Blut

Blut
Vorlesung:
Grundlagen der Medizin
J. Frömke
Klinik für Herz-Thorax-Gefäßchirurgie
St. Johannes Hospital Dortmund
1999
Blut
Das Blut mit seinen vielfältigen Aufgaben hat die Bedeutung eines eigenständigen Organs, welches nicht an einen bestimmten, anatomisch definierten Ort unseres Körpers gebunden ist, sondern sich überall verteilt. Für diese Verteilung sorgt das Gefäßsystem, welchem somit eine Transportfunktion zukommt.
Die Tatsache, daß Blut fließt verdanken wir zwei Grundprinzipien. Zum einen ist das Herz als Motor mit seiner Pumpfunktion als Kreislaufantrieb zu sehen, wobei die Pumpleistung durch die Muskelkraft der jeweiligen Herzkammer erbracht wird. Zum anderen ist ein Druckgefälle für den richtungsweisenden Fluß einer Flüssigkeit innerhalb eines Röhrensystems eine Grundvoraussetzung. Alle Vorgänge, die den Blutfluß beschreiben werden unter dem Begriff der Hämodynamik zusammengefaßt.
Abhängigkeit der Strömungsrichtung von der
Druckdifferenz (Druckgefälle):
Druckwerte in mm Hg
Meßpunkt
1
50
150
100
Meßpunkt
2
150
50
100
Fall 1 Fall 2 Fall 3
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Aufbau und Funktion
Herkunft
Die Gesamtheit unserer zellulären Blutbestandteile stammt aus einer gemeinsamen, übergeordneten Zelle ab, die auch als Stammzelle bezeichnet wird. Diese kann sich später in alle Richtungen differenzieren und zu den entsprechenden unterschiedlichen Endstufen heranreifen. Die Bildungsstätten sind nicht einheitlich, sondern befinden sich an unterschiedlichen Orten. Kinder und Erwachsene weisen differenzierte Systeme auf, die altersentsprechenden Veränderungen unterliegen.
Orte der Blutbildung sind:
­ das Knochenmark (im Erwachsenenalter)
­ die Thymusdrüse (im Kindesalter)
­ die Milz und die Leber (im Kindesalter)
­ die lymphatischen Strukturen (Lymphknoten, Darmwand)
Vor allem flache Knochenpartien wie zum Beispiel das Brustbein und der Beckenknochen stellen mit ihrem Knochenmark eine wichtige Produktionsstelle der Blutbildung dar. Ansicht von Brustbein und Beckenknochen von vorne:
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Zusammensetzung
Blutzellen und Blutplasma bilden die beiden Bestandteile des Blutes. Sie machen etwa 8% unseres Körpergewichtes aus und betragen für einen 70 kg schweren Menschen 5 ­ 5,5 Liter.
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Serum (= Plasma minus Fibrinogen)
Plasma
Proteine
Blut
Zellen
Blutzellen:
Erythrozyten
Leukozyten
Thrombozyten
Das Fibrinogen zählt zu den Eiweißen, die an der Blutgerinnung einen maßgeblichen Anteil haben.
rote und weiße Blutkörperchen; Blutplättchen
Erythrozyten Die Erythrozyten stellen eine einheitliche Gruppe dar. Aufgrund ihrer rötlichen Farbe heißen sie rote Blutkörperchen. Diese Tatsache verdanken sie dem Hämoglobin (einem speziellen Bluteiweiß), welches eine starke Neigung (Affinität) zum Anbinden von Sauerstoff hat und dabei seine rote Farbe erhält.
Norm: Gesamtzahl: Lebensdauer:
Neubildungsrate:
Funktion: 5 Millionen pro Mikroliter (µl ) Blut
ca. 25 000 Milliarden (häufigste Zellart)
120 Tage (teilungsunfähige Zellen)
ca. 200 Milliarden pro Tag
Sauerstofftransport (an das Hämoglobin gebunden)
Leukozyten 5
Die Leukozyten stellen eine gemischte Gruppe dar. Aufgrund ihres hellen (weißlichen) Aussehens werden sie weiße Blutkörperchen genannt.
Norm:
5 000 ­ 10 000 pro µl Blut
Im einzelnen zählen hierzu:
die Granulozyten
sie sind beteiligt an:
1. den Entzündungsreaktionen und Allergien (Gehalt an Histamin und Leukotrienen)
2. der Blutverdünnung (Gehalt an Heparin)
die Lymphozyten
­sind teilungsfähige Zellen
­besitzen spezifische Abwehrfunktionen
die Monozyten­gehören zu den größten Blutzellen
­besitzen Abwehrfunktionen (Makrophagen = große Freßzellen)
Zelltypen der weißen Blutkörperchen:
(Die Neutrophilen stellen eine wesentliche Untergruppe der Granulozyten dar).
Thrombozyten (= Blutplättchen)
Die Blutplättchen sind kernlose Fragmente, die durch Abschnürung aus Knochenmarksriesenzellen durch Abschnürung entstehen.
