Stadtgrün statt grau

Stadtgrün
statt grau
61 DIY-Projekte fürs
Urban Gardening
Wiebke Jünger
Inhalt
8 Über das Selbermachen
12 Was bedeutet Stadtgrün
für die Großstadt?
15 Gärtner erobern die Stadt
18 Das Gärtnern im
öffentlichen Raum
21 Bepflanzbare Orte
22 Die schwierige Situation der Stadtbäume
24 Samenbomben
25 Moosgraffiti
26 Die Grundprinzipien des Urban Gardening
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Platz sparen
Zeit sparen
Ressourcen sparen
Wie Pflanzen wachsen
Kostenlose Baumaterialien
Werkzeugkunde
Materialkunde
40 Praktische Tipps und schnelle Lösungen
42 Heizungsluft
42 Erdraummangel
42 Überflutete Behälter leeren
43 Urlaubsbewässerung Eins
44 Urlaubswässerung Zwei
45 Wassermangel im
Balkonkasten
46 Platz schaffen
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Blumenkasten sichern
Gardinenstange
Blumenampel-Netz
Blumentisch
Hängendes Blumenregal
54 Einfache
Pflanzgefäße
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Erdsack mit Erweiterung
Kartoffelsack
Pflanztasche
Kokedama
Bäckerkistengarten
62 Die beschwipsten Töpfe
63 Hängende beschwipste Töpfe
64 Palettengarten
65 Blumenturm
66 Hängender Blumenturm
67 Englische Blumenampel
68 Hängender Rost
69 Hängende Kiste
70 Gefäß hängend Wuchsrichtung nach unten
71 Hängende Dosen
72 Gewächshaus,
Kompost und Co.
94 Gefäße mit integrierter 114 Hydroponik und
Bewässerung
Aquaponik
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Grauwasserturm
Flaschen-Gewächshaus
Folien-Gewächshaus
Frühbeet
Tunnelgewächshaus
Gießwasserfilter
Weidenstab-Tipi
Weidenstab-Rankbogen
Rankring
Horizontaler Rankring
Wurmkomposter
Wurmturm
Komposttrommel
Flaschenbewässerung
Tröpfchenbewässerung
Flaschenturm
Halbautomatische
Balkonbewässerung
Minipflanzer
Erdeimer
Erdeimer mit externer Hohlraum-Bewässerung
Erdbox
Erdtonne
Schwimmerregelung
Bewässerungsrinne
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Glockensiphon
Hydroponische
Tiefwasser-Box
Mini-N.F.T.-Hydroponik
Tiefwasser-Aquarium-
Aquaponik
Ebbe-und-Flut
Aquarium-Aquaponik
Ebbe-und-Flut-Aquaponik
C.H.O.P. - Aquaponik
Druckluft-Belüftung für die C.H.O.P.-Aquaponik
N.F.T. - Pflanzrohrsystem
137 Register
138 Service
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Lieber Leser,
als Großstadtmensch, besonders im Ruhrgebiet, hat man
eine zwiespältige Grünerfahrung. Zum einen gibt es triste,
baumlose, graue Straßenzüge, eng bebaute Stadtwohnviertel, die Industrieanlagen – zum anderen das schöne
grüne Umland, Naherholungsgebiete, ungeheuer viele
Kleingärten, die jede Lücke füllen. Die Kontraste zwischen
Grün und Grau, zwischen Schön und Hässlich zeigen sich
überall und liegen dicht gedrängt beieinander.
In den innerstädtischen Gebieten, ausgenommen vielleicht den Parks, ist abwechslungsreiche Grüngestaltung
eher die Ausnahme. Um Kosten zu sparen, lassen die
Städte nur pflegeleichte Begrünung pflanzen. Dabei
hegen viele Stadtbewohner den Wunsch nach mehr oder
schönerem Grün in ihrer Umwelt. Ebenso sind sie bereit
selber aktiv zu werden und eigenhändig zu gestalten,
denn sie empfinden Gärtnern als eine therapeutische und
erfüllende Beschäftigung. Zu sehen, wie etwas wächst
und gedeiht, erfüllt mit Freude und Stolz. Leider fehlt in
der Stadt vielen die Möglichkeit dazu, da Gärten und Freiflächen Mangelware sind.
