Touristen stehen dem Terror nicht machtlos gegenüber

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30.11.15
Montag, 30. November 2015
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12 WIRTSCHAFT
*DIE WELT
MONTAG, 30. NOVEMBER 2015
EYESWIDEOPEN/GETTY IMAGES/PS/OC
Sind Flugreisen
noch sicher? Nach
Attentaten nehmen
die Buchungen nur
kurzfristig ab
m Kampf gegen den Terror gibt es
viele Schauplätze. In dieser Nacht
zum Beispiel die Frachtluke einer
startbereiten Boeing 737. Ägypten
jagt mögliche Attentäter nicht nur
in der Wüste und den kahlen Bergen des
Sinai. Das Land jagt sie auch tief in seinem Inneren. In seinen Städten, auf seinen Bahnhöfen, auf seinen Airports.
I
Hurghada, der internationale Flughafen, ein Rollfeld im Neonlicht. 140 Urlauber, die meisten Deutsche, wollen
von hier aus nach Hause fliegen. Über
Istanbul soll es nach Berlin, Düsseldorf
oder München gehen. Alle haben bereits
ein besonders strenges Prozedere hinter sich: Sicherheitskontrolle Nummer
eins, Koffer aufgeben, Sicherheitskon-
kommenden Monaten sehr viel weniger
Russen in der Türkei urlauben werden.
Denn die Regierung Putin hat eine Reisewarnung für das Land ausgesprochen.
Das könnte die türkische Reiseindustrie
in große Schwierigkeiten bringen.
Die Nachfrage im Mittelmeerraum
pendelt immer wieder zwischen Ost
und West hin und her. So bietet zum
Beispiel Thomas Cook im kommenden
Jahr mehr Trips nach Bulgarien und auf
die Kanaren an, um Rückgänge in Tunesien aufzufangen. Dort hatte ein Attentäter 38 Menschen ermordet, mit einem
Sturmgewehr am Strand. Der Präsident
des Deutschen Reiseverbands, Norbert
Fiebig, glaubt: Der Terror werde sich
zwar nicht langfristig auf das Reisen
auswirken. „Es wird aber Verlagerungen
bei der Wahl der Reiseziele geben.“
Nach ersten Schätzungen der Behörden auf den kanarischen Inseln haben
die Pauschalreiseveranstalter ihre Flugkontingente für die Wintersaison um
VON STEFAN BEUTELSBACHER,
BENEDIKT FUEST, ERNST AUGUST GINTEN,
fast ein Viertel erhöht. Für 2016 liegen
UTE MÜLLER UND GESCHE WÜPPER
die Buchungen von Ferienpaketen um
38 Prozent über dem Vorjahresniveau.
Auch fernere Regionen profitieren, zum
Nicht nur Ägypten, auch andere LänBeispiel die Karibik. „Die Nachfrage under verschärfen ihre Kontrollen. Frankser Kunden ist in letzter Zeit nach oben
reich, Belgien, die USA: Überall spüren
geschnellt“, heißt es bei der spanischen
Besucher die Auswirkungen des TerHotelkette Riu mit Sitz in Palma de
rors. Das Reisen veränderte sich bereits
Mallorca, an der die deutsche TUI zu 50
seit den Anschlägen vom 11. September
Prozent beteiligt ist. Es war der Strand
2001 stark – jetzt scheint die nächste
des „Riu Imperial Marhaba“ in der tuneStufe bevorzustehen. Mit dem Flugzeug
sischen
Küstenstadt
von A nach B zu kommen,
Sousse, auf dem im Juni
wird noch nervenaufreider Attentäter wütete.
bender. Kann Fliegen
Nun wollen die Spanier
noch einmal so unbeihre zehn Hotels in dem
schwert sein, wie es einst
nordafrikanischen Land
war? So unkompliziert
schließen, sechs sind ohwie zu der Zeit, als die
nehin über die WintermoAngst vor dem nächsten
nate stillgelegt. „Es gibt
Anschlag noch nicht alles
praktisch keine Charterüberschattete? Als Kinder
flüge mehr nach Tunenoch ins Cockpit durften
sien“, sagt eine Riu-Mitarund „Sky-Marshal“ klang
beiterin.
wie ein Polizist aus einem
Einen Einbruch der BuZukunftsroman? Womögchungszahlen verzeichnelich nicht.
