„Die Wahrheit stirbt nicht in den Flammen!“ (Jan Hus) Gottesdienst zum Gedenken an Jan Hus und seinen Märtyrertod am 6. Juli 1415 mit einer Predigt über 1. Petrus 4, 12 am Sonntag, 5. Juli 2015 (600. Todestag) Evangelische Kirche Spielberg, Pfarrer Theo Breisacher * Begrüßung: „Ihr Lieben, lasst euch durch die Hitze nicht befremden, die euch widerfährt zu eurer Versuchung, als widerführe euch etwas Seltsames, sondern freut euch, dass ihr mit Christus leidet, damit ihr auch zur Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben mögt.“ Mit diesen Worten aus dem 1. Petrusbrief möchte ich Sie alle ganz herzlich zu unserem Gottesdienst begrüßen! Es sind ernste Worte zu Beginn eines Gottesdienstes. Johannes Hus – oder Jan Hus, wie er eigentlich heißt – hat das vor 600 Jahren auf schmerzliche Weise erlebt: Am 6. Juli 2015 wurde er in Konstanz als angeblicher Ketzer verbrannt. Bis zuletzt wurde er von seinen Gegnern bedrängt, doch endlich zu widerrufen und so dem grausamen Tod zu entgehen. Doch Jan Hus konnte und wollte nicht widerrufen: Es wäre für ihn ein Verrat an der Wahrheit und an seinem Lebenswerk gewesen. Jan Hus – gemalt von Johann Agricola im Jahr 1562 – 150 Jahre nach seinem Tod Das Wort Jesu aus Johannes 8 war ihm so etwas wie ein Lebensmotto: „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Einer seiner besten Freunde und Mitstreiter hat sich später von Jan Hus abgewendet, weil er seinen Weg nicht mehr weitergehen wollte. Über ihn schreibt Jan Hus einmal folgendes: „Freund Paletsch, Freundin Wahrheit: Wenn beide Freunde sind, dann ist es die heilige Pflicht, die Wahrheit vorzuziehen“. („Damals“, 21) Lange vor seinem Märtyrertod schrieb Jan Hus in einem Kommentar zu diesem Bibelvers einmal folgendes: „Darum, frommer Christ, suche die Wahrheit, höre auf die Wahrheit, lerne die Wahrheit, liebe die Wahrheit, sprich die Wahrheit, halte die Wahrheit, verteidige die Wahrheit bis zum Tode, denn die Wahrheit befreit dich von der Sünde, vom Teufel, vom Tod der Seele und schließlich vom ewigen Tod.“ („Damals“, 23) Von seiner Heimat Tschechien abgesehen, blieb das Wirken von Jan Hus leider nur eine Episode der Geschichte: Er predigte zwar 15 Jahre lang gegen die Missstände seiner Zeit. Doch Anhänger fand er nur in seiner Heimat. Erst 100 Jahre später – ab dem Jahr 1517 – begann eine Reformbewegung die ganz Europa erfasste und in deren Folge die 1 evangelische Kirche entstand. Und im Zentrum der Kritik stand bei Martin Luther und bei Jan Hus interessanterweise genau das gleiche Thema: der unselige Ablasshandel mit den Sünden der Menschen. Weshalb allerdings die 95 Thesen von Martin Luther so etwas wie eine Lawine auslösten, die Predigten von Jan Hus nur in seiner Heimat gehört wurden, das weiß Gott allein. Vielleicht war die Zeit im Jahr 1415 einfach noch nicht reif genug. fragen sollten auch Jan Hus prägen. Geboren im Jahr 1330 – also rund 40 Jahre vor Jan Hus – kritisierte John Wyclif die Heiligenverehrung, die Verehrung von Reliquien und die Pflicht zum Zölibat der Priester. Außerdem hielt John Wyclif die Verwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu für falsch. Diese sogenannte Transsubstantiationslehre – also die Verwandlung der Elemente in Leib und Blut Jesu – ist auch heute noch ein wesentlicher Bestandteil der katholischen Abendmahlslehre. Dennoch bleibt Jan Hus für alle Zeiten ein Vorbild für uns Christen in seiner Liebe zum Wort Gottes, in seiner Aufrichtigkeit und in seiner Bereitschaft, der Wahrheit treu zu bleiben bis zur letzten Konsequenz. Deshalb dieser Gottesdienst im Gedenken an einen bedeutenden Christen – einem „Morgenstern“ der Reformation, wie