Norm:
Lebensdauer:
Neubildungsrate:
150 000 ­ 450 000 pro µl Blut
bis 14 Tage
ca. 3 Millionen pro Sekunde
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Funktion: Beteiligung an der Blutgerinnung (Hämostase)
Blutplasma: Hierunter zählt der flüssige Anteil des Blutes, wobei außer Wasser auch Blutgruppen
bestimmte Substanzen (z.B. Salze, Stoffwechselendprodukte, Hormone u.a. Stoffe) im Plasma enthalten sind.
Die Blutgruppenunterscheidung ist an das Vorhandensein sogenannter Blutgruppenmerkmale an der Erythrozytenoberfläche gebunden.
Membranbestandteile
an der Erythrozyten­
oberfläche
Danach lassen sich vier Hauptgruppen unterscheiden, welche als A­, B­, AB­ und 0 (= Null)­ Gruppe benannt sind und als AB0­System klassifiziert werden.
In Mitteleuropa sind die Gruppen A und 0 mit jeweils über 40% am häufigsten vertreten.
Bestimmung der Blutgruppe:
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Rhesusfaktor:
Ein zunächst an Rhesusaffen entdecktes und später ebenfalls beim Menschen gefundenes Blutgruppenantigen wird als Rh­Faktor (= Rhesusfaktor) bezeichnet. Es kann bei etwa 85% aller Menschen nachgewiesen werden. Diese Gruppe nennt man Rh positiv. Die restlichen 15% weisen kein entsprechendes Antigen auf und werden Rh­negativ genannt.
Neben den vier oben genannten Hauptgruppen werden für das Rhesussystem folgende Untergruppen unterschieden: C,c,D,d,E,e. Da unter diesen das D­Antigen die stärkste antigenetische Wirksamkeit hat, werden alle Gruppen mit großem D als rh­positiv, mit kleinem d als rh­negativ bezeichnet.
Sonstige Blutgruppen:
Neben dem AB0­ und dem Rhesus­System bestehen noch weitere Blutgruppensysteme, die nach ihrem Entdecker benannt und durch Buchstaben abgekürzt werden. Die nachstehende Tabelle gibt eine Übersicht.
Blutgruppensystem
Antigen
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AB0
Rhesus
NMS
P
Lutheran
Kell
Lewis
Duffy
Kidd
A, B, 0
C, c, D, d, E, e
N, M, S, s
P1, P2, Pk, p
Lu
K, k, Kp
Le
Fy
Ik
Konsequenzen:
Aus der Kenntnis unterschiedlicher Blutgruppen und damit entsprechender Antigene kann die Übertragung von Blut (= Transfusion) unter Umständen lebensgefährlich sein. Werden unpassen­de, nicht einander entsprechende Blutgruppen vermischt, kommt es zu einer Unverträglichkeits­reaktion. Die Erythrozyten einer bestimmten Blutgruppe reagieren mit gegen sie gerichteten Antikörpern wobei es zum Bild einer Agglutination (= Zusammenballung) kommt. Dabei kann auch eine Auflösung (Hämolyse) der Blutkörperchen erfolgen.
Die Bestimmung der Blutgruppe ist eine wichtige Aufgabe des Laboratoriums und wird vor jeder therapeutischen Maßnahme (Blutübertragung) noch einmal durch einen Blutverträglichkeitstest vom Arzt, der die Transfusion durchführt, überprüft.
Blutgerinnung
Die Blutgerinnung ist ein sehr komplex ablaufender Mechanismus, der als Schutzfunktion nach einer Gefäßverletzung in Gang gesetzt wird und dem Abdichten der verletzten Gefäßwand dient.
Ein vereinfachtes Schema soll die Situation veranschaulichen:
Es gibt im menschlichen Körper verschiedene Eiweiße, die in der Leber gebildet und
in das strömende Blut, abgegeben werden. Da sie für die Blutgerinnung bzw. für
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deren Auflösung (Lyse) eine entscheidende Rolle spielen, heißen sie auch
Gerinnungseiweiße.
Hierzu gehören: das Prothrombin (= Faktor II), das Fibrinogen (= Faktor I) und
das Plasminogen. Alle drei Substanzen liegen zunächst als inaktive Vorstufe vor.
Nach Auftreten einer Gewebsverletzung werden in der sogenannten Vorphase eine
Reihe von Gerinnungsfaktoren kaskadenartig aktiviert. Mit Hilfe dieser aktivierten
Faktoren wird nun die erste Phase der Gerinnung vollzogen, indem das
Prothrombin in das Thrombin umgewandelt wird.
Dieses wiederum aktiviert die zweite Phase, indem das Fibrinogen in Fibrin
umgewandelt wird.
Das Fibrin bildet schließlich in der dritten Phase durch Zusammenballung (=
Retraktionsphase) ein Fibrinnetz (Fibrinpolymere), welches das Skelett des Gerinnsels
darstellt.
Durch
Anhaften von Thrombozyten entsteht das vollständige Blutgerinnsel.