te auch Paris. Ein heftiger,
Vieles, was sich die
aber wohl kurzfristiger
Staaten überlegen, dürfte
Effekt, wie die Unternehdas Reisen sicherer mamen erwarten. Solch ein
chen. Die Idee aus ÄgypRückgang sei nach derart
ten hingegen wohl kaum.
traurigen
Ereignissen
Für einen Selbstmordatnormal, heißt es etwa bei
tentäter wäre die neue
Air France. Mit 84 MillioMaßnahme eine Einlanen Touristen im vergandung. Nach allen SicherTunesien, Ägypten, jetzt Frankreich.
genen Jahr ist Frankreich
heitsschleusen, nach dopDie Anschläge verunsichern Urlauber.
das meistbesuchte Land
pelter
Durchleuchtung
der Welt. Die Tourismusund dreifacher PasskonDoch die Erinnerung verblasst schnell
branche, die 2014 immertrolle, darf er nun doch
hin acht Prozent zum
noch einmal an seinen
französischen
BruttoKoffer. In dem Gewusel
würde das nicht auffallen. 140 Men- mehr als 2014. London und Paris gehö- inlandsprodukt (BIP) beitrug, die Gasschen laufen über das Rollfeld, suchen ren zu den fünf meistbesuchten Städten tronomie, der Einzelhandel und Betreizwischen den Triebwerken und dem des Planeten. Das dürfte auch so blei- ber von Veranstaltungssälen in Paris
Fahrwerk nach ihren Taschen – ein Mo- ben. In Ägypten hingegen verzeichnen spüren die Auswirkungen der Anschläge
ment, den potenzielle Terroristen nut- Thomas Cook, TUI und die anderen besonders stark.
großen deutschen Pauschalreiseveran„Am Wochenende direkt nach den
zen könnten.
Zum Beispiel, um ein spitzes Messer stalter nach dem Absturz der russischen Attentaten hatten wir 90 Prozent Storaus dem Koffer herauszuziehen, in der Passagiermaschine schon Buchungs- nierungen“, sagt Didier Castel, der in
Jacke zu verstecken und mit in die Ka- rückgänge. Das Land macht aber nur ei- der Nähe des Pariser Bahnhofs Saintbine zu nehmen. Oder um die Triebwer- nen kleinen Teil ihres Umsatzes aus, bei Lazare ein Drei-Sterne-Hotel betreibt.
Bei den Pariser Vier- und Fünf-Sterneke oder den Rumpf zu beschädigen. Thomas Cook etwa nur vier Prozent.
Auch die Türkei macht den Konzer- Hotels brach die Auslastung in den TaAuch das würde in der Hektik wohl
kaum bemerkt, schon gar nicht in der nen offenbar keine großen Sorgen, we- gen nach den Anschlägen um 30 bis 40
Dunkelheit. Spitze Gegenstände sind im nigstens noch nicht. Zum Glück, heißt Prozent ein. Nach Angaben der spaniKoffer ja erlaubt – das ist einer der es in der Branche, ist derzeit nicht schen Unternehmensberatung ForGründe, weshalb die Passagiere von ih- Hauptbuchungszeit für den Sommerur- wardKeys, die Daten von Reisebüros aus
ren großen Gepäckstücken getrennt laub 2016 – die ist erst nach Weihnach- aller Welt ausgewertet hat, sind die Buwerden. Das, was gefährlich ist, liegt im ten. Gerade ist die Sicherheitslage ange- chungen für Flüge nach Paris in der WoFrachtraum und ist für den Fluggast un- spannt, nachdem die Türkei einen russi- che nach den Attentaten um 27 Prozent
schen Kampfjet abgeschossen hat. Die eingebrochen.
erreichbar. Zumindest normalerweise.
Vollkommen ohnmächtig stehen die
Doch wer will in Zeiten des Terrors Veranstalter hoffen darauf, dass sich
noch in ein Flugzeug steigen? Wer will das bis zum neuen Jahr wieder ändert. Passagiere dem Terror aber nicht genoch nach Istanbul, Paris, London oder Klar scheint allerdings, dass in den genüber. Vor allem an zwei Stellen können sie eingreifen, wie SicherheitsexBerlin reisen, wenn es jeden treffen
perte Worcester sagt: bei der Wahl der
kann? Die Antwort lautet: Ziemlich vieRoute und der Wahl der Airline. „Am
le wollen das.
