Text Verena Sieber-Fuchs

VERENA SIEBER-FUCHS
«verarbeitetes unverarbeitet
unverarbeitetes verarbeitet»
Verena Sieber-Fuchs ist in Appenzell aufgewachsen und wusste früh, was sie werden will: Künstlerin.
Das war ihr Lebensplan. Für sie – wie für andere Künstlerinnen und Künstler zuvor – hiess das, ihren
kraftvollen Heimatboden zu verlassen, wenigstens zeitweilig.
Appenzellische Herkunft bedeutet für jene, die sich im internationalen Kunstbetrieb bewegen, fast symptomatisch eine differenzierte Verbundenheit mit der heimischen Kultur, mit Landschaft, Geschichte und
Mentalität. Diese manifestiert sich auf vielfältige Weise, schleicht sich manchmal offenkundig ins Werk ein
oder verbirgt sich in der privaten Welt der emotionalen Geborgenheit. Im künstlerischen Prozess aber
werden Wurzeln blankgelegt, wird Heimweh der kollektiven Sentimentalität enthoben, wird die Erinnerungsoberfläche aufgeraut.
Herzblut fliesst durch alle Arbeiten von Verena Sieber-Fuchs. Was sie anfasst, wird durchdrungen von
ihrer persönlichen Lebensintensität und trägt Botschaften aufrührenden Hinterfragens in sich, ist verschmitzt-ironische Darlegung oder ästhetische Unterwanderung gewohnter Wertvorstellungen. Auch das
ist eine Reminiszenz an ihre appenzellische Heimat und den hier zu beobachtenden hintersinnigen
Humor.
Verena Sieber-Fuchs’ Vater war Sennensattler. Das traditionelle Kunsthandwerkeratelier im Dorf Appenzell barg schon für die heranwachsende Tochter mit ihrer feinfühligen Aufmerksamkeit tausend Schätze.
In der Werkstatt gründete sich die Gewissheit, dass Arbeit mit den Händen ihren Lebensweg prägen
werde. Dass sich daraus eine künstlerische Laufbahn ergab, lag an der inneren Gewissheit und äusseren
Durchsetzungskraft der eigenwilligen jungen Persönlichkeit. Während der vom Elternhaus geförderten
und geforderten «soliden» Ausbildung zur Handarbeitslehrerin bei den Schwestern in Ingenbohl wurde
Verena Fuchs von der Klosterfrau und Malerin Sr. Raffaela massgeblich unterstützt und in ihrem Willen
bestärkt. Diese motivierte sie, anschliessend die Kunstgewerbeschule in Basel zu besuchen. Verena
Fuchs wurde aufgenommen und trat als Werkstudentin in die Textilfachklasse ein. Für den zweiten Teil
der Ausbildung wechselte sie nach Zürich, wo sie die Dozentin Elsie Gianque kennenlernte, eine legendäre Wegbereiterin der Textilkunst, die sich für deren Anerkennung als Gattung der Bildenden Kunst
einsetzte. Verena bezeichnet ihre Mentorin liebevoll als «geistige Mutter», und zwischen den beiden
entstand eine Freundschaft fürs Leben – eine der wertvollsten Verbindung im weitgespannten und vielfältigen Beziehungsnetz, das sich Verena Sieber-Fuchs als Künstlerin und Mutter von vier Söhnen aufbaute.
Zürich wurde zum Zentrum ihres Künstler- und Familienlebens. Mit Projekten und Präsentationen wurde
sie immer mehr in die professionelle internationale Kunstwelt eingebunden. Inzwischen bewegt sich die
gebürtige Appenzellerin leichtfüssig zwischen Metropolen wie Amsterdam, Paris und New York.
