Strahlentherapie und Onkologie Einflussfaktoren auf die

Strahlentherapie
und Onkologie
Literatur kommentiert
Einflussfaktoren auf die emotionale Befindlichkeit von Überlebenden
nach Brustkrebs
Fragestellung: Ziel der Untersuchung war es, bei älteren (≥ 65
Jahre) Überlebenden nach Brustkrebs nach Einflussfaktoren zu
suchen, die möglicherweise die emotionale Befindlichkeit der Patientinnen beeinflussen.
Methodik: Nach Information und Einverständnis der Betroffenen
wurden etwa 45-minütige Telefoninterviews unter Zuhilfenahme
dreier standardisierter Fragebögen durchgeführt, die sich mit den
unterschiedlichen Facetten emotionalen Befindens befassen.
Der Mental Health Inventory 5 (MHI5) erfasst allgemeine
Aspekte mentaler Gesundheit, während die brustkrebsspezifische emotionale Gesundheit (BCSEH) sich mit vier Items den
emotionalen Problemen von Ärger, Furcht, Kummer und Angst
widmet.
Die krebsspezifischen psychosozialen Funktionen wurden
durch den CARES-Kurzform-Fragebogen (Cancer Rehabilitation Evaluation System) mit 17 Items erfasst.
Zusätzlich wurden als Basisdaten Altersgruppen (65–69,
70–79, > 80 Jahre), Rassenzugehörigkeit, Schulbildung, Beschäftigungsverhältnis, Familienstatus und Krankenversicherung dokumentiert. Auch wurden Komorbidität, körperliche Funktion,
soziale Unterstützung, Tumorstadium und Therapieform sowie
eventuelle weitere medizinische Interaktionen erfasst.
Berechnung und statistische Auswertung erfolgten zunächst
deskriptiv, dann mit univariater Untersuchungsmethodik und im
Anschluss unter Einsatz eines multivariaten logistischen Regressionsmodells.
Ergebnisse: 660 Brustkrebspatientinnen wurden ab dem Zeitpunkt der Primärbehandlung 5 Jahre weiter beobachtet. Als Maß
für das Outcome wurden drei Variablen herangezogen: die allgemeine Gesundheit, die brustkrebsspezifische emotionale Gesundheit sowie die krebsspezifische soziale Funktion.
Das allgemeine mentale Wohlbefinden korrelierte stark mit
der körperlichen Funktion. Gute körperliche Funktion zu Therapiebeginn, gute funktionale Unterstützung und gute ärztliche
Interaktion wirkten sich günstig aus, während fehlende Hoffnung
auf Heilung zu Therapiebeginn und eine unzureichende finanzielle Situation sich im Verlauf ungünstig auf das allgemeine mentale
Wohlbefinden auswirkten.
Weniger Zuversicht auf Heilung und geringe Schulbildung
wirkten sich im Verlauf auch negativ auf die brustkrebsspezifische
emotionale Gesundheit auf, während bessere körperliche Funktion und bessere emotionale Unterstützung einen günstigen Einfluss ausübten.
Letzteres traf auch für die krebsspezifische psychosoziale
Funktion zu.
Schlussfolgerung: Die Untersuchung älterer Brustkrebspatientinnen ergibt über die Zeit eine relative Stabilität der drei Outcome-Variablen. Abnehmende körperliche Funktionen sowie
unzureichende finanzielle und soziale Versorgung korrelieren
negativ mit depressiver Verstimmung. Hier liegt eine grundsätzliche Verletzlichkeit vor, die durch eine erlebte Krebserkrankung
verschärft wird.
Kommentar
Die uns heute zur Verfügung stehenden Diagnose- und Therapieoptionen haben zu einem verbesserten und längeren
Überleben der an Brustkrebs erkrankten Frauen geführt.
Daher sind Langzeitanalysen der Behandlungsfolgen, und
zwar nicht nur der körperlichen, sondern auch der mentalen,
von immenser Bedeutung.
