Nicole Lieger Konzept des Forschungsprojektes Die Politik der Anziehung Potentiale eines konstruktivistischen Weltbildes für neue Formen politischen Handelns Ausgangslage und Zielsetzung Den Hintergrund dieser Arbeit bildet ein Blick auf politisches Engagement in Österreich bzw. Europa, bei dem progressive Anliegen aus einem Blickwinkel der Kritik, des Widerstands oder des Kampfes angegangen werden. Emotionale Grundlagen der Mobilisierung sind häufig Wut, Angst oder Empörung; der Blick auf die Welt ist problemorientiert, d.h. legt den Schwerpunkt auf Negatives, Nicht-Wünschenswertes, Zu-Veränderndes sowie auf die Hindernisse, die dabei im Weg stehen. Die eigene Position wird dabei meist als eine der Opposition verstanden. Gleichzeitig wächst im selben geographischen Raum eine Subkultur, die sich sehr stark mit Spiritualität und Persönlichkeitsentwicklung befasst, und in der eine Wertorientierung vorherrscht, die Achtsamkeit, Lebensfreundlichkeit, Offenheit und Nicht-Dualität in den Vordergrund stellt. Kooperative Verbundenheit allen Lebens, Füllebewusstsein und wertschätzender Umgang mit sich selbst und allen anderen gelten als wesentlich, ebenso wie die Integration von Körperlichem, Emotionalem und Geistigem. Die Hinwendung zum Positiven wird als ein möglicher Akt bewusster Entscheidung gesehen, und als Vorgangsweise empfohlen. Der Fokus innerhalb dieser Bewegung ist meist der einzelne Mensch oder eine kleine Gruppe, wie eine Familie oder ein Büro. Eine darüber hinausgehende kollektive Ebene, oder die Veränderung der Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Einzelnen sich befinden, wird vergleichsweise wenig beleuchtet. Ziel dieser Arbeit ist es, eine Synthese aus Elementen dieser beiden Bereiche zu kreieren, die neue Zugänge zu politischer Arbeit eröffnet. Dabei soll Wesentliches aus der Wertebasis der oben beschriebenen Subkultur übernommen werden und auf einen Kontext angewandt, der Fragen der kollektiven Gestaltung und der Veränderung von Rahmenbedingungen thematisiert, und auf diese Weise viele der klassischen Themen von progressivem politischem Engagement wieder aufgreift, allerdings mit einer ganz anderen Konzeptualisierung, einem anderen Lebensgefühl, anderen Strategien und anderen Seinsqualitäten. Bei dieser Analyse und Thesenbildung wird von einem konstruktivistischen Weltbild ausgegangen. Während Konstruktivismus und Postmoderne in manchen Bereichen des akademischen Lebens schon weite Verbreitung gefunden haben, scheint ihre Umlegung auf politische Praxis innerhalb der Zivilgesellschaft oder auch der politischen Parteien noch relativ wenig entwickelt. Die Beleuchtung der Frage, welche neuen Zugänge und Gestaltungspotentiale sich hier auftun, bildet einen wesentlichen gedanklichen Strang, der sich durch die Arbeit zieht. Der Blick liegt dabei auf den Möglichkeiten der (Re-)Konstruktion, nicht der Dekonstruktion. 1 http://homepage.univie.ac.at/nicole.lieger Die Arbeit wird sowohl gedankliche Zugänge als auch konkrete Umsetzungsbeispiele für dieses neue politische Engagement aufzeigen. Neben Beispielen aus der bereits existierenden Praxis sollen auch weiterführende Möglichkeiten und Ansätze entwickelt werden. Die genaue Gliederung der dazu denkbaren Stränge wird sich erst mit dem Fortschreiten der Arbeit ergeben. Hier sollen vorerst einmal einige Grundthemen angeführt werden, die sich für eine neue politische Handlungsweise - hier „Politik der Anziehung“ genannt - abzeichnen. Diese Themen sind hier mit kurzen Stichworten umrissen; es gibt aus den jeweils dazu angeführten Bereichen bereits konkretere Beispiele und genauere Vorstellungen, welche Formen und Zugänge sich herausbilden können. aus der Vision agieren Anstatt die Gegnerschaft zu benennen (z.B. Anti-Rassismus), Worte und Begriffe für die eigene Vision finden; Die Worte mit Kraft füllen, d.h. mit Emotionalität, mit Detail, mit Gewohnheit, mit spontaner Selbstverständlichkeit; aus diesem Zustand heraus politisch handeln Beispiele und Bezugspunkte: Appreciative Inquiry New Thought; Buddhismus Deep Ecology; Queer Community; Solidarökonomie positiv konzeptualisieren zum einen Bewertung als eine bewusste Entscheidung sehen und daraus folgendes Gestaltungspotential; zum anderen politische Fragen neu konzeptualisieren, so dass eine Annäherung aus dem Positiven möglich wird. Beispiele und Bezugspunkte: Konstruktivismus und Therapie Findhorn eigene Beispiele für Neukonzeptualisierungen Positives verstärken z.B. Lobbriefe schreiben statt Protestbriefen Beispiele und Bezugspunkte: Findhorn Consulting; Greenpeace; Quaker Peace&Service eigene Räume schaffen Freiheiten und Gestaltungsspielräume entdecken und ausschöpfen im physischen, und in der verbalen Diskurskreation d.h. auch Entdeckung und Wiederaneignung eigener Definitionsmacht Beispiele und Bezugspunkte: Solidarökonomie, Ökodörfer, Alternativschulen div. Symposien und Gruppen 2 http://homepage.univie.ac.at/nicole.lieger