er später manchmal bezeichnet wurde. – Genau diese Kritikpunkte und theologischen Fragen stießen auch bei Jan Hus auf offene Ohren. Außerdem war es John Wyclif ein großes Anliegen, dass die Menschen die Botschaft der Bibel in ihrer Muttersprache lesen und hören können. Manche kennen vielleicht die große Bibelübersetzungsgesellschaft aus unserer Zeit, die ganz bewusst den Namen von John Wyclif gewählt haben: die Wyclif-Bibelübersetzer. * Hinführung – Biografisches Ich erzähle das an der Stelle deshalb so ausführlich, weil bereits John Wyclif mit seinen Predigten und Schriften in einen heftigen Konflikt mit der damaligen katholischen Kirche geriet. Doch hatte er starke Unterstützer – außerdem war England weit weg von Rom. Erst 1412 – drei Jahre vor dem Tod von Jan Hus – wurden seine Schriften als häretisch erklärt. Zunächst ein paar Geschichtliche Daten zu Jan Hus: Um das Jahr 1370 kommt Jan Hus in Husinec in Südböhmen, dem heutigen Tschechien, zur Welt. Heute ist es eine Stadt, kaum größer als Spielberg. Nicht weit von Passau entfernt. Er wird auf den Namen Johannes getauft, von seinen Eltern aber Jan gerufen. Seine Familie ist arm; sein Vater ist von Beruf Fuhrmann. Sonst weiß man vom Vater nichts. Seine Mutter war allerdings eine fromme Frau: Schon früh hat sie ihren Sohn Jan für die Priesterlaufbahn bestimmt. Das war damals für arme Kinder eine der wenigen Möglichkeiten zum wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg. Aus diesem Grund kam Jan Hus schon früh in die Lateinschule. Bereits mit 17 Jahren ging er dann zum Studium der Theologie und der Philosophie nach Prag. Im Mai 1415 – wenige Wochen vor dem Tod von Jan Hus – wurde auch Wyclif auf dem Konzil von Konstanz zum Ketzer erklärt und angeordnet, seine Gebeine 30 Jahre nach seinem Tod auszugraben und zu verbrennen. Da sich Jan Hus in vielem auf die Schriften von John Wyclif berief, sah man in Konstanz gar nicht die Notwendigkeit, sich mit den einzelnen Schriften von Jan Hus auseinanderzusetzen: Wer Sympathien mit einem Ketzer hegte, konnte selber nur ein Ketzer sein – selbst wenn er nicht dessen vollständige Lehre übernahm. – Jan Hus war zeitlebens nicht nur ein durch und durch aufrichtiger Mensch, sondern auch sehr selbstkritisch. Er schreibt einmal über seine Pläne, Priester zu werden: „Als Schüler hatte ich vor, bald Priester zu werden, um eine gute Wohnung und Kleidung zu haben und von den Menschen geschätzt zu werden. Aber dieses böse Begehren erkannte ich, sobald ich die Schrift verstanden hatte.“ Doch blenden wir wieder zurück ins Jahr 1400: In diesem Jahr wurde Jan Hus zum Priester geweiht. Schon zwei Jahre später wurde er Prediger in der Bethlehemskapelle in Prag: einer der wichtigsten Kirchen in der Stadt. Und genau wie John Wyclif war es ihm ein Anliegen, dass die Menschen die Bibel in ihrer tschechischen Muttersprache lesen und hören können. Predigen war die große Begabung von Jan Hus, und so kamen immer mehr Ab dem Jahr 1398 beschäftigte er sich intensiv mit den Schriften des Engländers John Wyclif: Dessen Kritik an den Missständen in der Kirche und an einzelnen theologischen Lehr- 2 Menschen zu den Gottesdiensten des beliebten Magisters. Sogar sein Erzbischof war von Jan Hus zunächst sehr angetan: Dieser war ein junger Aristokrat, hatte von Theologie allerdings wenig Ahnung. So war es damals leider üblich, dass leitende Ämter in der Kirche keinen versierten Theologen übertragen wurden, sondern Personen mit Einfluss und Macht. Nicht selten flossen auch große Summen an die Kirche, um solche Ämter überhaupt zu erhalten. Damit war aber zugleich vorprogrammiert, dass der Erzbischof gar nicht in der