Die vorliegende Untersuchung [1] ist außerordentlich
begrüßenswert, greift sie doch die letztlich zahlenmäßig relevante Gruppe der älteren Brustkrebsüberlebenden heraus
und erhebt einen longitudinalen Befund des allgemeinen
und des brustkrebsspezifischen mentalen Wohlbefindens sowie der brustkrebsspezifischen psychosozialen Funktion und
Lebensqualität.
Tröstliches Ergebnis ist einerseits eine relative Stabilität
der gemessenen Parameter, andererseits zeigen sich, vermutlich durch das Alter verschärft, die aus der Onkologie bekannten Zusammenhänge: Fehlende soziale Unterstützung,
unzureichende finanzielle Mittel und abnehmende körperliche Kräfte bzw. zunehmende Komorbidität wirken sich
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ebenso wie ein geringerer Bildungsgrad negativ auf allgemeines und brustkrebsspezifisches emotionales Wohlbefinden aus. Andererseits konnte gezeigt werden, dass emotionalsoziale Zuwendung und intensive ärztliche Kommunikation
einen sehr günstigen Einfluss haben. Wenn schon die Bildungs- und die finanzielle Situation älterer Frauen nicht
mehr entscheidend beeinflusst werden können, sollten
doch alle in der Onkologie Tätigen die vorgenannten sich
positiv auswirkenden Aspekte als einen Appell verstehen,
sich gerade älteren an Brustkrebs erkrankten Frauen mit
offener Kommunikationsbereitschaft und Einfühlung zuzuwenden.
Literatur
1. Clough-Gorr KM, Ganz PA, Silliman RA. Older breast cancer survivors:
factors associated with change in emotional well-being. J Clin Oncol
2007;25:1334–40.
Ingrid Schreer, Kiel
703
Literatur kommentiert
Adjuvante Chemotherapie bei Brustkrebs-Patientinnen: Kognitive Defizite
korrelieren mit passagerer Volumenminderung von zerebralem Gewebe
Hintergrund und Fragestellung: Nicht zuletzt durch die kontinuierliche Weiterentwicklung der adjuvanten Chemotherapie
konnte in den vergangenen Jahren das Gesamtüberleben bei Patientinnen mit primärem Mammakarzinom erheblich verlängert
werden. In einigen Studien beobachtete man jedoch bei diesen
Patientinnen kognitive Schwächen nach einer adjuvanten Chemotherapie [1, 4, 5]. Möglicherweise spielen zytostatikainduzierte
Nervenschädigungen hier eine Rolle.
Um dieser Frage nachzugehen, untersuchte eine japanische
Arbeitsgruppe [3] die Daten von Mammakarzinom-Patientinnen, bei denen eine Primärtherapie erfolgt war (Operation, ggf.
Strahlentherapie, ggf. adjuvante Chemotherapie).
Patientinnen und Methodik: Für die retrospektive Studie wurden
Datensätze von zerebralen High-Resolution-1,5-Tesla-MRT-Bildern von Patientinnen mit Mammakarzinom ausgewählt und mittels voxelbasierter Morphometrie aufbereitet.
Bei Patientinnen, die eine adjuvante Chemotherapie (C+)
erhalten hatten, und bei chemonaiven Patientinnen (C–) wurden
die Volumina der grauen und weißen Substanz verglichen. Ausgewertet wurden Bilder, die ein Jahr (C+ n = 51, C– n = 55) bzw. drei
Jahre (C+ n = 73, C– n = 59) nach primärer operativer Therapie
angefertigt worden waren.
Zusätzlich wurde die Korrelation zwischen neuropsychologischen Ergebnissen (Wechsler Memory Scale) und regionalen
signifikanten Volumenminderungen des Gehirns überprüft. Des
Weiteren verglich man die MR-Tomographien mit denen einer
Kontrollgruppe (n = 55 für die 1-Jahres-Studie, n = 37 für die 3Jahres-Studie).
