag trotz schwerer körperlicher Arbeit glücklich und zufrieden war, weil für ihn das Bewahren und Mehren des Ererbten in fester Gemeinschaft wichtiger war, als die Selbstverwirklichung als Einzelner. Unabhängig davon ob das heutige Karriere- und Selbstverwirklichungsstreben Bestand haben wird oder anderen Lebensformen weichen muss, sollten wir wieder stärker als bisher berücksichtigen, dass Rechte immer auch Pflichten bedingen und dass eine zu freie, antiautoritäre und leistungsfeindliche Erziehung ihrerseits neue Probleme aufwirft. Rechtzeitiges Gegensteuern könnte abrupte und gefährliche Lenkmanöver auf unserem Lebensweg vermeiden. In diesem Sinne wünsche ich dem Buch von Werner Butzlaff viele Leser! —6— Vorwort des Verfassers Die heutigen Generationen haben, zumindest hier in Mitteleuropa, das Glück in einer friedlichen Zeit aufgewachsen zu sein. Auch wir Älteren haben uns nach dem verheerenden 2. Weltkrieg und all seinen tragischen Folgen zu unserer eigenen Überraschung bemerkenswert gut in unserer »neuen Heimat« eingelebt, auch wenn das kein einfacher und geradliniger Weg war. Da es nicht mehr allzu viele Zeitzeugen und Teilnehmer dieses gewaltigen Umbruches gibt, der soviel Unrecht für alle Seiten gebracht und mein Leben in stärkster Weise geprägt hat, möchte ich meine Erlebnisse und Empfindungen hier für meine Kinder und Enkelkinder, aber auch für interessierte Mitbürger(innen) festhalten und meiner alten, unvergessenen Heimat ein Denkmal setzen. Heute ist es modern, flexibel zu sein und niemand findet etwas dabei, wenn er heute hier und morgen dort sein Auskommen findet. Aber die pommerschen Bauerngeschlechter waren mit ihrer Scholle, die sie mindestens seit dem 30-jährigen Krieg in guten und schlechten Zeiten gepflegt und gehegt haben, wirklich verbunden. Trotzdem mussten sie, die am Ausbruch des 2. Weltkrieges nicht mehr Schuld hatten als die übrigen Deutschen, bei oder nach Kriegsende unter unmenschlichen Bedingungen ihre jahrhundertealte, von ihnen aufgebaute und kultivierte Heimat verlassen. Das war Unrecht und das darf nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden, auch wenn Deutschland den Ausbruch des 2. Weltkrieges aktiv herbeigeführt hat. Ganz unbeteiligt waren aber auch nicht die Siegermächte, wie es z.B. das ge—7— heime Zusatzprotokoll zwischen Ribbentrop und Molotow über die Teilung Polens eindeutig beweist. Glücklichere Zeiten werden hoffentlich ein friedliches Mitund Nebeneinander der europäischen Völker herbeiführen, ohne dass neuer Hass und Streit unser Denken vergiftet. Nirgends mehr als hier gilt, dass Kooperation vernünftiger ist als Konfrontation. Erlittenes Unrecht, das man nicht aussprechen darf, bedrückt und macht krank. Eine offene Aussprache, die mein Anliegen ist, macht den Weg frei für eine neue, bessere Zukunft! Ich bin meiner Mutter dankbar, dass sie trotz aller ihrer Sorgen und Nöte, den Überlassungsvertrag, mit dem mein Großvater Otto Butzlaff seinen Hof meinem Vater Herbert Butzlaff überlassen hat, im Original retten konnte. Derartige Überlassungsverträge waren damals gang und gäbe. Für uns Vertriebene ist es wichtig zu wissen, wo unsere Wurzeln liegen und woher wir kommen. Ich habe mich oft gefragt, warum es mir unmöglich gemacht wurde, diesen Lebenswunsch zu erfüllen. Wer war daran schuld? Waren es Wahnvorstellungen von Einzelpersonen auf deutscher oder damals gegnerischer Seite? Welche Rolle spielten Hass, Neid, Rache und Vernichtungswillen? Einseitige Schuldzuweisungen lehne ich ab. Sie sind mir zu einfach, um in einer modernen, hoch verflochtenen Welt, in der nach wie vor auch menschliche Schwächen die Politik beeinflussen, als Erklärung