Seite 10 DAS GROSSE THEMA Montag, 21. Dezember 2015 Ein Kraftakt war die Zeltstadt für Flüchtlinge, die Mitte September auf dem Gelände des Nürnberger Stadionbads aufgebaut wurde, in der bis zu 850 Menschen Platz fanden. In der Nacht des 18. Septembers trafen die ersten Asylsuchenden ein. Über 3000 Leute wurden insgesamt registriert. Neben Feuerwehr und Sanitätsdiensten waren 200 Ehrenamtliche im Einsatz. Mitte Oktober ließ die Stadt das Camp wieder abbauen. Foto: Michael Husarek Gut drei Wochen gab es ab Mitte September eine Zeltstadt für bis zu 850 Transit-Flüchtlinge im Nürnberger Stadionbad. Rund 250 Ehrenamtliche waren unter der Regie der Stadt im Einsatz, um insgesamt 5000 Ankommen- Aktion „EhrenWert“ zeichnet engagierte Helfer im Stadionbad-Transitcamp aus de zu betreuen. Drei besonders Aktive stellen wir auf dieser Seite vor, die Die Stadt Nürnberg und die Univer- ten. Im Dezember sind es zum Tag des Dankeschön-Pakete für alle ehrenamtkürzlich stellvertretend für alle ande- sa-Versicherungen vergeben den Preis Ehrenamtes stets drei Vertreter aus lich Tätige im Stadionbad-Camp. ren mit einem „EhrenWert“-Preis aus- seit April 2009 jeden Monat mit Unter- einem bestimmten Bereich. Das PreisMit der Aktion „EhrenWert“ wird gezeichnet wurden. stützung der Nürnberger Nachrich- geld von je 1000 Euro floss diesmal in beispielhaftes bürgerschaftliches En- Drei Preisträger stehen für viele Der Traum vom Miteinander Mostafa Eljojo hilft als Dolmetscher und Netzwerker auf vielen Ebenen gagement im Verbreitungsgebiet der NN ausgezeichnet. Infos dazu gibt es unter [email protected] per E-Mail oder telefonisch unter (09 11) 2 31 33 26 im Sozialreferat. Vorschläge für künftige Preisträger sind unter www.universa.de/ehrenwert möglich. Unter www.nordbayern.de/ehrenwert findet man Porträts der bisherigen Preisträger, die von einer Jury gekürt werden. j.s. Kaum aufzuhalten Dilara Yasar wird schon immer da tätig, wo sie kann VON TIMO SCHICKLER VON JO SEUSS Manchmal braucht es Menschen, die nicht lange überlegen, sondern einfach sagen: „Ja, okay, ich versuche es.“ Mostafa Eljojo hat so reagiert, als im September das Transitcamp im Stadionbad kam. Nach dem Anruf der Stadtverwaltung schrieb er Namen von Menschen auf eine Liste, die Arabisch und Deutsch können. Ganz oben stand seiner. Also wurde er nachts um drei angerufen, als klar war, dass bald die ersten 400 Flüchtlinge eintreffen. Flugs hat er sich in Gebersdorf ins Auto gesetzt und ist hingefahren, um zu helfen. Vor allem als Dolmetscher, aber auch als Netzwerker. Da die Sprache etwas Wesentliches ist, um Missverständnisse und Misstrauen zu vermeiden, war Eljojo (gesprochen: Eldschodscho) quasi im Dauereinsatz. Bei Bedarf hat er zum Megaphon gegriffen, um zu beruhigen und zu erklären, was wo im Stadionbad passiert. Die meisten Neuankömmlinge hätten nur ein Bett gebraucht, manche einen Arzt oder die Auskunft, wie man zum Hauptbahnhof kommt. Im Einzelgespräch habe er auch vor falschen Erwartungen warnen müssen. Insbesondere vor dem Traum vom schnellen Job, dem Haus und der neuen Existenz. Warum sich Mostafa Eljojo seit gut drei Jahren und intensiv seit September vor und nach der Arbeit als Elektroingenieur für die Flüchtlingshilfe engagiert, hat viel mit seinem eigenen Leben zu tun. Er wurde 1968 in Palästina geboren und ist in einem Flüchtlingsquartier im GazaStreifen aufgewachsen. Der