Ergebnisse: Die Patientinnen, die eine adjuvante Chemotherapie
erhalten hatten, wiesen in der 1-Jahres-Nachbeobachtungsstudie
u.a. in folgenden Gehirnarealen ein signifikant geringeres Volumen
auf: im präfrontalen, parahippocampalen und zingulären Gyrus sowie im Praecuneus. Die Volumina des präfrontalen und parahippocampalen Gyrus sowie des Praecuneus korrelierten signifikant mit
der Konzentrationsfähigkeit und/oder dem visuellen Gedächtnis.
In der 3-Jahres-Nachbeobachtungsstudie fand man keine
solchen Unterschiede, und auch im Vergleich mit den gesunden
Probandinnen ergaben sich keine signifikant unterschiedlichen
Ergebnisse.
Schlussfolgerung: Die Autoren [3] folgern, dass eine adjuvante
Chemotherapie möglicherweise temporär die Struktur des Gehirns
beeinflusst und damit für die beobachteten kognitiven Schwächen
bei Mammakarzinom-Patientinnen verantwortlich sein könnte.
Kommentar
Mit der vorgestellten Studie [3] sind erstmals temporäre
Schwankungen der zerebralen Morphologie in Abhängigkeit
von einer adjuvanten Chemotherapie bei MammakarzinomPatientinnen beobachtet worden. Ferner konnte eine Korrelation zwischen unterschiedlichen regionären Hirnvolumina
und kognitiven Fähigkeiten nachgewiesen werden. Diese
Auffälligkeiten fand man bei den Patientinnen ein Jahr nach
der Chemotherapie, nach drei Jahren waren sie nicht mehr
nachzuweisen.
Die Interpretation dieser Ergebnisse für die klinische
Praxis muss jedoch mit kritischem Blick auf die methodischen
Beschränkungen der Studie erfolgen: Die Daten wurden zumindest zum Teil retrospektiv mit relativ kleinen Fallzahlen
erhoben; zudem stehen die Ergebnisse im Widerspruch zu
unlängst veröffentlichten Berichten derselben Arbeitsgruppe [6]. Ferner wurden die Patientinnen meist nicht mit einem
adjuvanten Chemotherapieprotokoll behandelt, das den derzeitigen Empfehlungen entspricht. So wurden zum Beispiel
78% der Patientinnen der 1-Jahres-Studie mit einem CMFRegime therapiert, nur 9,8 % erhielten eine anthrazyklinhaltige Kombination. Taxanhaltige Protokolle wurden nur bei
dreien der untersuchten Patientinnen eingesetzt. Nun aber
entsprechen anthrazyklin- bzw. taxanbasierte Regime dem
State-of-the-Art adjuvanter Chemotherapien, sodass die Bedeutung der Studie für die klinische Routine begrenzt ist.
704
Ein weiterer Kritikpunkt liegt darin begründet, dass die
Patientinnen, die eine adjuvante Chemotherapie erhielten,
signifikant häufiger auch mit einer endokrinen Therapie adjuvant behandelt wurden. Dies muss aber berücksichtigt werden, da kognitive Veränderungen sehr wohl auch im Zusammenhang mit antihormonellen Therapien beschrieben sind
[1]. Noch dazu ist bei Mammakarzinom-Patientinnen auch
bereits vor Beginn einer systemischen Therapie von neurologischen Auffälligkeiten berichtet worden [5].
Fazit: Die Ergebnisse der vorgestellten Studie [3] sind aufgrund methodischer Einschränkungen mit Vorsicht zu interpretieren.
Zukünftig muss der Einfluss einer adjuvanten Standardchemotherapie weiter auf Struktur und Funktion des ZNS
prospektiv untersucht werden. Hierzu sollten, am ehesten in
Longitudinalstudien, nicht nur entsprechende bildgebende
Verfahren, sondern auch neuropsychologische Untersuchungen angewendet werden. Eine Ausgangsuntersuchung vor
Einleitung einer systemischen Therapie muss ebenfalls eingeplant werden [2].
Es ist gesichert, dass für viele Patientinnen mit primärem Mammakarzinom eine adjuvante Chemotherapie einen
Überlebensvorteil bringt. Daher gilt es jetzt, potenzielle,
unter Umständen länger persistierende Nebenwirkungen si-
Strahlenther Onkol 2007 · No. 12 © Urban & Vogel
Literatur kommentiert
cher einschätzen zu können, damit betroffene Patientinnen
entsprechend beraten und behandelt werden können.
