Sicherheitspolitisch desinteressiert? Das Verhältnis unserer

Anlässlich der MV 2015 trug der Jugendoffizier Köln: Kapitänleutnant Moritz Brake zum
nachfolgenden Thema vor
Sicherheitspolitisch desinteressiert?
Das Verhältnis unserer Gesellschaft zur Sicherheitspolitik und zur
Bundeswehr aus dem Blickwinkel eines Jugendoffiziers
Immer wieder werden Stimmen laut, wonach sich einzelne
Bundeswehrsoldaten von unserer Gesellschaft unverstanden
und möglicherweise sogar ausgegrenzt fühlen. Wenn diese
Sicht stimmen würde, wäre dem „Staatsbürger in Uniform“
einseitig die Integration in die Gesellschaft aufgekündigt
worden. Diese Stimmen, die man vor allem auch bei jüngeren
Soldaten während der Auslandseinsätze hört, gründen sich
allerdings auf eine einseitige Wahrnehmung bestimmter
Einzelpositionen in den Medien und im Internet. Sieht man sich
hingegen mit breiterem Blickwinkel die Berichterstattung an,
vor allem die in Umfragen immer wieder erhobenen
Meinungsbilder in der Bundesrepublik, lässt sich dieses Bild des „verkannten, ausgegrenzten
Soldaten“ nicht aufrechterhalten. Darüber hinaus ist eine intensive persönliche
Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit eine unübertroffen wertvolle Erfahrung für jeden
Soldaten. Jugendoffiziere haben deshalb einen besonderen Vorteil gegenüber ihren Kameraden
in anderen Aufgabengebieten: Im täglichen Kontakt mit Bürgern, vom Teenager bis zum
Rentner, quer durch alle Gesellschaftsschichten, wird die in abstrakten Umfragewerten
verkündete gesellschaftliche Akzeptanz der Bundeswehr in Deutschland zur täglichen
persönlichen Erfahrung.
Dabei soll nicht der Eindruck entstehen, dass nicht oft sehr skeptisch und kritisch über
Auslandseinsätze, Rüstungsvorhaben und den grundsätzlichen Sinn von Streitkräften diskutiert
wird. Im Gegenteil, die tatsächlich immer wieder sehr intensive kontroverse Debatte über die
zugrundeliegenden politischen und philosophischen Fragen zeigt, dass die Bürger der
Bundesrepublik sehr an sicherheitspolitischen Themen interessiert sind. In der persönlichen
Erfahrung von Jugendoffizieren lässt sich immer wieder feststellen, wie sehr
sicherheitspolitische Fragen die Menschen bewegen. Nur in den allerseltensten Fällen trifft man
auf Bürger, die sich keine Meinung dazu bilden, ob es beispielsweise sinnvoll oder moralisch
haltbar ist, in humanitären Krisen, bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen – sogar
Völkermord – tatenlos zuzusehen. Dass sich dabei keine Mehrheit dafür finden ließe, die
Probleme der Welt mit militärischer Gewalt lösen zu wollen, ist nicht verwunderlich, sondern
selbstverständlich und deckt sich außerdem mit dem aufgeklärten Selbstbild der Soldaten der
Bundeswehr.
Im Rahmen Vernetzter Sicherheit liefern Streitkräfte lediglich einen Teilbeitrag zur
Gesamtaufgabe. Der Einsatz von militärischer Gewalt kann immer nur ultima ratio sein, wenn
es darum geht, in bewaffneten Konflikten kurzfristig das Gewaltmonopol herzustellen und
aufrechtzuerhalten. Die Schaffung einer gerechten Friedensordnung ist in allererster Linie eine
politische, diplomatische, gesellschaftliche Bildungs- und Entwicklungsaufgabe. Dafür können
Streitkräfte in Ausnahmefällen die Grundlage schaffen, in dem sie – notfalls mit Gewalt – die
Bedingungen herstellen, in denen nicht einzelne mit Waffengewalt ihren subjektiven Vorteil
ohne Rücksicht auf die Allgemeinheit durchsetzen können.
