Vegan World: „Vanessa Schrader“ (Nr. 3

Vanessa
Schrader
Interview
Jung, vegan – und verliebt ist sie. Ins Backen. Dabei hat sie ihren ganz eigenen Stil gefunden. Sie backt norddeutsch. Wie das
aussieht, was Franz Kafka damit zu tun hat und warum sie Vegetarier früher verrückt fand, verrät Vanessa uns im Interview.
Von: Susann Döhler
Dein Back-Blog heißt „Knust und Kooken“
– was bedeutet der Name?
Das sind beides norddeutsche Begriffe:
„Knust“ ist das Ende vom Brot und „Kooken“ das plattdeutsche Wort für Kuchen.
Mein Motto: Norddeutsche Klassiker vegan
interpretieren.
„Watt de Bur nich kennt, dat frett he nich“
– heißt es im Plattdeutschen. (Anm. d. Red.:
„Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht.“)
Für diejenigen, die noch nicht in Norddeutschland waren: Was assoziierst du mit dem
platten Land?
Ich komme ursprünglich aus Hannover –
da scheiden sich ja die Geister, ob das noch
Norddeutschland ist. Aktuell lebe ich in
Hamburg. Auf die Menschen passt „hart
aber herzlich“ ganz gut, inde ich. Wenn
ich kulinarisch an Norddeutschland denke,
kommt mir das Alte Land in den Sinn,
weil da viel Obst wächst, das man selbst
plücken kann – etwa Äpfel, Kirschen und
Plaumen. Norddeutsch zu backen, bedeutet
für mich, ohne Liebesperlen, Glitzerstaub,
bunten Fondant und Tamtam zu arbeiten.
Vielmehr traditioneller, um die einzelnen
Geschmackskomponenten genießen zu
können.
Wer hat deine Backleidenschaft geweckt?
Meine Mutter und meine Oma. Als ich vor
einiger Zeit aning, nur vegane Zutaten in
die Kochtöpfe und -schüsseln zu werfen,
merkte ich, dass ich an meine Grenzen stieß.
Und dann hast du erst einmal selbst
herumprobiert?
Ja, genau. Das war anfangs nicht leicht …
Ja, kann ich mir vorstellen. Die gängige
Backkunst kommt selten ohne Milch und Ei
aus. Wie lange übst du schon bzw. wann hast
du dich entschieden, zunächst vegetarisch und
später vegan zu kochen bzw. zu backen?
Zu 100 Prozent vegetarisch wurde ich mit
18. Vor ein, zwei Jahren merkte ich, dass
mir das nicht mehr ausreicht. Je älter man
wird, desto mehr fragt man sich: „Wer will
ich sein und was möchte ich machen?“ Ich
habe mich immer mehr für den Tier- und
Umweltschutz interessiert und bin ich auch
in diese Richtung gegangen. Das Tier ist ein
Lebensthema von mir. Ich schreibe auch gerade meine Masterarbeit über Animalität in
den Tiererzählungen Kafkas.
Kein klassischer Weg. Wenn man die jüngere
Vanessa gefragt hätte, was sie werden wolle,
was hätte sie gesagt? Hat sich diese Entwicklung abgezeichnet?
Hahaha, nein gar nicht. Ich wollte immer
Anwältin werden. Ich weiß noch: Als ich
zehn Jahre alt war, hat meine damalige
beste Freundin kein Fleisch mehr gegessen.
Einfach, weil es ihr nicht geschmeckt hat.
Ich meinte damals zu ihr: „Das verstehe ich
nicht, du bist ja verrückt!“ Als Kind war ich
felsenfest davon überzeugt, dass jemand, der
kein Fleisch isst, verrückt ist. Ich kannte es
eben nicht anders. Man bekommt es vorgelebt und nimmt es an. Ich wollte immer
viel Geld verdienen und es im Leben zu
etwas bringen. Der Fokus war nicht auf der
Umwelt, sondern auf mir. Es ist erst mit der
Zeit gekommen, dass ich mich selbst nicht
mehr so wichtig nehme und andere Dinge
und Werte zählen.
Hat sich durch deinen Wertewandel auch
dein Freundeskreis verändert? Wie vegetarisch is(s)t er?
Es ist durchwachsen. Das Komische ist
aber, dass jeder Mann, mit dem ich zusammen bin, dann auch vegetarisch bis fast vegan wird und ich bisher auch viele Freunde
begeistern konnte. Es ist jetzt nicht so,
dass ich die Leute so lange zuquatsche, bis
sie nicht mehr anders können. (lacht) Ich
glaube, man kann jemanden damit catchen,
wenn man ihn mit Genuss überzeugt. Das
ist ja auch mein Motto: Schlemmen mit
gutem Gewissen.