herhalten zu können. Wir sehen ja ganz deutlich an der Klimafrage oder der Frage, wie die wertvollen Erdölressourcen verwendet werden sollten, ob und wie wir gentechnologisch veränderte Lebensmittel, Kernkraft etc. akzeptieren und zu welchen Bedingungen wir —8— die Entwicklungsländer am Welthandel zu beteiligen bereit sind, wie schwierig diese Fragen zu lösen und unter einen Hut zu bringen sind. Ich habe mich ein Leben lang bemüht, mit der Realität klar zu kommen und sie so zu akzeptieren, wie sie nun einmal ist. Dabei half mir, dass mir meine Familie immer als der Mittelpunkt meines Lebens erschienen ist. Nur mit und in einer intakten Familie erscheint mir das Leben lebenswert. Das bedeutet allerdings auch eine Selbstüberwindung und dass wir vom »Ich« auf das »Wir« umsteigen. Richtige Erziehung und echte Vorbilder sind dabei sehr hilfreich. Hier schließt sich der Kreis mit meiner unvergessenen Heimat und Jugendzeit in Hagenow/Greifenberg/Pommern, die mich zu dem gemacht hat, was ich wurde und bin. Deshalb widme ich meine Aufzeichnungen meinem Heimatdorf Hagenow. —9— ERSTER TEIL: KINDER-, SCHUL- und JUGENDZEIT — 10 — Das vorstehende, in den 80er Jahren von mir gemachte Bild strahlt eher Tristesse und Verfall aus, als einen florierenden Bauernhof. Das Wohnhaus besteht zwar noch im wesentlichen Teil, aber in einem traurigen Zustand. Die Pferde- und Schweineställe haben statt des alten 11 m hohen Reetdaches nur noch ein viel niedrigeres Ziegeldach, das überhaupt keine Ähnlichkeit mit der alten Stallung hat und der gegenüberliegende Kuhstall (Hofdurchmesser ca. 30 m) ist ebenso wenig zu sehen, wie die große, ca. 30 m lange Scheune, die unseren Hof von der Zuwegung zur Hauptstraße abgrenzte und deren Tiefe so groß war, dass wir im Sommer 2 Erntewagen im Haupttor zum Hof unterstellen konnten. Wir haben versucht, den alten Hof malerisch wieder auferstehen zu lassen, jedoch war diesem Versuch leider kein Erfolg beschieden, weil die heutige Abbildung zu viele falsche Assoziationen bot, so dass es uns nicht gelang die alte Ansicht wieder herzustellen. Vielleicht finden wir aber in der Folgezeit einen Maler, der so wie Franz Trachmann in Graz, der die Spinngerätschaften auf Seite 97 gemalt hat, auch den Hof wieder so auferstehen lässt, wie er sich in meine Erinnerung eingeprägt hat. — 11 — Der Überlassungsvertrag von 1920 D er folgende Überlassungsvertrag, der zur damaligen Zeit bei der Übergabe der pommerschen Höfe Gang und Gäbe war, gibt in Verbindung mit dem Eingangsbild einen Überblick über den pommerschen Hof meiner Vorväter in Hagenow bei Treptow im Kreis Greifenberg, den ich später noch näher beschreiben werde. Bruno Saager Rechtsagent. Treptow. Rega G.B.A.No.34/20. Überlassungsvertrag Zwischen dem Bauerhofbesitzer Otto Butzlaff und dessen mit ihm in Gütergemeinschaft lebenden Ehefrau Magdalene geb. Lübchow und deren Sohn, dem Landwirt Herbert Butzlaff sämtlich zu Hagenow ist heute nachstehender Überlassungsvertrag geschlossen: §1. Die Bauerhofbesitzer Otto Butzlaffschen Eheleute überlassen hiermit den ihnen gehörigen im Grundbuche von Hagenow Band I Blatt Nr. 6 verzeichneten Bauernhof Nr. 7 an ihren eheleiblichen großjährigen Sohn den Landwirt Herbert Butzlaff für einen baren Überlassungspreis von 52000 Mark —in Buchstaben: Zweiundfünfzigtausend Mark- und einen im § 5 dieses Vertrages näher beschriebenen, den Überlassern von dem — 12 — Annehmer bis an deren Lebensende frei und unentgeltlich zu gewährenden Altenteil. §2. Mitüberlassen sind das gesamte auf dem überlassenen Grundstücke befindliche tote und lebende Feld— Vieh- und Wirtschaftsinventar, sowie die vorhandenen Ernte- und Futtervorräte, sämtliche