Vanessa Schrader Interview Jung, vegan – und verliebt ist sie. Ins Backen. Dabei hat sie ihren ganz eigenen Stil gefunden. Sie backt norddeutsch. Wie das aussieht, was Franz Kafka damit zu tun hat und warum sie Vegetarier früher verrückt fand, verrät Vanessa uns im Interview. Von: Susann Döhler Dein Back-Blog heißt „Knust und Kooken“ – was bedeutet der Name? Das sind beides norddeutsche Begriffe: „Knust“ ist das Ende vom Brot und „Kooken“ das plattdeutsche Wort für Kuchen. Mein Motto: Norddeutsche Klassiker vegan interpretieren. „Watt de Bur nich kennt, dat frett he nich“ – heißt es im Plattdeutschen. (Anm. d. Red.: „Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht.“) Für diejenigen, die noch nicht in Norddeutschland waren: Was assoziierst du mit dem platten Land? Ich komme ursprünglich aus Hannover – da scheiden sich ja die Geister, ob das noch Norddeutschland ist. Aktuell lebe ich in Hamburg. Auf die Menschen passt „hart aber herzlich“ ganz gut, inde ich. Wenn ich kulinarisch an Norddeutschland denke, kommt mir das Alte Land in den Sinn, weil da viel Obst wächst, das man selbst plücken kann – etwa Äpfel, Kirschen und Plaumen. Norddeutsch zu backen, bedeutet für mich, ohne Liebesperlen, Glitzerstaub, bunten Fondant und Tamtam zu arbeiten. Vielmehr traditioneller, um die einzelnen Geschmackskomponenten genießen zu können. Wer hat deine Backleidenschaft geweckt? Meine Mutter und meine Oma. Als ich vor einiger Zeit aning, nur vegane Zutaten in die Kochtöpfe und -schüsseln zu werfen, merkte ich, dass ich an meine Grenzen stieß. Und dann hast du erst einmal selbst herumprobiert? Ja, genau. Das war anfangs nicht leicht … Ja, kann ich mir vorstellen. Die gängige Backkunst kommt selten ohne Milch und Ei aus. Wie lange übst du schon bzw. wann hast du dich entschieden, zunächst vegetarisch und später vegan zu kochen bzw. zu backen? Zu 100 Prozent vegetarisch wurde ich mit 18. Vor ein, zwei Jahren merkte ich, dass mir das nicht mehr ausreicht. Je älter man wird, desto mehr fragt man sich: „Wer will ich sein und was möchte ich machen?“ Ich habe mich immer mehr für den Tier- und Umweltschutz interessiert und bin ich auch in diese Richtung gegangen. Das Tier ist ein Lebensthema von mir. Ich schreibe auch gerade meine Masterarbeit über Animalität in den Tiererzählungen Kafkas. Kein klassischer Weg. Wenn man die jüngere Vanessa gefragt hätte, was sie werden wolle, was hätte sie gesagt? Hat sich diese Entwicklung abgezeichnet? Hahaha, nein gar nicht. Ich wollte immer Anwältin werden. Ich weiß noch: Als ich zehn Jahre alt war, hat meine damalige beste Freundin kein Fleisch mehr gegessen. Einfach, weil es ihr nicht geschmeckt hat. Ich meinte damals zu ihr: „Das verstehe ich nicht, du bist ja verrückt!“ Als Kind war ich felsenfest davon überzeugt, dass jemand, der kein Fleisch isst, verrückt ist. Ich kannte es eben nicht anders. Man bekommt es vorgelebt und nimmt es an. Ich wollte immer viel Geld verdienen und es im Leben zu etwas bringen. Der Fokus war nicht auf der Umwelt, sondern auf mir. Es ist erst mit der Zeit gekommen, dass ich mich selbst nicht mehr so wichtig nehme und andere Dinge und Werte zählen. Hat sich durch deinen Wertewandel auch dein Freundeskreis verändert? Wie vegetarisch is(s)t er? Es ist durchwachsen. Das Komische ist aber, dass jeder Mann, mit dem ich zusammen bin, dann auch vegetarisch bis fast vegan wird und ich bisher auch viele Freunde begeistern konnte. Es ist jetzt nicht so, dass ich