Kösling, Domprediger Michael

Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Domprediger Michael Kösling
Sonntag Rogate, 10. Mai 2015
Predigt über 1. Timotheus 2,1-6a
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus.
Allein den Betern kann es noch gelingen
Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten
Und diese Welt den richtenden Gewalten
Durch ein geheiligt Leben abzuringen.
Denn Täter werden nie den Himmel zwingen:
Was sie vereinen, wird sich wieder spalten,
Was sie erneuern, über Nacht veralten,
Und was sie stiften, Not und Unheil bringen.
Jetzt ist die Zeit, da sich das Heil verbirgt,
Und Menschenhochmut auf dem Markte feiert,
Indes im Dom die Beter sich verhüllen, … (Reinhold Schneider, Allein den Betern, 1941)
So dichtet Reinhold Schneider 1936, drei Jahre nach der Machtergreifung Hitlers. Er veröffentlicht sein
Sonett 1941, da gehen die Völker Europas und der Welt schon in das zweite Kriegsjahr. Schreibverbot
und Versteck folgen und zuletzt die Anklage wegen Hochverrats, die aber durch das Kriegsende dieser
Tage vor 70 Jahren nicht mehr verhandelt werden konnte.
Ist Schneiders Sonett das Zitat des ersten Teils des Predigttextes, der uns am Sonntag Rogate aufgegeben
ist?
So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für
die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und
Ehrbarkeit.(1. Tim 2, 1-2)
Damit wir ein stilles und ruhiges Leben führen können. Ist das der Reflex auf die lähmende und scheinbar
unüberwindbare Macht und Stärke der enthemmten nationalsozialistischen Bewegung gewesen … sich
als Beter im Dom zu verhüllen? Sehnsucht nach Ruhe und Stille in all dem unbegreiflichen und
unbeschreiblichen Durcheinander. Nicht weiter auffallen und die Änderung der Umstände dem Lauf der
Zeit und Gott überlassen. Und damit nicht genug. Beten für die Obrigkeit. Als evangelische Christen
erschrecken wir vor diesen Worten unwillkürlich angesichts unserer Geschichte und den aus den religiösen
Verirrungen jener Zeit geborenen Fürbitten für den Führer. Die hat Schneider nicht gemeint. Andere
trauten jedoch dem Gebet weniger zu. Sie griffen dem Rad in die Speichen und wurden noch, kurz vor
Kriegsende, hingerichtet. Persönliche Gefangene dieses, mit messianischen Ehrentiteln gekrönten
Diktators. Wurde es vor 70 Jahren nach Jahren des Trommelfeuers und des Bombenhagels, der Schreie,
der Vernichtung auf Schlachtfeldern und in Lagern und der Zerstörung ganzer Kulturen und Weltteile
ruhig durch geflüsterte Worte verhüllter Beter? Waren es nicht vielmehr die Opfer der Völker, die
unzähligen Soldaten und Zivilisten, die sich gegen dieses Schreckensregime stellten und bezahlten mit
Tod und Trauer und Schmerzen? Ist denn das, was wir von Gott erbitten, nicht unsere eigene Aufgabe
und die Tat unserer Freiheit? Ja sicher, die Hände, die zum Beten ruhen, können kein Schwert ergreifen.
Sie können dem Schwertführer aber auch nicht in den Arm fallen. Deshalb vielleicht so mit den Worten
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Jochen Kleppers: Die Hände, die zum Beten ruhn, die macht er stark zur Tat. Und was der Beter Hände
tun, geschieht nach seinem Rat? Als Täter sind wir im Gebet die von Gott Getanen. In diesem Sinne wäre
doch die Tat der gefühlte und notwendige Kontrapunkt zu einem ruhigen und stillen Leben in aller
Frömmigkeit und Ehrbarkeit, verhüllt im Gebet. Die Anleitung vielleicht, die vor 26 Jahren eine andere
Diktatur zu Fall brachte, als man vom Gebet aufstand und unverhüllt auf die Straßen ging in Leipzig und
Rostock und Berlin und so vielen Städten.
Bis Gott aus unsern Opfern Segen wirkt
Und in den Tiefen, die kein Aug’ entschleiert,
Die trockenen Brunnen sich mit Leben füllen.
So endet prophetisch das Sonett Reinhold Schneiders. So blicken wir Heutigen, Nachgeborenen auf unser
Leben und schöpfen aus den Brunnen frischen Wassers die Fülle. Immer noch dankbar für den Frieden,
den andere für uns erkämpft und die Freiheit, die andere für uns erstritten haben und das uns beides
geschenkt ist. Gleichzeitig dankbar, dass beides noch hält. Auch Gott dankbar! Für unser Leben in Ruhe
und Frieden. Neben all den Nachrichten dieser Tage und den Bildern von Krieg und Not, die unsere Gebete
und Fürbitten zum Zerbersten füllen, dürfen wir dankbar sein für diese unvorstellbar lange Periode des
Friedens. Aus der erwächst unser Auftrag diesen zu bewahren, ihn keinesfalls als ein für alle Mal gegeben
und als selbstverständlich hinzunehmen. Aber wie? Betend? In der Weise, dass wir Gott unsere politischen
und geostrategischen Ideen und Einfälle zur Umsetzung anbefehlen? Denn wie brüchig der Frieden ist
zeigt der Blick an den Rand.