Das Thema Stadtgärtnern ist nicht erst durch die UrbanGardening-Projekte wieder ins Bewusstsein gerückt: Viele
sehen es als Mittel zur Armutsbekämpfung, zur Förderung
sozialer Gemeinschaft und von Integration, außerdem zur
Stärkung der Stadtwirtschaft. Schließlich ist Nahrung das
Thema, das uns alle verbindet, ungeachtet des Einkommens, der Religion oder Herkunft. Die industrielle Landwirtschaft trägt mit ihren Dioxin-Skandalen, ihrem genveränderten Gemüse und den pestizidreichen Anbau
ihren Teil dazu bei, dass immer mehr Menschen den eigenen Anbau anstreben.
Links: Selbstgebaute Pflanzbeete und Rankgerüste im Allmendekontor
auf dem Tempelhofer Feld in Berlin.
Meine eigene Reise in die Welt des Stadtgärtnerns startete
ich 2013, als ich in eine neue Wohnung zog, die über einen Südbalkon verfügte. Ich fing an, Samen verschiedener
Nutzpflanzen auszusäen und stieß bald schon auf die ersten Probleme und Fragen. Wie organisiere ich meinen
Platz (2 m²) am besten? Wie schaffe ich es, dass die Tomatenpflanzen auch die heißen Sommerwochen gut überleben, ohne dass ich fünf Mal täglich gießen muss? Ich recherchierte über viele Themen, und die Antworten kamen
meist aus der Technik, Mathematik und Physik. Das Gärtnerglück lässt sich mit diesen drei Wissenschaften stark
beeinflussen. Die Art und Weise des Anbaus, die technischen Hilfsmittel und das Verständnis für die Bedürfnisse
einer Pflanzen sind für den Ernteerfolg entscheidend.
Ich sehe dieses Buch als ein Werkzeug, den Prozess zu
mehr Stadtgrün zu unterstützen und dem Stadtgärtner
nicht nur zu zeigen, wie er Platz, Zeit und Ressourcen
sparen kann, sondern ich möchte ihm auch die Scheu vor
anfänglichen Investitionen nehmen. Das Buch ist für alle
gedacht, die mit dem Stadtgärtnern anfangen oder ihre
Ausrüstung kostengünstig verbessern wollen. Das Glück
des Gärtners liegt im Material. Und dass dies nicht immer
neu und teuer sein muss, zeigt dieses Buch.
Viel Spaß beim Bauen und Experimentieren wünscht
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Über das
Selbermachen
Das Selbermachen ist die Grundform allen Schaffens. Vor
der massenhaften Güterherstellung, deren Produkte viele
Aufgaben des Alltags erleichtern oder gar ganz übernehmen, war die eigene handwerkliche Geschicklichkeit, das
selbstständige Produzieren, Instandhalten und Reparieren
eine Grundvoraussetzung um zu überleben.
Im landwirtschaftlichen Kontext war das Wissen, wie man
einen Zaun baut, Felder bestellt, am Haus Reparaturen erledigt, Gräben anlegt, Vieh züchtet, Werkzeuge herstellt,
Kleidung flickt oder Essen kocht, notwendig zum Überleben. Das handwerkliche Wissen umfasste alle Bereiche
des täglichen Lebens. Aus ihm entwickelten sich verwendbare Techniken, die sich immer weiter spezialisierten und
zu Traditionen wurden. Die sogenannten „Handwerke“
waren das Fundament einer produzierenden Gesellschaft,
mit eigenem Sinn für Stil, Wert und Verwendbarkeit.
Stadtgärten können überall errichtet werden. Es braucht nur
jemanden mit einer Idee und dem richtigen Werkzeug.
