Das kriminelle Geschäft mit der Kunst

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Das kriminelle Geschäft
mit der Kunst
Mit Kunst wird gehandelt und spekuliert, astronomische Preise sind längst keine Seltenheit
mehr. Der Kunstmarkt boomt – und mit ihm das kriminelle Geschäft mit Antiken, Gemälden
und Skulpturen. Ob es sich um Fälschungen, Raubkunst, Diebstahl oder Schmuggel dreht:
Immer häufiger sorgen Kunstskandale für Schlagzeilen.
Die Nummer eins auf der Liste der teuersten Gemälde der
Welt ist aktuell ein Triptychon von Francis Bacon im Wert von
142,4 Millionen US-Dollar. Die angeblich von Sammlern aus
dem Emirat Katar gezahlten 300 Millionen US-Dollar für ein
Gemälde von Paul Gauguin sind bislang nicht offiziell bestätigt worden. Die Kunst boomt, und einzelne Gemälde werden
zu astronomischen Preisen gehandelt. Und so blüht auch das
kriminelle Geschäft mit der Kunst. Immer wieder machen
Raubkunst, Beutekunst, Diebstahl, Schmuggel und Fälschung
Schlagzeilen. In einer Grauzone bewegen sich nicht selten die
Kunstwerke, die als Kapitalanlage dienen.
Sammeln ohne Leidenschaft
Kunsthändler und Kunstberater – oder besser: Art Consultants – spielen in dem Geschäft mit der Kunst eine maßgebliche Rolle. Gerade dann, wenn die Käufer nicht aus Leidenschaft sammeln, sondern um Gewinn zu machen. Vor allem
in einer Zeit der niedrigen Zinsen auf den weltweiten Kapitalmärkten. Und so verschwinden Gemälde von Pablo Picasso,
Vincent van Gogh, Gustav Klimt, Jackson Pollock und Andy
Warhol ebenso in Banksafes wie die von Gerhard Richter oder
Georg Baselitz, die als „Blue Chips“ gehandelt werden. Unter
Verschluss sind sie der Öffentlichkeit, die Forschung eingeschlossen, entzogen.
Seine Gemälde gehören heute zu den teuersten der Welt: Francis Bacon (1909–1992)
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Diese sogenannten Blue Chips stehen ganz oben auf der
Ranking-Liste, die alljährlich nicht etwa von Galerien oder
Museen, sondern vom „Manager Magazin“ erstellt wird. Ein
„Kunstkompass“ listet die 100 berühmtesten lebenden Künstler der Welt auf, ein anderer die bereits verstorbenen. Wenn
Sammler oder Anleger Werke von dieser Liste erwerben, können sie grundsätzlich nichts falsch machen. Der Preis bestimmt
also den Markt, aber wer bestimmt den Preis? Es heißt, die
wirklich großen Geschäfte würden weltweit von zwölf Galeristen und zwei Auktionshäusern getätigt. Einige von ihnen stehen im Verdacht, den Preis von Werken durch Scheinverkäufe
in die Höhe zu treiben und damit auf den Markt Einfluss zu
nehmen. Da stellt sich doch die Frage, ob diese Blase nicht
mal platzt? Vor allem, wenn man eine Antwort darauf sucht,
wie in 50 oder 100 Jahren die teuersten Gemälde unserer Zeit
rezipiert werden. Auf Auktionen erzielen heute Bilder von dem
Foto: rex features/ward, michael/getty images
einstigen Wiener Künstlerfürsten Hans Makart (1840–1884)
lediglich Summen im (niedrigen) fünfstelligen Bereich, wohingegen sein Zeitgenosse Vincent van Gogh (1853–1890)
heute zu den „Blue Chips“ zählt. Wird das auf den weltweiten
Kapitalmärkten Bestand haben?
Showrooms der Kunst
Zu den Banksafes, in denen die Kunstwerke verschwinden,
kommen die Zollfreilager hinzu, die heute von den sogenannten Freeports abgelöst werden, die erdbebensicher sind und
auch einem Tsunami trotzen. Ein solcher Freeport steht zum
Beispiel in Singapur in der Nähe des Flughafens. Er ist nicht
nur Lagerstätte für Kunstwerke und andere Wertgegenstände,
sondern bietet auch Raum für Partys und Feste, bei denen
sich das ausgewählte Publikum mit den teuersten Kunstwerken umgeben kann. Genuss pur mit Werken, für die kein Zoll
gezahlt wurde und die deshalb anonym bleiben. Händler betreiben in den Showrooms temporäre Galerien, kaufen und
verkaufen Bilder oder Skulpturen, die schließlich von einem
Tresor in den nächsten wechseln.
