HERMINE AICHENEGG - APOKALYPSE 9. November

GALERIE MARTIN SUPPAN
Tafel 24
Tafel 1
Johannes erblickt die sieben Leuchter, 1, 12-16
Die siebente Posaune, 11-15
Tafel 5
2. Siegel, Apokalyptischer Reiter, 6-4
Tafel 10
Die Versiegelung der 144000, 7, 1-8b
Tafel 3
Tafel 12,
Tafel 28
Tafel 41
Das siebente Siegel, 8,1
Das Lamm und das versiegelte Buch 5, 2-6
Kampf mit dem Drachen 12, 17
Urteil über Babylon 18,1-3
Hermine Aichenegg, Apokalypse, 1964, Tafel 44, Satan losgelassen, 20, 7-10, Öl/Holz, 57 x 34 cm
2 Ausstellungen zum 100. Geburtstag
HERMINE AICHENEGG
(1915-2007)
Tafel 16
Apokalypse
3. Posaune - Ein Stern zerstört die Flüsse 8, 10-11
Ein Zyklus in 48 Gemälden, 1964
Tafel 14
Erschallen der ersten Posaune, 8, 7
präsentiert in der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Schenkenstraße 8 -10, 1010 Wien
Ausstellung: 10. November bis 18. Dezember 2015, Mo - Fr 9 - 18 Uhr
GALERIE MARTIN SUPPAN
Hermine Aichenegg
Apokalypse
Zur Offenbarung des Johannes
von Martin Stowasser
Die Offenbarung des Johannes ist die einzige Apokalypse, die in den neutestamentlichen Kanon aufgenommen wurde. Ihr erstes Wort „apokalypsis“ bedeutet wörtlich
„Aufdeckung“, „Enthüllung“, und leiht einer mächtigen sowie vielgestaltigen Strömung theologischen Denkens im Frühjudentum und frühen Christentum den Namen.
Die apokalyptische Weltsicht ist von tiefem Pessimismus und zugleich unerschütterlicher Hoffnung geprägt. Pessimismus empfindet die Apokalyptik der vorfindlichen
Welt gegenüber. Die Gegenwart scheint zutiefst verdorben, ja unrettbar verloren, weshalb das ersehnte Heil nicht in der Heilung des Vorfindlichen, sondern von dessen Vernichtung erwartet wird. Die bisherige Geschichte muss abgebrochen werden, die bestehende Welt untergehen, damit etwas Neues, endgültig Gutes entsteht. Im
Kern ringt man theologisch darum, ob Gott tatsächlich Herr der Geschichte ist, wenn diese (vordergründig) gott-los verläuft, die Sünder triumphieren und ungerechte politische Systeme sich siegreich durchsetzen können. Die Apokalyptik formuliert ihr „Dennoch“ und hält die Hoffnung auf einen wirkmächtigen, gerechten Gott
aufrecht. Sie deckt dazu den verborgenen Plan Gottes auf und enthüllt die (aus ihrer Sicht) Tiefendimension eines vordergründig anders ablaufenden Weltgeschehens.
Apokalypsen sind also Krisentexte und Hoffnungsbücher zugleich. Anders als der gegenwärtige alltägliche und literarische Sprachgebrauch von „apokalyptisch“ bzw. „Apokalypse“ meint der biblische nicht eine Katastrophe gigantischen Ausmaßes oder ein Angst und Schrecken erregendes Weltuntergangsszenario, sondern zielt im Gegenteil auf den mit den kosmischen Ereignissen einhergehenden positiven Neuanfang. Die bedrückende Gegenwart stellt bloß noch eine
kurze Zeit der Prüfung dar, die gerechte neue Welt steht bereits vor der Tür. Das bilderreiche Schreckensszenario der untergehenden Welt besitzt in erster Linie die Funktion, zu Glaubenstreue und einem ethisch hochstehenden Verhalten so kurz vor dem Ende zu motivieren, dient jedoch nicht als realistischer oder
berechenbarer Geschichtsfahrplan. Denn die verwendeten Bilder und Motive entstammen dem reichen Schatz des Alten Testaments und Alten Orients und
werden in der Offenbarung des Johannes zu aufregend neuen Bildern zusammengesetzt. Das Buch ist also das Werk eines Schriftgelehrten, der in einer Art literarischer Patchworktechnik das Endzeitdrama „schildert“, in dem Jahwe, der Gott Israels, sich durchsetzt und als Pantokrator herrschend seinen Sieg verkündet.