Das handwerkliche Geschick machte die Menschen zu
einem großen Teil unabhängig von anderen Produzenten,
was bares Geld für Anschaffungen und Dienste sparte.
Produkte wie Fertiggerichte hätten damals wohl keine
Chance auf dem Markt gehabt. Gleichzeitig machte es die
Menschen abhängig voneinander. Starke Familienbande
und Gemeinschaften waren nötig, um die Menge und
Vielfalt der Aufgaben bewältigen zu können.
Mit der Spezialisierung der Handwerke im Mittelalter, die
besonderer Geräte bedurften und immer ausgefeiltere
Techniken entwickelten, unterschieden sich die Handwerker in ihren Fähigkeiten immer weiter von der übrigen
Bevölkerung. Sie schlossen sich in eigenständigen Zünften
zusammen, die bald auch eine politische Macht darstell-
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ten, wenn auch meist wohlhabende Fabrikanten, Grundbesitzer und Händlerfamilien das Sagen hatten.
Heutzutage ist der private Mensch kaum mehr Erzeuger.
Wir kochen unser Essen selber, reparieren Kleinigkeiten
an unserem Haus oder in der Wohnung, können mehr
oder weniger laienhaft tapezieren und anstreichen, doch
erledigen ausgebildete Handwerker die meisten Arbeiten
für uns. Wir produzieren weder unsere Nahrungsmittel
noch unsere Kleidung selber, wissen nicht, wie wir unsere
Haushaltsgeräte oder Schuhe reparieren können.
Der heutige Mensch ist ein Konsument. Er konsumiert
Produkte und Dienstleistungen, teils ohne zu verstehen,
wie diese funktionieren. Grund dafür ist zum einen die
Arbeitsteilung und Spezialisierung der Berufe. Auch ist
das verfügbare Wissen viel detailreicher und vielschichtiger geworden, als dass ein einzelner Mensch sich mit allem ausreichend beschäftigen könnte. Eine Beschränkung
oder auch Spezialisierung ist somit normal. Zum anderen
sind es Einschränkungen durch Regelungen und Gesetze,
die es dem normalen Menschen schwer machen, aktiv zu
werden und Änderungen herbeizuführen. Sie machen ihn
abhängig von der städtischen Verwaltung und der Industrie. Die Entscheidungsgewalt, etwas tun zu dürfen, vor
allem im städtischen Raum, liegt nicht bei den Bürgern,
sondern beim Staat und den Städten. Dies ist zum großen
Teil wichtig, um rechtliche und versicherungstechnische
Klarheiten zu schaffen, schränkt andererseits aber die
Handlungsfreiheit der Menschen ein und hemmt die Partizipation in der Gemeinschaft.
Das Selbermachen im Sinne von Produzieren kommt
heutzutage, wenn nicht als Berufsausübung, hauptsächlich als Freizeitaktivität vor. Wenn nicht als Gärtner, dann
oftmals in der Verbindung mit Bastelarbeiten oder Dekorieren. Traurigerweise leidet durch diesen Bezug die allgemeine Wertschätzung des Selbermachens, da Basteln
und Dekorieren ein Image haben, das kindlich und naiv
wirkt und auch so vermarktet wird. Die kreativen Kräfte,
welche kreatives Denkvermögen voraussetzen und auch
fördern, treten meist hinter diesem Image zurück.
Eine zweite Rubrik des Selbermachens hat sich über Jahrzehnte erhalten: das Heimwerken. Heimwerken bezeichnet gemeinhin die nicht-berufliche Ausübung handwerklicher Tätigkeiten, die vor allen Dingen zur Reparatur,
Instandsetzung und Verschönerung des eigenen Wohnraums betrieben werden.