Großteil seiner Familie lebt heute noch dort – in einer Welt voller Angst, Armut und wenig Hoffnung auf Besserung der politischen Verhältnisse. Er hat damals nach einem Ausweg gesucht und neben der Schule Geld verdient, es gespart und am GoetheInstitut Deutsch gelernt. So konnte er als 19-Jähriger nach Deutschland radikalisieren. Eine Folge ist die Beobachtung des Vereins durch den Verfassungsschutz und der Entzug der Gemeinnützigkeit bis heute. Der Vereinschef hofft, dass dies bald zurückgenommen wird. „Man muss sich in der Öffentlichkeit zeigen“, lautet die Überzeugung des 47-Jährigen. Dahinter stecken beim Fachmann für Signalverstärkung offenbar gute Antennen für Erwartungen in einer multikulturellen Gesellschaft. Gerade in Zeiten von Terroranschlägen und Vorurteilen gegenüber Muslimen seien positive Schwingungen für das Verständnis von MenMostafa Eljojo in den Räumen in der Hessestraße, schen unterschiedlicher wo es eine Moschee gibt. Foto: Eduard Weigert Kulturen und Religionen wichtig. Das bedeugehen, um in Saarbrücken Elektro- tet: Eljojo hilft, wo es geht, verteilt technik zu studieren. Dort lernte er Suppe, sammelt sechs Lkw voller seine Ehefrau Gabriella kennen, die Kleidung, überlässt einer Familie aus Brindisi stammt. Durch sie war mit Baby einen Raum in der Hessees ihm möglich, später die italieni- straße oder ist bei Aktionen wie sche Staatsbürgerschaft zu erwer- „Nürnberg hält zusammen“ präsent. ben. Und auch seine Frau arbeitet mit, etwa als Sprachlehrerin. Liberal und international Ehrenamtliches Engagement ist 1998 kam die Familie, die vier Kin- für ihn eine Art Dankeschön dafür, der im Alter von neun bis 18 Jahren in Deutschland eine neue Heimat gehat, aus beruflichen Gründen nach funden zu haben. Hier möchte er ein Mittelfranken. Nach einigen Jahren gleichberechtigter und respektierter in Fürth hat er inzwischen ein Haus Partner in der Gesellschaft sein. in Nürnberg erworben. Seit 2015 ist Dass das nicht überall klappt und es Mostafa Eljojo Vorsitzender der Isla- beim Helfen immer wieder Hürden mischen Gemeinde Nürnberg in der gibt, sorgt schon mal für Frust, was Hessestraße, deren Vorstand er seit Mostafa Eljojo nicht unerwähnt 2005 angehört. Ein Verein mit 40 Na- lässt. Seine Vision ist aber ein „Nürntionalitäten, der sich als liberal, off- berger Weg“ des Miteinanders. Und en und international versteht. Und man spürt: Der freundliche Mann der für einen gemäßigten Islam ein- mit den warmen braunen Augen und tritt und jeglichen Extremismus ab- den großen kräftigen Händen wird lehnt. Trotzdem musste Eljojo erfah- alles versuchen, damit dieser Traum ren, dass es Einzelne gibt, die sich Wirklichkeit wird. Wenn Dilara Yasar über die Menschen in Syrien spricht, trifft sie das vielleicht noch ein wenig mehr als viele andere Nürnberger. Denn Dilara, 32, denkt dann an die Zeit, die sie dort verbracht hat. Sechs Monate hat sie in Damaskus gelebt, mehr als fünf Jahre ist das nun her. Der Austausch war Teil ihres Studiums der Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Nahost. „Und ich habe dort tolle Leute kennengelernt“, sagt sie. Den Weg einiger Kommilitonen von damals verfolgt sie noch heute, Facebook macht es möglich. Mancher ist inzwischen sogar in Deutschland angekommen. Als Flüchtling. Wie Tausende Syrer. Wer das über Dilara Yasar weiß, den wundert es nicht, dass Dilara vor Ort ist, als im September quasi über Nacht Hunderte flüchtige Menschen im Stadionbad ankommen. Die aufgeweckte Fränkin mit türkischen Wurzeln muss auch keiner fragen, ob sie helfen will — sie ergreift selbst die Ini- tiative. „Ich hab’ Uli angerufen und gefragt, ob ich mitmachen kann“, erinnert sie sich an ihr erstes Gespräch mit Ulrich Glaser, bei der Stadt zuständig für Bürgerschaftliches Engagement. „Damals habe ich natürlich Herr Glaser gesagt.