Die künstlerischen Arbeiten von Verena Sieber-Fuchs sind Objekte und Rauminstallationen, die sich nach
und nach auf verschiedenen Ebenen erschliessen lassen. Als Werkstoffe verwendet sie unspektakuläre
Materialien, Fundstücke, Übriggebliebenes, Verpackungen aus der Konsumgüterwelt. Das können leere
Papiertüten, Werbekataloge, Folienpapiere von Appenzeller Käse, Konfetti, Hostien, «Aaliechtli», Medikamentenblister, Sattlernägel aus der väterlichen Werkstatt, zerschnittene Filmstreifen und vieles andere
sein. Die Künstlerin entwickelte eine besondere Affinität zu den übersehenen Dingen des Alltags. Durch
ihre gesteigerte Sichtweise laden sich diese mit erweiterten Inhalten auf. Sie löst die Elemente als
Ganzes oder als Teile aus dem gewohnten Kontext, enthebt sie der ursprünglichen und vorgegebenen
Funktion, verknüpft und verflechtet sie kunstvoll miteinander, so dass diese als edle Schmuckstücke und
Kostbarkeiten erscheinen. Es ist ein Prozess des Zerlegens und des Neukonzipierens der Auslegeordnung. Einerseits wird die Künstlerin von den trivialen Grundmaterialien als Botschaftsträger oder durch
die zweckgebundene Zuordnung inspiriert, anderseits setzt sie diese ein für ihre gedankliche Auseinandersetzung mit Ereignissen aus dem aktuellen Tagesgeschehen, mit Schreckensnachrichten, Berichten
von Missständen, aber auch mit persönlichen Erfahrungen.
Verena Sieber-Fuchs verarbeitet die einzelnen Elemente mit feinem Metalldraht oder Silk zu filigranen
Kunstwerken. Mit akribischer handwerklicher Fertigkeit, die an die hochqualifizierte Innerrhoder Handstickerei erinnert, schnipselt sie den Werkstoff zurecht, reiht und f delt die Einzelteile auf und formt sie zu
Bijous, Kragen, H ten, Schals u.s.w.
Der Entstehungsprozess ist wie eine Meditation. In scheinbar spielerischer Leichtigkeit werden Gedanken, Erinnerungen, aber auch Auflehnung, Wut und Trauer in eingeflochten.
Die Werke vermitteln oft den Eindruck, als best nden sie aus wertvollen Materialien, sie bezaubern in
ihrer Taktilit t, in ihrer erotischen Aufladung, in ihrer Transparenz oder Dichte. Es ist wie ein verf hrerisches Spiel. Es sind wahrgewordene Tr ume, die sich auch nach dem Erwachen nicht aufl sen. Ihre Art
des Wahrnehmens ist ein Balancieren im Spannungsfeld zwischen Anziehung, Witz, Ironie und br skem
Einbrechen in die Ernsthaftigkeit hintergr ndiger Verweise.
So etwa beim Apart-heit -Schmuck aus den altbekannten Orangenpapieren mit den schwarzen K pfen,
oder bei den aus Preisschildchen eines Schmuckkataloges gefertigten Halsgeschmeiden Don t touch
me, I am so precious und Jeder Schmuck hat seinen Preis , wo sich erst auf den zweiten Blick die
provokative Ebene offenbart. Jassstationen heisst ein vielteiliges Projekt, ein reicher Bilderbogen von
beispielsweise lauter Eicheln , Rosen , Schilder , Damendekollet s oder K nigen zerschnittener Jasskarten. Diese Neuordnung einer im kollektiven Bewusstsein verankerten Alltagskultur wirkt
irritierend. Einerseits blitzt darin die Erinnerung an das Jassen am Familientisch auf, andererseits die
g ngige Form traditioneller appenzellischer Freizeitkultur und freundschaftlicher Kommunikation.
So sind die Arbeiten von Verena Sieber-Fuchs auf unpr tenti se Weise von ihrer Verbundenheit mit
Appenzell und den kulturellen Ressourcen ihrer Heimat gepr gt. In ihrer Liebe zum Heimischen schwingt
aber immer auch eine schmerzhafte Saite mit: Angst vor Argwohn, Unverst ndnis und Intoleranz ihrem
k nstlerischen Werk gegen ber. Trotzdem behielt sie w hrend all der Jahre einen regelm ssigen Kontakt
zum Appenzellerland und zu ihrem Elternhaus, bis der Generationenwechsel eine nat rliche Z sur schuf.
Sie pflegt weiterhin freundschaftliche Beziehungen zu Appenzellerinnen und Appenzellern und unternimmt gelegentlich Wanderungen und Skitouren im Alpstein. Sie verstand es, auch ihren Buben eine
unvergessliche Bindung zur appenzellischen Landschaft und Lebenskultur zu vermitteln.
Eine der vielf ltigen Auseinandersetzungen mit der alten Heimat war die Anreise nach Appenzell von
verschiedenen Orten her: Das letzte Wegst ck legte sie jeweils zu Fuss zur ck. Dieses sternf rmige
Sich-auf-Appenzell-Zubewegen erscheint wie ein einsamer symbolischer Prozessionszug, ein Work in
Progress in durchaus k nstlerischem Sinn.
Agathe Nisple
Agathe Nisple Station
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