Maschinen und Gerätschaften. Mitüberlassen sind ferner folgende Gegenstände: 1 Küchenschrank, 4 vollständige Betten mit Bettstellen, 1 Kleiderschrank, die gesamte Einrichtung der Gesindestube, die gesamte Kücheneinrichtung an Koch— und Eßgeschirr mit Ausnahme desjenigen, was die Altsitzer für ihre eigene Kücheneinrichtung bedürfen und welche Gegenständige sich die Altsitzer nach ihrer Wahl zu Eigentum vorbehalten. Der Wert des mit überlassenen beweglichen Beilasses wird der Kostenberechnung halber auf 30000 Mark angegeben. §3. Der bare Überlassungspreis der 52000 Mark wird wie folgt berichtigt: 1) Annehmer übernimmt in Anrechnung auf den Überlassungspreis als Selbst—und Alleinschuldner die auf dem überlassenen Grundstücke in Abteilung 111 des Grundbuchblattes für die Stadtsparkasse zu Treptow—Rega haftende Hypothek zum Betrage von 7000 Mark mit der Zinsverpflichtung vom 1. April, 1920 ab. 2) Der Rest des Überlassungspreises mit 45000 Mark wird von den Überlassern ihren beiden großjährigen Töchtern Margarete und Hedwig Butzlaff zu Hagenow, je zur Höhe von 22500 Mark in Anrechnung auf ihr künfti— 13 — ges Elternerbteil überwiesen. Annehmer verpflichtet sich diese seinen Schwestern überwiesenen Erbteile von je 22500 Mark vom 1. April, 1920 ab mit vier vom Hundert jährlich in halbjährlichen Teilen zu verzinsen und nach vorausgegangener dreimonatlicher Kündigung, die jedoch seitens des Übernehmers vor Ablauf von 6 Jahren vom 1. April 1920 an gerechnet ausgeschlossen sein soll, zu zahlen. Zur Sicherheit für diese überwiesenen Überlassungsgelder nebst Zinsen und Bedingungen bestellt der Übernehmer seinen beiden genannten Schwestern Hypotheken an dem ihm heute überlassenen Grundstücke Hagenow Band I, Blatt Nr. 6 und bewilligt und beantragt die Eintragung derselben nebst Zinsen und Bedingungen in das Grundbuch dergestalt, dass für jede der beiden Schwestern der Betrag von 22500 Mark eingetragen werde und für jede derselben ein besonderer Hypothekenbrief gebildet wird. Hiermit ist der bare Überlassungspreis der 52.000 Mark belegt. §4. Annehmer verpflichtet sich noch an seine beiden Schwestern Margarete und Hedwig Butzlaff bei ihrer Verheiratung, spätestens aber nach Ablauf von 5 Jahren, das zweitbeste Pferd und die zweitbeste Kuh aus seinem Viehbestande unentgeltlich zu liefern. Die Wahl darüber, wer von den beiden Schwestern das Pferd und wer die Kuh erhält, bleibt den beiden Schwestern überlassen, es hat das Los zu entscheiden im Falle der Uneinigkeit. §5. Der den Überlassern von dem Annehmer zu gewährende Altenteil wird im einzeInen wie folgt festgelegt: 1. freie Wohnung in den rechter Hand vom Hauseingange — 14 — gelegenen beiden Vorderstuben, nebst daran stoßender Küche und der neu angelegten Stube, sowie der über den Vorderstuben gelegenen oberen Bodenstube. 2. Mitbenutzung des im Hause befindlichen Backofens, d.h. Mitbacken des Brotes, wenn Annehmer backt. 3. Mitbenutzung des Brunnens auf dem Hofe. 4. Mitbenutzung des vorhandenen großen Koch- resp. Waschkessels. 5. freien Ein-, Aus- und Umgang in Haus, Hof, Garten und Feld. 6. freie Reinigung der Leib- und Bettwäsche der Altsitzer. 7. freie Aufwartung in gesunden und kranken Tagen, freies Reinigen der Stuben, Heizen der Öfen und 8. Aufmachen der Betten in kranken und schwachen Tagen. 9. Jährlich zehntausend guten, trockenen Stechtorf und ein Raummeter buchenes Klobenholz. Der Torf ist in einem Stall auf dem Hof gesondert zu verpacken. Das Holz ist zu zerkleinern und gleichfalls in dem selben Stall aufzubewahren. 10. Jährlich ein Fettschwein im Gewicht von ca. drei Zentner (lebend), lieferbar im November oder Dezember. 