Am 1. November 1957 erschien die Erstausgabe der Zeitschrift selbst ist der Mann. In dieser Zeit zogen viele Menschen nach den Wiederaufbaujahren in ihr neues Zuhause, wo sich ab sofort verstärkt das Familien- und
Freizeitleben abspielte und das zum Symbol für Wohlstand wurde. Die stetige Verschönerung und Ausstattung
der Wohnung mit Konsumgütern war der Effekt der
Erhard’schen „Wohlstand-für-alle-Politik“ und wurde zum
Volkstrend. Wer sein Geld nicht für Handwerker ausgeben
wollte oder konnte, machte das meiste einfach selber,
alles nach dem Motto: „Mach’s billiger, mach’s besser,
mach’s selbst“. In den 1960er Jahren entstanden nach USamerikanischem Vorbild die ersten Baumärkte im Selbstbedienungskonzept in Deutschland.
Do it yourself
Die Zeitschrift Suburban Life verwendete in einem Artikel
1912 zum allerersten Mal den Begriff Do it yourself, abgekürzt DIY. Dort wurden die Leser dazu aufgerufen, ihre
Reparaturen im Haus selber zu machen, was ihnen Kosten
und Wartezeiten auf vielbeschäftigte Fachkräfte ersparen
sollte. Do it yourself war fortan das Schlagwort der Heimwerkerbewegung, die nach dem zweiten Weltkrieg und
wegen des Fachkräftemangels auch nach Deutschland
schwappte. Für viele bedeutet DIY, aus eigener Kraft Veränderungen herbeizuführen. Es beinhaltet sowohl Eigeninitiative wie Schaffenslust und bewegt sich zwischen
Improvisation und semiprofessioneller Herstellung. Bei
der Do-it-yourself-Bewegung der 1960er und 1970er, den
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Über das Selbermachen
Jugendbewegungen der Hippies und Punks, kamen dann
auch politische Aspekte sowie das Misstrauen gegenüber
der Massenprodukten der Industrie hinzu.
Es gibt viele Formen des Do it yourself. Angefangen vom
eigenen kreativ-schöpferischen Akt des Selber-Entwickelns, über das Arbeiten entlang von Bauanleitungen
und Bausätzen bis zum gemeinschaftlichen Projekt, das
aus dem kollektiven Wissen aller schöpft. Die OnlineEnzyklopädie Wikipedia ist z.B. ein solches Projekt, aber
auch die Urban-Gardening-Projekte schöpfen aus dem
Ideenreichtum und Fachwissen vieler Menschen. Der
schwedische Möbelhersteller IKEA hat sich sehr erfolgreich das System der Teilnahme zunutze gemacht, um
seinen Kunden, die Transport und Aufbau selber übernehmen, günstige Möbel anbieten zu können. Teilnahme
bedeutet Identifikation.
genständen hinterlassen zu können, ist wichtig. Für die
Jugendbewegungen war die Ästhetik zugleich eine politische Aussage, deren Sprache und Gestalt sich innerhalb
der Szenen durchsetzten. In der Punkbewegung der späten 70er Jahre bedeutete das Selbermachen vor allem die
„Befreiung von sozialen wie ökonomischen Zwängen“ (Hornung, et al., 2011). Ausgerissene, kopierte und zusammengestellte Buchstaben und Bilder prägen den Stil ihrer
Publikationen.
Heute ist der Akt der eigenen Schöpfung und die Freude,
das Ergebnis in der Hand halten zu können, besonders in
unserem digitalen Zeitalter, zu einem Ausgleich geworden. Der Stolz auf das selber Erschaffene, das sichtbare
Ergebnis fördert die Aktivität und das Vertrauen in die eigenen handwerlichen Fähigkeiten.
Lesser Design
Das Misstrauen gegen industrielle Produkte hat sich durch
die Enthüllungen über den Einsatz von Billigbauteilen mit
geringer Haltbarkeitsdauer in Elektrogeräten heute noch
verstärkt. Eine Gegenbewegung findet sich unter anderem
in den Reparatur-Cafés, einer Idee aus Holland. Menschen
treffen sich, um sich gegenseitig zu helfen, kaputte Geräte
zu reparieren, wobei jeder seine Fachkenntnisse beiträgt.