Die Jugendoffiziere der Bundeswehr
„Der Mensch soll in jedem Moment seines Denkens und Handelns von der Überzeugung sich
tragen lassen, dass er eine Mission auf Erden zu erfüllen hat, dass ihm Kraft gegeben ist, zur
Veredelung des Menschheitsbaues beizutragen.“
Gustav Stresemann
Dieses Stresemann-Zitat trifft in vielerlei Hinsicht hervorragend die Motivation hinter der
Arbeit der Jugendoffiziere der Bundeswehr. Einerseits ist die tägliche Arbeit eines
Jugendoffiziers, geprägt von großer Selbstständig- und Unabhängigkeit weit ab von üblichen
militärischen Strukturen und unterstützender Infrastruktur, undenkbar ohne höchste innere
Motivation: Der Überzeugung, immer wieder die Diskussion zu suchen, oft im Ein-Mann- oder
Frau-Betrieb Seminare zu organisieren, immer wieder auf die Bürger zuzugehen, und sich für
eine lebendige sicherheitspolitische Debatte einzusetzen. Andererseits ist das Ziel der Arbeit
der Jugendoffiziere, eben jene Motivation zu aktivem, kritischem Staatsbürgertum zu fördern.
Dabei liefern sie nicht nur fachkundige Beiträge zur Diskussion, sondern ermuntern zu
grundsätzlichem Interesse an und Engagement für das demokratische Gemeinwesen.
Da aber immer wieder – auch innerhalb der Bundeswehr – Missverständnisse hinsichtlich der
Aufgabe von Jugendoffizieren bestehen, ist es an dieser Stelle sinnvoll, kurz zu umreißen, was
Jugendoffiziere sind, und welche Rolle sie in Streitkräften und Gesellschaft erfüllen.
Jugendoffiziere als gesellschaftlicher Beitrag der Bundeswehr zur allgemeinen politischen
Bildung:
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Politische Bildung in der Öffentlichkeit zum Thema SicherheitsVerteidigungspolitik
Brückenfunktion zwischen Streitkräften und Bürgern
Zeitzeugen mit Führungserfahrung, oft auch Auslandseinsatzerfahrung
und
…und zusätzlich als Gewinn für die Bundeswehr selbst:
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Stete Bindung zum Bürger
Kontinuierliche kritische Diskussion als Ansporn zur (institutionellen) Selbstreflektion
Junge Führungskräfte entwickeln so ihr Selbst- und Berufsverständnis im steten Diskurs
mit der Öffentlichkeit weiter
Bereits seit 1958 sind Jugendoffiziere in Deutschland im Einsatz, um den Sinn von Streitkräften
und die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen kritisch mit der Öffentlichkeit zu
diskutieren. Dies wird unternommen von Offizieren, die nicht nur sicherheitspolitische und
pädagogische Kompetenz nachweisen müssen, sondern auch über erste Führungs- und oft auch
Auslandseinsatzerfahrung verfügen. Wichtig ist, dass sich schon in den ersten Jahren dieser
Institution die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass deren öffentliche Bildungsaufgabe strikt von
Nachwuchswerbung für die Bundeswehr getrennt werden muss. Denn das Interesse an
grundsätzlichen Fragestellungen – und die Notwendigkeit diese stetig kontrovers zu diskutieren
– umfasst alle Bürger der Bundesrepublik, nicht allein diejenigen, die für den Dienst an der
Waffe in Frage kommen, oder dafür gewonnen werden sollen. Darüber hinaus würde jeder
Versuch unglaubwürdig, objektiv und kritisch über Sicherheitspolitik und die Rolle der
Bundeswehr zu diskutieren, wenn gleichzeitig von den Trägern dieses politischen
Bildungsauftrages erwartet würde, Werbequoten zu erfüllen.
Im Sinne des „Beutelsbacher Konsenses“ – den Grundlagen politischer Bildung in Deutschland
– müssen Inhalte, die „in Wissenschaft und Politik kontrovers [sind], … auch im Unterricht
kontrovers erscheinen.“ Für die Aufgabe der Jugendoffiziere bedeutet das, dass weder eine
positiv überzeichnete Selbstdarstellung der Bundeswehr, noch eine ausschließliche
Konzentration auf die offizielle Position des Bundesministeriums der Verteidigung oder der
Bundesregierung zulässig sind. Das schließt damit den Einsatz von Jugendoffizieren als
„Werber“ oder Pressesprecher aus. Tatsächlich verbindet sich die geforderte Objektivität und
kritische Grundhaltung politischer Bildungsarbeit mit dem gesetzlichen (Selbst-)Anspruch an
alle Soldaten der Bundeswehr als mündige „Staatsbürger in Uniform“. Primat der Politik heißt
nicht, dass politische Vorgaben kritiklos und unreflektiert hingenommen und umgesetzt
werden. Die Notwendigkeit für jeden Soldaten, sich kritisch mit seiner Rolle in der Demokratie,
seinem Auftrag und der aktuellen politischen Debatte auseinanderzusetzen, deckt sich mit der
besonderen öffentlichen Aufgabe des Jugendoffiziers.
