"Wer David Helfgott die Musik nimmt, der nimmt ihm sein Leben

„Wer David Helfgott die Musik nimmt, der nimmt ihm sein Leben“
Seit letztem Donnerstag ist Cosima Langes neuer Film „Hello I am David“ auch in
den deutschen Kinos zu sehen. Sie durfte eine Konzerttournee des im wahrsten
Sinne des Wortes Ausnahme-Pianisten David Helfgott begleiten. Helfgott hat eine
schizoaffektive Störung und befand sich elf Jahre lang in Nervenheilanstalten. Durch
die Liebe zu seiner Frau Gillian und zur Musik hat er zurück ins Leben und auf die
großen Bühnen der Welt gefunden. Wie es der Dokumentarfilm-Regisseurin Lange
glückte, den Menschen Helfgott den Zuschauern näher zu bringen, welche
Gratwanderung sie dafür unternehmen musste und warum es auch herausfordernd
ist, einen Film mit David Helfgott zu drehen, verrät sie im Interview.
David Helfgott genießt sichtlich seine Konzerte.
Bild: Piffl Medien / Ute Freund
Jens Brehl: Wie kam es dazu, dass Sie einen Dokumentarfilm über David
Helfgott gedreht haben?
Cosima Lange: Mein guter Freund Walter Schirnik hat 2010 David Helfgott in einem
Konzert in Stuttgart spielen hören. Als Musiker war er von dessen Spiel sehr bewegt,
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hat aber am nächsten Tag in der Zeitung eine vernichtende Kritik gelesen. Darin die
Frage, ob jemand wie David Helfgott überhaupt öffentlich spielen dürfe.
Als Orchester-Leiter der Stuttgarter Symphoniker hat Walter Schirnik David für eine
Konzerttournee engagiert und mich letztlich gefragt, ob ich sie dokumentarisch
begleiten möchte. Im April 2011 lernte ich David gemeinsam mit seiner Frau Gillian in
Zürich persönlich kennen. Dort hörte ich ihn in einem Konzert das erste Mal live
spielen und war absolut fasziniert – auch wenn es mich zunächst irritiert hat, dass
David während er Klavier spielt ständig spricht.
Jens Brehl: Wie dürfen wir uns die erste Begegnung vorstellen?
Cosima Lange: Wie man im Film sieht, geht David auch auf fremde Menschen
schnell zu, begrüßt und umarmt sie. So war es auch bei unserem ersten Treffen und
wir hatten sofort einen Draht zueinander. Der Schlüssel den Film drehen zu können,
war allerdings seine Frau Gillian. Sie hatte bislang alle Dokumentarfilm-Projekte
abgelehnt. Damit wir uns besser kennen lernen konnten, hat sie mich in die Toskana
eingeladen, wo sie und David ihren Sommerurlaub verbrachten.
Dort bin ich stundenlang mit David im Pool geschwommen, wir waren in der Natur
unterwegs und nachts hat er mit Bademantel bekleidet Klavier gespielt. Auch mit
Gillian habe ich viel Zeit verbracht. Natürlich war ich sehr beobachtend, bin aber stets
respektvoll mit beiden umgegangen. Schließlich war uns klar, dass ich sie für einen
Film sieben Wochen lang auf der Konzerttournee begleiten darf.
Jens Brehl: David Helfgott hat eine schizoaffektive Störung. Wie äußert sich
das?
Cosima Lange: Bereits als Kind hat er viel Klavier gespielt und wurde von seinem
autoritären Vater mit unsensiblen Methoden unterrichtet. Doch David fiel zunächst
nicht sonderlich aus der Rolle. Auffällig war lediglich sein außergewöhnliches
musikalisches Talent. Die starken Symptome sind erst aufgetreten, als er gegen den
Willen seines Vaters mit 18 Jahren in London aufgrund eines Stipendiums Musik
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Auf sich alleine gestellt bekam er Angstzustände, wurde immer konfuser und sein
Leben geriet aus den Fugen. Er vergaß zu essen, verließ ohne Schuhe das Haus
und dergleichen. Eines Tages wurde er nach Australien zurückgeschickt und
verbrachte hier elf Jahre in Nervenheilanstalten.