Dazu gesellen sich mittlerweile Nähcafés, Fahrradwerkstätten, die Bikekitchen, und offene Holz- oder Keramikwerkstätten. Auch die ökologischen Folgen der industriellen Agrarproduktion haben den Weg hin zum eigenen
Anbau wieder gefördert. Ein verbindendes Element zwischen den einzelnen Ansätzen schaffen Sparsamkeit und
das Ziel, möglichst viel zu recyclen, was für manche ein
praktischer Zusatznutzen, für andere aber eine Überlebensnotwenigkeit ist.
Außer Spaß und finanziellen Vorteilen spielt die Ästhetik
des Selbstgemachten für viele eine große Rolle. Selbstgemachtes ist nicht glatt und makellos, ist nicht gestylt oder
professionell designt. Den eigenen Ausdruck in den Ge-
Der Wert der handwerklichen Fähigkeiten der durchschnittlichen Bevölkerung wurde vom Gründer der Artsand-Crafts-Bewegung des 19. Jahrhunderts, William
Morris, hoch geschätzt. In seiner Schrift Lesser Arts of Life
(Die niederen Künste des Lebens) von 1882 spricht er sich
für das Handwerk und die kreativen Leistungen der
normal ausgebildeten Bevölkerung aus, die er als Gegenbalance zur Hohen Kunst und zum Schaffen eines kleinen
Kreises intellektueller Künstler sieht. Morris charakterisiert die Lesser Arts als kreative Leistung, die im Gegensatz zur Hohen Kunst nicht an unsere Emotionen rühren
oder unseren Intellekt erweitern will. Er will den anonymen Erzeugern und ihren Erzeugnissen den gebührenden
Respekt für ihre Leistung entgegenbringen.
In ähnlichem Sinne wird der Begriff des Lesser Design
verwendet. Er wurde von dem Designprofessor Kingchung Siu der Polytechnischen Universität, Hong Kong
geprägt. Dieser hat die Betrachtungsweise Morris‘ auf
Dinge anwendet, die er bei den Menschen und auf den
Straßen von Hong Kong findet. In seinem Buch beschreibt
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Links: Stadtgärtnern muss nicht teuer sein. So zeigt sich ein interessantes Gebilde aus Pallettenhochbeeten auf dem Tempelhofer Feld in Berlin.
Rechts: Neben Pflanztöpfen finden auch alte Milchpackungen als Anzuchttöpfe Verwendung.
Siu den Begriff als ein Synonym für unbedeutende, aber
grandiose Gestaltungen. Für ihn sind es die handwerklichen Erzeugnisse und ihre unbeabsichtigte Verwendung
oder Modifizierungen, die den Alltag erleichtern und das
kreative Potential der Bevölkerung zu Tage fördern.
Fundstücke, die im Normalfall wenig Beachtung finden,
wie z.B. die vielen Variationen von Kleiderbügeldesigns
gehören dazu.
Die Lösung für ein Problem zu suchen und die Antwort
darauf selber zu bauen, auch wenn man es nicht gelernt
hat – dieses handwerkliche Können ist Lesser Design. Das
Experiment ist die treibende Kraft hinter jeder menschlichen Schöpfung, auch wenn sie nicht als Wissenschaft
oder unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten vollführt
wird. Die Fähigkeit eines jeden Menschen, in produzierten Dingen potenziell auch andere Anwendungsmöglichkeiten zu sehen, die vom Produzenten gar nicht erdacht
wurden, beruht auf der dem Menschen innewohnenden
Neugier, auf Geduld, Kreativität und Freude an Erkenntnis. Der französische Ethnologe Claude Levi-Strauss be-
schreibt dies in seiner Schrift La pensée sauvage (Das wilde
Denken) von 1962 als „Wissenschaft des Konkreten“. Er
sieht den Bastler dabei nicht als verhinderten Ingenieur,
sondern als jemanden, der hinter der eigentlichen Funktion noch weitere mögliche Verwendungen sieht.
