Arbeitsintensivierung in der modernen Dienstleistungsarbeit

Berlin, Juli 2015
Arbeitsintensivierung in der modernen
Dienstleistungsarbeit
Einige Befunde aus dem Projekt
„Arbeit im Wandel“
Univ. Prof. Dr. Christian Korunka
Universität Wien
Berlin, Juli 2015
Zu den Ursachen von Intensivierungsprozessen
 Globalisierung, „Vermarktlichung“ der Unternehmen, Zunahme
des internen Konkurrenzdrucks (z.B. Kratzer & Dunkel 2013)
 „Selbststeuerung“ von Arbeit und Leistung durch die
Beschäftigten (Kratzer & Nies, 2009)
 Neoliberalismus; Zunahme von Konkurrenz auf allen Ebenen;
Konkurrenz statt Kooperation (z.B. Hurtienne et al., 2014; Frenzel & Korunka
2013)
 Management by Objectives und Zielvereinbarungen als
Auslöser für erhöhten Zeit- und Arbeitsdruck (Ahlers, 2011)
 Zunahme von Misstrauen durch neue Möglichkeiten der
Leistungskontrolle
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Soziale Beschleunigung (Rosa, 2005)
Berlin, Juli 2015
Technologische
Beschleunigung
Beschleunigung des
Lebenstempos
Beschleunigung des
sozialen Wandels
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Berlin, Juli 2015
Technische Beschleunigung als Ursache der
Arbeitsintensivierung
„Ja, der Informationstransfer ist extrem gestiegen natürlich
durch den Computer und durch die neuen Medien […] Das hat
sich extrem ausgewirkt. Ob das jetzt ein E-Mail ist, eine ToDo-Liste, Auftragsportale […] In der Beziehung hat sich am
meisten verändert […] Das heißt der Informationsfluss geht so
rasend schnell und natürlich dementsprechend musst du auch
alles schnell umsetzen, was natürlich einerseits positiv ist,
aber es ist natürlich auch eine extreme Belastung“
(IT-Techniker, 49 Jahre)
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Berlin, Juli 2015
Zielvorgaben als Ursache der Arbeitsintensivierung
„…wir hatten voriges Jahr zum Beispiel 103% Zielerreichung
im Sales, ja diese103% sind zu 100% für heuer geworden, weil
wenn man‘s einmal geschafft hat, kann man‘s wieder
schaffen, ja. Dieses Jahr haben wir jetzt 102%. Diese 102%,
die auf den 103% vom vorigen Jahr fußen, sind nächstes Jahr
wieder 100%, also es steigert sich einfach immer wieder. Wie
lange es machbar ist, weiß ich nicht.“
(Bereichsleiter, 43 Jahre, Telekommunikation)
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Das Projekt „Arbeit im Wandel“
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 Forschungsprogramm
 Soziale Beschleunigung als Motor für neue
Arbeitsanforderungen
 Entwicklung eines Messinstruments: Der IDS Fragebogen Arbeitsintensivierung, Autonomieanforderungen
(Tätigkeit/Karriere), Lernanforderungen(Aufgabe/Tätigkeit)
 Untersuchung von funktionalen Mechanismen: Warum
führen die neuen Anforderungen zu Burnout/Engagement
 Untersuchung spezifischer Arbeitsplätze (Flexible Work;
New Office Konzepte)
 Team
 Christian Korunka, Bettina Kubicek, Tabea Scheel, Roman
Prem, Matea Paškvan, Cornelia Gerdenitsch
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Von intensiver Arbeit zu Arbeitsintensivierung
Berlin, Juli 2015
 Arbeitsintensität (work intensity) wurde bereits seit den
1990ern untersucht (Green 2001; 2004)
 Work intensity führt zu einer Reduktion des Wohlbefindens
(Warr, 1987)
 Von der Arbeitsintensität (work intensity) zur
Arbeitsintensivierung (work intensification)
 Soziale Beschleunigung als Ursache für
Arbeitsintensivierung
 Arbeitsintensivierung als neue Anforderung (zusätzlich zu
Zeitdruck)
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Sekundäranalysen: EWCS
7
Working at very high speed
6
5
2000
2005
4
2010
3
2
1
Primary education
Secondary education
Tertiary education
Tertiary education - with
university degree
7
Working to tight deadlines
6
5
2000
4
2005
2010
3
2
1
Primary education
Secondary education
Tertiary education
Tertiary education - with
university degree
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Sekundäranalysen: G-SOEP; HRS
 Growth mixture modelling (Mplus)
“Please think about the past four weeks.
How often did you feel hounded or pressed for time during that period?“
5
G-SOEP
Years of education: 12.60
4
Frequency
Born: 1961
High level (55%)
3
Years of education: 11.54
2
Slight increase (26%)
Born: 1949
1
2002
2004
2006
2008
Kubicek, B., Korunka, C., Paskvan, M., Prem, R. & Gerdenitsch, C. (2014).