Da werden nicht nur Steuern gespart, da wird auch nicht darauf geachtet, woher das Geld stammt, mit dem eingekauft
wird. Aber auch die Provenienz der Kunstwerke steht nicht
auf dem Prüfstand. Und damit wird noch ein anderes Problem
virulent, das den Kunstmarkt in Misskredit bringt: der Handel
mit der Raubkunst.
JUNI
AB 13 SA, 21.40
Kunst und Verbrechen
Vierteilige Dokumentationsreihe (je 45 Min) · 3sat
Mehr zu den einzelnen Folgen ab S. 36.
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Moderne Grabräuber
Seit Menschen mit Wertgegenständen als Grabbeigaben bestattet wurden, gab es Grabräuber, die es auf Gold und Edelsteine abgesehen hatten. Nur wenige Gräber wie das des Pharao Tutanchamun blieben mehr oder weniger intakt erhalten.
Später schleppten Kolonialherren zahllose Kunstgegenstände
außer Landes. Bis heute werden archäologische Stätten geplündert und die Artefakte als Diebesgut verschachert. In den
Kriegsgebieten des Nahen Osten findet derzeit ein regelrechter
Ausverkauf der Kunst statt.
Dort werden Museen geplündert, in Grabungsfeldern, die von
den Archäologen verlassen werden mussten, wird nach Kunstwerken gegraben. Diese Konvolute kommen über die Freeports
oder Zollfreilager auf den Kunstmarkt und werden von da aus
in alle Welt verkauft, meist wieder illegal, mithilfe zahlreicher
Zwischenhändler. Profiteure sind nach neuesten Berichten die
Milizen des „Islamischen Staats“, der mit diesen Geldern seine
Waffen finanziert.
Einer der größten Umschlagplätze der Waren ist Deutschland.
Das liegt zum einen an der zentralen Lage mitten in Europa,
aber auch an der deutschen Gesetzgebung. Fordert ein Land
geraubte Kunstgegenstände zurück, so muss es an das Bundeskriminalamt (BKA) herantreten mit der Bitte, den gestohlenen Gegenstand zu suchen und zurückzugeben. Dem BKA
stehen zurzeit für solche Gesuche 1,75 Stellen zur Verfügung.
Außerdem ist die derzeitige Lage in Ländern wie Syrien und
dem Irak, in denen der IS Gebiete kontrolliert, für solche Anträge denkbar ungünstig. Und es ist letztendlich ein riesiges
Geschäft, mit dem weltweit jährlich schätzungsweise sechs bis
Die Plünderung archäologischer Grabungsstätten bedeutet einen nie mehr
wettzumachenden Verlust von wertvollem Kulturerbe
acht Milliarden Dollar umgesetzt werden. Die Sammler kaufen nicht nur Hehlerware, sondern unterstützen auch einen
mörderischen Krieg.
Diebstahl mit Fälschung und unerwartetem
Happy End
In einigen Fällen gehen Diebstahl, Schmuggel und Fälschung
Hand in Hand. Selten kommt es zu einem Happy End. Dies
geschah mit einem Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren
(um 1472–1553), das er um 1510 für den Breslauer Dom gemalt hatte. Die „Madonna unter den Tannen“ befand sich bis
1943 an ihrem Standort und wurde dann – mit vielen anderen
Kunstwerken – ausgelagert. Wieder in Breslau, wurde sie res-
tauriert und kehrte 1948 an ihren alten Standort zurück. Erst
minellen Geschäfte bündeln zwar eine Menge Geld (jährlich
1961 entdeckten polnische Restauratoren, dass es sich dabei
an die 48 Milliarden US-Dollar weltweit), sind aber losgelöst
keineswegs um die originale Tafel handelte, sondern um eine
von der eigentlichen Künstler- und Galeristenszene. Im IdeFälschung. Die hatte der mit der Restaurierung beauftragte
alfall versuchen Galerien, Werke von den Künstlern, die sie
Kaplan offensichtlich von einem Maler anfertigen lassen; beivertreten, zu verkaufen, Ausstellungen auch in anderen Städde mussten als Deutsche bald darauf Polen verlassen. Wie es
ten zu organisieren und einer Künstlerin oder einem Künstler
dem Kaplan gelang, die echte Madonna mitzunehmen, ist biszum Erfolg zu verhelfen. Sammlern, die sich in dieser Szene
lang nicht geklärt. Seit 1961 tauchte die Madonna immer mal
bewegen, geht es nicht um das schnelle Geld, um Zugewinn,
wieder im Kunsthandel auf, 1971 wurde sie in Genf in dem
sondern um das Sammeln an sich. Doch über diese Umsätze
Privatsafe-Raum einer Bank sogar einem Cranach-Spezialisten
wird nicht in den großen Zeitungen und Zeitschriften der Figezeigt, der sich weigerte, unter diesen Umständen ein Gutachnanzwelt berichtet. Das sind Peanuts. Allerdings schaden die
ten zu verfassen. 1972 wurde die Madonna in London geröntgt
hier beschriebenen Machenschaften der freien Kunstszene,
(das Röntgenbild fand später ein
denn so kommen Galeristen
anderer Cranach-Spezialist), 1981
in den Verruf, die Künstler
Blue Chips, Rankings, Privat-Safes: Die Kunst
das letzte Mal auf dem Kunstmarkt
auszunehmen und nur am
angeboten, diesmal der Deutschen ist längst in der Wirtschaftswelt angekommen.