Do it yourself und Lesser Design vereint im Stadtgärtner
In kaum einem anderen privaten Umfeld als dem Garten
hat der Mensch heute mehr die Möglichkeit, sich auszuprobieren und unbesorgt zu experimentieren. Der Garten
verzeiht und verändert sich am meisten von ganz allein.
Leider verfügen in der Stadt nur sehr wenige Menschen
über einen Garten oder die benötigten Flächen, um im
traditionellen Sinne zu gärtnern. Sie müssen sich oft mit
schwierigen Platz-, Zeit- und Ressourcenverhältnissen
arrangieren. Da ist Einfallsreichtum gefragt, um das Bestmögliche aus der Situation zu machen: selbstgebaute
Pflanzbehälter zum Gärtnern auf Asphaltflächen, ausgeklügelte Bewässerungssysteme für die heißen städtischen
Sommerwochen oder auch Techniken zum Gärtnern in
der Vertikale. Der moderne Stadtgärtner macht es selbst.
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Parks sind die grünen Lungen einer Stadt. Sie bieten sich als
Erhohlungs- und Freizeitort für Städter jeder Altergruppe an.
(Gysenbergpark, Herne)
Was bedeutet Stadtgrün
für die Großstadt?
Luft
gestoßen wird, und binden es durch Fotosynthese, wobei
sie Sauerstoff abgeben. Sie bilden eine Barriere nicht nur
für Feinstaub, sondern mildern auch schlechte Gerüche.
Gleichzeitig sorgen ihre Blätter durch stetige Verdunstung
von Wasser für eine Kühlung der Umgebung. Ihre Wurzeln schützen den Boden vor Erosion.
In dicht bebauten Städten bewirkt die enge und teils hohe
Bebauung, dass stickige und mit Schadstoffen angereicherte Luftmassen länger zwischen den Gebäuden hängen
bleiben, anstatt vom Wind weitergetragen zu werden.
Die stehenden Schmutzpartikel in der Stadtluft sind dabei
eine Belastung für die Gesundheit nicht nur der Menschen, sondern aller in der Stadt lebenden Wesen.
Wärme
Pflanzen, besonders vielblättrige Bäume, Nadelbäume
und Sträucher, haben eine wichtige luftreinigende Funktion. Sie nehmen CO2 auf, das in großen Mengen durch
den Straßenverkehr, von Industrie und Haushalten aus-
Städte speichern Wärme viel stärker als ländliche Regionen. Wenn sich im Sommer Asphalt und Beton aufheizen
und die warme Luft stehen bleibt, entstehen mancherorts
sogenannte Hitzeinseln. Hier kühlt sich die Umgebung
selbst Nachts nicht mehr genügend ab. Durch die flächen-
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deckende Versiegelung des Bodens in den Städten kann
der Regen außerdem nicht an Ort und Stelle versickern
und zur Kühlung beitragen, sondern wird in die Kanalisation abgeleitet. Hitzeinseln haben in erster Linie Auswirkungen auf unser Wohlbefinden, besonders auf das von
jungen, alten oder kranken Menschen.
Pflanzenwachstum
Pflanzen entnehmen ihre Nährstoffe aus dem Boden. Ein
aktives Bodenleben ist für ihren Fortbestand notwendig.
Die Versiegelung von Flächen macht das allerdings in zunehmendem Maße unmöglich. Somit leiden Pflanzen in
der Stadt im Sommer unter Wasserknappheit. Zusätzlich
wird den im Boden lebenden Organismen, die abgestorbenes Material in Nährstoffe umwandeln, durch die systematische Verdichtung des Erdreichs die Lebensgrundlage
entzogen. Langfristig ist Nährstoffarmut die Folge davon.