Außerdem kommt Jugendoffizieren eine essentielle Brückenfunktion zwischen Bürgern und
Streitkräften zu. Dies umso mehr, seit das vormals wichtigste Bindeglied zwischen Gesellschaft
und Bundeswehr – die Wehrpflicht – keine Rolle mehr spielt. Insbesondere in dieser Aufgabe,
bei der authentischen Vermittlung der Realität in den Streitkräften und Auslandseinsätzen an
die Öffentlichkeit, ist es unverzichtbar, auf Soldaten in Uniform zurückzugreifen. Während
Sicherheitspolitik auch von anderen Trägern politischer Bildung diskutiert wird, kann die Rolle
des Bindeglieds zwischen Gesellschaft und Bundeswehr sinnvoll nur von Soldaten
übernommen werden. Tatsächlich gibt es mittlerweile Regionen in Deutschland, in denen im
Umkreis von 150 km keine Dienststellen der Bundeswehr mehr anzutreffen sind. Da ist oft der
letzte präsente Vertreter der Streitkräfte der Jugendoffizier, dessen Bildungsauftrag lückenlos
im ganzen Bundesgebiet greift. Allerdings können auch die in unterschiedlichen
Betreuungsbezirken bundesweit verantwortlichen 94 Jugendoffiziere nur einen Teilbeitrag
leisten (bundesweit 2014: 161.515 Vortrags- und Seminarteilnehmer). 1
So lange unsere Demokratie Streitkräfte unterhält, ist es wichtig, dass die Bürger – gleich
welchen Alters, Berufs, Bildungsstands oder Wohnorts – diese Institution nicht aus dem
1
Jahresbericht der Jugendoffiziere der Bundeswehr 2014
kritischen Blick verlieren. Einerseits büßt die Qualität von Institutionen allgemein ein, wenn
sie nicht auch von außen immer wieder hinterfragt werden, andererseits bedürfen Streitkräfte
als organisiertes Machtmittel grundsätzlich besonderer stetiger kritischer Aufmerksamkeit. Das
gilt auch für die Bundeswehr, die – fest verankert in der Gesellschaft und unserer Demokratie
– die besten Streitkräfte sind, die Deutschland je hatte. Dieser Zustand ist aber nicht in alle
Ewigkeit festgeschrieben, sondern bedarf kontinuierlichen Engagements, damit auch in
Zukunft von deutschen Streitkräften keine Gefahr für die Demokratie ausgeht und ihr Beitrag
zur Schaffung einer gerechten Friedensordnung angemessen geleistet werden kann.
Sicherheitspolitisches Interesse in Deutschland
Das Vorurteil, die Bürger der Bundesrepublik seien nicht an Sicherheitspolitik interessiert, lässt
sich weder in praktischer Erfahrung eines beinahe täglich intensiv mit der Öffentlichkeit
diskutierenden Jugendoffiziers, noch in wissenschaftlichen Umfragen aufrechterhalten. Eine im
Rahmen des außenpolitischen Review-Prozesses entstandene Umfrage ergab: 2
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68% der Bürger äußern ein starkes Interesse an Außenpolitik
Dabei sehen 63% „Krisen und Konflikte“ als zentrale Herausforderung von
Außenpolitik
Aber: Deutschland solle sich eher zurückhalten… (60%)
…vor allem bei Militäreinsätzen (82%)
Allerdings wird ein Einsatz von deutschen Streitkräften (und damit deren
Existenzberechtigung) in folgenden Situationen mit überwältigender Mehrheit unterstützt:
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Bei direkten Bedrohungen von Frieden und Sicherheit in Europa (87%)
Für humanitäre Zwecke, z.B. Sicherstellung von Versorgung in Krisengebieten (85%)
Zur Verhinderung von Genozid (82%)
Um die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu unterbinden (77%)
Auch wenn das Interesse je nach Alter und Bildungsgrad unterschiedlich stark ausgeprägt ist,
liegt doch keine befragte Gruppe unterhalb eines 50%-Anteils von Interessenten an Außenbzw. Sicherheitspolitik (Junge Menschen, 18-29 Jahre: 55%; Hauptschulabsolventen: 58%).
