deutsch - Stiftung Gedenkstätten Sachsen

Langenstein, im Dezember 2015
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde,
das Jahr 2015 neigt sich dem Ende entgegen und wir möchten unsere Wünsche zum Jahreswechsel
mit einem Rückblick auf das vergangene Jahr verbinden.
Im Verlaufe des Jahres mussten wir Abschied nehmen von dem ehemaligen Häftling Raymond
Soulas aus Frankreich, von Katharina Hilckman, der Witwe des Zwieberge-Überlebenden Anton
Hilckman, von Greet Groen, der Schwiegertochter von Evert Groen, und von Magda Ubaghs, der
Nichte von Frans Cobbenhagen. Die Niederländer Evert Groen und Frans Cobbenhagen kamen
beide in Zwieberge ums Leben. Allen Familienangehörigen gilt unsere herzliche Anteilnahme und
unser aufrichtiges Mitgefühl.
Unser Veranstaltungsjahr begann am 27. Januar mit dem bundesweiten Gedenktag an die Opfer
des Nationalsozialismus. Schülerinnen und Schüler der 5. und 12. Klassen des Käthe-KollwitzGymnasiums Halberstadt setzten die seit Jahren bestehende Tradition fort, dass ältere Schüler ihre
jüngeren Mitschüler über das ehemalige Lagergelände führen und ihnen die Geschichte des Lagers
und der darin inhaftierten Menschen erzählen.
Anschließend nahmen beide Jahrgänge an der Gedenkveranstaltung und Kranzniederlegung an den
sechs Massengräbern teil, zu der Halberstadts Oberbürgermeister Andreas Henke Worte der
Erinnerung sprach.
Am Abend luden Gedenkstätte und Moses-Mendelssohn-Akademie Halberstadt zu einer Lesung mit
Renate Sattler ein. Die Autorin und Vorsitzende des Schriftstellerverbandes Sachsen-Anhalt las aus
einem Kapitel ihres Romanmanuskripts „Risse im Gesicht“, in dem die Protagonistin des Romans
u.a. einen Schulbesuch in der Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge in den 1980er Jahren reflektiert.
Vom 9. bis 13. April fanden aus Anlass des 70. Jahrestages der Befreiung des KZ LangensteinZwieberge die traditionellen „Tage der Begegnung“ statt. Der Wunsch von jungen Menschen aus
der Region, während dieser Tage persönlich in Kontakt zu Überlebenden zu treten, ist nach wie vor
sehr groß.
Und so stellten sich die ehemaligen Häftlinge
Georges Petit aus Frankreich und Ryszard Kosinski
aus Polen den zahlreichen Fragen der
Jugendlichen, die sich nicht nur auf die Thematik
der NS-Zeit und das in den Konzentrationslagern
Erlebte bezogen, sondern auch die Ängste und
Sorgen der jungen Leute angesichts aktueller
Krisen in der Welt einschlossen. Leider können
infolge ihres hohen Alters nur noch wenige
Überlebende zu Zeitzeugengesprächen anreisen.
Deshalb bringt sich seit drei Jahren verstärkt die
Gruppe der 2. Generation ein und thematisierte
auch in diesem Jahr in Gesprächen mit
Schülerinnen und Schülern die KZ-Haft ihrer Väter
und Großväter sowie die Auseinandersetzung
damit innerhalb ihrer Familien.