Lage war, mit seinem aufmüpfigen Magister theologisch zu argumentieren. Der Konflikt verlagerte sich ziemlich schnell auf die Ebene von Macht und Gewalt. Und da konnte ein Kämpfer für das Wort nur den Kürzeren ziehen. Vater Unsers, des Glaubensbekenntnisses und der zehn Gebote. Trotz seines großen Erfolges in seiner Heimat und einer großen Fangemeinde wurde Jan Hus bereits im Jahr 1410 – da war er gerade mal zehn Jahre lang Pfarrer und Priester – exkommuniziert, also aus der Kirche ausgeschlossen. Er wird – wie später Martin Luther – mit dem Bann belegt und musste aus Prag fliehen. Von 1412 bis 1414 fand Jan Hus Schutz und Zuflucht auf den Burgen von wohlwollenden Adligen – auch das eine Parallele zu Martin Luther später. In dieser Zeit verfasste Jan Hus zahlreiche theologische Schriften – unter anderem eine Auslegung des Es gab drei große Themen: Man wollte auf dem Konzil die Einheit der Kirche wieder herstellen: statt drei Päpsten sollte nur einer an der Spitze der Kirche stehen. Zweitens wollte man sich über notwendige Reformen Gedanken machen. Und schließlich sollten Lehrstreitigkeiten geklärt werden: zum Beispiel die Auseinandersetzung mit den Lehren von Jan Hus oder John Wyclif beispielsweise über das Abendmahl. Jan Hus war also bei weitem nicht das Hauptthema. Schon kurz nach seiner Ankunft wurde er unter einem Vorwand gefangen gesetzt: Damit war sein Schicksal im Einer Vorladung nach Rom hatte sich Jan Hus noch widersetzt. Schließlich ließ er sich vom deutschen König Sigismund überreden, nach Konstanz zum Konzil zu reisen, um dort den Vorwurf der Ketzerei zu widerlegen. Dabei sicherte ihm König Sigismund ausdrücklich freies Geleit zu – nach Konstanz und wieder zurück. Jan Hus glaube an den Sieg der Wahrheit: Deshalb reiste er in der Hoffnung nach Konstanz, dort Gelegenheit zur Verteidigung seiner Lehren zu bekommen. Doch die Stimmung auf dem Konzil war eine ganz andere: Letzten Endes hatte man keine Lust zu einem fairen biblisch-theologischen Streitgespräch. Man wollte Ruhe haben! 3 „Ich bin gerettet – ich komme deshalb in den Himmel, wenn weil ich so und so gelebt habe.“ Grunde schon besiegelt. Mehrmals im Frühjahr 1414 wurde Jan Hus vorgeladen – aber nicht als freier Theologe, sondern bereits als Gefangener und Angeklagter. Schließlich verurteilte man ihn der Ketzerei. In dem griechischen Wort geht es aber gar nicht um die Rettung aus dem letzten Gericht, sondern um ein Glücksgefühl. Die Übersetzung „Hoffnung für alle“ formuliert deshalb: „Glücklich sind diejenigen, die barmherzig sind“. Damit ist nicht gemeint, dass man als Christ immer gut gelaunt und immer gut drauf sein muss. Jesus wollte vielmehr sagen: „Es sieht zwar oft so aus, als ob ihr als Christen die Verlierer seid. Es sieht zwar oft so aus, als würdet ihr den Kürzeren ziehen, wenn ihr nach meinen Geboten lebt. Aber in Wirklichkeit habt ihr eine Menge Grund, euch zu freuen. Warum: Weil ihr das Richtige tut und weil ich euch gerade auf diesem Weg segnen werde!“ Am 6. Juli 1415 wurde er im Konstanzer Münster zunächst als Priester degradiert. Man setzte ihm eine Schandkrone auf, die die Aufschrift trägt: „Dieser ist ein Ketzerführer“. Noch am selben Tag wurde er auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Und damit seine Anhänger keine Reliquien von ihrem großen Vorbild haben, die sie verehren konnten, wurden schließlich auch noch seine Kleider verbrannt und die Asche im Rhein versenkt, damit möglichst nichts mehr an Jan Hus erinnern sollte. Doch so einfach ließen sich seine Anhänger nicht zum Schweigen bringen: von 1419 bis 1439 tobten in Tschechien hefte Kriege zwischen den Anhängern von Jan Hus und römischen Kirche. In Tschechien wurde Jan Hus in der Folgezeit als Nationalheld verehrt. Sein Todestag, der 6. Juli, ist in Tschechien auch heute noch Feiertag. – Hören wir die Seligpreisungen aus Matthäus 5 in dieser Übersetzung. Und Sie können sich ja einmal versuchen vorzustellen, wie ein Christ das hört, der gerade wegen seines Glaubens verfolgt wird: 3 Jesus sagte: Glücklich sind, die erkennen, wie arm sie vor Gott sind, denn ihnen gehört die neue Welt Gottes. 