Das globale Handels- system ist unfair!

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Das globale Handelssystem ist unfair! <<
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20 JAHRE FAIRTRADE – KLIMAWANDEL SCHAFFT NEUE HERAUSFORDERUNGEN
20 Jahre fairer Handel. Aktuell profitieren rund 1,2 Millionen Menschen im globalen
Süden von Fairtrade. In den vergangenen 20 Jahren wurden rund 400 Millionen Euro
Fairtrade-Direkteinnahmen erwirtschaftet. Impuls fragte Fairtrade-Geschäftsführer
Dieter Overath zum globalen Handel und zu den Auswirkungen des Klimawandels.
Dieter Overath,
Geschäftsführer
von Fairtrade
Foto: Privat
KAB-Impuls: Herr Overath, Transfair scheint eine kleine Erfolgsgeschichte zu sein. Hat sich neben den Arbeitsbedingungen
der Kleinbauern auch gesellschaftlich die Situation in den
jeweiligen Ländern zu mehr sozialer Gerechtigkeit verändert?
Dieter Overath: Ja, sehr. Bei Fairtrade stehen die Menschen im Süden im Mittelpunkt. Fairtrade fördert gezielt Kleinbauernorganisationen in den Entwicklungsländern und stärkt ihre Position auf dem
Weltmarkt, sodass sie ihre Lebenssituation aus eigener Kraft verbessern können und langfristig die Armut im Süden abgebaut wird. Dabei
geht es nicht nur um finanzielle, sondern auch um soziale Aspekte.
Während vor zwanzig Jahren Kleinbauern wenig Ansehen genossen,
haben zum Beispiel die Kleinbauern in Peru einen eigenen Vertreter
ins Nationalparlament wählen können.
Impuls: Haben Kleinbauern, die Transfair-Produkte herstellen,
Probleme oder Nachteile mit dem dortigen Wirtschafts- und
Politiksystem?
Overath: Viele Fairtrade-Bauern und -Arbeitende leben zwar nicht
unter, aber knapp an der Armutsgrenze. Ihre Lebensbedingungen sind
oft sehr eingeschränkt und prekär. Aufgrund ihrer schwachen Stellung
können auch diese Bauern leicht in die Armutsfalle treten.
Für Fairtrade ist das heutige globale Handelssystem unfair. Manche
Akteure in der Wertschöpfungskette sind gefährdeter als andere, insbesondere die Kleinbauern und die Arbeiter. Wir haben das Ziel, ein
faireres Handelssystem zu fördern, in dem Lebensgrundlagen gefördert und Produzenten gestärkt werden. Durch die Bildung von Kollektiven oder Kooperationen können Fairtrade-Bauern Kleinunternehmer
werden, die die Gewinne aus ihren Produkten beziehen, die ihnen
zustehen.
Impuls: Gibt es fair gehandelte Produkte auch aus Industrieländern?
Overath: Nicht mit dem Fairtrade-Siegel. Der Faire Handel nimmt
für sich in Anspruch, ein entwicklungspolitisches Konzept für die
„Länder des Südens“ zu sein, die über die UN/DAC-Kriterien gut ab-
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grenzbar sind. Ziel ist, die Lebens- und Arbeitsbedingungen von benachteiligten Produzenten in den Ländern des „Südens“ zu verbessern und zur Armutsbekämpfung beizutragen.
Der Faire Handel hat sich seit seiner Gründung kontinuierlich weiterentwickelt. Dazu gehört auch die aktuelle Diskussion um den sogenannten „fairen Handel im Norden“. Zahlreiche Produzentengruppen
im „Süden“ erkennen durchaus an, dass es auch Produzenten im
Norden gibt, die strukturell benachteiligt sein können, beispielsweise
durch Konzentrationsprozesse bei Milchproduzenten und -verarbeitern. Bei dem in diesem Kontext gebrauchten Begriff „fair“ geht
um die Einhaltung von Sozialgesetzgebung oder Tarifrecht – also
eigentlich „korrektem Verhalten“, was ohnehin selbstverständlich
sein sollte.