11. Jährlich 6 fette Gänse im Gewicht von mindestens zwölf Pfund toten Gewichts mit Federn lieferbar in der Zeit vom 15. November bis 15. Dezember. 12. Jährlich fünfzig Pfund gutes Rindfleisch. 13. Jährlich 12 Zentner Weizen, fünfzehn Zentner Roggen und 24 Zentner gute Esskartoffeln, alles auf Abforderung der Altsitzer. 14. Freies Fahren des Kornes zur Mühle und Rückbeförderung des Mehles. 15. Jährlich 30 Pfund reingeschwungenen Flachs und vier Pfund Wolle. — 15 — 16. Wöchentlich in der Zeit vom 1. März bis 1. Oktober jeden Jahres eine Stiege frische Hühnereier und zu Weihnachten eine Stiege Hühnereier besonders. 17. Wöchentlich drei Pfund gute frische Butter. 18. Täglich drei Liter frische süße Kuhmilch. 19. Jährlich den vierten Teil des im Garten geernteten Obstes. 20. Jährlich zwölf Fuhren mit dem besten Wagen und den besten Pferden des Annehmers im Umkreis von zwanzig Kilometern von Hagenow nach Wunsch der Altsitzer. 21. Freien Arzt in Krankheitsfällen. 22. Standesgemäße Beerdigung auf dem Kirchhofe zu Hagenow und Errichtung eines angemessenen Grabdenkmals. Stirbt einer der Altsitzer, so erhält der Überlebende den gesamten vorbeschriebenen Altenteil ungeschmälert zur vollen Höhe. Falls die Altsitzer es aus irgendeinem Grunde vorziehen sollten, die Altenteilswohnung zu verlassen, so soll es ihnen freistehen sie zu räumen. Für diesen Fall ist der Übernehmer verpflichtet, anstatt des Altenteiles mit Ausnahme der Position 21 den Überlassern eine jährliche Abfindung von bar 2000 Mark (Zweitausend Mark) in vierteljährlichen Raten von je 500 Mark im voraus frei Wohnort zu entrichten. 23. Zur Sicherheit für den vorstehenden Altenteil verpfändet der Annehmer das ihm überlassene Grundstück Hagenow, Band I, Blatt Nr. 6 und bewilligt und beantragt die Eintragung desselben in das Grundbuch. §6. Die Übergabe des überlassenen Grundstücks wird als mit dem heutigen Tage vollzogen anerkannt. Auflassung soll am 1. April d. J. stattfinden. Die Lasten und Abgaben, sowie Ge— 16 — fahr und Nutzungen gehen mit dem heutigen Tage an den Annehmer über. §7. Die Kosten dieses Vertrages, der Auflassung und der Grundbucheintragungen, sowie etwaige Stempelkosten, übernimmt der Annehmer. Der gemeine Wert des Überlassungsgrundstückes beträgt 75000 Mark. Hagenow, den 19. März 1920. gez. Otto Butzlaff Magdalene Butzlaff Herbert Butzlaff Dieser Überlassungsvertrag räumte den Überlassern, also meinen Großeltern, große Rechte ein, die dennoch durch die beginnende Inflation leicht zu Makulatur hätten werden können. Andererseits sind meine Eltern große Verpflichtungen eingegangen, die sie z.B. bei Krankheit der Großeltern sehr leicht hätten überfordern können. Zu welchen Übernahmebedingungen mein Großvater Otto den Hof damals übernehmen konnte, entzieht sich meiner Kenntnis. Was ich weiß, ist, dass mein Großvater sieben Schwestern hatte. Alle haben sich in ziemlich große Bauernhöfe eingeheiratet. Das bedeutete auch, dass alle eine Mitgift bekommen haben. Bekannt ist, dass mein Urgroßvater Friedrich Butzlaff ein tüchtiger Bauer war. Seine Tätigkeit, die wohl schon früh bekannt war, hat ihm überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, Bauer in Hagenow zu werden. — 17 — Ursprünglich gehörte unser Hof der Familie Darsow. Mein Ur-Urgroßvater Darsow war schon früh gestorben, sodass meine Ur-Ur-Großmutter allein den Hof bewirtschaftete. Sie hatte mehrere Kinder, jedoch nur einen Sohn. Dieser Sohn soll ein Taugenichts gewesen sein, der seiner Mutter nur Kummer und Sorgen bereitete. Kurzerhand versprach sie ihrer ältesten Tochter: »Wenn du den Friedrich Butzlaff aus Triebs heiratest, bekommst du den Hof.