In seiner „Offenbarung“ kündet ein sonst unbekannter Prophet mit Namen Johannes die Vernichtung der Hure Babylon an, worauf das Himmlische Jerusalem aus der Welt Gottes herabsteigen wird. Die Hure Babylon ist für ihn Rom, näherhin das „System Rom“, steht für Politik wie Gesellschaft des Imperium Romanum, das in seinen Augen Unterdrückung bedeutet und besonders im Kaiserkult seine Gottlosigkeit manifestiert. Das Himmlische Jerusalem, die Braut des Lammes, bildet die Gegenwelt, ist der Ort der Verehrung des einzigen, allein wahren Gottes, weshalb Johannes es mit der Kirche
symbolisch gleichsetzt. Den Beginn des eschatologischen Dramas und somit der ersehnten neuen Welt bewirkt der Sieg des Lammes, womit die Auferstehung
Jesu gemeint ist, denn nun kann im Thronsaal Gottes das Buch mit den Sieben Siegeln geöffnet werden und der darin festgeschriebene Verlauf von Gericht
und Erlösung beginnen. In sich steigernden Siebenerreihen des Gerichtsgeschehens (Siegel, Posaunen, Schalen) und im Sieg über den Drachen und zwei
von ihm mit Macht ausgestatteten Tieren (Symbole für Satan, den Kaiserkult und dessen Priesterschaften in den Städten Kleinasiens) entfaltet Johannes das endzeitliche Drama. In ihm werden 144000 „Versiegelte“, also standhafte Gläubige, im Gericht bestehen und des Himmlischen Jerusalems würdig sein.
Diesem umfangreichen apokalyptischen Hauptteil sind sieben Sendschreiben vorangestellt, die sich mit der Situation der darin angeschriebenen kleinasiatischen Gemeinden – symbolisiert durch sieben Leuchter – kritisch auseinandersetzen. Mit diesem für Apokalypsen ungewöhnlichen Brief rahmen mahnt Johannes die Christen Kleinasiens, sich vom „System Rom“ fernzuhalten, in dessen Nähe er zahlreiche Christen (zu Recht oder Unrecht) bereits abgedriftet sieht. Den historischen Kontext des Buches bildet also das ausgehende 1. Jh. n. Chr., näherhin die Regierungszeit Kaiser
Domitians, der die Herrschaft Roms im Osten des Reiches durch Prunkbauten, wirtschaftliche Prosperität und eine sakrale Staatsideologie zu festigen suchte.
Hermine Aicheneggs ‚Apokalypse‘ und das Geistige in der Kunst
von Michael Brunner
1964 widmete sich die Wiener Malerin Hermine Aichenegg einem sich dem Zeitgeist scheinbar widersetzenden Unterfangen. Auf 48 Holztafeln malte sie ihre bildnerischen Interpretationen der Johannesoffenbarung. In einem Stilgebaren, das expressive Naivität und genaueste Recherche von (historischen) Darstellungsmodi
und Konventionen verbindet, verkörpert dieses Projekt Aicheneggs gleich mehrere Elemente des modernistischen Ideals der Kunst, dem sie sich nahe fühlte. Vor
ihr adaptierte bereits Max Beckmann in seinen 27 Lithographien unter dem Eindruck der Weltkriegskatastrophe die symbolische Dramatik der Offenbarung. Hermine Aichenegg wählte diesen Gegenstand aber nicht wie Beckmann aus einer solchen Unmittelbarkeit heraus, sondern durch einen komplexen Zusammenhang
von Ideen bedingt und letztlich auch als ein explizites Statement einer spirituell informierten Kunst. Im Ausdruck der ‚Unanschaulichkeit‘, für die die Erzählung
der Apokalypse berüchtigt ist, fächert sich bereits der ganze Problemzusammenhang auf, der sich aus der eventuellen Bildlichkeit des Transzendenten und zwischen Erzählung und der Geschichte der Religion ergibt. Gerade die Frage der Abbildbarkeit des Geistigen, die als prägender Problemhintergrund der klassischen
Moderne betrachtet werden darf, ist ebenso bestimmend für das Verhältnis von Religion und Kunst. Die Kulturpolitik der französischen Besatzungsmacht hatte
die Meister der Moderne, von Cézanne über Chagall bis Picasso, mit ihren theoretischen Idealen durch Ausstellungen, Vorträge und Publikationen dem Österreich der Nachkriegszeit übermittelt. Das zentrale Ideal dieser nun klassisch gewordenen Moderne war die Überschreitung einer erstarrten Wirklichkeit auf eine
Darstellung geistiger Inhalte hin, wie sie in der Unanschaulichkeit der Apokalypse vorzufinden war. Dieser Kunstauftrag traf im Österreich der 1960er Jahre und
im Werk Hermine Aicheneggs auf deren Interesse an traditionellen Formen der Bilderzählung und am Verhältnis von Glauben und Kunst. Der Weltkrieg, dessen Bilder und sinnliche Oberfläche nicht wenigen als Realisierung apokalyptischer Extreme erschien, musste zusätzlich ein Aufgreifen dieses Textes nahe legen.