Die öffentliche Gedenkveranstaltung am 12. April
begann mit der „Aktion 2015“ nach einer Idee der
Gruppe der 2. Generation zum Thema
„Todesmarsch“. Jugendliche aus der Region hatten
sich dazu zunächst mit Texten von Überlebenden
befasst. Für die szenische Darstellung, mit der das
Thema umgesetzt wurde, stellten sie im Vorfeld
der Aktion Schilder mit Ortsnamen und
Entfernungsangaben auf dem ehemaligen
Appellplatz des Lagers auf. Am Aktionstag selbst
symbolisierten die jungen Leute – jetzt unterstützt
durch französische Schülerinnen und Schüler aus
der Harzer Partnerregion Belfort, die lettische
Enkelin eines Lagerüberlebenden und den
amerikanischen Enkel eines Befreiers der US-Army
– die Bewegung der Häftlinge zwischen diesen
Stationen des Marsches. In Gruppen oder einzeln
entfernten sie sich immer weiter vom Schild des
Ausgangspunktes, hielten inne, gingen weiter oder
blieben
ganz
zurück,
um
dann
auf
unterschiedlichen Wegen zum Ausgangspunkt
zurückzukehren und mit einer Schweigeminute
der Opfer des „Todesmarsches“ zu gedenken. Als
ein Zeichen ihrer Hoffnung auf eine Welt ohne
„Angst“, „Vertreibung“, „Terror“ und „Millionen
von Flüchtlingen“ infolge von „Gier“, „Hass“,
„Machtstreben“ und „Ausbeutung“ flogen zum
Abschluss 70 Tauben über den ehemaligen
Appellplatz.
Während der anschließenden Gedenkveranstaltung sprachen der französische Überlebende
Georges Petit, André Baud aus Frankreich als Vertreter der Gruppe der 2. Generation, Noel March,
Sohn eines der US-amerikanischen Soldaten, die das Lager befreiten und Detlef Gürth, Präsident
des Landtages von Sachsen-Anhalt, Worte der Erinnerung und des Gedenkens.
Für die musikalische Umrahmung sorgten Constanze Jaiser und Jascha Pampuch aus Berlin
gemeinsam mit Noel March und dessen Familie.
Am 23. April beteiligten wir uns in Kooperation mit dem Dachverein Reichenstraße Quedlinburg
e.V. mit einer Lesung aus den Erinnerungen des belgischen Zwieberge-Überlebenden Bernard
Klieger „Der Weg, den wir gingen“ erneut am „Quedlinburger Bücherfrühling“.
Vom 2. bis 11. Mai unterstützten uns auch in diesem Jahr Abiturienten des Evangelischen
Schulzentrums Leipzig im Rahmen der Aktion Sühnezeichen – Friedensdienste bei Pflegearbeiten
auf dem Außengelände.
Am 8. Mai luden DGB, IG Metall und IG Bau aus Anlass des 70. Jahrestages der Befreiung vom
Nationalsozialismus zu einer Feierstunde in die Gedenkstätte ein. DGB-Sekretär Reiner Straubing
und Prof. Rainer O. Neugebauer vom Beirat des Fördervereins hielten Ansprachen. Durch das
Programm führten der Lyriker Thorsten Stelzner und der Gitarrist Jascha Pampuch.
Am 30. Mai organisierte ein Museum im belgischen Bihain, das an die 83. Infanteriedivision der USArmee erinnert, einen „Tag des Gedenkens“ an den 70. Jahrestag der Befreiung der deutschen
Konzentrationslager. Angehörige der 83. Infanteriedivision hatten während des Zweiten
Weltkrieges nicht nur Bihain befreit, sondern auch am 11. April 1945 als erste Amerikaner das KZ
Langenstein-Zwieberge betreten. Gesine Daifi, Mitarbeiterin der Gedenkstätte, nahm gemeinsam
mit Familienangehörigen ehemaliger belgischer Häftlinge an der Veranstaltung teil.
Zur Berliner Tagung „Erinnern - kontrovers“ am 9. und 10. Juli erhielt die Gedenkstätte während
eines workshops die Gelegenheit, die verschiedenen Aspekte der Arbeit der Gruppe der zweiten
Generation ausführlich vorzustellen. Die Teilnehmer des Workshops stellten fest, dass dieses
Modell in der bundesweiten Gedenkstättenarbeit nahezu einzigartig sei und Schule machen sollte.
Vom 3. September bis 16. Oktober zeigte die Gedenkstätte die Sonderausstellung „Spurensuche.