die Leute so lange zuquatsche, bis sie nicht mehr anders können. (lacht) Ich glaube, man kann jemanden damit catchen, wenn man ihn mit Genuss überzeugt. Das ist ja auch mein Motto: Schlemmen mit gutem Gewissen. Genau. Lass uns zurück zu deinem Blog kommen. Schlemmermäuler inden auf ihm diverse vegane Back-Rezepte, dabei machst du das ja erst seit Ende Mai. Ja, jede Woche poste ich ein Rezept. Das ist viel Arbeit. Bei einigen Rezepten habe ich die meiner Oma als Basis genommen. Sie waren in Sütterlin geschrieben. Mein Papa und ich haben uns eine Legende aus dem Internet heruntergeladen und in akribischer Kleinstarbeit ihre Backrezepte übersetzt. Uns gibst du vier Rezepte mit auf den Weg – drei süße, ein herzhaftes. Welche sind denn leichter, welche schwieriger zu zaubern? Lass mich überlegen. Ich backe ja für euch die Heidesandplätzchen, die Lebkuchen, den Apfelweinkuchen und die Mufins. Das sind alles simple Rezepte, keine dreistöckigen Torten oder so. Man muss auch nicht viel Zeit einplanen, weil eine Schicht erst einmal kalt werden muss, bevor die nächste darauf kann. Bei den Lebkuchen braucht man ein bisschen Fingerspitzengefühl, wenn sie hinterher schön aussehen sollen – etwa um sie zu verschenken. Das Verzieren von Plätzchen ist eventuell zeitintensiv. Anders ist es bei den Grünkohlmufins. Sie muss man letztlich nur in den Ofen schieben. Genauso den Kuchen. 23 Hört sich gut an. Wieso Grünkohl in Mufins? Traditionell gab es bei uns (meistens schon ab Oktober) Grünkohl mit Pinkel. Das ist etwas sehr Deftiges, Norddeutsches. Außerdem bin ich ja nicht vegan, weil ich den Geschmack von Fleisch nicht mag. Ganz viele traditionelle Gerichte lassen sich leicht vegan interpretieren, wenn man sich herantraut. Einige holen sich u.a. Tipps in FacebookGruppen – nutzt du diese auch? Klar, bei Facebook gibt es zwei BackGruppen, die sehr ähnlich klingen. Man gibt in die Suchleiste „Vegan Backen“ ein. Da kann jeder Bilder posten, der etwas rein Planzliches gebacken hat. Die Community ist relativ groß. Ich inde es total interessant, wie jeder – von autodidaktisch bis hochprofessionell – etwas zusammenmischt. Jeden Tag erscheinen dort neue Rezepte. Außerdem indet in den Gruppen ein toller Austausch statt à la „Habt ihr schon die vegane Schlagcreme ausprobiert?“ oder „Wo kauft ihr vegane Färbemittel ein?“. Gibt es noch andere Bereiche, in denen du dich austauschst? Ja, ich bin in der Tierschutz-Organisation „Vier Pfoten“ tätig. Im Sommer gab es zum Beispiel ein gemeinsames Grillen, aber der Fokus liegt natürlich auf dem Aktivwerden für die Tiere: Wir gehen zusammen auf Demos, starten Petitionen, veranstalten Flohmärkte. Man kann auch alleine etwas tun, beispielsweise Müll trennen, Müll nicht auf die Straße werfen, Kleidungsstücke nicht zum Trocknen auf die Heizung legen, weil man sie am nächsten Morgen anziehen will, oder Fenster nicht aulassen, wenn man heizt. Wenn ich mitbekomme, dass andere das machen, blutet mit das Herz. Ich möchte nicht missionieren, denke dann aber: Wir haben nur diesen einen Planeten. Für mich ist es also selbstverständlich, dass ich mit begrenzten Ressourcen bewusst umgehe. Backen, Freunde und Familie einladen, genießen – mit Grünkohlmuffins, Heidesandplätzchen, Leb- und Apfelweinkuchen liefert die 28-jährige Wahlhamburgerin Vanessa Schrader uns vier außergewöhnliche, norddeutsche, vegan interpretierte Backrezepte. Ohne viel Schnickschnack kommt sie dabei aus und ist sich sicher: „Es gibt kaum jemanden, der gar keinen Kuchen mag – und so ist es ein tolles Gefühl, dass man damit nicht nur Veganer, sondern alle anspricht, denn in fast jedem steckt ja auch ein Schleckermäulchen.