“ Heute sind sie per du. Kein Wunder, denn Dilara Yasar packt an. Nicht nur die Erstversorgungspakete für die Flüchtlinge, die sie im Stadionbad ausgibt — und das meistens in den Nachtschichten. Bald schon koordiniert sie Ehrenamtliche, schaut, wo Probleme auftreten und wie man sie lösen kann. „Ich habe gerne überall angepackt“, sagt die Freiwillige, die sich voll eingebracht hat. Kein Wunder. Denn Dilara bringt gute Vorkenntnisse mit. Und nicht nur, weil sie türkisch und etwas arabisch spricht (was sie tut). Sondern Dilara Yasar hat immer ein Lächeln auf den Lippen. Foto: Günter Distler weil sie sich einfach schon immer freiwillig irgendwo engagiert hat. Egal ob schon mit 18 Jahren in einem Frauenhaus oder später, als sie beim Projekt Mov’in der Awo geholfen hat, für Geflüchtete eine Wohnung zu finden. Nur eines mag Dilara Yasar nicht: im Mittelpunkt stehen. Die eigentlich wichtigen Personen sind für sie eh die ehrenamtlichen Dolmetscher, „ohne die würde überhaupt nichts funktionieren“. Oder die vielen anderen, die auch Überstunden geschoben haben. Der Teil, den sie beigesteuert hat, ist für die 32-Jährige selbstverständlich. Doch das ist er nicht. Das merkt Dilara auch, wenn sie nach der Reaktion ihrer Freunde auf ihre Flüchtlingshilfe angesprochen wird. Für sie ist Dilara „die Einzige, die wir kennen, die bei so etwas mitmacht“. Viele spenden, aber nicht viele sind so aktiv. Das will Dilara Yasar bleiben. Eben noch hat sie in einer Unterkunft in Röthenbach angepackt, „jetzt suche ich ein kleineres Projekt, etwas auf Augenhöhe, wo man Freundschaften knüpfen kann — wie bei der Refukitchen“. Dort kochen Geflüchtete und Nürnberger miteinander, ganz zwanglos. Das weiß Dilara zu schätzen. Denn: Natürlich benötigen Flüchtlinge jetzt Hilfe, wichtig sei aber auch weiterzudenken — und sie dann nicht mehr in die Schublade „Flüchtlinge“ zu stecken. „Denn sie sind viel mehr.“ Dilara Yasar weiß das. Durch Anpacken werden viele Ängste abgebaut Angela Schlicht hatte nach dem Jobverlust im Stadionbad endlich Zeit, um sich ehrenamtlich zu engagieren VON FRANZISKA HOLZSCHUH Im Kopf sind so viele Bilder: Familien, die mit ein paar Tüten in der Hand, in die all ihr Hab und Gut gepackt ist, ankommen. Der Bus, der Kinder in zerschlissenen Kleidern nach Nürnberg bringt. Die alte Frau, die zusammengesunken im Rollstuhl sitzt. Und bei all diesen Eindrücken eine Frage, die Angela Schlicht nicht mehr loslässt: Wie haben es diese Menschen nach Deutschland schaffen können? Auf einem über Tausende Kilometer langen Weg, teils zusammengepfercht in Kleinbussen, auf wackeligen Booten oder zu Fuß. Wie schlecht muss es jemandem gehen, dass er solche Strapazen auf sich nimmt? Menschliche Wärme Gut drei Wochen sah Schlicht im Stadionbad Hunderte Flüchtlinge an sich vorbeiziehen. Sie schloss kurze Bekanntschaften und versuchte, etwas menschliche Wärme zu geben. Das alles innerhalb weniger Stunden, bis die Menschen auf andere Unter- künfte weiterverteilt