Jungspund oder alter Bock?

Fotos: M. Meyer
Altersansprache beim Rehwild
Jungspund oder alter Bock?
Wenn wir im Bestand der Rehböcke eines Reviers oder einer Hegegemeinschaft wieder eine gesunde
Alters- und Sozialstruktur erreichen wollen, müssen wir die Rehböcke unterschiedlichen Altersklassen
zuordnen. Berufsjäger Matthias Meyer hat eine Abstufung für die Einteilung in Altersklasen gewählt: Ein- und
zweijährige Böcke ordnet er in die Jugendklasse ein, drei- bis vierjährige in die Klasse der Mittelalten, fünf- bis
siebenjährige in „Alte“, und Böcke, die über sieben Jahre alt sind, in die Klasse der Überalten. Er zeigt hier auf,
welcher Bock in welche Klasse gehört.
In freier Wildbahn werden Rehe kaum älter als zehn Jahre. In
einem jagdlich unbeeinflussten Bestand würde der Großteil
aus mittelalten und alten Rehgeißen und Böcken bestehen.
Auf der Hegeschau aber müssen wir entdecken, dass die wirkliche Altersstruktur weit von der natürlichen entfernt ist. Wenn
fast ausschließlich Jährlinge und zweijährige Rehböcke die
Rolle des Platzbockes übernehmen – in einem Bestand mit
natürlicher Altersstruktur besitzen erst mindestens dreijährige
und damit körperlich voll ausgewachsene Tiere ein Territorium
– steht das ohne jeden Zweifel in direktem Zusammenhang
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mit einem rigorosen Abschuss der älteren Artgenossen. Fehlen
die alten Böcke aber im Bestand, bringt der Abschuss auch
nicht den gewünschten Erfolg aus waldbaulicher Sicht. Denn
der Rehwildbestand reagiert auf starke jagdliche Eingriffe mit
einer artspezifischen Dynamik. Es werden von jungen und damit vitaleren Geißen nicht nur im Durchschnitt mehr Kitze gesetzt, sondern auch mehr weibliche Kitze, deren Nachkommen
in kürzester Zeit den Bestand wieder auffüllen – und das erst
recht bei einem völlig zu Gunsten der Geißen verschobenen
Geschlechterverhältnis, wie es fast überall der Fall sein dürfte.
Rehböcke, so heißt es häufig, hätten doch schon mit drei
Jahren ihr stärkstes Gehörn und könnten folglich geerntet werden. Das trifft vielleicht in Revieren mit künstlicher
ganzjähriger Mast zu, sicher nicht in einem normalen Durchschnittsrevier. Wenn wir uns anstatt auf Trophäen auf eine
natürliche Altersstruktur konzentrieren, stellt sich eine gute
Trophäe von alleine ein.
Entscheidend für die Altersansprache sind bestimmte Altersmerkmale. Wie überall bestimmt auch hier die Ausnahme
die Regel. Das heißt, dass jedes Merkmal für sich genommen unterschiedlich zuverlässig sein kann. Nur die Summe
aller Körper- und Verhaltensmerkmale kann dem verantwortungsbewussten Jäger für die komplexe Gesamtschau
wertvolle Hilfestellungen geben. Regionale Besonderheiten,
insbesondere bei der Gesichtsfärbung, aber auch beim Gehörnaufbau müssen unbedingt dabei berücksichtigt werden.
Denn schwedische Rehböcke sehen ganz anders aus als ihre
Verwandten aus der Lüneburger Heide, diejenigen aus den
Marschrevieren an der Nordseeküste wieder anders als die
aus dem Alpenvorland. Wichtig ist, dass sich der Jäger auf
das Aussehen seiner Rehböcke konzentriert und zu ergründen versucht, welche Altersmerkmale für das Wild in seinem
Revier maßgeblich sind.
Je nach Veranlagung,
körperlicher Entwicklung
oder sozialer Stellung
des Muttertieres kann
der Jährling ein Knopfbock oder auch ein
kapitaler Sechser sein.
Gerade die besonders
kapital entwickelten
Jünglinge werden oft als
viel zu alt angesprochen
und als „reife“ Kapitalböcke erlegt.
Der zweijährige Rehbock
hat noch eine schlanke
Figur, kann aber vom
Wildbret her schon sehr
stark sein. Rücken- und
Bauchlinie sind absolut
gerade. Seitlich betrachtet geben die Läufe,
Rücken- und Bodenlinie
nahezu ein Quadrat.
Ein im Verhältnis zum
Wildkörper noch dünn
wirkender Träger wird
sehr steil getragen.
Der Jährling lässt sich
noch relativ einfach
ansprechen. Besonders
auffällig sind seine
schlanke Figur, der noch
sehr kindlich wirkende
Gesichtsausdruck bei
einer meist einheitlich
dunkel gefärbten Gesichtsmaske.