Genau. Lass uns zurück zu deinem Blog
kommen. Schlemmermäuler inden auf ihm
diverse vegane Back-Rezepte, dabei machst du
das ja erst seit Ende Mai.
Ja, jede Woche poste ich ein Rezept. Das
ist viel Arbeit. Bei einigen Rezepten habe
ich die meiner Oma als Basis genommen. Sie
waren in Sütterlin geschrieben. Mein Papa
und ich haben uns eine Legende aus dem
Internet heruntergeladen und in akribischer
Kleinstarbeit ihre Backrezepte übersetzt.
Uns gibst du vier Rezepte mit auf den Weg
– drei süße, ein herzhaftes. Welche sind denn
leichter, welche schwieriger zu zaubern?
Lass mich überlegen. Ich backe ja für euch
die Heidesandplätzchen, die Lebkuchen,
den Apfelweinkuchen und die Mufins. Das
sind alles simple Rezepte, keine dreistöckigen Torten oder so. Man muss auch nicht
viel Zeit einplanen, weil eine Schicht erst
einmal kalt werden muss, bevor die nächste
darauf kann. Bei den Lebkuchen braucht
man ein bisschen Fingerspitzengefühl, wenn
sie hinterher schön aussehen sollen – etwa
um sie zu verschenken. Das Verzieren von
Plätzchen ist eventuell zeitintensiv. Anders
ist es bei den Grünkohlmufins. Sie muss
man letztlich nur in den Ofen schieben.
Genauso den Kuchen.
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Hört sich gut an. Wieso Grünkohl in
Mufins?
Traditionell gab es bei uns (meistens schon
ab Oktober) Grünkohl mit Pinkel. Das
ist etwas sehr Deftiges, Norddeutsches.
Außerdem bin ich ja nicht vegan, weil ich
den Geschmack von Fleisch nicht mag.
Ganz viele traditionelle Gerichte lassen sich
leicht vegan interpretieren, wenn man sich
herantraut.
Einige holen sich u.a. Tipps in FacebookGruppen – nutzt du diese auch?
Klar, bei Facebook gibt es zwei BackGruppen, die sehr ähnlich klingen. Man
gibt in die Suchleiste „Vegan Backen“ ein.
Da kann jeder Bilder posten, der etwas rein
Planzliches gebacken hat. Die Community
ist relativ groß. Ich inde es total interessant, wie jeder – von autodidaktisch bis
hochprofessionell – etwas zusammenmischt.
Jeden Tag erscheinen dort neue Rezepte.
Außerdem indet in den Gruppen ein toller
Austausch statt à la „Habt ihr schon die
vegane Schlagcreme ausprobiert?“ oder „Wo
kauft ihr vegane Färbemittel ein?“.
Gibt es noch andere Bereiche, in denen du
dich austauschst?
Ja, ich bin in der Tierschutz-Organisation
„Vier Pfoten“ tätig. Im Sommer gab es zum
Beispiel ein gemeinsames Grillen, aber der
Fokus liegt natürlich auf dem Aktivwerden
für die Tiere: Wir gehen zusammen auf
Demos, starten Petitionen, veranstalten
Flohmärkte. Man kann auch alleine etwas
tun, beispielsweise Müll trennen, Müll nicht
auf die Straße werfen, Kleidungsstücke
nicht zum Trocknen auf die Heizung legen,
weil man sie am nächsten Morgen anziehen
will, oder Fenster nicht aulassen, wenn man
heizt. Wenn ich mitbekomme, dass andere
das machen, blutet mit das Herz. Ich möchte nicht missionieren, denke dann aber: Wir
haben nur diesen einen Planeten. Für mich
ist es also selbstverständlich, dass ich mit
begrenzten Ressourcen bewusst umgehe.
Backen, Freunde und Familie einladen,
genießen – mit Grünkohlmuffins, Heidesandplätzchen, Leb- und Apfelweinkuchen
liefert die 28-jährige Wahlhamburgerin
Vanessa Schrader uns vier außergewöhnliche,
norddeutsche, vegan interpretierte Backrezepte.