Jens Brehl: Was soll die Frage bedeuten, ob „jemand wie er“ öffentlich spielen
darf?
Cosima Lange: Musikkritiker bemängeln immer wieder, dass David nicht perfekt,
sondern auch spontan spielt. Er traut sich im Moment zu musizieren und für ein
Gefühl auch mal eine falsche Taste zu erwischen. In seinem Klavierspiel gibt es
durchaus Momente von höchster Genialität.
Letztendlich meinen die Kritiker jedoch, dass David krank und behindert ist und man
würde ihn auf der Bühne bloß stellen. Aus meinem Blickwinkel ist dem nicht so, weil
ersichtlich ist, wie sehr er die Menschen berührt. Natürlich bietet er einen gewissen
Unterhaltungswert, aber das ist stets mit Respekt und Würde verbunden.
Zudem braucht David die Musik. Nimmt man ihm die Bühne weg, dann nimmt man
ihm sein Leben. Es hat ihn schließlich elf Jahre in Nervenheilanstalten gehalten, weil
ihm die Musik gefehlt hat. Erst als ihn ein Freund der Familie dort herausgeholt und
er wieder langsam zu den Tasten gefunden hat, begab er sich auf seinen Weg
zurück ins Leben.
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David Helfgott: Eine Liebeserklärung an das Leben
„David braucht und sucht Nähe“.
Bild: Piffl Medien
Jens Brehl: Wie kann man David Helfgott am besten beschreiben?
Cosima Lange: Für mich ist er nicht nur einer der außergewöhnlichsten Künstler
unserer Zeit, sondern der spontanste, lebendigste und berührendste Mensch, dem
ich bislang begegnet bin. David braucht und sucht Nähe. Er läuft auf wildfremde
Menschen zu, stellt sich vor, umarmt und küsst sie. Ich hatte durchaus erwartet, er
würde öfter abgelehnt. Wir haben hunderte Menschen getroffen und es gab anfangs
durchaus irritierte Blicke. Aber letztendlich hat sich jeder an der Berührung von David
erfreut.
Jens Brehl: Wie erklären Sie sich das? Schließlich dringt er ungefragt in die
Privatsphäre ein.
Cosima Lange: Er hat eine Liebesqualität wie ein Kind. Wenn ein Kind auf einen
zuläuft und in die Arme fällt, fühlt man sich nicht bedrängt oder angegriffen. David
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sieht in allem nur das Gute und kennt keine Vorbehalte. Seine Liebe kann man
einfach annehmen, weil sie rein und überschwänglich ist.
Jens Brehl: Was möchten Sie mit dem Film aussagen?
Cosima Lange: In mein Konzept habe ich selbstverständlich meine Eindrücke
einfließen lassen, aber mir war anfangs nicht klar, wohin die Reise geht. Es war mir
wichtig, David nicht nur als Musiker, sondern auch als Mensch zu begreifen und zu
zeigen. Daher haben wir einerseits die Konzerte gefilmt und andererseits David im
Alltag begleitet. Dabei ist es durchaus eine Gratwanderung ihn nicht bloßzustellen,
weil es immer leicht voyeuristisch wirken kann. Man läuft dann Gefahr, zu intim zu
werden.
Ich wollte ganz nah an die große Liebesgeschichte zwischen David und Gillian
heran, einem ungleichen Paar, welches schicksalhaft zueinander gefunden hat. Die
beiden sind zutiefst dankbar für das, was sie im Leben haben. Es ist ein Film über die
Menschlichkeit und den großen Wert des „Andersseins“.
Jens Brehl: David Helfgott hat viele Facetten. Was hat sie besonders
fasziniert?
Cosima Lange: Wenn ich ihn nach seiner Vergangenheit gefragt habe, meinte er nur,
wir leben doch jetzt im Moment, die Vergangenheit sei zu Ende und die Zukunft
kennen wir nicht. Dann sagte er Sätze, wie „Lass uns im Moment sein“. Natürlich
gehen wir im Film auch auf Davids Leidensweg ein, aber er steht nicht im Fokus.