Dieses Ergebnis lässt sich auch in der täglichen Arbeit eines Jugendoffiziers bestätigen. Auch
wenn z.B. an unterschiedlichen Schulformen, und je nach individueller Schwerpunktsetzung
der Lehrer, unterschiedliches Hintergrundwissen bei Schülern vorliegt, ist das intensive
Interesse an einer Diskussion sicherheitspolitischer Fragen bei der großen Mehrheit der
Menschen vorhanden.
Das Verhältnis von Bundeswehr und Gesellschaft
Wie das oben geschilderte Interesse im Allgemeinen an Sicherheitspolitik erwarten lässt, ist
auch gegenüber der Bundeswehr im Besonderen kein Desinteresse (mehr) zu konstatieren.
Einerseits wird die aktuelle sicherheitspolitische Lage, Ukrainekrise und „Islamischer Staat“,
ihren Beitrag zu einem zunehmenden Interesse leisten. Andererseits werden es auch jüngere
2
„Sicht der Deutschen auf die Außenpolitik“, Körber Stiftung, 2014
prominente Bekenntnisse zu Deutschlands Verantwortung in der Welt sein, die nicht nur
Sicherheitspolitik, sondern auch die Bundeswehr verstärkt in die Debatte gerückt haben.
Möglicherweise war es aber auch einfach Teil der empfundenen „Friedensdividende“ der Zeit
nach dem Kalten Krieg, dass diese Themen (vorübergehend) weniger stark in der Öffentlichkeit
wahrgenommen wurden.
In jedem Fall bestätigen auch Umfragen zur Beliebtheit der Bundeswehr, dass sie von einer
großen Mehrheit der Bürger positiv gesehen wird (77%, 2013). 3 Als Herausforderung sollten
allerdings zwei weitere Ergebnisse dieser Umfragen im Auge behalten werden:
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Nur ca. 10% der Bevölkerung haben persönliche Erfahrungen mit Soldaten und der
Bundeswehr (dazu zählen u.A. auch Kontakte zu Jugendoffizieren)
Ca. 20% der Befragten stehen der Bundeswehr explizit ablehnend gegenüber
Was diese Zahlen allerdings nicht verdeutlichen, und was letztlich die Soldaten im
Auslandseinsatz intensiv beschäftigt und wahrscheinlich hauptverantwortlich für die
empfundene Ausgrenzung und Ablehnung ist, sind organisierte extremistischen Aktionen und
Darstellungen im Internet. Seien es regelrechte Hetzkampagnen gegen Einzelne, so wie
„Wanted“-Aufrufe mit Prämien für Wohnort-Angaben zu Brigadegeneral Klein
(„Bombardement von Kunduz“), oder Vandalismus-Aktionen am Bundeswehr Ehrenmal in
Berlin mit Schweineblut unter dem Motto „Feste feiern wie sie fallen“ – freudiges Anstoßen
mit Sekt auf jeden im Auslandseinsatz gefallenen Soldaten – der DFG-VK. Auch mit
Brandstiftungen an Dienst- und Privatfahrzeugen auf Kasernenparkplätzen können die Taten
einzelner Extremisten bei vielen Soldaten das Gefühl der Ablehnung durch die gesamte
Gesellschaft auslösen.
Hier kann auch die Arbeit der Jugendoffiziere einen Beitrag leisten, um Soldaten, die nur wenig
dienstlichen Kontakt mit der Öffentlichkeit haben, die überwältigend positiven Erfahrungen mit
Bürgern zu vermitteln. Im Übrigen kann man nur jeden Soldaten ermutigen, nicht aufgrund
extremistischer Einzeltaten seine Uniform außerhalb von Kasernen zu verstecken. Nur wenn
Soldaten als solche erkennbar sind, können ihnen positive Erfahrungen in der Öffentlichkeit
„im Amt“ wiederfahren. Zusätzlich leisten sie damit einen Beitrag zur Auseinandersetzung der
Gesellschaft mit ihren Streitkräften: Die Bundeswehr wird als in der Gesellschaft präsent
wahrgenommen. Letztendlich wäre weit mehr Schaden entstanden, als in Sachwerten zu
beziffern wäre, wenn es Extremisten gelänge, „Bürgerverdrossenheit“ beim „Staatsbürger in
Uniform“ zu erzeugen.