Von Sich Sprechen - Vielfalt bejahen eigene Räume schaffen und die Räume anderer bestehen lassen. Beispiele und Bezugspunkte: Multikulturalismus gewaltfreie Kommunikation; Selbsthilfegruppen; spirituelle Gruppen/ Mystik persönliche Alltagspraxis und politisches Denken integrieren Beispiele und Bezugspunkte: feministische Bewegungen, Queer Community Integrale Politik Solidarökonomie, Ökodörfer/Kommunen integraler, wertschätzender Umgang in politischen Gruppen Redestab, Pausen; Emotion u Körper integrieren etc. Unmittelbarkeit und Lustprinzip Beispiele und Bezugspunkte: Integrale Politik Deep Ecology div. politische Gruppen (Red Buddha; Poly-Wien; KeineUni; 7generationen; Seivo...) Buddhismus Zugang und Methodik Die Arbeit wird von einer konstruktivistischen Perspektive aus geschrieben; dies soll sich nicht nur in der Wahl des Untersuchungsgegenstandes ausdrücken, sondern auch in der Praxis des Forschens und Schreibens selbst, in der angewandten Methodik und Sprechweise. In wesentlichen Teilen soll der Inhalt dieser Arbeit auch Ausdruck in ihrer Form finden. Was bedeutet das? - Ich begreife mein Schreiben nicht als eine möglichst neutrale Reflexion einer im Außen unabhängig von mir und meiner Beschreibung bestehenden objektiven Wirklichkeit. Dies liegt nicht daran, dass unsere Methoden noch nicht hinreichend ausgereift wären, oder eine gewisse Beeinflussung leider unvermeidlich ist. Die „neutrale Reflexion“ ist nicht mehr das Ziel, das ich anstrebe. Vielmehr begreife ich meine Tätigkeit des akademischen Schreibens selbst als einen Akt der Konstruktion. Dies ist m.E. ebenfalls nicht ein Ziel, sondern unvermeidbar, d.h. ohnehin immer der Fall. Meine Zielsetzung geht nun dahin, in einer sinnvollen und hilfreichen Weise an der Konstruktion und Diskurserschaffung, - erhaltung und -veränderung mitzuwirken. Die Arbeit versteht sich also als gestaltend und werteorientiert. 3 http://homepage.univie.ac.at/nicole.lieger - Bekenntnis zum Subjektiven Da es m.E. keine objektive Darstellung sozialer Wirklichkeiten gibt, möchte ich das Subjektive nicht verleugnen, sondern vielmehr offen sichtbar machen. Das Bekenntnis zum Subjektiven wird m.E. einfacher, wenn wir gleichzeitig den Anspruch der Allgemeingültigkeit fallen lassen: die subjektive Position als ein achtsam und sorgfältig erarbeiteter Vorschlag, als eine Einladung, der Folge leisten kann, wem das stimmig erscheint. - Zusammenkommen von Theorie und Praxis Theorie im Sinne akademischen Schreibens ist m.E. Praxis im Sinne von Diskurserschaffung. Diskurserschaffung - so eine inhaltliche These dieser Arbeit - ist politische Arbeit. Der Unterschied zwischen wissenschaftlicher Forschung und politischer Praxis ist also aus dieser Perspektive nicht so groß wie vielleicht bisher angenommen. In diesem Sinne ist mir auch das Zusammenbringen der Inhalte wissenschaftlicher Arbeit und der persönlichen Praxis ein Anliegen. In der Praxis des Schreibens möchte ich bereits praktizieren was ich predige; auch während ich predige, bzw. in dem wie ich predige. Dabei sind Seinsqualitäten mindestens so ausschlaggebend wie die verbale Kommunikation im engeren Sinn (So wie z.B. ein Podium von Männern, die darüber vortragen, dass Frauen Wichtiges zu sagen haben, die Botschaft weniger nachhaltig kommuniziert als ein Podium von Frauen zum Thema Landwirtschaft). Neben dieser unmittelbaren Umsetzung der Inhalte in gelebte Praxis betrachte ich mein wissenschaftliches Denken als handlungsanleitend für meinen Alltag, meine Berufs- und Lebenswelt, bzw. strebe diese Integration an. - Relevanz Der Impuls für diese Arbeit kam daher, dass ich ihre Relevanz aus meiner persönlichen Praxis heraus erfahren habe. Darüber hinaus vermute ich, dass es eine beträchtliche Personengruppe gibt, die aus einer ähnlichen Position zwischen politischem Engagement und spiritueller Werteorientierung heraus ebenfalls ein Bedürfnis an der Weiterentwicklung dieses Ansatzes hat; eine Vermutung, die sich im Kontakt mit verschiedenen Gruppen bislang bestätigt hat. - Material und Impulse zur Fragestellung Das Material für diese Arbeit kommt zum einen aus meiner langjährigen Arbeitspraxis, zum anderen aus speziell in Zusammenhang mit dieser Forschungsfrage aufgebauten Kontakten zu diversen zivilgesellschaftlichen Gruppen. Die Gespräche und Partizipation in diesen Gruppen stehen dabei unter dem Zeichen der Suche nach Beispielen und möglichen Ansatzpunkten für eine „Politik der Anziehung“; eine umfassende Erhebung oder Darstellung aller in diesen Gruppen vorhandenen Tendenzen wird nicht versucht. Ergänzend zu diesen persönlichen Kontakten werden Literatur und Webseiten betrachtet, die ebenfalls Hinweise auf diese mögliche neue politische Kultur beinhalten, von denen aus Parallelen gezogen oder Impulse für eine kreative Entwicklung gewonnen werden können. 4 http://homepage.univie.ac.at/nicole.lieger
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