Statistische Methoden künftig ohne Norm? - VDA-QMC

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BRAUCHT DEUTSCHLAND KEINE GENORMTEN STATISTISCHEN METHODEN?
Statistische Methoden
künftig ohne Norm?
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Wolfgang Schultz, Weinheim
Die Arbeit des deutschen DIN-Arbeits­
ausschusses „Angewandte Statistik“ ist
infrage gestellt. Industrievertreter sind
kaum noch beteiligt, die Finanzierung
ist nicht mehr sichergestellt. Damit
stellt sich eine sensible Frage: Braucht
Deutschland künftig keine Normung
mehr zur Anwendung statistischer Methoden?
Die Anwendung statistischer Methoden ist
in der industriellen Produktion ein zentrales Element der Qualitätssicherung. Bereits in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts hat Walter A. Shewhart mit seinen Beiträgen zur statistischen Prozessregelung (SPC) einen wichtigen Impuls hierfür
gegeben.
In Deutschland sind ab den 70er-Jahren DIN-Normen zur Anwendung statistischer Methoden entstanden, die eine hohe
Akzeptanz und Verbreitung gefunden haben. Darunter finden sich auch DIN 40080
„Stichprobenprüfung nach AQL“ oder DIN
55350 „Begriffe der Qualitätssicherung
und Statistik“. Die Deutsche Gesellschaft
für Qualität (DGQ) hat maßgeblich zur
praxis­orientierten Vermittlung und Anwendung statistischer Methoden beigetragen
und sich für ein einheitliches Verständnis
derselben eingesetzt.
Der Autohersteller Daimler hat 1997
eine Studie zur Untersuchung statistischer
Methoden in Auftrag gegeben. Auslöser
waren zahlreiche Diskrepanzen zwischen
­
Kunden und Lieferanten bei der Anwendung statistischer Methoden. 1999 hat
derselbe Konzern eine international besetzte Arbeitstagung „SPC auf dem Prüfstand“ organisiert, bei der die Ergebnisse
dieser Studie eine zentrale Rolle spielten.
Die Ergebnisse der Tagung wurden in
ein neues Normungsprojekt eingebracht.
Im März 2002 wurde daraufhin die
DIN 55319 „Qualitätsfähigkeitskenngrößen“ veröffentlicht. 2006 wurden die
Inhalte mit nur geringen Änderungen als
­
ISO 21747 herausgegeben. Diese Norm
fand international – nicht nur in der Auto-
mobilindustrie – große Anerkennung und
hat die SPC-Welt revolutioniert. Aktuell
werden diese sowie weitere Normen zu
­Fähigkeitskenngrößen überarbeitet und in
die neue Normenreihe ISO 22514 überführt. Offensichtlich ist die Anwendung
­dieser Normen aus der industriellen Praxis
nicht mehr wegzudenken.
Die ISO 9001 in der Version 2015 entwickelt sich indes zur statistikfreien Zone
– zumindest werden die statistischen
­Methoden nicht mehr namentlich erwähnt.
Und auch in der deutschen Normungsarbeit ist seit mehreren Jahren ein ähnlicher
Trend zu beobachten. Nach und nach sind
viele Firmenvertreter aus dem Ausschuss
ausgeschieden und wurden nicht nachbesetzt. Aufrufe des Ausschusses zur Mitarbeit stießen bei Unternehmen auf wenig
Resonanz. Nur Vertreter von Hochschulen,
Verbänden und Delegierte anderer Normungsgremien folgten diesen Aufrufen.
Auf ISO-Ebene ist festzustellen, dass
allen voran China, Indien, Japan, die USA
und Großbritannien sich sehr stark in der
Normungsarbeit zu statistischen Methoden
Dr. Wolfgang Schultz,
geb. 1954, war von
1998 bis 2008
Leiter der Abteilung
Weiterbildung der
DGQ in Frankfurt.
Seit 2008 ist er
Geschäftsführer
der TEQ Training & Consulting GmbH in
Weinheim, einer Tochterfirma von Q-DAS.
2011 wurde er zum Obmann des Arbeitsausschusses NA 147-00-02 AA „Angewandte Statistik“ beim DIN berufen.
Literatur
WW Bünting, F.; Schultz, W.: Sind statis­
tische Methoden überflüssig?
QZ 7/2014, S. 16-17
© Carl Hanser Verlag, München
QZ Jahrgang 60 (2015) 6
© Carl Hanser Verlag, München. Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist nicht gestattet und muss beim Verlag gesondert beauftragt werden.
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engagieren – zu einem Großteil mit massiver finanzieller Unterstützung durch den
Staat. Diese Länder bestimmen in zunehmendem Maß den Inhalt internationaler
Normen. Der DIN-Ausschuss „Angewandte
Statistik“ (NA 147-00-02 AA) konnte in den
letzten Jahren erreichen, dass alle Sub
Committees des ISO/TC 69 „Applications
of statistical methods” mit deutschen
­Vertretern besetzt sind. Die Vertreter der
anwendenden Firmen aber fehlen.