Ablehnung der Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft?
Die wenigen Radikalen, die auch vor Straftaten nicht zurückschrecken, sind immerhin Teil
einer weit größeren gesellschaftlichen Gruppe, die der Bundeswehr ablehnend gegenübersteht.
Diese ideologisch bedingte Ablehnung der Bundeswehr, vom Rande schon eher in Richtung
Mitte der Gesellschaft rückend, findet sich – wie auch der langjährige GRÜNENBundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei spekulierte – möglicherweise verstärkt im
Zentrum für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften der Bundeswehr, 2013
3
intellektuellen Milieu. Ein Beispiel war unter anderem der 2013 verliehene sogenannte
„Aachener Friedenspreis“ (nicht mit dem renommierten Aachener Karlspreis zu verwechseln)
an „Schulen ohne Bundeswehr“. Man prämierte Schulen, die sich weigerten, Jugendoffiziere in
den Unterricht einzuladen:
„Um eine Welt ohne Krieg und militärische Gewalt zu erreichen, ist eine völlig andere Art des
Denkens und Handelns unserer Gesellschaft nötig. Neben der Anwendung von Methoden der
zivilen Konfliktbearbeitung zur Beilegung gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen
Staaten und Gemeinschaften brauchen wir vor allem eine andere, auf Friedenserziehung
orientierte, Bildungspolitik und Ausbildung unserer Jugend. Diese kann von Soldatinnen und
Soldaten nicht gewährleistet werden, zumal diese ihrer Arbeitgeberin, der Bundeswehr,
verpflichtet und damit deutlich interessengeleitet sind.“ (aus der Begründung des „Aachener
Friedenspreises“ 2013)
Neben der hier zugrundeliegenden offensichtlichen Fehleinschätzung der Rolle der
Bundeswehr in unserer Gesellschaft, sowie des freiwilligen Angebotscharakters des politischen
Bildungsauftrages der Jugendoffiziere, steht das Ausschließen von Soldaten aus dem
gesellschaftlichen Diskurs über Sicherheitspolitik im Widerspruch zur proklamierten kritischen
Objektivität als Grundlage mündiger Meinungsbildung. Diese Preisverleihung wäre sogar
beinahe gescheitert, weil von den einzigen drei Schulen, die offenbar bundesweit 2013 dem
Kriterium gerecht wurden, eine kurz vor der Verleihung den Preis ablehnte. Weithin anerkannt
für sein langjähriges friedenspolitisches Engagement, trat Winfried Nachwei in Reaktion auf
diesen „Aachener Friedenspreis“ konsequent allen „Militarismus“-Vorwürfen gegen die
Bundeswehr entgegen und konstatierte die „kompromisslose Werteübereinstimmung zwischen
unserer Demokratie und unseren Streitkräften“. 4
Tatsächlich ist nicht nur dieser Beistand für die Bundeswehr, die Leistungen und Opfer ihrer
Soldaten, eine positive Erfahrung nach dem „Aachener Friedenspreis“; auch das anschließende
Medienecho stellte sich letztendlich auf die Seite der „Staatsbürger in Uniform“. Selbst wenn
unhaltbare Vorwürfe und – bei manchem wohl schon liebgewonnene – ideologische
Feindbilder immer wieder im Einzelfall für Bundeswehrsoldaten frustrierend sein können,
dürfen diese nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Anerkennung des Dienstes in den
Streitkräften gesellschaftlich etabliert ist.
Fazit
Insbesondere nach dem Aussetzen der Wehrpflicht in Deutschland, und im Zuge einer
Reduzierung der Größe der Bundeswehr, ist die Funktion der Jugendoffiziere als Brücke
zwischen Bürgern und Streitkräften noch wichtiger geworden, als sie es seit jeher war.
