Oestrich-Winkel - Evangelische Sonntags

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24 · 7. Juni 2015 · Sonntags-Zeitung
GEMEINDEREPORT
Ein Kreuz schlagen
Oestrich-Winkel ist zwar ein urkatholisches Gebiet, aber hier
lebt auch eine große protestantische Gemeinde. Die bietet ihren
Mitgliedern ein breites Angebot –
aber nicht nur ihnen.
Oestrich-Winkel kümmert sich besonders um die Ökumene • Von Nils Sandrisser
D
Das Gemeindezentrum hat
Pelletheizung und Solarstrom
Ihr Zentrum, das als Kirche und
Gemeindehaus gleichzeitig dient,
liegt idyllisch. Vom Kirchenraum
geht der Blick durch eine große
Glasfront über die sich träge dahinwälzenden Wasser des Rheins.
Frachtschiffe ziehen vorbei. »Meditativ« nennt Stern-Tischleder
diesen Ausblick. Für einige Zeit
war sie alleine für ihre Schäfchen
zuständig, während sich ihre Kollegin Mareike Frahn-Langenau
ihren kleinen Kindern widmet,
nun ist mit Monika Kreutz eine
Verstärkung für Frahn-Langenaus
Elternzeit angekommen.
Heinz-Georg Bialonski unterstützt die beiden als Vorsitzender
des Kirchenvorstands. Bialonski
und Stern-Tischleder arbeiten gut
zusammen, telefonieren fast täglich und treffen sich mehrmals
im Monat. Ein Gemeindemitglied könnte sich mit einer organisatorischen Frage sowohl an die
Pfarrerin als auch an den Kirchenvorstand wenden und bekäme eine zufriedenstellende Antwort.
Besonders viel Zeit haben die
Theologin und der Vorstand in
jüngster Zeit in das Thema Bauen
OESTRICH-WINKEL
■ Kirchengemeinde
Oestrich-Winkel
Pfarrerinnen Elke Stern-Tischleder
und Monika Kreutz
Rheingau-Straße 105
65375 Oestrich-Winkel
Telefon: 0 67 23 / 33 85
E-Mail: [email protected]
Fotos: privat/Gemeinde (2); Nils Sandrisser
ie Ökumene bestimmt
das Gemeindeleben. »In
jedem Gottesdienst sind
auch Katholiken dabei«, erzählt
Pfarrerin Elke Stern-Tischleder.
In Oestrich-Winkel wird in der
protestantischen Kirche öfter
mal ein Kreuz geschlagen. Ein
wichtiger Schwerpunkt der Gemeindearbeit sind ökumenische
Reisen. Das sind keine reine Besichtigungstouren, sondern theologische Angebote. »Spurensuche« heißt das Thema dabei,
die Oestrich-Winkeler fahren
dann zum Beispiel in die Türkei
nach Kappadokien zu den Stätten
des frühen Christentums.
Die Stadt inmitten von Weinbergen ist eigentlich eine protestantische Diaspora. Der Katholizismus ist hier stark, aus historischen Gründen, denn die Ecke
gehörte lange dem Mainzer Erzbischof. Seither hat sich aber einiges geändert: Der Erzbischof ist
nur noch ein normaler Bischof,
außerdem kein Territorialherr
mehr, und viele Evangelische
sind zugezogen – teilweise gezwungen als Flüchtlinge nach
dem Zweiten Weltkrieg, teilweise
angelockt von den Arbeitsmöglichkeiten des Rhein-Main-Gebiets. Mittlerweile wohnen rund
2300 Protestanten hier.
Die Kirche in Oestrich-Winkel
ist hell und modern (oben).
Gemeindereisen, etwa nach
Kappadokien, sind ein Schwerpunkt der Gemeindearbeit
(links). Kirchenvorstand HeinzGeorg Bialonski und Pfarrerin
Elke Stern-Tischleder schätzen
die kommunikative Atmosphäre am Brunnen (kleines Bild).
investiert. Das Gemeindezentrum stammt aus den 1950er Jahren und hat kürzlich eine Pelletheizung und Sollarkollektoren
bekommen. Und eine bessere Orgel: Eine neobarocke Bosch-Orgel
löste das alte kleinere Instrument
ab. Die neue Orgel ist aber nicht
ganz neu, sondern gebraucht.