Vielmehr tauchen wir gemeinsam mit ihm im Hier und Jetzt in das Leben ein – oder
kurz gesagt, ist „Hello I am David“ eine Liebeserklärung an das Leben.
Jens Brehl: Im Film sieht man, dass David kaum einen Moment still sitzen
kann. Hat das die Dreharbeiten erschwert?
Cosima Lange: (lacht) Das Projekt hat einige Herausforderungen geboten.
Normalerweise bin ich eine Regisseurin hinter der Kamera und dieses Mal hat mich
David vor die Kamera geholt. Ich habe dies zugelassen, weil es sich für mich richtig
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anfühlte. Dadurch sind die Dreharbeiten aber auch für mich eine sehr persönliche
Reise geworden.
Von Anfang an war klar, dass es mit David keine klassische Interviewsituation geben
wird. So reden wir während des Schwimmens, er Klavier spielt oder er mich zum
Tanzen auffordert. Er braucht diese Nähe, auch indem er meine Hand hält. In
solchen Situationen findet er seine Ruhe. Man kann mit ihm ansatzweise Dialoge
führen, selbst wenn sie vielleicht etwas einseitiger ausfallen. Mitten im Gespräch
kann es allerdings passieren, dass er von einem Moment auf den anderen etwas
anderes machen will – und das tut er dann auch. Auf der einen Seite hat er diese
kindliche Art, dennoch wäre es falsch zu behaupten, er sei nie erwachsen geworden.
In seinem Innersten ist er unfassbar weise. Manches muss man gar nicht
aussprechen, weil er es intuitiv spürt.
Darüber hinaus musste ich mich auf jemanden an meiner Seite einstellen, der alles
verbal äußert, was ihm durch den Kopf geht und dadurch auch die Form der
Unterhaltung anders als gewohnt ist. Zudem war ich auch ein Stück weit für ihn
verantwortlich. Als wir mit ihm alleine gedreht hatten, war er uns einmal abhanden
gekommen. Wenn er irgendjemand in der Ferne sieht, dem er mal „Hallo“ sagen will,
ist er auch schnell mal verschwunden. Normalerweise laufen dir deine Protagonisten
nicht weg.
Jens Brehl: Im Buch „Herzensfolger“ erzählen Sie von Ihrem Herzensprojekt:
Ein Dokumentarfilm über Auroville. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Cosima Lange: Nachdem die Arbeiten an „Hello I am David“ abgeschlossen sind,
habe ich wieder mehr Freiraum. Nun freue ich mich darauf, mich wieder dem zu
widmen, was mich schon so lange begleitet. Ich bin weiterhin mit Aurovillianern in
Kontakt und möchte so bald wie möglich wieder dorthin reisen. 2018 findet dort die
50-Jahr-Feier statt, daher gibt es dort derzeit eine schöne Dynamik zu entdecken.
Nach meinem Gefühl hilft „Hello I am David“ dabei, weitere Unterstützer zu finden.
Jens Brehl: Vielen Dank für unser Gespräch.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich unter http://www.der-freigeber.de/wer-david-helfgottdie-musik-nimmt-der-nimmt-ihm-sein-leben erschienen.
Über den Autor
Jens Brehl wurde 1980 im hessischen Fulda geboren. Er ist
als freier Journalist mit den Themenschwerpunkten
enkeltaugliches Wirtschaften, gesellschaftlicher Wandel und
Medien tätig. Seine aktuellen Bücher sind „Mein Weg aus
dem Burnout – Der Stress-Falle entkommen, Lebenskunst
entwickeln“ und „Herzensfolger – Sich treu bleiben im Beruf:
Zwischen ökonomischen Zwang und dem Traum vom
Gemeinwohl“. Darüber hinaus gibt er unter http://www.derfreigeber.de regelmäßig Einblicke hinter die Kulissen der
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