Ist der Arbeitsausschuss
für statistische Methoden obsolet?
Wiederholt wurde im Ausschuss die Frage
diskutiert, wie sich die Abwesenheit der betroffenen Firmen erklärt. Aktuell fragt man
sich, ob die Arbeit des deutschen Arbeitssausschusses „Angewandte Statistik“ eingestellt werden soll. Das Konzept des DIN
sieht vor, dass mindestens die direkten
Kosten der Normungsarbeit durch Projektmittel der interessierten Kreise zu decken
sind, während das DIN die Finanzierung der
Gemeinkosten übernimmt. Dies gelingt
beim Arbeitsausschuss „Angewandte Statistik“ mittlerweile nicht mehr. Vertreter der
öffentlichen Hand einschließlich der Hochschullehrer, Vertreter der öffentlich-rechtlich verfassten Forschungseinrichtungen
sowie Delegierte anderer Normenausschüsse sind von den Kostenbeiträgen befreit, Förder- oder Mitgliedsbeiträge von Unternehmen bzw. der entsandten Vertreter
sind eher die Ausnahme als die Regel.
In der Sitzung des NQSZ-Beirats im
März 2015 in Berlin wurden unter ande­rem
der Haushalt und die Finanzierung des
Normenausschusses
Qualitätsmanagement, Statistik und Zertifizierungsgrundlagen (NQSZ) und seiner Arbeitsausschüsse
überprüft. Im Gegensatz zu den Ausschüssen, die ISO 9001, Zertifizierungs- und
­Akkreditierungsgrundlagen (u. a. ISO 17025
für Prüflabore) bearbeiten, ist der Haushalt
des NA 147-00-02 AA defizitär.
Wie soll die Arbeit
des NQSZ künftig finanziert werden?
Eine Querfinanzierung innerhalb des NQSZ
durch andere Ausschüsse wird strikt abgelehnt. Somit bestehen derzeit folgende
Szenarien:
WW Szenario 1: Erhöhung der Einnahmen.
Dies bedeutet eine zusätzliche Mitwirkung von Personen, die im Zuge ihrer
­Arbeit einen Förderbeitrag an das Deutsche Institut für Normung (DIN) zahlen,
oder die Bereitstellung von Förderbeiträgen oder Spenden für diesen Ausschuss
Jahrgang 60 (2015) 6
OOIHR KOMMENTAR!
WW Brauchen die deutschen Unternehmen keine Normen zur Anwendung
statistischer Methoden?
WW Sind sie bereit zu übernehmen, was
andere Nationen in den Regelwerken festlegen?
WW Genügen ihnen englischsprachige
ISO-Normen?
Kommentieren Sie online:
www.qz-online.de/1015256
oder mailen Sie direkt:
[email protected]
an das DIN. Aus den bisherigen Reak­
tionen der Industrieunternehmen war
hierzu keine Bereitschaft zu erkennen.
WW Szenario 2: Reduzierung der Kosten.
Das würde insbesondere den Verzicht
auf die Übersetzung zahlreicher relevanter Normen bedeuten. Weiterhin könnte
die Zahl der Arbeitssitzungen (derzeit
national zwei pro Jahr und international
mindestens zwei pro Jahr) reduziert werden. Dies würde letztlich auf Szenario 3
hinauslaufen.
WW Szenario 3: Einstellung der Arbeit des
NA 147-00-02 AA. Diese hätte zur Folge, dass Normen zur Anwendung statistischer Methoden künftig ohne deutsche Mitwirkung entstünden. Sie würden dann nur noch in englischer Sprache und ausschließlich als ISO-Norm erscheinen.
Umfrage unter Anwendern
soll Klarheit schaffen
Mittels Umfrage soll nun festgestellt werden, ob seitens der Nutzer überhaupt Bedarf an diesen Normen und deren Verfügbarkeit in deutscher Sprache besteht. Im
NQSZ-Beirat wurde teilweise die Auffassung vertreten, dass man über ausreichend Fachliteratur zu statistischen Methoden verfüge, sodass Normen zu diesem
Thema nicht erforderlich seien.
Die zentrale Frage ist nun, ob in den
­Unternehmen tatsächlich kein Bedarf mehr
an Normen zur Anwendung statistischer
Methoden besteht oder ob den Unternehmen vielleicht einfach nicht bewusst ist,
welche Folgen die Einstellung der deutschen Normungsarbeit auf diesem Gebiet
hätte. Die QZ informiert weiterhin und ruft
zur Teilnahme an der Umfrage auf.  q
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