Impuls: Sollte man die Kriterien auch auf den Norden anwenden?
Overath: Fairtrade International (FLO e.V.) wie TransFair sehen keinen Grund, das „Süd-Konzept“ auf den „Norden“ auszudehnen. Auch
herrschen im „Norden“ andere historische, wirtschaftliche, soziale
und politische Rahmenbedingungen – niemand hat den „Norden“
kolonisiert und dort die Grundlagen für eine ungerechte Welthandelsordnung gelegt, wie es im „Süden“ der Fall war.
Die Ausdehnung des klassischen Fairen Handels auf den „Norden“
ist unserer Ansicht nach nur mit erheblichen finanziellen und personellen Ressourcen möglich – Ressourcen, die Fairtrade lieber in die
Stärkung der klassischen Zielgruppen des Fairen Handels im „Süden“ investiert. Volatile Rohstoffmärkte, Finanzkrise, Globalisierung,
Klimawandel und nur geringe Fortschritte bei der Armutsbekämpfung erfordern dies mehr denn je.
Impuls: Ein gern geäußertes Argument gegen Transfair-Produkte ist der Preis und die Versorgung. Inwieweit lässt sich die
Produktion von fair gehandelten Produkten auf alle Konsumbereiche ausdehnen?
Overath: Faire Produkte sind nicht zum Nulltarif erhältlich. Gleichzeitig gibt es bei Kaffee, Tee, Saft und Süßwaren eine große Auswahl
in unterschiedlichen Preiskategorien. Mit etwas gutem Willen ist für
jeden Menschen ein passendes Fairtrade-Produkt in einem der mittlerweile in 36.000 Geschäften und 18.000 gastronomischen Einrichtungen zu finden. Trotzdem arbeitet TransFair auch weiterhin an dem
Ausbau der Produktpalette sowie der Verfügbarkeit.
Impuls: Stichwort Klimaschutz. Welche Rolle spielt der
biologische Anbau bei fair gehandelten Agrarprodukten? K A B DA F Ü R T R E T ’ I C H E I N
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„Fairtrade-Produktion in Paraguay verursacht inklusive
Transport rund 40 Prozent weniger Treibhausgas-Emissionen als Zucker aus Schweizer Zuckerrüben.“
Overath: Der Klimawandel stellt eine neue Herausforderung für den
Fairen Handel dar, denn er führt uns die Ungleichheit in dieser Welt
drastisch vor Augen: Von den Auswirkungen sind in erster Linie nicht
die Verursacher des Problems betroffen, sondern die Menschen in
benachteiligten Regionen des globalen Südens, die ohnehin schon
beschränkte Ressourcen und ökonomische Reserven haben.
In Zukunft wird der Klimawandel jedoch alle Menschen auf diesem
Planeten betreffen. Soll hier rasch eine globale Lösung gefunden werden, wird es entscheidend sein, die Schwellen- und Entwicklungsländer einzubinden. Häufig ist der Einwand zu hören, dass es gerade in
Zeiten des Klimawandels fragwürdig sei, Produkte aus weit entfernten Ländern zu kaufen. Diese Argumentation trifft nicht zu, da gerade
bei Nahrungsmitteln Produktion und Verarbeitung eine wichtigere
Rolle für den Klima-Fußabdruck spielen als die Herkunft. Rohzucker
aus Fairtrade-Produktion in Paraguay verursacht inklusive Transport
rund 40 Prozent weniger Treibhausgas-Emissionen als Zucker aus
Schweizer Zuckerrüben. Rosen aus Afrika verursachen inklusive Transport deutlich weniger Emissionen als Rosen aus holländischen Treibhäusern. Da warmes Klima und viel Handarbeit die Emissionen im
Anbau stark verringern, ist es häufig so, dass der Anbau im Süden
auch unter Berücksichtigung des Transports aus einer KlimaschutzPerspektive besser abschneidet.
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Impuls: Konterkarieren Verbindungen mit Discounter
nicht das Grundanliegen von sozial gerecht hergestellten
Produkten?