Literatur
1. Castellon SA, Silverman DH, Ganz PA. Breast cancer treatment and
cognitive functioning: current status and future challenges in assessment. Breast Cancer Res Treat 2005;92:199–206.
2. Eichbaum MH, Schneeweiss A, Sohn C. Smaller regional volumes of
gray and white matter demonstrated in breast cancer survivors exposed to adjuvant chemotherapy. Cancer 2007;110:224–5.
3. Inagaki M, Yoshikawa E, Matsuoka Y, et al. Smaller regional volumes
of gray and white matter demonstrated in breast cancer survivors
exposed to adjuvant chemotherapy. Cancer 2007;109:146–56.
4. Wefel JS, Lenzi R, Theriault RL, et al. The cognitive sequelae of
standard-dose adjuvant chemotherapy in women with breast carcinoma: results of a prospective, randomized, longitudinal trial. Cancer
2004;100:2292–9.
5. Wefel JS, Lenzi R, Theriault R, Buzdar AU, et al. ‘Chemobrain’ in breast
carcinoma?: a prologue. Cancer 2004;101:466–75.
6. Yoshikawa E, Matsuoka Y, Inagaki M, et al. No adverse effects of adjuvant chemotherapy on hippocampal volume in Japanese breast cancer
survivors. Breast Cancer Res Treat 2005;92:81–4.
Michael H.R. Eichbaum, S. Sohn, Heidelberg
Gekürzte Fassung der Publikation in
In|Fo|Onkologie 2007;10:265–6 (No. 4)
Sekundärprävention des Bronchialkarzinoms: Jährliches CT-Screening von
Risikogruppen reduziert die Mortalitätsrate nicht
Fragestellung und Hintergrund: Unter der Annahme, dass ein
Großteil der Krebsfälle durch eine Computertomografie (CT) der
Lunge frühzeitig entdeckt und somit gut behandelt werden kann,
untersuchte die vorliegende Studie [1], ob sich durch ein Screening gefährdeter Personengruppen die Mortalitätsrate reduzieren
lässt.
Patienten und Methodik: Insgesamt wurden 3 246 asymptomatische Raucher und ehemalige Raucher mit einem mittleren Alter von 60 Jahren und einer Raucheranamnese von im Mittel 39
Jahren in eine von drei Studien aufgenommen (USA/Italien).
Nach dem Eingangs-CT erfolgten jährliche CT-Kontrollen, wobei die mediane Nachsorgezeit 3,9 Jahre betrug. Alle CT-Untersuchungen wurden mit niedriger Dosis durchgeführt. Entdeckte
man nicht-kalzifizierte Knoten, wurden weitere bildgebende Verfahren eingesetzt und Biopsien entnommen. Die Tumorinzidenz
innerhalb der Studienpopulation wurde mit Referenzraten verglichen. Hierfür wurden Vorhersagemodelle für Hochrisikogruppen verwendet; insgesamt 460 Probanden erfüllten die hieran geknüpften Kriterien nicht und wurden ausgeschlossen.
Ergebnisse: Bei 144 Probanden wurde ein Bronchialkarzinom diagnostiziert. Erwartet hatte man 44,5 Fälle; dies entspricht einem
relativen Risiko (RR) von 3,2 (p < 0,001). Bei 109 Probanden wurden Lungenteilresektionen vorgenommen; 10,9 Fälle waren vorausberechnet worden (RR 10,0; p < 0,001). Es wurden mit 42 Lungenkarzinomen im fortgeschrittenen Stadium (davon 27 NSCLC,
Stadium III/IV und 15 SCLC) nicht weniger Fälle diagnostiziert
als erwartet (33,4 vorausberechnete Fälle). Ebenso wenig wurden
weniger lungenkrebsassoziierte Todesfälle verzeichnet (38 Todesfälle: 12 NSCLC, Stadium I/II; 13 im Stadium III/IV, bei 38,8
erwarteten Todesfällen, RR = 1,0; p = 0,90).