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Soziale Beschleunigung und neue Anforderungen
Aspekte sozialer
Beschleunigung
Beschleunigungsrelevante
Anforderungen
- Technologische
Beschleunigung
- Beschleunigung von Produktions-/Transport/Entscheidungs-/Kontroll-/Kommunikationsprozessen (führt letztlich zu neuen Anforderungen)
- Beschleunigung des
sozialen Wandels
- Beschleunigung des
Lebenstempos
- Intensiviertes Lernen (Aktualisierung von Wissen
und Fähigkeiten)
- Intensivierte Autonomieanforderungen (Tätigkeitsund Karrierebezogen) (bzw. Planungs- und
Entscheidungsanforderungen)
- Arbeitsintensivierung
Korunka, Kubicek, B., C., Paskvan, M., Prem, R. (2014).
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Die „Intensification of Job Demands (IDS)“ Skala
Arbeits-intensivierung
Intensivierte
tätigkeitsbezogene
Autonomieanforderungen
Intensivierte
karrierebezogene
Autonomieanforderungen
.43
.52
.50
.67
.66
.70
Intensivierte
Lernanforderungen
Wissen
.57
.57
.67
.89
Intensivierte
Lernanforderungen
Fähigkeiten
Kubicek, Paskvan, & Korunka, EJWOP, 2015
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Ausmaß Intensivierung
Arbeitsintensivierung bei Dienstleistungsarbeit
Telecommunikation 1
Telecommunikation 2
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
IT1
IT 2
IT 3
Public Service 1
Public Service 2
Public Service 3
Public Service 4
Health Service 1
Health Service 2
0
20
Belastung
40
60
Neutral
80
100
Public traffic 1
Public traffic 2
Herausforderung
Bewertung
Korunka et al., 2013
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Die ambivalenten Folgen der Arbeitsintensivierung
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
Kompetenz
Depressive Symptome Emotionale Irritation
Geringe Intensivierung
Mäßige Intensivierung
Emotionale
Erschöpfung
Hohe Intensivierung
N = 375 Verwaltungsangestellte
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Die ambivalenten Folgen der Arbeitsintensivierung
Einerseits
 Der „Kick“ eines sehr schnellen Rhythmus
 Das Gefühl der Leistungsfähigkeit („Empowerment“)
 Das Bedürfnis ständig am Anschlag zu leben und tätig zu sein
Andererseits
 Gereiztheit, Nervosität (Irritation)
 Extreme Müdigkeit (emotionale Erschöpfung, Burnout)
 Depression
 Angst
(Aubert, 2009)
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Arbeitsintensivierung und Burnout
Korunka, C., & Kubicek, B., Paškvan, M., & Ulferts, H., (2015). JMP
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Berlin, Juli 2015
Die Rolle der kognitiven Bewertung
Paškvan, M., Kubicek, B., Prem, R. & Korunka, C. (in print). IJSM
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Berlin, Juli 2015
Die Rolle der kognitiven Bewertung
Paškvan, M., Kubicek, B., Prem, R. & Korunka, C. (in print). IJSM
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Berlin, Juli 2015
Neue Anforderungen: „Risikogruppen“
Lernanforderungen
Autonomieanforderungen
Intensivierung
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Berlin, Juli 2015
Neue Anforderungen: „Risikogruppen“
Lernanforderungen
Autonomieanforderungen
Intensivierung
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Zwischenresümee
 Arbeitsintensivierung ist eine “neue” Anforderung, zusätzlich
zu “konventionellen” Anforderungen wie Zeit- und
Leistungsdruck
 Anstiege in den 1990ern, weitere Anstiege seit ca. 2000
 Soziale Beschleunigung als eine (zentrale) Ursache
 Anstieg in Arbeitsintensivierung erklärt Anstieg bei Burnout
(und Rückgang bei Engagement)
 “Risikogruppen”: gering- und höhergebildete
Arbeitnehmer/innen; Gender, Alter
 Hohe Relevanz von Bewertungsprozessen:
Individualisierung/Subjektivierung
 Hoher Stellenwert sozialer Ressourcen
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Autonomie: Ihre Grenzen in der modernen
Arbeitswelt
Burnout
Engagement
Autonomy
Autonomy
N=591 Pflegekräfte
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Zusammenfassung: Inwieweit werden
Grundbedürfnisse in der modernen Arbeitswelt
erfüllt?
Autonomie – Selbstbestimmung
 Autonomie ist (an sich immer) positiv, hat aber Grenzen!
 Autonomie scheint ähnlich zu wirken wie manche Vitamine (Warr,
1990). Sie ist bis zu einem Schwellenwert positiv, dann kehrt sich
die positive Wirkung um.
 Hohe Autonomie – hohe Verantwortung?
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Arbeitsintensivierung in der modernen
Dienstleistungsarbeit
Ergebnisse des Projekts „Arbeit im Wandel“
Vielen Dank!
Univ. Prof. Dr. Christian Korunka
Universität Wien