wurden; oft nachts, wenn die meisten Bürger der Stadt längst im Bett lagen: Denn die Busse mit den Flüchtlingen kamen in der Nürnberger Notunterkunft meist erst zu später Stunde an. Doch die 54-Jährige mit den kurzen blondierten Haaren störte sich nicht daran — sie wollte helfen und im Stadionbad konnte sie es. Mitte September hatte die Innenarchitektin ihre Arbeit verloren. Eine leitende Tätigkeit mit vielen Überstunden, die wenig Spielraum für andere Beschäftigungen ließ. Doch Schlicht machte das Beste aus der Situation, sah den Jobverlust nicht nur als berufliche Zäsur, sondern auch als Möglichkeit, „das zu tun, was ich für wichtig halte und wofür zuvor nie Zeit war“: sich ehrenamtlich zu engagieren. Das war nicht nur ein guter Vorsatz, Schlicht ging das Thema wie so vieles in ihrem Leben strukturiert und fokussiert an. „Generalstabsmäßig könnte man sagen“, sagt sie und lacht. Sie entschied sich für die Flüchtlingshilfe — „da gibt es eine gesellschaftliche Ver- pflichtung, der Staat kann nicht alles alleine schaffen.“ Sie besuchte InfoVeranstaltungen, recherchierte im Internet und kam nach wenigen Tagen zum Stadionbad, das zu der Zeit zur provisorischen Notunterkunft für Asylbewerber umfunktioniert wurde. Angela Schlicht packte an, wo immer Bedarf war: Sie nahm Neuankömmlinge in Empfang, gab kleine Pakete mit Hygieneartikeln aus, brachte die Menschen zum Essen und machte dann bald das, was sie am besten kann: Organisieren. Und das so lange, bis die Zeltstadt im Oktober irgendwann nicht mehr gebraucht wurde. Kopf und Bauch gefordert Es sei eine sehr intensive Zeit gewesen, sagt sie. Mit vielen spontanen Diensten. Oft wurden Helfer erst zwei Stunden, bevor ein neuer Bus ankam, informiert. Mit spannenden Begegnungen, aber auch mit der Konfrontation mit eigenen Ängsten: In Berlin, wo sie lange lebte, sei ihr immer wieder mulmig geworden, wenn sie nachts auf der Straße einer Gruppe junger Män- ner mit Migrationshintergrund begegnet sei (obwohl sie viel gereist war und viele fremde Kulturen kennengelernt hatte). Im Stadionbad war das Zelt voll mit ihnen. Schlicht verstand nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Bauch: „Es sind Menschen wie du und ich, mit Wünschen und Bedürfnissen, mit Ängsten und Hoffnungen.“ Also kein Grund, sich zu fürchten. Das sei ihre wichtigste Lektion gewesen, sagt Schlicht. Sie rät folglich allen, die sich in der Flüchtlingskrise unwohl fühlen: „Das Zugehen auf Asylbewerber baut viele Ängste ab.“ Und wenn es nur durch den einmaligen Besuch einer Veranstaltung mit Flüchtlingen sei, man müsse sich einfach mal kennenlernen. Angela Schlicht ist dabeigeblieben beim ehrenamtlichen Engagement — auch wenn die Notunterkunft im Stadionbad nicht mehr genutzt wird. In der Nachbarschaft gibt sie in einer Flüchtlingsunterkunft Essen aus, zudem arbeitet sie in der Asylothek mit. Das mache ihr besonders viel Angela Schlicht Foto: Günter Distler Freude, sagt Schlicht. Denn anders als im Freibad, wo die Menschen nach nur einer Nacht weiterverteilt wurden, kann sie hier Kinder über einen längeren Zeitraum begleiten. Dank dieser Erfahrungen hat sie inzwischen einen festen Vorsatz gefasst: Wenn sie wieder einen neuen Job hat, wird sie — egal, wie herausfordernd er ist — ihr ehrenamtliches Engagement weiterführen. „Weil es einfach so viel Spaß macht.“
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