Die 2-Jahres-Überlebensrate, aufgeschlüsselt nach Tumorart und Stadium, lag leicht über den Referenzwerten. 67% der
Lungentumoren entdeckte man in einem frühen Stadium mit entsprechend guter Prognose. Hier kam es im Verhältnis nur zu wenigen, nämlich zu zwölf Todesfällen (13%, Diagnose: NSCLC).
Jedoch starben allein 13 Probanden (34%) an einem fortgeschrittenen NSCLC.
Es gab in keiner der drei Studien einen Hinweis auf ein durch
das Screening vermindertes Mortalitätsrisiko. Auch das Zeit-intervall zwischen den Kontrolluntersuchungen dürfte keinen Einfluss auf das Resultat gehabt haben. Wäre nur das erste Jahr in die
Mortalitätsstatistik eingeflossen, so hätte das CT-Screening die
Lungenkrebssterblichkeit um 20% gesenkt, allerdings wäre das
Ergebnis statistisch nicht signifikant gewesen (RR 0,8; p = 0,18).
Schlussfolgerung: Mit einem Screening-Programm per Computertomografie der Lunge kann zwar die Rate der entdeckten und
damit behandelten Lungentumoren erhöht werden, das Mortalitätsrisiko bzw. das Risiko für eine Diagnosestellung erst im fortgeschrittenen Erkrankungsstadium kann jedoch nicht reduziert werden. Von einem Screening asymptomatischer (ehemaliger) Raucher wird daher außerhalb der klinischen Forschung abgeraten.
Kommentar
Die vorgestellte Arbeit [1] zeigt deutlich, dass bei fortgeschrittenen, asymptomatischen Lungentumoren ein Vorsorgeprogramm mit Niedrigdosis-Computertomografie zurzeit
Strahlenther Onkol 2007 · No. 12 © Urban & Vogel
wenig helfen würde – nicht einmal bei Hochrisikogruppen
(z.B. langjährige schwere Raucher). Dieses Resultat wird
durch eine umfassende Arbeit von Black et al. [3] gestützt:
705
Literatur kommentiert
Sie schlossen zwölf Studien in ihre Untersuchung zur frühzeitigen Entdeckung von Lungenkrebs mittels Computertomografie ein. Auch sie fanden keine Reduktion der Lungenkrebsmortalität. Zwar wird eine große Anzahl an Tumoren
im Stadium I und an resezierbaren Tumoren entdeckt; dies
hat aber keine Auswirkung auf die Mortalitätsrate.
Bach et al. [2] weisen in einem Literaturüberblick auf
einen weiteren Aspekt hin: die „Über-Diagnostik“, die durch
die Entdeckung von kleinen Lungenläsionen bedingt ist. Gemeint sind Läsionen, die nicht wachsen oder sich ausbreiten
und nicht zum Tod führen; bei Autopsien stellen sie nicht
selten einen Zufallsbefund dar. Ihre Entstehungsgeschichte
ist noch nicht geklärt [4].
Nicht zu vernachlässigen sind auch die potenziell negativen Auswirkungen der Computertomografie selbst und
das erhöhte Mortalitätsrisiko bzw. die Komplikationsraten
nachfolgender chirurgischer Eingriffe, worauf auch Bach et
al. [2] hinweisen.
Silvestri et al. [5] sehen ein weiteres Problem darin, dass
längst nicht jeder Raucher an einem Massen-Screeningprogramm teilnehmen würde. In ihrer Befragungsstudie stellten
sie zudem fest, dass nur die Hälfte der befragten Raucher
angesichts der Screeningdiagnose „Lungenkrebs” auch einer
chirurgischen Behandlung zustimmen würde.
genkrebs senken kann [6]. Das Mittel der Wahl kann nur eine
randomisierte, kontrollierte Studie sein, die den Nutzen und
die möglichen negativen Effekte einer CT-Vorsorgeuntersuchung in Hochrisikogruppen belegt. Eine solche Studie läuft
zurzeit in den USA und in Europa [7].