« Maria hatte wohl ein Verhältnis mit Friedrich. Die beiden haben geheiratet und so kam der Name »Butzlaff« nach Hagenow. Bekannt sind mir noch die Namen der Höfe, in die die Kinder von Urgroßvater Friedrich eingeheiratet haben. Das sind Butenhof in Langenhaben, Storm in Glanse, Dumke in Zimdarse, Lössin in Görke, Hannemann in Borntin, Wartchow in Borntin und Schwarz in Zindarse. Von dem Schwarz ist mir bekannt, dass er ein weniger guter Bauer war. Um ihn vor dem Verkauf seines Hofes zu retten, hat mein Großvater Otto ihm 20.000 Goldmark geliehen. Diese sind nie zurückgezahlt worden. Die Familie Schwarz ist ausgestorben. Es lebten mehrere Cousinen meines Vaters in Bremen. Sie hatten dort auch ein Haus, aber keine Nachkommen. Dieses Haus sollte nach dem Willen der Cousinen an unsere Familie zurückfallen. Sie wussten von den 20.000 Goldmark. Durch Erbschleicherei fremder Menschen ist das Haus jedoch an fremde Leute gegangen. — 18 — Tante Grete und Tante Hedwig T ante Grete war die älteste Schwester meines Vaters und wurde am 15. November 1893 geboren. Sie lebte bis zum Tode meiner Großmutter Magdalene Butzlaff, geb. Lübchow aus Simözel bei uns, auf dem Altenteil des Hofes. Mein Großvater starb schon 1925. Meine Großmutter erkrankte an Typhus, hatte die Krankheit jedoch überwunden und litt seither an einer damals so genannten »Arterienverkalkung«. Sie konnte nicht mehr alleine bleiben, weil die Krankheit immer schlimmer wurde. Sie wollte immer nach Oma Butzlaff Hause, nach Simözel. Sie (mit Werner, Grete, Gertrud) packte dann eine Kaffeekanne und eine Kaffeetasse in ihre Schürze und ging los. Die Kanne und die Tasse waren mit einer silbernen 25 versehen und ein Geschenk zu ihrer silbernen Hochzeit gewesen. Da Hagenow ein Bauerndorf war, kannte jeder meine Großmutter. Wenn sie einmal unbemerkt vom Hof gelangte, brachten sie andere Mitbewohner wieder nach Hause. Die Nachbarschaft in diesen Dörfern war noch intakt. Die Pflege meiner Großmutter war kein einfaches Los für meine Tante. Mir ist allerdings nicht bekannt, ob sie jemals Heiratsabsichten hatte. Ein Hinderungsgrund für eine Hei— 19 — rat war wohl der Tod so vieler Soldaten während des ersten Weltkrieges gewesen. Da waren doch viele in Frage kommende Männer gefallen. Nach dem Tod meiner Großmutter 1935 bekam Tante Grete einen Nervenzusammenbruch. Mehrere Wochen war sie in einem Sanatorium in Kolberg. Als sie wieder zu Hause war, empfahl unser Vater meinem Bruder und mir, uns bei Tante Grete einzuquartieren, um sie nicht in Grübeleien verfallen zu lassen. Das haben wir getan. Tante Grete war ohnehin unsere 2. Mutter. Im Grunde war sie ein fröhlicher und vielseitig interessierter Mensch. Sie war nicht groß, fast zierlich; Angst kannte sie aber nicht. Mein Vater war zu der Zeit ein ziemlich strenger Mann. War Tante Grete aber der Meinung, dass er Unrecht habe, so verteidigte sie uns wie eine Löwin. Selbst unsere Mutter, die uns so viel Liebe gab, erreichte öfter nicht, was bei Tante Grete gelang. Einflechten möchte ich hier aber, dass mein Bruder und ich nie erlebt haben, dass unsere Eltern sich gestritten haben. Mit Sicherheit haben sie auch Meinungsverschiedenheiten gehabt, über die gestritten wurde, jedoch nie vor unseren Augen. 1937 hat mein Vater dann ein Häuschen am Anfang des Dorfes für Tante Grete gekauft, was wohl noch von der Hofüberschreibung her fällig war. Der Besitzer des Hauses war ein alter Rentner, der auch im Hause wohnen blieb. Er wurde noch ein Jahr von Tante Grete gepflegt, ehe er verstarb. Im Dorf war Tante Grete sehr beliebt. Sie leitete die Frauenschaft. Sie machte sich überall dort nützlich, wo sie gebraucht wurde. — 20 —
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