Demokratie ist darauf angewiesen, dass ihre Streitkräfte sich nicht von der Gesellschaft
abkoppeln. Die Wehrpflicht war immer – mehr noch als alle Erwägungen hinsichtlich der
„Wehrfähigkeit“ der Bundesrepublik – als demokratische Sicherheit gedacht. Durch die
Wehrpflicht sollte die Gesellschaft kritisch aufmerksam für die Bundeswehr bleiben und
gleichzeitig eine Einengung der Rekrutierung auf sich-selbst-reproduzierende militärische
„Eliten“ verhindert werden. Zwar wurde der Werbeetat der Bundeswehr erhöht, das
4
Anlässlich Verleihung Ehrenmedaille des Fördervereins der Jugendoffiziere an Winfried Nachtwei, Juni 2014
Engagement für eine öffentliche kritische Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Bürger
jedoch nicht. Ohne Wehrpflicht und mit einer 185.000-Soldaten Bundeswehr, die zwangsläufig
aufgrund geringerer Größe weniger öffentlich präsent ist, ist es überlegenswert, ob die
bundesweit 94 Jugendoffiziere nach wie vor – in dieser Zahl seit 1990, bei einer damaligen
Wehrpflichtarmee von über 400.000 Soldaten – ausreichend sind.
Letztlich wäre eine logische Weiterentwicklung des Konzeptes und der Institution der
Jugendoffiziere, zukünftig z.B. die direkte personelle Beteiligung der diplomatischen und
entwicklungspolitischen Ressorts. So würde sich der Vernetzte Ansatz europäischer
Sicherheitspolitik auch in dieser besonderen Unterstützung der öffentlichen Diskussion
wiederfinden. Die ressortübergreifend geteilte Überzeugung, dass Sicherheits- und
Außenpolitik mit dem Bürger diskutiert werden muss, manifestiert sich schließlich nicht zuletzt
auch im Review-Prozess des Auswärtigen Amtes und in der Bundesakademie für
Sicherheitspolitik (BAKS).
Auch sollte das in Europa vorhandene Potential und der Bedarf für die Weiterentwicklung des
Konzeptes „Jugendoffizier“ nicht unterschätzt werden. Europäische Soldaten, vor allem
diejenigen die in internationalen Einsätzen – für EU, UN oder NATO – gewesen sind, aber auch
Diplomaten, international erfahrene Polizisten und Vertreter der Entwicklungszusammenarbeit,
bringen die unmittelbare Erfahrung mit, dass internationale Kooperation kein frommes
Wunschdenken ist, sondern in der Realität funktioniert. Die persönliche Erfahrung eines
gelebten Miteinanders im Sinne demokratischer Werte, mit dem Ziel einer gerechten
Friedensordnung für die gesamte Menschheit, kann als Inspirationsquelle gar nicht überschätzt
werden. Und dies wird umso nötiger in Zeiten, in denen scheinbar stetig wachsende
Bevölkerungsgruppen in Europa den Glauben an das demokratische europäische Projekt
verlieren.
Aus diesem Grund würde die Institution der Jugendoffiziere ihre logische Fortsetzung heute
auf gesamteuropäischer Ebene finden. Sicherheitspolitik ist ein zwangsläufig
gesamteuropäisches Thema. Und Europa als Gegenentwurf zu klassischer Machtpolitik braucht
nun mehr denn je den Rückhalt und das Engagement seiner Bürger. Während es leider sowohl
in Deutschland als auch in anderen europäischen Ländern wieder stärkere nationalistische
Tendenzen gibt, ist die öffentliche Meinung längst auch (wieder) Gegenstand gezielter äußerer
Einflussnahme im Zuge hybrider Kriegführung. Es wäre daher an der Zeit, die notwendige
sicherheitspolitische Diskussion auf europäischer Ebene intensiv auf breiter Basis mit den
Bürgern zu führen. Deshalb würde, inspiriert von der Idee des „Jugendoffiziers“, der immer
wieder geäußerte Wille zu europäischer militärischer Kooperation in gemeinsamen
Europäischen Referenten für Sicherheitspolitik nachhaltig wertvollen Ausdruck finden.
Über den Autor:
Moritz Brake ist Kapitänleutnant (Crew VII/03), Jugendoffizier Köln und Vorsitzender des Fördervereins der
Jugendoffiziere e.V. Er war als Blauhelmsoldat im Rahmen der UNIFIL Mission 2007, sowie für die Europäische
Union in der Mission ATALANTA in den Jahren 2010 und 2011 im Auslandseinsatz. Er ist Herausgeber des
Buches „Maritime Sicherheit – Moderne Piraterie: Hintergründe, Gefahren und mögliche Gegenmaßnahmen“
(Peter Lang Verlag, Frankfurt a.M., 2015)