Dennoch mussten die OestrichWinkeler dafür mehr als 225 000
Euro ausgeben. Das war eines der
größten Orgelversetzungsprojekte der Landeskirche im vergangenen Jahr. Ein Aufzug soll das Zentrum barrierefrei machen, danach ist beim Thema Bau erst einmal Ruhe.
An anderen Betätigungsfeldern besteht aber kein Mangel.
Weltladen, Kita, Vater-Kind-Freizeiten oder das Demenz-Projekt
»Sorge tragen für alte Menschen
im Rheingau«, bei dem alte Menschen durch biografisches Arbeiten eingebunden werden –
Oestrich-Winkel ist eine überaus
aktive Gemeinde. Vor kurzem
stieg im Gemeindesaal die
»Ü-41,7-Party«. »Der Titel ist
nicht ganz ernst zu nehmen«,
sagt Stern-Tischleder und grinst
dabei. Die Feier sollte jene Generation ansprechen, die im Gottesdienst und im Gemeindeleben
nur selten anzutreffen ist. Das sei
auch durchaus erfolgreich gewesen, berichtet die Seelsorgerin,
die Hütte sei voll gewesen. Was sicher auch an dem Programm mit
DJ lag. Die Gemeinde überlegt, ob
sie dieses Konzept bald wiederholen will.
Die Kinder lernen das
Gemeindeleben früh kennen
Stern-Tischleder hat aus ihrer Vikariatszeit ein Projekt mitgebracht, das sie hier auch gleich
ausprobiert hat: den Vor-Konfirmandenunterricht. Grundschulkinder lernen hier spielerisch,
was das Kirchenjahr aus religiöser
Sicht bedeutet. Dazu müssen sie
noch nicht einmal unbedingt getauft sein. So lernen die Kinder
das Gemeindeleben schon früh
kennen – und nicht erst im Konfirmandenalter, wo erfahrungsgemäß andere Dinge als die Beziehung zu Gott im Fokus stehen.
Während die Gemeinde bei
den jungen Mitgliedern aktiv ist,
hält sie sich in anderen Feldern
lieber etwas zurück. Bei der Frage
der Windkraft zum Beispiel, die
derzeit im Rheingau hochemotional diskutiert wird. Die Bevölkerung ist gespalten in Befürworter
und jene, die die Rotoren nicht
vor der Nase haben wollen. SternTischleder und Bialonski finden
die Diskussion viel zu sehr politisch aufgeladen und wollen sich
nicht von einer der Seiten vereinnahmen lassen. Bisher hat das
auch noch niemand ernsthaft
versucht, sagt die Theologin:
»Das Thema wurde an uns noch
nicht offiziell herangetragen.«
Dagegen ist die Gemeinde aber
aktiv gegen den Bahnlärm, der
die Oestrich-Winkeler quält und
veranstaltet zum Beispiel gemeinsame Gottesdienste mit einer Bürgerinitiative. Die Gleise verlaufen
mitten durch den Ort und gleich
hinter dem Gemeindezentrum.
Da sind die Frachtschiffe, die an
der gegenüberliegenden Seite des
Hauses vorbeiziehen, doch angenehmer. Meditativ eben.
DREI FRAGEN AN ...
... Pfarrerin Elke Stern-Tischleder:
?
Was wünschen Sie sich für
Ihre Gemeinde?
Zusammenhalt. Ich wünsche
mir, dass man sich in der Gemeinde aufeinander verlassen
kann. Und dass sie auf verschiedenen Ebenen zueinanderfindet – das kann der Bibelkreis sein, in dem wir über unseren Glauben sprechen, oder
das Krankenbett, an dem man
sich besucht.
?
Wo ist Ihr Lieblingsplatz in
der Gemeinde?
Mit jemandem oder einer
Gruppe zusammen am Brunnen vor unserem Gemeindezentrum. Der steht für Kommunikation, der steht dafür,
dass man zuhört, wie es dem
anderen gerade geht.
?
Zu wem hätten Sie gerne
mehr Kontakt als bisher?
Zur Gruppe der 30- oder
40-Jährigen. Da würde ich gerne etwas finden, was sie am
Gemeindeleben noch mehr
begeistert. Vielleicht so etwas
wie die »Ü-41,7-Party«, die wir
versucht haben.