In Ihrer Darstellungsweise verbindet Hermine Aichenegg die Tendenz zum Allgemeingültigen, die bereits in der sakralen Kunst des Mittelalters eine Relativierung des
Raumes und des zeitlichen Nacheinanders bewirkte mit einem Gespür für die abstrakten Qualitäten der Komposition. Sowie für die illustrative Buchmalerei des Mittelalters „die dekorativ-formale Funktion [...] das primäre Stilprinzip“ (O. Pächt: Buchmalerei des Mittelalters. München: Prestel, 2000) war, gilt auch für Hermine Aichenegg, dass sie die Bilder auch im Hinblick auf eine formal und sinnlich überzeugende Anlage hin komponierte. Das Problem, die mittelalterliche Naivität der Darstellung
in Bezug auf Kohärenz und physische Plausibilität in ein technisch informiertes Zeitalter der künstlerischen Darstellung zu retten, virulent zumal für eine gut ausgebildete Malerin, hat die Künstlerin durch eine expressive Umsetzung der Thematik gelöst. An die Schärfe von Holzschnitten erinnernde zeichnerische Figurationen, die
Abwechslung von pastosem und transparentem Farbauftrag, Übermalungen und die absichtlich buchstäbliche Übertragung der Textsymbolik erzeugen jene Direktheit
wieder, die man an den mittelalterlichen Darstellungen schätzt. Bildsprache und Gesinnung lassen die Spur von solchen synoptisch verfahrenden Künstlern wie Marc
Chagall erkennen. Die Würdigung der Bilder, ihr Zugang, liegt deshalb auch auf der Seite ihrer sinnlichen Qualität, der Farbigkeit, der Malerei, und dem Zusammenspiel
von Farbe und Form, in das sich Symbol und Erzählgehalt einfügen. Es war schließlich ein komplexer Zusammenhang von Idealen und Interessen, der eine philosophisch
umtriebige und spirituell interessierte Malerin wie Hermine Aichenegg gerade in den 1950er und 1960er Jahren zum Berührungspunkt von religiöser Erzählung und
Bild führte. Die Illustration der Apokalypse ist eine Herkulesaufgabe der Phantasie. Hermine Aichenegg hat dafür eine moderne und informierte Lösung gefunden.
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Zum 100. Geburtstag die 2. Ausstellung zu Ehren der Malerin
HERMINE AICHENEGG
Erlebtes, Erinnertes, Geträumtes
Gemälde, Arbeiten auf Papier
Eröffnung: Donnerstag, 26. November • 18 Uhr
Ausstellung: 27. 11. bis 4. 12. 2015
Di - Fr 12 bis 18 Uhr • Sa 11 - 14
Galerie Martin Suppan • Palais Coburg • Seilerstätte 3 • 1010 Wien
Information: +43 1 535 535 2 • [email protected]
GALERIE MARTIN SUPPAN
WWW.SUPPANFINEARTS.COM
Fotos & Texte: © Galerie Martin Suppan