4 Glücklich sind die Trauernden, denn sie werden Trost finden. 5 Glücklich sind die Friedfertigen, denn sie werden die ganze Erde besitzen. 6 Glücklich sind, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, denn sie sollen satt werden. 7 Glücklich sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erfahren. 8 Glücklich sind, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott sehen. * Lesung am 5. Juli: Matthäus 5 9 Glücklich sind, die Frieden stiften, denn Gott wird sie seine Kinder nennen. Zum Thema das heutigen Gottesdienstes hören wir die sogenannten „Seligpreisungen“ aus der Bergpredigt Jesu. Die Übersetzung des entscheidenden griechischen Wortes an dieser Stelle ist schwierig: Martin Luther hat zum Beispiel übersetzt: „Selig sind die Sanftmütigen …“. Oder: „Selig sind die Barmherzigen …““. Und so weiter. 10 Glücklich sind, die verfolgt werden, weil sie nach Gottes Willen leben. Denn ihnen gehört Gottes neue Welt. 11 Glücklich könnt ihr sein, wenn ihr verachtet, verfolgt und verleumdet werdet, weil ihr mir nachfolgt. 12 Ja, freut euch und jubelt, denn im Himmel werdet ihr dafür reich belohnt werden! Genauso haben sie die Propheten früher auch verfolgt. Diese Übersetzung könnte allerdings in der Weise missverstanden werden, als könnte man sich durch einen bestimmten Lebensstil das Heil erwerben. „Selig“ also im Sinne von: 4 Im Jahr 1413 – ein Jahr vor seinem gewaltsamen Tod – schrieb Jan Hus zu diesem Thema einmal folgendes: „Wenn ein Gebot vom Papst ausgeht, soll also jeder gläubige Jünger Christ erwägen, ob es ausdrücklich das Gebot eines Apostels oder des Gesetzes Christi ist oder seine Grundlage in Christi Gesetz hat; und wenn er dies erkennt, so soll er ehrfürchtig und demütig diesem Gebot gehorchen. * Predigt Teil 1: Die Liebe zum Wort Gottes „Darum, frommer Christ, suche die Wahrheit, höre auf die Wahrheit, lerne die Wahrheit, liebe die Wahrheit, sprich die Wahrheit, halte die Wahrheit, verteidige die Wahrheit bis zum Tode …“ („Damals“, 23) Wie die evangelischen Reformatoren 100 Jahre nach seinem Tod war Jan Hus durch und durch ein Bibeltheologe. Deshalb war für ihr völlig klar: Es handelt sich hier nicht um eine abstrakte Wahrheit oder um eine philosophische Wahrheit, die der Mensch durch intensives Nachdenken entdecken könnte. Nur das Wort Gottes kann für uns Christen der Maßstab. Nur Jesus Christus selbst kann für uns maßgeblich sein: die Wahrheit in Person, wie es im Johannesevangelium heißt. Das haben selbst viele Verehrer von Jan Hus später aus den Augen verloren. Wenn er aber wirklich erkennt, dass ein päpstliches Gebot dem Gebot oder Rat Christi widerspricht oder der Kirche zum Schaden gereicht, so soll er ihm kühn entgegentreten, auf dass er nicht durch Zustimmung Teilnehmer an einem Verbrechen wird … Daher ist deutlich, dass ich gegen einen vom rechten Weg abweichenden Papst auflehnen, dem Herrn Christo gehorchen heißt.