Ohne viel Schnickschnack kommt sie dabei aus
und ist sich sicher: „Es gibt kaum jemanden,
der gar keinen Kuchen mag – und so ist es
ein tolles Gefühl, dass man damit nicht nur
Veganer, sondern alle anspricht, denn in fast
jedem steckt ja auch ein Schleckermäulchen.“
VEGAN World NO 03
Heidesand mit Cranberry-Zuckerrand
Menge: ca. 30 Stück
200 g
100 g
125 g
100 g
2 EL
1 Pck.
1 Msp.
Weizenmehl
getrocknete Cranberrys
Margarine
Rafinadezucker
(für die typische, glasklare
Optik des Zuckerrands)
Soja- oder Haferdrink
Bourbonvanillezucker
Backpulver
Prise Meersalz
Heidesand ist ein norddeutscher
Plätzchenklassiker, und das nicht nur
zur Weihnachtszeit. Den Namen hat er
dem Heideboden in Niedersachsen zu
verdanken, der eine ähnlich helle und
sandige Optik aufweist. Meist als klassisch
„schlichte” Version zubereitet, wird der feinmürbe Keks in dieser Variante mit einem
fruchtig-säuerlichen Cranberry-Zuckerrand
aufgepeppt.
Zunächst die Cranberrys kleinhacken,
mit 60 g Zucker vermengen und auf einen
lachen Teller geben. In einer weiteren
Schüssel die weiche Margarine mit dem
Zucker und dem Vanillezucker schaumig
schlagen, dann den Planzendrink
sowie das Mehl und das Backpulver
unterrühren. Die Teigmasse zu zwei
Rollen formen (die Größe und Dicke der
VEGAN World NO 03
Rollen hängt davon ab, wie klein oder
groß man die Plätzchen hinterher haben
möchte) und in der Beeren-Zuckermasse
wälzen. In Frischhaltefolie einschlagen
und für 15-20 Minuten in den Gefrierschrank legen. Danach mit dem Messer
in etwa 1 cm dicke Taler schneiden und
im vorgeheizten Backofen bei 180 °C
10 Minuten backen. Gegen Ende der
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Backzeit sollte man aufpassen, da der
Heidesand nach Möglichkeit seine helle
Farbe behalten sollte. Die Plätzchen
etwas abkühlen lassen; nur so bekommen
sie ihre typische, sandige Konsistenz.
Braunschweiger Lebkuchen
Menge: ca. 50 Stück
500 g
250 g
150 ml
90 g
12 g
4 EL
3 EL
2 EL
1 Pck.
100 g
80 g
1 TL
Für den Teig:
Weizenmehl
Rohrohrzucker
Sojasahne
Margarine
Pottasche
(Lockerungsmittel)
dunkles Kakaopulver
Wasser
Agavendicksaft
Lebkuchengewürz
oder ½ TL Zimt,
½ TL Nelken,
1 Msp. Kardamon,
1 Msp. Ingwer
Zum Verzieren:
Puderzucker
Zartbitterkuvertüre
rote, vegane
Lebensmittelfarbe
Mandeln und vegane
Nonpareilles (Zuckerperlen)
Die wenigsten wissen, dass Braunschweig,
genauso wie Nürnberg und Aachen, im
Mittelalter ein bedeutendes Zentrum der
Lebküchnerei war. Mancherorts auch als
Lebzelten, Pfeffer-, Gewürz- oder Honigkuchen bekannt, heißt das würzige Gebäck
im Norden schlicht Lebkuchen. Bei diesem
Rezept ist die Grundbasis ein altes Rezept
meiner Großmutter, wobei Kleinigkeiten
durch vegane Zutaten ersetzt bzw. ergänzt
wurden.
Den Zucker mit der weichen Margarine
schaumig schlagen. Zuerst die Sojasahne
und den Agavendicksaft hinzufügen, dann
die Gewürze, das Mehl und die zuvor in
3 EL Wasser aufgelöste Pottasche. Den
Teig auf einer bemehlten Arbeitsläche
etwa 1 cm dick ausrollen und mit
Keksförmchen der Wahl ausstechen,
wenn gewünscht, Mandeln eindrücken,
und im vorgeheizten Backofen maximal
10 Minuten backen (sonst werden die
Lebkuchen zu hart). Nach dem Abkühlen
nach Belieben mit Schokolade, Nonpareilles und farblosem oder rotem Zuckerguss verzieren. Für letzteren einfach den
Puderzucker mit etwas Wasser zu einer
cremigen Masse verrühren und nach
Belieben einfärben. Wer die Lebkuchen
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ohne Verzierung vorzieht, sollte für den
Teig statt 250 g 300 g Zucker verwenden!
Tipp: Wer es fruchtig mag, kann in den
Teig auch noch etwas Orangeat einarbeiten. Auch kann man den Teig etwas
dünner ausrollen, die Plätzchen zusätzlich
mit einem kleinen Loch versehen und
für die Weihnachtszeit als süßen Baumschmuck verwenden.
