Unterlassene Hilfeleistung

9 Un te rlas se ne Hil f eleis tung
Gernot Brauchle
9.1 Der Zuschauereffekt
Gut zu wissen
Treten Notfälle oder gewalttätige Übergriffe auf, zeigt
Beide Phänomene treten nicht immer auf. Bei eindeu-
sich in manchen Situationen, dass Personen, die sich
tigen Notfällen erfolgt die Hilfeleistung unabhängig von
zufällig in der Nähe befinden, einfach nur „herumstehen“
der Anzahl der Zuschauer. Auch wenn sich die Gruppen-
und „zuschauen“, ohne einzuschreiten oder Hilfe zu leis-
mitglieder untereinander kennen, erfolgt die Hilfelei-
ten. Dieses Phänomen wird als Zuschauereffekt oder
stung spontan. Vor allem aber Personen, die die Effekte
„Bystander-Apathy-Effekt“ bezeichnet. Dabei zeigt sich,
von pluralistischer Ignoranz und Verantwortungsdiffusi-
dass je mehr Personen nicht handelnd tätig werden und
on kennen, fühlen sich in unklaren Situationen verant-
zuschauen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit,
wortlich, greifen bei gewalttätigen Übergriffen schneller
dass überhaupt jemand aktiv wird und eingreift.
ein oder fragen eher nach, ob jemand Hilfe benötigt.
Kinder, Jugendliche und Erwachsene können also lernen, dass nachdem man etwas Seltsames bemerkt hat,
9.2 Pluralistische Ignoranz und
man aktiv nachfragen muss, ob jemand Hilfe braucht,
Verantwortungs diffusion
um sich dann bewusst zu sein, dass es in ihrer Verantwortung ist zu handeln – und nicht in der Verantwortung
Pluralistische Ignoranz ist ein Phänomen, bei dem Zu-
von jemand anderem! Im Schulkontext zur Verringe-
schauer davon ausgehen, dass beispielsweise bei
rung von Mobbing werden solche Programme als Anti-
einem gewalttätigen Übergriff oder einem Notfall alles
Bullying-Programme bezeichnet und zeigen eine hohe
in Ordnung ist, weil keiner der Umstehenden sich be-
Wirksamkeit mit positiven psychologischen, sozialen
sorgt zeigt. Sind Zuschauer unsicher, ob eine Situation
und schulischen Folgen – vor allem bei Opfern.
ein Notfall ist oder ob jemand Unterstützung und Hilfe
braucht, orientieren sie sich am Verhalten der anderen. Das bedeutet, dass sich vor allem in mehrdeutigen
Bitte beachten Sie dazu das Heft Krisen,
!
Kapitel 2 (Cyber-)Mobbing
Situationen Personen in Gruppen in einem Zustand pluralistischer Ignoranz befinden und einer den anderen
davon „überzeugt“, dass alles in Ordnung ist. Mit der
Literatur
Anzahl der Zuschauenden („Gaffer“) sinkt gleichzeitig
das Verantwortungsgefühl des Einzelnen. Diese Unsicherheit, ob man als Einzelner verantwortlich ist und
handelnd eingreifen sollte, wird Verantwortungsdiffusion genannt.
UÊ ˆiÀ«Ž>]Ê>˜vÀi`Ê­ÀÃ}°®\ʟ}ˆV…ŽiˆÌi˜Ê`iÀÊiÜ>Ì«ÀBvention, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005
UÊ ÌÌi]ʘ}i>ÆÊۜ˜Ê->ˆÃV…]Ê>Àˆ>Ê­ÀÃ}°®\ÊØ}i˜]ÊBÃÌiÀ˜]Ê
Leiden lassen, Kohlhammer, Stuttgart 2005
UÊ -ÌÀœiLi]Ê7œv}>˜}Ê­ÀÃ}°®\Ê-œâˆ>«ÃÞV…œœ}ˆi°Ê
Mögliche Folgen
Eine Einführung, 4. Auflage, Springer, Berlin 2002
Zuschauende („Gaffer“) verringern die Aufmerksamkeit
von Personen in Gruppen und veranlassen uns dazu,
die Situation nicht als Notfall zu interpretieren (pluralis-
Aktive Links auf www.edyoucare.net
tische Ignoranz). Zuschauerinnen und Zuschauer erhö-
zu diesem Thema:
hen die Verantwortungsdiffusion („Damit habe ich nichts
zu tun“) und führen zu Delegationsgedanken („Andere
www.bmukk.gv.at/medienpool/13866/
sollen helfen“). Zuschauende erhöhen das Gefühl der
peermed06.pdf
Unangemessenheit von Handlungen („Was ich machen
Leitfaden – Peer_Mediation in Schulen
könnte, hilft denen sowieso nicht“) und verringern so die
Hilfsbereitschaft.
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Hintergrund
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