Dieses Blutgerinnsel stellt jedoch nicht unbedingt ein Endstadium dar. Der Körper ist
durchaus in der Lage durch bestimmte Enzyme (Lysokinasen aus Fibroblasten und
Leukozyten) das inaktive Plasminogen in seine aktive Form, nämlich das Plasmin
überzuführen, welches wiederum Fibringerinnsel aufzulösen vermag.
Einfaches Schema der Blutgerinnung und Fibrinolyse:
Gerinnungsaktivierung:
Vorphase
nacheinanderfolgende Aktivierung von Gerinnungsfaktoren
(Kaskadenaktivierung)
∫
Phase 1
Prothrombin
Phase 2
ò
Thrombin
Fibrinogen
Fibrin
ò
Fibrinvernetzung
Phase 3
Lyseaktivierung:
Plasminogen
Plasmin (→ Fibrinolyse)
ñ
wird aktiviert durch:
Lysokinase (körpereigen)
Streptokinase oder Urokinase
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(medikamentös)
Zusammenfassung der Aufgaben des Blutes
Transportfunktion
­Gase:
Sauerstoff, Kohlensäure
­Nährstoffe:
­Wirkstoffe:
­spezifische Zellen:
­Wärme:
aufgenommene Nahrung
Vitamine, Hormone
Abwehr, Entzündung
Thermoregulation
Gerinnungsfähigkeit
­Vorgänge der Gefäßabdichtung bei Verletzungen
Ausscheidungsfunktion
­Nierenpassage, Leberpassage (metabolische Funktion)
Mit der Aufzählung der zahlreichen Funktionen des Blutes wird deutlich wie wichtig ein gut funktionierender Kreislauf ist. Kommt es zu Beeinträchtigungen von Herz­ und Gefäßsystem, bricht das Transportsystem für das Blut zusammen und Störungen in vielen Organbereichen sind zu erwarten.
Trotz erhaltener Lungenfunktion und Sauerstoffaufnahme würde ein Kreislaufstillstand zum raschen Tod aller Gewebe infolge Sauerstoffmangels führen.
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Erkrankungen
Anämie (= Blutarmut)
Definition:
krankhafte Verminderung der roten Blutzellen (Erythrozyten) und damit auch des Blutfarbstoffes (Hämoglobin)
Ursachen:
­Blutverlust (Verletzungen, Operationen)
­ungenügende Produktion (Fehlen der zum Blutaufbau benötigten Bausteine: Eisen, Vitamin B 12, Folsäure)
­gesteigerter Abbau (bei schadhafter Anlage der Erythrozyten)
Alle schädigenden Einflüsse auf die Blutbildungsstätten im Knochenmark können zu Anämien führen (z.B. Medikamente, Strahlen, Viren)
Klinik:
Die Symtome lassen sich durch den chronisch verminderten Sauerstoffgehalt erklären. Hierzu zählen:
­Müdigkeit, Schwäche
­Blässe
­Atemnot (Sauerstoffmangel)
Therapie:
­Behandlung des Grundleidens (z.B. Zufuhr betreffender Mangelstoffe)
­Blutübertragung
Leukämie
Definition:
Anstieg der weißen Blutkörperchen (= Leukozytose) im Sinne einer krankhaften Vermehrung (100 000 bis 200 000 pro Mikroliter Blut)
Ursachen:
unbekannt; diskutiert werden:
­ionisierende Strahlen (Röntgenuntersuchungen, Kernkraftwerke)
­chemische Ursachen
­möglicherweise Viren
Ausgelöst durch die genannten Faktoren kommt es zur Wucherung der Bildungsstätten (Knochenmark) der weißen Blutkörperchen.
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Formen:
Je nach pathologisch veränderter Zellart werden unterschieden:
­ die myeloische Leukämie (Vermehrung der Granulozyten) und
­ die lymphatische Leukämie (Vermehrung der Lymphozyten).
Beide Formen werden in ein akutes und chronisches Stadium unterteilt.
Klinik:
­Schwellungen der beteiligten Organe (Milz, Lymphknoten)
­Anämie (infolge Verdrängung der roten Blutzellen)
­Blutungen (infolge Verdrängung der Blutplättchen)
­Infektionen (Fehlen reifer weißer Blutzellen, die der Infektabwehr dienen)
Therapie:
­Gabe von Zytostatika (= Zellteilungshemmer)
­Bestrahlung
Prognose:
akute lymphatische Leukämie bei Kindern: 70% Heilungsrate
bei Erwachsenen: 40% Heilungsrate
Anhang
Fibrinolyse
•Auflösung von Gerinnseln. Diese kann durch körpereigene Faktoren oder durch Medikamente herbeigeführt werden.
Stammbaum der Blutzellen
Stammzelle (mit der Befähigung zur Zellteilung und damit Zellvermehrung)
im Thymus
im Knochenmark
T­Zellen
B­Zellen
Plasmazellen (Produzenten von Antikörpern)
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