eigenen Profit interessiert zu
Bischofskonferenz. Die lehnte ab
sein. Natürlich herrschen in
und stellte Strafanzeige gegen undieser Kunstszene keine pabekannt. 1984 und 1986 erschienen Artikel in einer deutschen
radiesischen Zustände, gibt es auch dort Zank, ÜbervorteiIllustrierten, worauf sich der Maler meldete, der damals das Bild
lungen, Konkurrenzkämpfe. Doch Korruption, Steuerbetrug,
„kopiert“ hatte. Hier hatten also Fälschung und Diebstahl ebenGeldwäsche mithilfe von Raubkunst, Fälschungen, Schmugso eine Rolle gespielt wie Schmuggel, so häufig, wie die Madongel, Diebstahl und eine auf Eigennutz beruhende Kunstberana die Grenzen gewechselt hatte. 2012 wurde das Gemälde von
tung, wie sie kürzlich der Fall Helge Achenbach und aktuell
den Erben eines Schweizer Sammlers einem Priester übergeben.
jener von Yves Bouvier gezeigt haben, finden an anderer Stelle
Durch ihn kam die „Madonna unter den Tannen“ rechtzeitig zu
statt.
Weihnachten 2012 nach Breslau zurück.
Susanna Partsch ist Kunsthistorikerin und
lebt als freie Autorin in München.
Die Galerie um die Ecke
Doch was ist eigentlich mit der Galerie um die Ecke? Hier gilt
es wirklich zu differenzieren, denn die eben beschriebenen kri-
Kunst und Verbrechen – eine vierteilige Dokumentationsreihe:
13 SA, 21.40
Alles wegen Wally (1/4)
„Wally“ von Egon Schiele: geliebt, geraubt, versteckt. Über 70 Jahre lang zerren Museen, Sammler und Privateigentümer an der blauäugigen Schönheit. Zwei Staaten
sind in den Kampf um NS-Raubkunst verwickelt. Ein Kunstkrimi über die Grenzen
von Recht und Moral.
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14 SO, 23.05
Knoedler und der Chinese (2/4)
Es geht um 60 falsche Kunstwerke von Pollock, Rothko und Motherwell – und um
einen Schaden im dreistelligen Millionenbereich. Die New Yorker Galerie Knoedler
verdankt einem chinesischen Hobbymaler lukrative Kunstfälschungen, die in der
Szene einen Kunst-GAU verursachten. Die Galerie musste dichtmachen, und achtbare New Yorker Bürger gingen sich gerichtlich an den Kragen.
Fotos: tama, mario/getty images· Christoph Valentien (4)
15 MO, 23.10
Göttin auf Abwegen (3/4)
Bella Italia hat Pionierarbeit in Sachen Schmuggelmafia geleistet: Mit der weltweit
ersten Kunstpolizei und einer regen Staatsanwaltschaft wurde einer der größten
Kunstskandale aufgedeckt. Renommierte Museen wie das Getty hatten wissentlich
Schmuggelware gekauft – Antiken wie die Venus von Morgantina. Schmuggel und
Grabraub zerstören historische Kultstätten auf ewig.
16 DI, 23.10
Die Kunst ist weg (4/4)
Der Raub von zwei Turner-Gemälden der Londoner Tate Gallery aus der Frankfurter Schirn versetzte der Kunstwelt einen Schock. Die Täter wurden schnell gefass; die Bilder blieben lange verschwunden. Die Sensation kam später heraus: Die
Tate blieb den Bildern auf der Spur und setzte die Versicherungssumme ein. Als die
beiden Werke wieder im Museum anzuschauen waren, scherte sich keiner mehr
um den Fall.
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