Deutsche Polizei_08_2015_S. 35

RÜCKBLENDE
haben.“) beließ es nicht nur beim Vortrag aus Edschmids Buch, er schilderte seine persönlichen Erinnerungen
an die nächtliche Schießerei auf dem
Gremberger Parkplatz, von der er in
London durch einen Telefonanruf von
Frau Edschmid erfahren hatte: „Ich habe damals die Tat nicht begriffen. Sie
erschien mir sinnlos.“
Bewegende Erinnerungen
Den wechselnden Vorlesungsteil
übernahm Udo Behrendes, der in mühevoller Arbeit im Vorfeld zahlreiche
Polizeikollegen von Walter Pauli, vor
allem auch die, welche bei der nächtlichen Schießerei zugegen waren, aber
auch Jugendfreunde von Walter Pauli
interviewt hatte. Tief berührende und
bewegende Erinnerungen allesamt und
vor allem auch die Erinnerung daran,
dass es damals innerhalb der Polizei weder Nachbereitung, Aufarbeitung, noch
psychologische Betreuung traumatisierter Polizisten gab. Nur eine dieser Erinnerungen sei hier zitiert: „Niemand hat
mir damals irgendwelche Gesprächsoder Hilfsangebote gemacht. Ich kann
mich aber noch an den Kontakt in der
Nacht mit dem damaligen Schutzbereichsleiter erinnern, den man zuhause
alarmiert hatte. Der stand zitternd vor
mir und sagte: ‚Ich kann Ihnen nicht
helfen, ich bin zu nervös‘.“
Menschen entschlüsseln
Ein Kriminalpsychologe erklärt, wie man spezielle Analyseund Profilingtechniken im Alltag nutzt
Das Wort „populärwissenschaftlich“
kennzeichnet Bücher nicht nur, es stigmatisiert sie regelrecht. Dabei ist nicht
zu verhehlen, dass genau diese Art von
Fachliteratur viel lieber gelesen wird
als wissenschaftliche Abhandlungen,
die als Standartwerk ein ausgewähltes
Fachpublikum jubeln lassen. Und gerade Verhaltensweisen von Menschen
Längst überfällig
Für viele Anwesende war die Veranstaltung ein längst überfälliger Beginn
einer Auseinandersetzung mit dieser
Zeit. Nicht zuletzt auch dadurch, weil
deutlich wurde, wie sich aus ernsthaftem Zuhören Veränderungen einer
Sichtweise aus der Erinnerung heraus
entwickeln können. Dass gleichwohl
Zweifel bleiben, gab ein Polizeibeamter während einer Diskussionsrunde
zu bedenken: „Bis heute verstehe ich
nicht das RAF-Schweigegebot, weil es
Aufarbeitung verhindert.“
Bleibt noch ein Nachtrag. Wie so oft
fehlte es den Veranstaltern an Geld,
um die Veranstaltung durchführen zu
können. Der nordrhein-westfälische
SPD-Landtagsabgeordnete Andreas
Kossiski, ein gelernter Polizeibeamter
und früher Vorsitzender der GdP-Kreisgruppe Köln, trug letztlich mit einer
größeren Spende zur Realisierung bei.
Keine Selbstverständlichkeit und deshalb erwähnenswert.
möchten wir alle verstehen und nachvollziehen können.
Der Kriminalpsychologe Jens Hoffmann will seinen Lesern genau diesen Wunsch erfüllen. Der Titel seines
Buches „Menschen entschlüsseln – Ein
Kriminalpsychologe erklärt, wie man
spezielle Analyse- und Profilingtechniken im Alltag nutzt“ verursacht zunächst gemischte Gefühle: mal wieder
„Profiling“… Wen möchte der Autor
denn damit noch begeistern? Teenager
und Anhänger amerikanischer Krimiserien? Hoffmann kennt diese Ressentiments – denn er findet sie berechtigt
und räumt direkt zu Beginn mit den
völlig überzogenen Vorstellungen von
„Profiling“ und „Profilern“ auf. Stattdessen stellt er in den Buchkapiteln 15
unterschiedliche Persönlichkeitsstile
vor, erklärt, wie man diese besser erkennen kann und welche Motive für
den einzelnen Stil zentral sind. Persönlichkeitsstile geben Hinweise auf Kommunikations- und Kontaktverhalten
sowie Lebensmuster und zentrale Themen einer Person. In veränderlichen
Gewichtsanteilen prägen sie jeden von
uns, wobei 2 der 15 Persönlichkeitsstile
bei einem Menschen dominant sind.
Können diese identifiziert werden, sind
Verhaltensmuster leichter zu erkennen
und zu verstehen – bei Menschen in
unserem Umfeld, aber auch unsere
eigenen. In diesem Rahmen werden
Lügenerkennung und das Entlarven
emotionaler Manipulation behandelt,
es ist jedoch kein Schwerpunkt. Der
Autor warnt am Ende der Lektüre davor, die Menschen nun einfach wie in
ein Schubladensystem einzusortieren.
So einfach ist es nicht und kann es auch
gar nicht sein. Vielmehr soll das im
Buch vermittelte Wissen unsere Wahrnehmung schärfen und zur genaueren
Beobachtung der Verhaltensmuster
von Mitmenschen anhalten. Gerade
Polizisten sammeln täglich neue Erfahrungen im Umgang mit Menschen
und können Hoffmanns Erklärungen
auf Situationen im Beruf, aber auch
im Alltag übertragen. Auf dieser Basis
lässt sich die eigene Menschenkenntnis
effektiv trainieren.
Hoffmanns Buch zu lesen macht
große Freude. Zum einen erquicken
den Leser immer wieder diese Momente, in denen man sich an Verhaltensweisen von Kollegen, Freunden
oder des unbekannten Gegenüber erinnert und sie zuordnen kann. Zum anderen lockern die Beispiele realer Fälle
und Anekdoten zu berühmten Personen
die anspruchsvolle Materie unheimlich
auf. Insgesamt halten Fachlichkeit und
Wissenschaft eine schöne Balance mit
der auf angenehme Weise nicht überladenen Sprache. Das Buch ist definitiv
populärwissenschaftlich – und das im
besten Sinne.
Dr. Dorothee Dienstbühl
Menschen entschlüsseln,
Jens Hoffmann, mvg Verlag, 201 Seiten,
12,99 Euro, ISBN 978-3868825640
8– 2015 DEUTSCHE POLIZEI
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