“ VEGAN World NO 03 Heidesand mit Cranberry-Zuckerrand Menge: ca. 30 Stück 200 g 100 g 125 g 100 g 2 EL 1 Pck. 1 Msp. Weizenmehl getrocknete Cranberrys Margarine Rafinadezucker (für die typische, glasklare Optik des Zuckerrands) Soja- oder Haferdrink Bourbonvanillezucker Backpulver Prise Meersalz Heidesand ist ein norddeutscher Plätzchenklassiker, und das nicht nur zur Weihnachtszeit. Den Namen hat er dem Heideboden in Niedersachsen zu verdanken, der eine ähnlich helle und sandige Optik aufweist. Meist als klassisch „schlichte” Version zubereitet, wird der feinmürbe Keks in dieser Variante mit einem fruchtig-säuerlichen Cranberry-Zuckerrand aufgepeppt. Zunächst die Cranberrys kleinhacken, mit 60 g Zucker vermengen und auf einen lachen Teller geben. In einer weiteren Schüssel die weiche Margarine mit dem Zucker und dem Vanillezucker schaumig schlagen, dann den Planzendrink sowie das Mehl und das Backpulver unterrühren. Die Teigmasse zu zwei Rollen formen (die Größe und Dicke der VEGAN World NO 03 Rollen hängt davon ab, wie klein oder groß man die Plätzchen hinterher haben möchte) und in der Beeren-Zuckermasse wälzen. In Frischhaltefolie einschlagen und für 15-20 Minuten in den Gefrierschrank legen. Danach mit dem Messer in etwa 1 cm dicke Taler schneiden und im vorgeheizten Backofen bei 180 °C 10 Minuten backen. Gegen Ende der 24 Backzeit sollte man aufpassen, da der Heidesand nach Möglichkeit seine helle Farbe behalten sollte. Die Plätzchen etwas abkühlen lassen; nur so bekommen sie ihre typische, sandige Konsistenz. Braunschweiger Lebkuchen Menge: ca. 50 Stück 500 g 250 g 150 ml 90 g 12 g 4 EL 3 EL 2 EL 1 Pck. 100 g 80 g 1 TL Für den Teig: Weizenmehl Rohrohrzucker Sojasahne Margarine Pottasche (Lockerungsmittel) dunkles Kakaopulver Wasser Agavendicksaft Lebkuchengewürz oder ½ TL Zimt, ½ TL Nelken, 1 Msp. Kardamon, 1 Msp. Ingwer Zum Verzieren: Puderzucker Zartbitterkuvertüre rote, vegane Lebensmittelfarbe Mandeln und vegane Nonpareilles (Zuckerperlen) Die wenigsten wissen, dass Braunschweig, genauso wie Nürnberg und Aachen, im Mittelalter ein bedeutendes Zentrum der Lebküchnerei war. Mancherorts auch als Lebzelten, Pfeffer-, Gewürz- oder Honigkuchen bekannt, heißt das würzige Gebäck im Norden schlicht Lebkuchen. Bei diesem Rezept ist die Grundbasis ein altes Rezept meiner Großmutter, wobei Kleinigkeiten durch vegane Zutaten ersetzt bzw. ergänzt wurden. Den Zucker mit der weichen Margarine schaumig schlagen. Zuerst die Sojasahne und den Agavendicksaft hinzufügen, dann die Gewürze, das Mehl und die zuvor in 3 EL Wasser aufgelöste Pottasche. Den Teig auf einer bemehlten Arbeitsläche etwa 1 cm dick ausrollen und mit Keksförmchen der Wahl ausstechen, wenn gewünscht, Mandeln eindrücken, und im vorgeheizten Backofen maximal 10 Minuten backen (sonst werden die Lebkuchen zu hart). Nach dem Abkühlen nach Belieben mit Schokolade, Nonpareilles und farblosem oder rotem Zuckerguss verzieren. Für letzteren einfach den Puderzucker mit etwas Wasser zu einer cremigen Masse verrühren und nach Belieben einfärben. Wer die Lebkuchen 25 ohne Verzierung vorzieht, sollte für den Teig statt 250 g 300 g Zucker verwenden! Tipp: Wer es fruchtig mag, kann in den Teig auch noch etwas Orangeat einarbeiten. Auch kann man den Teig etwas dünner