Das besonders im
Profil schlank und spitz
zulaufende Haupt wird
stets hoch getragen. Der
Gesichtsausdruck wirkt
durch ein sehr buntes
und klar gezeichnetes
Gesicht noch kindlich bis
jugendlich neugierig.
Ein weißer, an den
Rändern scharf gezeichneter Muffelfleck fehlt
fast immer und ist nur
bei körperlich sehr stark
entwickelten Stücken als
schmaler Saum oberhalb
des Windfangs erkennbar.
Der Zweijährige hat in
den meisten Fällen nicht
nur einen großen weißen
Muffelfleck, der bis in
die dunklen Stirnlocken
reichen kann, sondern
zusätzlich noch eine rote
bis bräunliche Farbgebung im Bereich der
Wangen und Lichter.
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Beim Zweijährigen sind
die hohen Rosenstöcke
noch leicht zu erkennen,
wie auch der noch enge
Abstand zwischen den
Rosen. Erst mit zunehmendem Alter flachen
die Rosenstöcke ab
und verbreitern diesen
Abstand, so dass der
Betrachter ein seitliches
Abrutschen der Stangen
erkennen kann.
Durch die zunehmend
kantige Form des
Hauptes wirkt der Gesichtsausdruck deutlich
ernster. Mit drei Jahren
ist das Körperwachstum
beim Reh abgeschlossen.
Im Profil wirkt das Haupt
eher kurz, kantig und
bullig.
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Deutlich muskulös und
konturenreich erscheint
der Wildkörper des
mittelalten, drei- bis
vierjährigen Rehbocks.
Die Gesichtsmaske ist
nicht mehr bunt und
nicht scharf gezeichnet,
da die unterschiedlichen
Farbränder ineinander
laufen.
Ein relativ sicheres
Altersmerkmal ist bei
reifen, alten Rehböcken
das typische Altersgrau,
das auf keinen Fall
mit der manchmal bei
jungen Böcken vorkommenden Grauzeichnung
verwechselt werden darf.
Bei alten Böcken ist die
Graufärbung nie scharf
abgegrenzt, sondern
immer verwaschen und
geht ineinander über.
Seitlich betrachtet ähnelt
die Körperkontur beim
mittelalten Bock deutlich
einem Rechteck mit
beginnendem Hängebauch und Senkrücken.
Beim alten Rehbock ist
in der Silhouette nun ein
Vorschlag sichtbar, der
noch beim mittelalten
Rehbock fehlt.
Typisch für den alten
Bock sind Falten, die sich
am starken Träger bilden. Mit zunehmendem
Alter ab sieben Jahren
geht auch der Farbton der
Decke ins fahl gelbliche.
Der Glanz der Decke geht
verloren.
Wirklich alte Rehböcke,
die ihren Zenit deutlich
überschritten haben,
zeichnen sich vor allem
durch eine stumpf wirkende Decke, die fahl
gelb gefärbt ist, aus.
Das Gesicht verliert seine
klare Zeichnung und
schwindet ebenfalls in
ein stumpfes Einheitsgrau.
Beim alten Bock wird oft
die so genannte Brille
deutlich. Gemeint sind
damit die hellgrauen
Haare um die Lichter.
Der Gesichtsausdruck
geht von ernst, mürrisch
bis apathisch wirkend.
Durch den im hohen Alter
stattfindenden Schwund
der Muskulatur nimmt
die Konstitution ab.
Bei der Trophäe setzt
der überalterte Bock
recht schnell zurück.
Meist schiebt er nur
noch Spieße. Aufgrund
der flachen, kaum noch
vorhandenen Rosenstöcke wirken die Stangen
wie seitlich an der Stirn
abrutschend mit einem
gehörigen Platz zwischen
den Stangen.
Rehböcke mit einer abnormen Gehörnbildung
sind bei vielen Jägern
als Trophäen besonders
begehrt. Die Ursache ist
meistens eine Bastverletzung. Im Folgejahr
wird der Bock wieder
ein normales Gehörn
schieben. Wenn er passt,
den Bock erlegen, aus
gesundheitlichen oder
Tierschutzgründen ist es
nicht notwendig.
Bei einem Bruch der
Rosenstöcke, die unter
Umständen noch nicht
einmal verheilt sind,
oder bei einem so
genannten Perückenbock
müssen Sie das Tier sofort erlegen. Denn diese
Böcke leiden lange, bis
sie an den Folgen einer
Blutvergiftung durch
Madenfraß verenden.
Matthias Meyer
Wildmeister Matthias Meyer,
Mitglied im BJV-Niederwildausschuss, betreut circa 5.500
Hektar Revierfläche der Fürstlichen Forstverwaltung Oettingen-Spielberg im Landkreis
Donau-Ries. Seit 22 Jahren leitet
er die Schweißhundestation
Nord-Ries, ist langjähriger Hegeringleiter sowie leidenschaftlicher Wild- und Jagdfotograf.
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