“ Das könnte genauso auch ein Martin Luther gesagt haben. Als dieser vor dem Reichstag in Worms stand, rief er in die Menge, dass er bereitwillig alle seine Schriften widerrufen werde, sofern ihm jemand zeigt, dass sie nicht auf der Grundlage der Heiligen Schrift stehen. Im 19. Jahrhundert wurde Jan Hus beispielsweise zur Leitfigur der nationalen Bewegung in Tschechien. Nach der Bibel hat dort kaum einer gefragt. Im Ersten Weltkrieg war Hus das Idol derer, die gegen das Deutsche Reich kämpften. Sogar im Sozialismus galt Jan Hus als großes Vorbild, obwohl diese mit dem Christentum herzlich wenig am Hut hatten. Machen wir einen Sprung in unsere Zeit: Wir feiern heute Morgen ja Gottesdienst und hören keinen historischen Vortrag! Wie ist es mit unserer Liebe zum Wort Gottes bestellt? Spürt man uns ab, dass die Bibel auch für uns das Wertvollste ist, das wir haben? Sie wir bereit, für die Wahrheit zu kämpfen und einzustehen, wenn sie in Zweifel gezogen wird? Bis heute ist der Wahlspruch des tschechischen Volkes ein Zitat von Jan Hus: „Die Wahrheit wird siegen“. Gleichzeitig gilt Tschechien heute als eines der unchristlichsten und am weitesten säkularisierten Länder der Welt. 80% der tschechischen Bevölkerung ist heute ohne Religion. Nein, das wäre sicher nicht im Sinne von Jan Hus gewesen, einen Wahrheitsbegriff unabhängig von der Bibel entwickeln zu wollen. Es sind heute natürlich ganz andere Fronten als zur Zeit von Jan Hus vor 600 Jahren: Die katholische Kirche von damals ist nicht mehr die katholische Kirche von heute. Die Katholiken wissen selbst, dass die Reformatoren den oft liederlichen Lebenswandel vieler Priester und Bischöfe damals und manches andere völlig zurecht kritisiert haben. Vor vorletzte Papst hat im Jahr 1999 ausdrücklich das Unrecht bedauert, das seine Kirche Jan Hus damals angetan hat. Er hat einmal gesagt: „Wir können den Teufel nur mit den Waffen überwinden, die auch Christus zu seinem Sieg gebrauchte, nämlich mit der Heiligen Schrift“. („Damals“, 22) Deshalb lag ihm so sehr am Herzen, dass die Bibel übersetzt wird. Deshalb lag ihm so sehr am Herzen, dass in der Muttersprache der Menschen gepredigt wird. Deshalb war er auch nicht ein Revoluzzer aus Prinzip: Wenn er in seiner Kirche etwas zu kritisieren hatte, dann war dies immer der Heiligen Schrift entnommen. Heute kämpfen wir als Christen an ganz anderen Punkten: Zum Beispiel wenn in Zweifel gezogen wird, ob Jesus wirklich der Erlöser aller Menschen ist. Wenn behauptet wird, Jesus sei lediglich ein großer Mensch gewesen, den man hinterher nach seinem Tod als Sohn Gottes bezeichnet habe. 5 Da ist es unsere Pflicht und unsere Aufgabe zu widersprechen – wobei keiner von uns um sein Leben bangen muss, wenn er sich hier kritisch äußert. Das war bei Jan Hus deutlich anders! dürfen wir ihm widersprechen. Zumindest das können wir von Jan Hus lernen! Und wenn ein Bischof öffentlich verkündet, wir bräuchten eine neue Sexualethik, dann müssen wir nachfragen, was er genau damit meint. Und wenn es nicht der biblischen Lehre entspricht, dann haben wir das Recht, deutlich zu widersprechen. Ein anderer großer Streitpunkt in unserer Zeit ist die Ethik, speziell das Zusammenleben von Mann und Frau, das Verständnis von Ehe und so weiter. Ich finde es erschreckend, wie manche Christen in kürzester Zeit biblische Werte über Bord werfen, die jahrhundertelang selbstverständlich waren. Die Liebe zum Wort Gottes: Darin kann uns Jan Hus auch 600 Jahre nach seinem Tod ein großes Vorbild sein! Ein aktuelles Beispiel dazu: Die Synode der Evangelischen Kirche in Westfalen hat im vergangenen Winter beschlossen, dass homosexuelle Paare in Zukunft in einem öffentlichen Gottesdienst gesegnet werden können. In Baden gehört dieses schwierige Thema völlig zurecht in den Bereich der Seelsorge. Bezeichnend finde ich die Begründung in der westfälischen Kirche, die dabei vor allem genannt wurde: Erstens: „Eine vertiefte Erkenntnis des biblischen Zeugnisses.