Dies schwächt wiederum die Pflanzen, besonders die
Stadtbäume, und macht sie anfällig für Schädlinge sowie
Pilz- und Viruskrankheiten. Im Winter machen Streusalze
der Stadtflora zu schaffen.
Tiere und Pflanzen
Großstädte sind zum Rückzugsort vieler heimischer Tierund Pflanzenarten geworden, die durch die industrielle
Landwirtschaft aus den ländlichen Gebieten verdrängt
wurden. Die Vielfalt, die sich in Städten findet, reicht von
seltenen Reiherarten bis zu Adlern und Wildschweinen
und einer Reihe traditioneller Obst- und Gemüsesorten,
die industriell nicht verwendet werden.
Die psychologische Bedeutung von Pflanzen
Von der einfachen Topfpflanze auf der Fensterbank bis
zum ausgeklügelten Feng-Shui-Garten – Pflanzen begleiten uns durchs Leben. Sie nehmen einen festen Platz in
unseren kulturellen Ritualen ein. Sie sind Geschenke bei
Freude und Trauer, sind anwesend bei Hochzeiten, Feiern
und Beerdigungen. Sie zeigen uns den Wechsel der Jahreszeiten an und das Voranschreiten der Zeit.
Die Beziehung zu Pflanzen
Die Beziehung des Menschen zu seinen Pflanzen kann
nahezu als „zwischenmenschlich“ beschrieben werden. In
der Tat ist der Mensch dazu geneigt, Beziehungen zu anderen Lebewesen oder Dingen aufzubauen und sie intuitiv
zu vermenschlichen. Andererseits ist das auch ein Hinweis
auf die Weltanschauung. Der Mensch erhebt die Pflanze
vom Objekt zum Subjekt und bestätigt somit ihre Bedeutsamkeit in der Welt.
Von Pflanzen lernen
Mit Pflanzen zu leben, heißt von Pflanzen zu lernen: den
Wechsel der Jahreszeiten, den natürlichen Rhythmus von
Leben und Vergehen, der die Welt mit Nahrung speist.
Viele Stadtgärtner, die sich mit dem Anbau von Obst und
Gemüse beschäftigen, beschreiben als Erfahrungen ihre
Verbindung zur Natur, ein Lebensgefühl, der Erde nah zu
sein, sich selbst zu erden. Wer sich mit mehr als nur genügsamen Zimmerpflanzen beschäftigt, lernt nicht nur
wie Pflanzen wachsen, sondern profitiert auch von den
Ernteergebnissen. Viele Stadtgärtner beschreiben den
Stolz, der sie erfüllt, wenn sie das selbst angebaute Gemüse ernten. Und was man erntet, das isst man auch.
Unheimliche Natur
Aber Grün wirkt nicht immer positiv auf uns. Wildnis,
dichte dunkle Tannenwälder, Dschungel und scheinbar
unberührte Natur erzeugen in den meisten von uns Unbehagen, teilweise Angst oder sogar Abscheu. Der Mensch
sehnt sich nach Kontrasten, nach Spannung und Ordnung.
Natur ist chaotisch, Stadtgrün hingegen unterliegt einer
menschlichen Planung und bietet Kontraste, seien es Größen, Farben oder Formen, die die Sinne anregen.
Diese Ordnung muss aufrecht erhalten, muss gepflegt
werden. „Ungepflegtes Grün wird von Nutzerinnen und
Nutzern sehr schnell negativ wahrgenommen und provoziert Vandalismus“ (Formann, 2010). Unrat und Abfall
auf einem Grünstreifen scheinen mehr Unrat und mehr
Abfall anzuziehen.
14
not doing it
„And, you know, we‘re
e‘re doing it
because we‘re bored. W
t a revolution.“
because we want to star
ible Todmorden
Pam Warhurst, Incredible Ed
In diesem privaten Stadtgarten, der sich hinter einem hohen Zaun versteckt, blühen 2 Meter hohe Sonnenblumen. Sie lassen erahnen, dass
hier auch andere Erntepflanzen angebaut werden.