Literatur
1. Bach PB, Jett JR, Pastorino U, et al. Computed tomography screening
and lung cancer outcomes. JAMA 2007;297:953–61.
2. Bach PB, Kelley MJ, Tate RC, McCrory DC. Screening for lung cancer:
a review of the current literature. Chest 2003;123 (1 Suppl):72S–82S.
3. Black C, de Verteuil R, Walker S, et al. Population screening for lung
cancer using computed tomography, is there evidence of clinical
effectiveness? A systematic review of the literature. Thorax 2007;
62;131–8.
4. Black WC, Baron JA. CT screening for lung cancer: spiraling into confusion? JAMA 2007;297;995–7.
5. Silvestri GA, Nietert PJ, Zoller J, et al. Attitudes towards screening
for lung cancer among smokers and their non-smoking counterparts.
Thorax 2007;62;126–30.
6. Spiro SG. Screening for lung cancer: yet another problem. Thorax
2007;62;105–6.
7. Van Iersel CA, de Koning HJ, Draisma G, et al. Risk-based selection from
the general population in a screening trial: selection criteria, recruitment and power for the Dutch-Belgian randomised lung cancer multislice CT screening trial (NELSON). Int J Cancer 2006;120;868–74.
Lothar R. Pilz, Heidelberg
Fazit: Es muss zunächst nachgewiesen werden, dass ein CTScreening die krankheitsspezifische Mortalitätsrate bei Lun-
Erstmals publiziert in In|Fo|Onkologie 2007;10:258–9 (No. 4)
Voraussage der Strahlenpneumonitis nach Thoraxbestrahlung: Dosis-VolumenKorrelationen
Fragestellung und Hintergrund: Die Arbeit von Schallenkamp et
al. [4] identifiziert mit den Mitteln der modernen Bestrahlungsplanung Parameter der räumlichen Dosisverteilung, die für die
Auslösung einer klinisch manifesten Strahlenpneumonitis relevant sind.
Patienten und Methodik: 99 an der Mayo-Klinik behandelte Patienten mit Bronchialtumoren wurden retrospektiv analysiert.
Die Patienten erhielten eine dreidimensionale Therapieplanung
und wurden mit Vier-Felder-Techniken bestrahlt. Unter den Patienten mit einer klinisch relevanten Pneumonitis (zwölf Fälle
von 92 auswertbaren Patienten; 13%) wurde die Korrelation verschiedener Bestrahlungsparameter – in Abhängigkeit vom Gesamtvolumen der Lunge mit/ohne „gross tumor volume“ (GTV)
sowie mit/ohne Heterogenitätskorrektur – mit dem Auftreten
einer Pneumonitis ≥ Grad 2 nach CTC (Common Toxicity Criteria) v2.0 (≥ Grad 3 nach RTOG) ermittelt.
Ergebnisse: Unter Einbeziehung des Gesamtlungenvolumens waren folgende Parameter signifikant mit dem Risiko, eine Pneumonitis zu erleiden, korreliert: mittlere Lungendosis, Volumina
706
(Vx), die mit mindestens einer bestimmten Dosis x belastet wurden (V10, V13, V15, V20, V30), Veff.
Wenn das GTV vom totalen Lungenvolumen abgezogen
wurde, ging die Signifikanz bei mittlerer Lungendosis, Veff, V20
und V30 verloren. Die Ergebnisse mit bzw. ohne Heterogenitätskorrektur waren vergleichbar. Weitere Faktoren wie Geschlecht,
Rauchen, Lungenfunktionsparameter etc. trugen nicht signifikant
zur Voraussage bei.
Die weitergehende Analyse der Sensitivität/Spezifität der
Parameter mittels der Fläche unter den entsprechenden ROCKurven („receiver-operating characteristics“) zeigte, dass die
(klinische) Pneumonitis am besten mit den V10-, V13- und
V15-Volumina vorausgesagt werden kann und die Berücksichtigung der Heterogenitätskorrektur den prädiktiven Wert erhöht. Die Autoren erstellten eine Tabelle, in der das Risiko
einer radiogenen Pneumonitis in Stufen < 10%, 10–20% und
> 20% in Abhängigkeit von V10–V20 (unter Verwendung des
Gesamt- bzw. Restlungenvolumens ohne Tumor mit/ohne Heterogenitätskorrektur) abgeschätzt wurde. Einen für die Praxis
relevanten Auszug aus dieser Tabelle von Schallenkamp et al. [4]
enthält Tabelle 1.