Im Februar dieses Jahres, nur Stunden vor seinem Abflug in die Ukraine zu den
Waffenstillstandsverhandlungen, wurde Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Rande eines
durchprotokollierten Staatsaktes von einer kirchlichen Amtsträgerin spontan und beherzt beiseite
genommen. Für einen kurzen Augenblick nur. Lieber Herr Steinmeier, ich führe Sie ja laut Protokoll nur
zu, aber erlauben Sie mir kurz zu sagen, auch weil unsere Freunde und Bekannten mich darum baten. Sie
sollen nur wissen: wir wissen um Ihre schwere Aufgabe. Wir sind bei Ihnen und wir beten für sie.
Ist es denn so überraschend, für die Obrigkeit zu beten? Gerade vor der anderen biblischen Tradition
neben den Pastoralbriefen, zu denen der 1. Timotheusbrief mit unserem Predigttext gehört, der im frühen
2. Jahrhundert schon ein etabliertes Minderheitenchristentum voraussetzt und widerspiegelt, scheint das
ganz abwegig. Sind nicht alle staatlichen Ordnungen nur Phänomene des Übergangs, die weichen müssen,
wenn Christus kommt, der wahre König und Herr? Das Reich Gottes ist doch wohl unsere Hoffnung. Hält
das Gebet und die Fürbitte mit dem Focus eines ruhigen und stillen Lebens in geordneter Staatlichkeit
das Reich Gottes nicht auf? Die Vorläufigkeit und zeitliche Begrenztheit gilt für alle Ordnung und alle
Obrigkeit, nicht nur die politischen Machtstrukturen und tausendjährige Reiche sind damit gemeint.
Nach einem Gottesdienst, in dem ein Vorstand der Deutschen Bank die Kanzelrede hielt, sitzt man bei
bestem Sonnenschein unter freiem Himmel vor der Kirche zum systemkritischen Predigtnachgespräch,
bei dem der Banker, Sie können es sich denken, zuerst gar nicht gut bei wegkommt. Nach Hin und Her
fordert der Vorstand, dass es für ihn selbstverständlich wäre und er sich, damit stünde er im Übrigen
nicht allein, wünscht, mit seiner Arbeit auch im Gebet und in der Fürbitte aufgehoben zu sein. Er würde
das jedenfalls im Gottesdienst vermissen. Beten also für einen guten Börsenkurs, riskante
Anlagestrategien, endlich wieder einen höheren Leitzins und üppige Boni? Ist das damit gemeint?
Damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Dies ist gut
und wohlgefällig vor Gott, unserem Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie
zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den
Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung. (1. Tim
2, 2a-6a)
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Weder Dividendenausschüttungen noch irgendeine außenpolitische Parteistrategie sind der Horizont des
Gebetes. Auch keine besonderen Menschen, seien es nun Könige oder Staatspräsidenten, noch
irgendwelche staatlichen oder gesellschaftlichen Ordnungen. Und übrigens auch unser eigenes Leben
nicht, dass so oft changiert zwischen einem Trieb nach Auf- und Ausbruch aus den erdrückenden Zwängen
der narkotischen Eintönigkeit fettreduzierten Käses, überwachter Tagesschrittzahl, Mäßigung,
Angepasstheit und den verlässlich wiederkehrenden Jahreszeiten der Landlust. Unser Leben, das changiert
zwischen der Sehnsucht nach Echtheit und Kampf und Schmerz, dass es sich endlich wieder wie Leben
anfühlen soll und dann wieder wechselt und hinübergleitet in die Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung in
all dem Unübersichtlichen, dem Chaos und den bösen Überraschungen. Das alles. Alle Menschen und
Ideen und Ordnungen müssen ins Licht der Wahrheit gezogen werden, dass allen Menschen geholfen
werde. Wir beten für uns. Wir beten für andere. Wir beten für Menschen, seien es nun Staatspräsidenten,
so wie wir für Flüchtlinge beten. Wir beten für Soldaten und für die Umherirrenden in den
Trümmerwüsten von Jarmurk. Wir stehen mit unserem Gebet vor Gott als Menschen, die für Menschen
bitten können, weil Gott als Mensch für alle Menschen kam und gestorben ist und auferstanden. Wir
beten für Menschen, die sich sehnen, dass die Geier ihren Flug beenden und die Tiere der Nacht vertrieben
werden und die trocknen Brunnen sich mit Leben füllen. Weil wir im Gebet die Wahrheit als Hoffnung
und Sehnsucht wach halten und alles was besteht und als alternativlos daherkommt, uns unumstößlich
und für immer verloren erscheint ein für alle Mal, entmachten. Unsere eigenen Wahrheiten und Wünsche
und Hoffnungen, seien sie noch so gut gemeint und dringlich, werden vom Licht einer anderen Wahrheit
sozusagen überblendet, im Lichte der Auferstehung wunderbar ausgeleuchtet. Das ist der selbstbewusste
Anspruch der religiösen christlichen Minderheit im römischen Reich im Jahre 130 und das ist unser
Anspruch in einer globalisierten Welt noch heute. Das ist betende Existenz, in der wir geformt werden
und aus der wir neu und heil hervorgehen können, denn es wäre das leere Nichts und allzu oft ein böses
dazu, wenn wir aus eigener Vollmacht allein wirken könnten. Das kann die selbstkritische Ahnung des
Bankers sein und der stärkende Trost für politisch Verantwortliche. Das soll die Mut machende Hoffnung
Flüchtiger sein und die kräftigende Sehnsucht der Unterdrückten. Unser Gebet. Unsere Fürbitte für alle
Menschen. Das komme, was da kommt und nicht aufzuhalten ist: Frieden und Gerechtigkeit in unsere
Welt.
Und der Frieden Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus
Jesus. Amen.
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