“ Und zweitens: „Die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz homosexueller Beziehungen.“ Eine solche Begründung ist vom biblischen Standpunkt aus betrachtet allerdings schon hochproblematisch: Nach 2000 Jahren Bibelauslegung entdeckt man innerhalb von 20 Jahren plötzlich völlig neue Zusammenhänge. Das klingt schon stark danach, dass man sich die Bibel so zurechtlegt, wie es einem gerade ins Konzept passt. Und mit der zweiten Begründung gibt man unumwunden zu, dass die Bibel nur noch einen untergeordneten Stellenwert hat: Wenn sich die gesellschaftlichen Ansichten ändern, müssen sich auch die Inhalte der christlichen Lehre verändern – so die These. Das berühmte Hus-Denkmal in Prag * Predigt Teil 2: Die Treue zur Wahrheit Jan Hus hätte eine solche Behauptung die Zornesröte ins Gesicht getrieben. Auch wenn es heute ganz andere Themen sind als in der damaligen Zeit, sollten wir genauso den Mut aufbringen, zu widersprechen. Jan Hus sagte: Wenn ein päpstliches Gebot der Heiligen Schrift widerspricht, so soll man ihm kühn entgegentreten. „O ihr Bösewichter, die ihr da glaubt, man könne mit Gott wie mit einer Schankwirtin umgehen, bei der man auf Rechnung säuft und die man bezahlt, um aufs neue zu saufen“: Einer der zentralen Kritikpunkt von Jan Hus war der Ablasshandel: Die Gnade Gottes darf nicht käuflich sein. Genauso kritisierte er, dass hohe kirchliche Ämter nicht nach geistlichen Qualitäten der Bewerber vergeben wurden, sondern nach machtpolitischen Gesichtspunkten. Die Ursache all Wenn also wie vor kurzem der höchste Repräsentant der evangelischen Kirche in Deutschland sagt, man könne die Homo-Ehe der klassischen Ehe völlig gleichstellen, dann 6 dieser Übel sah Jan Hus im großen Reichtum der damaligen Kirche: Wenn man sich auf den einfachen Lebensstil Jesu besinnen würde, müsste die Kirche nicht mit allen Mitteln um ihren Reichtum kämpfen. Heiligen durch viele Martern ins Himmelreich eingegangen sind … Wer kann die Martern alle schildern, die die Heiligen im Alten und Neuen Bund für die Wahrheit Gottes erlitten haben … Das aber erfüllt mich mit Freude, dass sie meine Bücher doch haben lesen müssen, … Ich weiß auch, dass sie meine Schriften fleißiger gelesen haben als die Heilige Schrift, weil sie in ihren Irrlehren zu finden wünschten.“ Ein berühmtes Zitat von Jan Hus lautet folgendermaßen: „Durch den unseligen Reichtum, in dem die Kirche schwelgt, ist fast die ganze Christenheit vergiftet und verdorben worden. Hunde beißen sich um einen Knochen. Nimm ihnen den Knochen, dann hören sie auf zu raufen.“ Auch um drastische Vergleiche war Jan Hus nicht verlegen. Als er dann auch noch die kirchliche Hierarchie in Frage stellte und die Möglichkeit in Erwägung zog, dass auch ein Papst möglicherweise gar kein rechter Christ war, da war vorprogrammiert, dass es zum Konflikt mit der Kirche kommen würde. („Damals“, 28) Wir hören dazu einen Bibelabschnitt aus dem 1. Petrusbrief, den sicher auch Jan Hus gut gekannt hat: 12 Ihr Lieben, lasst euch durch die Hitze nicht befremden, die euch widerfährt zu eurer Versuchung, als widerführe euch etwas Seltsames, 13 sondern freut euch, dass ihr mit Christus leidet, damit ihr auch zur Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben mögt. 14 Selig seid ihr, wenn ihr geschmäht werdet um des Namens Christi willen, denn der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruht auf euch. 15 Niemand aber unter euch leide als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter oder als einer, der in ein fremdes Amt greift. 16 Leidet er aber als ein Christ, so schäme er sich nicht, sondern ehre Gott mit diesem Namen. 