Overath: TransFair kommuniziert transparent. Alle Akteure, die bereit
sind, sich an diese Spielregeln zu halten, können sich daran beteiligen.
Innerhalb der schnell wachsenden Zahl von Sozial- und Umweltsiegeln bleibt Fairtrade einzigartig. Produzenten besitzen und verwalten
gemeinsam mit den Fairtrade-Siegelinitiativen den weltweiten Dachverband für den zertifizierten Fairen Handel – Fairtrade International.
Durch den Aufsichtsrat und seine Ausschüsse sind die Produzenten
an allen Entscheidungen über die Gesamtstrategie, die Festlegung
der Fairtrade-Mindestpreise und -Prämien sowie die Entwicklung der
Standards beteiligt. Darüber hinaus ist Fairtrade stark in der Zivilgesellschaft verankert. Es gibt bereits mehr als 1.000 Fairtrade-Städte
sowie viele ehrenamtliche Unterstützer und Multiplikatoren. Starke
Netzwerke von Familien, Freunden und Arbeitskollegen fördern aktiv
diesen sozial gerechten Handel. Laut einer GlobeScan-Studie von
2011 mit über 1.100 Konsumenten in der gesamten Bundesrepublik
Deutschland ist das Fairtrade-Siegel 69 Prozent der Verbraucher inzwischen bekannt und 93 Prozent von ihnen bringen dem Siegel ein
hohes Vertrauen entgegen. Bürger machen selber Strom
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Immer häufiger schließen sich Menschen zusammen, um in Bürger-Solaranlagen, Bürgergenossenschaften oder in gemeinsamen
Windparks „eigenen“ Strom zu produzieren. Erspartes wandert nicht in fremde Geldanlagen und Investmentfonds, sondern es wird
buchstäblich in der Nachbarschaft angelegt. Dem Protest gegen Windanlagen wird dann Wind aus den Segeln genommen, wenn die
Bürger finanziell selbst daran beteiligt sind. Diese Erfahrung machte die Energieagentur NRW, die Bürger berät.
So ist Bundesumweltminister Norbert Röttgen selbst Mitglied der Genossenschaft „Bürger-Energie Siebengebirge“ in Königswinter.
Deren Photovoltaik-Anlage versorgt 80 Zwei-Personen-Haushalte. Die Einlagerungen in der Genossenschaft schwanken zwischen
500 und 10.000 Euro. Ziel ist nicht Profit, sondern saubere Energie. So setzt die südostbayerische Solargenossenschaft Rosenheim
auf die Förderung der Nutzung von regenerativen Energien wie Solarenergie und Wind- und Wasserkraft.
Auch in Brühl sparen Bürger knapp 150 Tonnen CO2- ein, indem sie gemeinsam mit den Stadtwerken drei Bürgersolaranlagen betreiben. Beteiligt haben sich über 70 Einwohner. Ob der Selbstmade-Boom anhält, ist fraglich. Auch wenn Umweltminister Röttgen mit
gutem Beispiel vorangeht, hat Wirtschaftsminister Philipp Rösler angekündigt, die Solarförderung zu kürzen. Der FDP-Politiker will
die Förderung drastisch kürzen, auch weil im letzten Jahr ein Rekordzuwachs bei Solaranlagen trotz schon erfolgter Förderreduzierung zu verzeichnen war.
Kritik an der Energiepolitik der Bundesregierung hat auch jüngst der Bundesverband der Erneuerbarer Energien (BEE) geübt. Der Einsatz grüner Wärmequellen könnte den Kohlendioxid drastisch senken. Bis 2020 soll der Wärmebedarf um 20 Prozent gesenkt werden.
2050 soll der Bedarf für Heizwärme fast vollständig aus Öko-Quellen gespeist werden. Um dies zu erreichen, muss die Regierung
mehr tun, so BEE-Geschäftsführer Björn Klusmann. www.menschen-machen-wirtschaft.de
Impuls Nr. 1 | 2012
M AG A Z I N D E R B E W E G U N G F Ü R S OZ I A L E G E R E C H T I G K E I T
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