VEGAN World NO 03
Grünkohlmuffins mit Pinkel
300 g
250 g
200 ml
125 g
90 g
80 ml
40 g
1
1
1 TL
1 Pck.
1
frischer Grünkohl
Dinkelmehl
Sprudelwasser
Sojajoghurt
geräucherter Tofu
Sonnenblumenöl
Pinienkerne
kleine Zwiebel
kleine Knoblauchzehe
Senf
Backpulver
Prise Piment
Salz
Pfeffer
Ab Oktober, traditionell nach dem ersten
Bodenfrost, beginnt die Grünkohlsaison.
Als fester Bestandteil und Brauch in die
norddeutsche Küche integriert, wird beim
Grünkohlessen auch Pinkel (Grützwurst) oder
Bregenwurst serviert. Wem das nicht nur zu
leischlastig, sondern auch zu schwer ist, der
sollte diese vegane Variante in Mufinform
mit Räuchertofu unbedingt ausprobieren!
Das Öl mit dem Sojajoghurt aufschlagen
und das Mineralwasser unterrühren. Das
Mehl und das Backpulver hinzufügen
und etwas quellen lassen. Währenddessen
zuerst die Pinienkerne in einer Pfanne
kurz anrösten, dann separat den Tofu in
sehr kleine Würfel schneiden mit etwas
Öl heiß und kross anbraten, ebenfalls
zur Seite stellen. In der heißen Pfanne
VEGAN World NO 03
die zuvor kleingeschnittene Zwiebel mit
der gepressten Knoblauchzehe anbraten
und nach und nach den gewaschenen
Grünkohl hinzufügen (Dies kann etwas
dauern, da der Kohl viel Volumen hat,
das er aber in der Pfanne verliert). Mit
dem Senf und ordentlich Salz, Pfeffer
und Piment abschmecken. Zum Schluss
zuerst den Tofu unter den Mufinteig
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heben, dann den Kohl und die Pinienkerne. In ein 12er-Mufinblech füllen und
bei 190 °C etwa 20-25 Minuten backen.
Unbedingt erst abgekühlt vernaschen, da
der Teig sonst noch zu sehr klebt!
Apfelweinkuchen aus dem Alten Land
200 g
100 g
90 g
3 EL
1 EL
1 Pck.
1
750 ml
100 g
4-5
2 Pck.
1
200 ml
3-4 EL
1 TL
2 Pck.
Für den Teig:
Dinkelmehl
Margarine
Rohrohrzucker
Sojajoghurt
Backpulver
Bourbonvanillezucker
Prise Meersalz
Für die Füllung:
Liter Weißwein
Rohrohrzucker
deutsche Äpfel
(z.B. Boskoop oder Elstar)
Vanille-Puddingpulver
Schuss Zitronensaft
Prise Zimt
Für das Topping:
Sojasahne (zum
Aufschlagen) bzw.
vegane Schlagcreme
Mandelblättchen
Zimt
Sahnesteif
Im Herbst ist es Zeit für die Apfelernte im
Alten Land, dem größten zusammenhängenden Obstanbaugebiet Deutschlands.
Rund acht Millionen Apfel-, Kirsch- und
Birnbäume kann man hier inden; fast
jeder dritte deutsche Apfel stammt aus der
Region, die neben Hamburger Stadtteilen
auch mehrere Gemeinden in Niedersachsen
umfasst.
Aus den Teigzutaten einen geschmeidigen Teig kneten und diesen in
eine Springform (26 cm Durchmesser)
drücken, dabei einen Rand formen. Die
Äpfel schälen, vierteln, entkernen und
in dünne Spalten schneiden. Mit einem
Schuss Zitronensaft und der Prise Zimt
vermengen und zur Seite stellen. Den
Wein zusammen mit dem Zucker zum
Kochen bringen, währenddessen das
Puddingpulver mit etwas abgeschöpften
Wein verquirlen, in den kochenden
Wein einrühren und kurz weiterkochen
lassen. Im Anschluss die Apfelspalten
vorsichtig unter den Pudding heben und
in die Springform füllen. Im vorgeheizten
Backofen bei 180 °C 1 Stunde backen
und mindestens 1 weitere Stunde
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auskühlen lassen. Die Sojasahne mit dem
Sahnesteif aufschlagen, auf den Kuchen
streichen und zuerst mit Zimt, dann mit
Mandelblättchen verzieren.
Tipp: Statt Weißwein kann man auch
Cidre benutzen, oder, für eine alkoholfreie Variante, veganen Apfelsaft.
VEGAN World NO 03