Strahlenther Onkol 2007 · No. 12 © Urban & Vogel
Literatur kommentiert
Vx
V10
V13
V15
V20
Pneumonitisrisiko
0–9%
10–20%
> 20%
< 32%
< 29%
< 27%
< 21%
> 43%
> 39%
> 34%
> 31%
32–43%
29–39%
27–34%
21–31%
Beispiel: Beträgt das mit ≥ 20 Gy bestrahlte Volumen mehr als 31% des funktionellen
Gesamtvolumens (Gesamtvolumen minus GTV), so ist von einem Pneumonitisrisiko
> 31% auszugehen
Schlussfolgerungen: Die Voraussagemöglichkeit einer klinischen
Pneumonitis mittels Dosis-Volumen-Parametern ist gegeben. Die
Korrelation, vor allem für Volumina mit relativ niedrigen Do-
Tabelle 1. Pneumonitisrisikogruppen und Lungenvolumenparameter
für das Gesamtlungenvolumen abzüglich des Tumorvolumens (GTV),
mit Heterogenitätskorrektur. Vx: Anteil des Lungenvolumens, das mit
≥ x Gy bestrahlt wird.
sen (V10, V13 und V15), ist besser, wenn Heterogenitätskorrekturen erfolgen und das Gesamtlungenvolumen um das GTV
reduziert wird, also der Bezug auf das funktionell wirksame Volumen erfolgt. Niedrigere Dosen sind, wenn sie große Volumina
betreffen, kritischer in Bezug auf die Induktion einer klinischen
Pneumonitis als hohe Dosen in kleinen Volumina. Die Autoren
raten deshalb zur Vorsicht bei der Planung einer intrathorakalen Strahlentherapie bei Techniken, die große Lungenvolumina mit niedrigen Dosen exponieren (z.B. intensitätsmodulierte
Strahlentherapie).
Kommentar
Die Anzahl der Arbeiten zur Bedeutung von Dosis-Volumen-Parametern für das Risiko von Nebenwirkungen, speziell in der Lunge, ist inflationär; in diese Literatur reiht sich
die Arbeit von Schallenkamp et al. [4] mit 92 retrospektiv
analysierten Patienten ein. Während sich jedoch die Mehrzahl der Studien auf radiologische Veränderungen ohne klinische Bedeutung bezieht, stellt diese Arbeit interessante
Überlegungen zur Voraussage einer klinisch relevanten
Pneumonitis dar. Radiologische Veränderungen treten im
Wesentlichen unabhängig vom bestrahlten Volumen auf;
im Gegensatz dazu ist die klinische Symptomatik eindeutig volumenabhängig [2]. In die Analyse von Schallenkamp
et al. [4] wurden ausschließlich klinische Fälle (≥ Grad 2
CTC v2.0/≥ Grad 3 RTOG) innerhalb von 6 Monaten nach
Ende der Strahlentherapie einbezogen. Die Häufigkeit entspricht mit 13% der klinischen Erfahrung bei diesem Krankengut.
Für die klinische Manifestation einer Pneumonitis sind
natürlich das Gesamtvolumen der tumorfreien Lunge sowie die Dosisverteilung in diesem Volumen von entscheidender Bedeutung. In diesem Sinne ist auch zu verstehen,
dass besonders gute Voraussagen möglich sind, wenn die
ohnehin für die Lungenfunktion ausgefallenen Bereiche
des Tumorvolumens vom Gesamtlungenvolumen abgezogen und die entsprechenden Heterogenitätskriterien
berücksichtigt werden (was heute bei Nutzung moderner
Bestrahlungsplanungssysteme eigentlich selbstverständlich
sein sollte).