besten sind Direktflüge oder VerbinDenn die Erinnerung an Anschläge
dungen mit Stopps in Europa – und das
verblasst offenbar schnell. Der Takt des
möglichst mit großen FluggesellschafTerrors hat zugenommen, doch das
ten“, rät er. Die Lufthansa, Swiss, Briführt nicht etwa zu mehr Risikoscheu –
VIELE REISENDE
tish Airways und die israelische El Al etes führt zu mehr Gewöhnung, wie Mawa beschäftigen auf besonders unsichexim Worcester sagt, ein renommierter
SIND MITTLERWEILE
ren Flughäfen eigene Mitarbeiter. Die
britischer Sicherheitsexperte und Geüberwachen und beraten die lokalen
schäftsführer des deutschen BeratungsABGESTUMPFT
Angestellten, bei der Kontrolle des
unternehmens German Business ProHandgepäcks etwa stehen sie dezent im
tection: „Viele Reisende sind mittlerMAXIM WORCESTER,
Hintergrund.
weile abgestumpft.“
Sicherheitsexperte
trolle Nummer zwei, zum Gate laufen,
dann noch eine Passkontrolle, die dritte
inzwischen. Von dort fährt ein alter
Mercedes-Bus die Reisenden zur Maschine. Und dann beginnt das Chaos.
Denn die Ägypter haben das Gepäck
der Passagiere nicht in der Boeing verstaut, so wie es üblich wäre – sie haben
es im Schatten der Tragflächen aufge-
stellt. Das ist eine neue Sicherheitsmaßnahme auf den Flughäfen des Landes:
Jeder Passagier muss seinen Koffer
selbst zur Verladetür des Jets tragen
und einem Mitarbeiter übergeben, der
ihn in den Rumpf hievt. Auf diese Weise
soll gewährleistet sein, dass zu jedem
Gepäckstück ein Reisender gehört.
Bleibt eine Tasche auf dem Rollfeld stehen, fliegt sie nicht mit.
Ägypten ist in Aufruhr, seit Ende Oktober ein Sprengsatz einen russischen
Airbus über dem Sinai abstürzen ließ.
Alle 224 Passagiere starben. Die mutmaßlichen Attentäter: Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat. Den Ermittlern zufolge soll ein Mitarbeiter des
Flughafens Scharm al-Scheich die Bombe an Bord deponiert haben, unter einem Sitz in Reihe 30 oder 31. Die Antwort der düpierten Sicherheitskräfte
darauf lautet nun: blinder Aktionismus.
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Deutschlands Vorbilder der Nachhaltigkeit ausgezeichnet.
Mit Ehrenpreisen würdigte die Stiftung Deutscher
und Institutionen, die durch die Förderung des Preises
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Wettbewerbs und der Veranstaltungen, aber auch geringe
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minister a.D. Hans-Dietrich Genscher sowie den amerika-
und Zivilgesellschaft.
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im neuen
Takt des
Terrors
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(Konsortium der TU Dresden)
d$NCWGT'PIGN2TGKUp
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Deutschen Reiseveranstaltern zufolge gibt es derzeit eine konstante Nachfrage nach Sommerurlaub, die im kommenden Jahr noch leicht steigen werde.
Ihre Erfahrung zeigt: Schon kurz nach
Attentaten normalisieren sich die Passagierzahlen wieder. Das gilt vor allem
für europäische Länder. Andere Urlaubsländer am Mittelmeer, wie Ägypten, die Türkei oder Tunesien, wo die
Terroranschläge sich seit Jahren häufen, werden zunehmend gemieden. Die
Hoteliers in vielen dieser Länder können ihre Gäste nur halten, wenn sie billiger werden. Diese Masche funktioniert. „Angst ist käuflich“, sagt ein deutscher Top-Tourismusmanager.
Der Tourismus hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder von
Terror- und Klimakatastrophen erholt.
„Nach jedem Einbruch kommt in einem
betroffenen Land ein kräftiger Aufwärtstrend“, sagt John Kester, der bei
der Welttourismusorganisation in Madrid für die Auswertung der Reisestatistiken (der 157 Mitgliedsstaaten) zuständig ist. „Es ist wie beim Autofahren, ab
einem gewissen Zeitpunkt nimmt man
das Risiko einfach hin.“
Im Jahr 2012 wurde die Schwelle von
weltweit einer Milliarde Reisenden
überschritten. Und die Zahlen steigen
weiter. Europa etwa bereisten in den
ersten acht Monaten dieses Jahres 584
Millionen Menschen – fünf Prozent
www.nachhaltigkeitstag.de
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