19 Darum sollen auch die, die nach Gottes Willen leiden, ihm ihre Seelen anbefehlen als dem treuen Schöpfer und Gutes tun. – Ich hatte schon erwähnt, dass Jan Hus zunächst gar nicht zum Konzil nach Konstanz reisen wollte. Vielmehr soll ihn König Sigismund überredet haben, nach Konstanz zu reisen, um dort ein für alle Mal den Vorwurf der Ketzerei aus der Welt zu schaffen. Doch die Situation in Konstanz war eine völlig andere: Anders als später bei Martin Luther gab es überhaupt keine Disputation – ein Lehrgespräch über einzelne Streitpunkte. Man wollte nicht mit ihm diskutieren: Man wollte ihn loshaben, um sich auf die anderen Themen konzentrieren zu können. Liebe Gemeinde, an diesem Satz bin ich schon oft hängengeblieben: „Lasst euch durch die Hitze nicht befremden, als widerführe euch etwas Seltsames“. Offenbar ist es die Normalsituation eines Christen, dass man mit Gegenwind und Widerstand rechnen muss. So schreibt es zumindest der Apostel Petrus. Ab dem Frühjahr 1415 muss er mehrere „Audienzen“ über sich ergehen lassen. Doch in diesen Anhörungen wird er – gegen seine Hoffnungen – überhaupt nicht angehört. Immer wieder wird er niedergeschrien, berichtet der Chronist. Und sogar ausgelacht. Und man unterstellt ihm Aussagen, die er so überhaupt nie gemacht hat. Aber auch von Jesus haben wir es in der Schriftlesung ja ähnlich gehört: Die Nachfolger Jesu sollen sich darüber freuen, weil es eine Ehre ist, für ihren Herrn zu leiden. Ich habe das Gefühl, dass wir Christen heute von dieser Bereitschaft kilometerweit entfernt sind: Wenn es im Büro mal ein paar abfällige Bemerkungen gibt über den Glauben oder uns die Nachbarn mit spöttischem Blick anschauen, fühlen wir uns schon wie die großen Märtyrer. Natürlich sollen wir uns nicht wünschen, dass es bald richtig losgeht. Keiner verlangt von uns, dass wir eine Lust zum Leiden haben sollen. Jan Hus schreibt selber über diese Zeit, er hätte sich mehr „Würde und Anstand“ erhofft. Bald spürt Jan Hus, wie sich die Sache zuspitzt und er mit dem schlimmsten rechnen muss. Doch er bleibt gefasst und sieht überhaupt keinen Anlass, sich von seinen Aussagen oder von seinen Schriften zu distanzieren. Eine Woche vor seiner Hinrichtung schreibt Jan Hus einen letzten Brief an seine Freunde: Er dankt seinen Freunden für ihre Unterstützung und erinnert an das Leiden Jesu auf dem Weg zum Kreuz. Zum Schluss schreibt er: „Wir sollen es bedenken, wie die 7 Aber es sollte uns doch nachdenklich machen, dass wir offenbar in einer Ausnahmesituation leben, wenn wir ohne große Widerstände unseren Glauben leben und bezeugen können. Wenn keiner von uns gravierende Nachteile befürchten muss, wenn er sich zum Glauben und zur Kirche bekennt. Offenbar ist das die Ausnahmesituation. Und tatsächlich erleben Millionen von Menschen gerade in unserer Zeit genau das Gegenteil: In der dm-Arena findet gestern und heute ein Kongress der christlichen Organisation „Open Doors“ statt – „offene Türen.“ Sie berichten von unzähligen Beispielen, wie Christen unter ihren Peinigern zu leiden haben: In Nigeria werden regelmäßig Kirchen angezündet und Menschen entführt und hingerichtet. Im Irak wurden Christen von den IS-Milizen umgebracht, nur weil sie Christen waren. In Nordkorea kann man ins Gefängnis kommen, wenn man an einem Bibelkreis oder an einem Gottesdienst teilnimmt. In den 70iger Jahren sind auch aus unserer Gegend viele Menschen mit präparierten Wohnwagen in den Ostblock gefahren und hatten unter Verkleidungen und doppelten Böden Bibeln versteckt. Heute sind viele Menschen, die damals hinter dem eisernen Vorhang gelebt haben, mitten unter uns. Sollten wir nicht noch viel mehr als bisher überlegen, wie wir sie in Berührung bringen könnten mit dem Wort Gottes? 