Die o.g. Tabelle zum Pneumonitisrisiko (Auszug in Tabelle 1) in Abhängigkeit von den Dosis-Volumen-Parametern sagt beispielsweise für ein V10 von 32–43% ein Pneumonitisrisiko von 10–20% vorher. Bei kleineren Volumina
ist die Inzidenz entsprechend geringer: Ist V10 < 32%, wie
dies beispielsweise bei der Strahlentherapie von Mammakarzinomen der Fall ist, ergibt sich ein Risiko zwischen 0%
Strahlenther Onkol 2007 · No. 12 © Urban & Vogel
und 9%. Dies entspricht der klinischen Erfahrung [1]. Somit
scheinen die von den Autoren angegebenen Risikoabschätzungen auch auf die Therapie anderer Tumorentitäten übertragbar.
Die Analysen verdeutlichen indirekt auch den Wert
der funktionellen Bildgebung mit aktuellen, beispielsweise
nuklearmedizinischen Verfahren, die es ermöglichen, funktionslose Areale zu identifizieren. So kann man versuchen,
bei der Bestrahlungsplanung die Normalgewebsdosis unter
Schonung „gesunder“ Lungenanteile auf genau diese Volumina zu konzentrieren. Dadurch verschieben sich die DosisVolumen-Parameter für das funktionale Lungenvolumen in
eine positive Richtung.
Interessant ist auch die Schlussfolgerung der Autoren,
dass die klinisch relevante Pneumonitis stärker ausgeprägt
ist, wenn große Volumina mit kleiner Dosis („a little to a
lot“) belastet werden. Hierzu gibt es u.a. aktuelle Ergebnisse aus experimentellen Studien im Rattenmodell [3].
Diese Untersuchungen zeigen für die klinisch relevante
Pneumonitis ebenfalls eindeutig, dass es besser ist, die Dosis auf wenige kleine Eintrittspforten zu verteilen und diese
hoch zu belasten (mit der Sicherheit einer kleinvolumigen
röntgenologischen Pneumonitis ohne klinische Relevanz)
als mit komplexen Bestrahlungstechniken große Volumina,
wenn auch mit niedriger Dosis, zu bestrahlen. Dies gründet sich in den angeführten tierexperimentellen Untersuchungen auf eine unterschiedliche Beteiligung verschiedener pathologischer Komponenten: Während bereits bei
niedrigen Dosen eher das Gefäßsystem der Lunge betroffen
ist (mit entsprechenden funktionellen Konsequenzen), tritt
bei hohen Dosen die Parenchymreaktion in den Vordergrund.
Jedoch existiert zu der genannten Thematik auch eine
Reihe widersprüchlicher Ergebnisse, so dass diese Frage derzeit nicht abschließend mit Sicherheit beantwortet werden
707
Literatur kommentiert
kann. Hier sind weitergehende, vor allem auch ausreichend
dimensionierte, prospektive klinische Studien von essentieller Bedeutung.
Literatur
1. Dörr W, Bertmann S, Herrmann T. Radiation-induced lung reactions in
breast cancer therapy. Modulating factors and consequential effects.
Strahlenther Onkol 2005;181:567–73.
2. Herrmann T, Baumann M, Voigtmann L, et al. Effect of irradiated volume on lung damage in pigs. Radiother Oncol 1997;44:35–40.
3. Novakova-Jiresova A, van Luijk P, van Goor H, et al. Changes in expression of injury after irradiation of increasing volumes in rat lung.
Int J Radiat Oncol Biol Phys 2007;67:1510–8.
4. Schallenkamp JM, Miller RC, Brinkmann DH, et al. Incidence of radiation pneumonitis after thoracic irradiation: dose-volume correlates.
Int J Radiat Oncol Biol Phys 2007;67:410–6.
Thomas Herrmann, Wolfgang Dörr, Dresden
Die in diesem Jahr in der Rubrik „Literatur kommentiert“ erschienenen Beiträge
sind online verfügbar unter www.degro.org
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Strahlenther Onkol 2007 · No. 12 © Urban & Vogel