Die Todesmärsche in den Dokumenten des Internationalen Tracing Service (ITS) Bad Arolsen“.
Anlässlich der Ausstellungseröffnung lasen Mitglieder des Dachvereins Reichenstraße Quedlinburg
e.V. – wie schon zum „Quedlinburger Bücherfrühling“ – aus „Der Weg, den wir gingen“ von Bernard
Klieger. Der Belgier hatte nicht nur das Lager, sondern auch den von Langenstein-Zwieberge
ausgehenden „Todesmarsch“ überlebt.
Im Rahmen der Lesereihe „Schriftsteller gegen Rechts“ luden Gedenkstätte und
Schriftstellerverband Sachsen-Anhalt am 28. Oktober die Schülerinnen und Schüler der Sekundarund Gemeinschaftsschule „Hagenberg“ Gernrode zu einer Lesung mit Jürgen Jankofsky aus seinem
Jugendbuch „Novembertau“ ein, in dem es um Fragen von Gewalt im (Schul)-Alltag und um die
Rolle von Tätern, Opfern und Mitläufern geht.
Vom 5. bis 8. November traf sich die Gruppe der 2. Generation zu ihrem 18. Seminar und besprach
u.a. mit Stiftungsleitung, Gedenkstätte und Fördervereinsvorstand künftige Projekte sowie die Idee
für die „Gedenkaktion 2016“.
In der Publikation „Erinnern!“ der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt erschienen in diesem Jahr
zwei Beiträge zu Langenstein-Zwieberge. Unter dem Titel „Erinnerungen an meinen Vater“
reflektiert Jean-Pierre Valantin über seine Motivation, sich mit der Geschichte seines Vaters Pierre,
der u.a. das KZ Langenstein-Zwieberge überlebte, auseinanderzusetzen. Ein zweiter Beitrag
informiert über die jährlichen Aktionen der internationalen Gruppe der 2. Generation. Bei Interesse
an dieser Publikation (die es allerdings nur in deutscher Sprache gibt) wenden Sie sich bitte an die
Gedenkstätte.
Vorausschau
Die nächsten „Tage der Begegnung“ finden vom 07. - 11. April 2016 statt. Wir bitten alle
ehemaligen Häftlinge und Angehörigen, der Gedenkstätte bis zum 10. Januar 2016 mitzuteilen (per
mail: [email protected], per Post: Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge, Vor den
Zwiebergen 1, 38895 Halberstadt OT Langenstein), ob sie unsere Gäste sein werden.
Abschließend möchte ich Ihnen im Namen des Teams der Gedenkstätte für das kommende Jahr
2016 Gesundheit, Freude, Glück und uns allen viel mehr Frieden in der Welt wünschen. Wir freuen
uns auf die weitere Zusammenarbeit mit Ihnen und grüßen Sie sehr herzlich
Dr. Kai Langer
amtierender Leiter der Gedenkstätte
Zur Erinnerung an die Opfer des KZ Langenstein-Zwieberge wurden auch 2015 mehr als 100 Namenstafeln am Rand der
Massengräber angebracht, so dass bisher insgesamt 517 Menschen ihre Identität zurück erhielten. Für die Anfertigung
künftiger Tafeln bitten Förderverein und Gedenkstätte weiterhin um Spenden auf das Spendenkonto des Fördervereins:
Kreditinstitut
Harzsparkasse
Verwendungszweck
Grabplatten
IBAN
DE 05810 520 000 301 75 1668
BIC-Code
NOLADE21HRZ
Kontakt: Gedenkstätte für die Opfer des KZ Langenstein-Zwieberge, Vor den Zwiebergen 1, 38895 Halberstadt OT
Langenstein, Tel. / Fax: 03941 / 30248 Mail: [email protected]
(Fotos 1-4: Sammlungsbestand der Gedenkstätte für die Opfer des KZ Langenstein-Zwieberge, Fotos 5-7; 9-11: Martina
Lucht, Foto 8: Jenny Becker)