ausrollen, die Plätzchen zusätzlich mit einem kleinen Loch versehen und für die Weihnachtszeit als süßen Baumschmuck verwenden. VEGAN World NO 03 Grünkohlmuffins mit Pinkel 300 g 250 g 200 ml 125 g 90 g 80 ml 40 g 1 1 1 TL 1 Pck. 1 frischer Grünkohl Dinkelmehl Sprudelwasser Sojajoghurt geräucherter Tofu Sonnenblumenöl Pinienkerne kleine Zwiebel kleine Knoblauchzehe Senf Backpulver Prise Piment Salz Pfeffer Ab Oktober, traditionell nach dem ersten Bodenfrost, beginnt die Grünkohlsaison. Als fester Bestandteil und Brauch in die norddeutsche Küche integriert, wird beim Grünkohlessen auch Pinkel (Grützwurst) oder Bregenwurst serviert. Wem das nicht nur zu leischlastig, sondern auch zu schwer ist, der sollte diese vegane Variante in Mufinform mit Räuchertofu unbedingt ausprobieren! Das Öl mit dem Sojajoghurt aufschlagen und das Mineralwasser unterrühren. Das Mehl und das Backpulver hinzufügen und etwas quellen lassen. Währenddessen zuerst die Pinienkerne in einer Pfanne kurz anrösten, dann separat den Tofu in sehr kleine Würfel schneiden mit etwas Öl heiß und kross anbraten, ebenfalls zur Seite stellen. In der heißen Pfanne VEGAN World NO 03 die zuvor kleingeschnittene Zwiebel mit der gepressten Knoblauchzehe anbraten und nach und nach den gewaschenen Grünkohl hinzufügen (Dies kann etwas dauern, da der Kohl viel Volumen hat, das er aber in der Pfanne verliert). Mit dem Senf und ordentlich Salz, Pfeffer und Piment abschmecken. Zum Schluss zuerst den Tofu unter den Mufinteig 26 heben, dann den Kohl und die Pinienkerne. In ein 12er-Mufinblech füllen und bei 190 °C etwa 20-25 Minuten backen. Unbedingt erst abgekühlt vernaschen, da der Teig sonst noch zu sehr klebt! Apfelweinkuchen aus dem Alten Land 200 g 100 g 90 g 3 EL 1 EL 1 Pck. 1 750 ml 100 g 4-5 2 Pck. 1 200 ml 3-4 EL 1 TL 2 Pck. Für den Teig: Dinkelmehl Margarine Rohrohrzucker Sojajoghurt Backpulver Bourbonvanillezucker Prise Meersalz Für die Füllung: Liter Weißwein Rohrohrzucker deutsche Äpfel (z.B. Boskoop oder Elstar) Vanille-Puddingpulver Schuss Zitronensaft Prise Zimt Für das Topping: Sojasahne (zum Aufschlagen) bzw. vegane Schlagcreme Mandelblättchen Zimt Sahnesteif Im Herbst ist es Zeit für die Apfelernte im Alten Land, dem größten zusammenhängenden Obstanbaugebiet Deutschlands. Rund acht Millionen Apfel-, Kirsch- und Birnbäume kann man hier inden; fast jeder dritte deutsche Apfel stammt aus der Region, die neben Hamburger Stadtteilen auch mehrere Gemeinden in Niedersachsen umfasst. Aus den Teigzutaten einen geschmeidigen Teig kneten und diesen in eine Springform (26 cm Durchmesser) drücken, dabei einen Rand formen. Die Äpfel schälen, vierteln, entkernen und in dünne Spalten schneiden. Mit einem Schuss Zitronensaft und der Prise Zimt vermengen und zur Seite stellen. Den Wein zusammen mit dem Zucker zum Kochen bringen, währenddessen das Puddingpulver mit etwas abgeschöpften Wein verquirlen, in den kochenden Wein einrühren und kurz weiterkochen lassen. Im Anschluss die Apfelspalten vorsichtig unter den Pudding heben und in die Springform füllen. Im vorgeheizten Backofen bei 180 °C 1 Stunde backen und mindestens 1 weitere Stunde 27 auskühlen lassen. Die Sojasahne mit dem Sahnesteif aufschlagen, auf den Kuchen streichen und zuerst mit Zimt, dann mit Mandelblättchen verzieren. Tipp: Statt Weißwein kann man auch Cidre benutzen, oder, für eine alkoholfreie Variante, veganen Apfelsaft. VEGAN World NO 03
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