3) Eine dritte Konsequenz: Im Gedenken an Jan Hus wollen wir die Menschen nicht vergessen, die gerade jetzt in ähnlichen Situationen ausharren müssen. Wir sollen uns informieren über ihr Schicksal und für sie beten. Manchmal helfen auch Briefe an die Regierungen der betroffenen Länder. 4) Und schließlich: Ohne den Teufel an die Wand zu malen, müssen wir uns darauf einstellen, dass eines Tages auch in unserem Land der Wind rauer wird. Natürlich gibt es auch unglaubliche Erfahrungen, wie Gott Menschen aus ausweglosen Situationen aus der Hand der Peiniger befreit hat. Es gibt aber auch unzählige Beispiele, dass Christen ihre Treue zum Glauben und zu Christus mit dem Leben bezahlen mussten. Ich bin sicher, dass für all diese Menschen der Märtyrertod von Jan Hus in diesen Tagen noch einmal eine ganz andere Bedeutung hat als für uns Christen in Deutschland: „Lasst euch durch die Hitze nicht befremden, als widerführe euch etwas Seltsames“. Nicht dass man um sein Leben fürchten müsste, aber dass man mit heftigem Widerstand rechnen muss, wenn man bestimmte Positionen öffentlich vertritt. Gebe Gott, dass wir dann auch den Mut aufbringen, unserer Überzeugung treu bleiben. – Lassen Sie mich schließen mit Worten von Jan Hus kurz vor seiner Hinrichtung, die noch einmal seine Haltung deutlich machen: „Herr Jesus Christus! Diesen entsetzlichen, schändlichen und grausamen Tod will ich um deines Evangeliums und um der Predigt deines Wortes willen auf das geduldigste und demütig ertragen.“ Was bedeutet die Erinnerung an Jan Hus in diesem Zusammenhang ganz konkret? Mir sind vier Punkte wichtig: 1) Wir dürfen dankbar sein für die Freiheit in unserem Land: für die Möglichkeit, unseren Glauben so ungestört zu leben. Und als man ihn mit einer Kette am Pfahl festband, sagte er: „Der Herr Jesus Christus, mein Erlöser und Heiland, ist mit einer härteren und schwereren Kette gefesselt worden, und ich Armer scheue mich nicht, um seines Namens willen gefesselt, diese Kette zu tragen.“ Als der Holzstoß unter ihm angezündet wurde, betete er: „Christ, Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich meiner.“ Dass es Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit gibt. Dass man sich frei versammeln kann, wo man will. Wenn man auf andere Länder dieser Welt blickt, ist das überhaupt nicht selbstverständlich. Um so mehr dürfen wir das schätzen und dankbar dafür sein. 2) Gerade weil wir so viele Freiheiten haben, sollten wir die Möglichkeiten auch nutzen, unseren Glauben weiterzugeben, wo es nur geht. Das waren seine letzten Worte. Ob allerdings das berühmte Zitat mit der Gans von ihm stammt, ist unsicher. Er soll gesagt haben: 8 „Jetzt bratet ihr eine Gans, aber aus der Asche wird ein Schwan entstehen“. Später hat man den Schwan mit Martin Luther in Verbindung gebracht. Doch eines ist gewiss: Gottes Sache kann nicht untergehen! „Die Wahrheit stirbt nicht in den Flammen!“ (Jan Hus) Amen. Wie gesagt: Ob dieser Satz wirklich von Jan Hus stammt („Hus“ heißt auf tschechisch übrigens „Gans“), ist nicht sicher. Am 1. Juli 2015 zeigte „Arte“ einen zweiteiligen Film über Jan Hus (tschechische Produktion). In der Mediathek von Arte kann er auch nachträglich heruntergeladen werden. Bei Interesse kann ich auch einen Mitschnitt auf privater Basis ausleihen Literaturnachweis: „Damals“ – Das Magazin für Geschichte und Kultur, März 2006. Interessant auch die Homepage des Konstanzer Konzils: www.konstanzer-konzil.de – mit vielen Hintergrundinformationen. 9
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